Journal Hochschule RM - Hochschule RheinMain
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BLICKPUNKTE<br />
der Flutwellen sind noch überall zu sehen. Wasser tüm -<br />
pel, Schlamm, eingestürzte Häuser, Chaos wohin man<br />
schaut. In dem Innenhof eines vom Schlamm gerade<br />
geräumten Gebäudes bauen wir wieder unsere Unter -<br />
suchungs-, Behandlungs- und Medikamentenaus gabe -<br />
stellen auf. Der Andrang ist groß, der Gesundheitszu -<br />
stand noch schlechter als bei unseren gestrigen Patien -<br />
ten. Wir behandeln, bei wiederum ca. 40 °C und einer<br />
hohen Luftfeuchtigkeit, ca. 200 Patienten. Eine ältere<br />
Patientin ist so schwach und von den Ereignissen ge -<br />
zeichnet, dass sie sich einfach vor uns auf den Boden<br />
legt und uns ihr Leid klagt. Wir legen sie auf ein Holz -<br />
gestell. Ich platziere einen intravenösen Zugang und<br />
gebe ihr eine Infusion. Nach 45 Minuten ist die Infusi on<br />
"durch". Der Patientin geht es sichtlich besser, sie um -<br />
fasst meine Hände und redet auf mich ein. Meine Dol -<br />
metscherin erklärt mir, dass die Frau sehr dankbar ist<br />
und für mich beten würde. Eine sehr schöne Geste, die<br />
mich berührt, und das Beten schadet hier bestimmt<br />
nicht. Schön, wenn Allah und Gott auf uns aufpassen,<br />
oder ist es vielleicht doch ein und derselbe Gott!?<br />
Nach vier Stunden, bei über 40 °C, wird es langsam<br />
grenzwertig, was die Korrektheit unseres, meines<br />
medi zinischen Handelns betrifft. Wir beschließen nach<br />
fast fünf Stunden Behandlung, langsam zum Ende zu<br />
kommen. Es dürften ca. 300 Patienten gewesen sein, die<br />
Philipp, Cindy, Irmgard und ich medizinisch ver sorgt<br />
haben. Es soll keine „Fließbandabfertigung“ werden,<br />
aber auch ich unterliege dieser Gefahr, da man, da ich<br />
natürlich so viel wie mögliche Patienten behandeln<br />
möchte. Dies hat aber auch seine Grenze, meine Grenze,<br />
die ich erkennen und akzeptieren muss. Außerdem<br />
fällt es mir schwer, vor all den Menschen, die während<br />
ihres heiligen Ramadan-Monats fasten, etwas zu essen<br />
und zu trinken. Ein Bonbon und dann doch etwas<br />
Flüssigkeit müssen genügen.<br />
16<br />
Zwischendurch erfahren wir von zwei weiteren Bom -<br />
ben anschlägen in Pakistan. Wir wussten um dieses<br />
Risiko, um diese Gefahr, dennoch stehen wir alle hinter<br />
diesem wichtigen und notwendigen Einsatz. Und da ist<br />
es vollkommen egal, welcher Glaubensgemeinschaft<br />
ein Mensch angehört, bzw. ob er überhaupt einer ange -<br />
hört. Ich spüre förmlich den Zorn und die Abscheu in<br />
mir aufsteigen, wenn ich an die diskriminierenden<br />
Äußerungen eines Herrn Sarrazins über Muslime in<br />
Deutschland denke, – während meiner Begegnung hier<br />
in Pakistan mit vielen Menschen dieser Glaubensge -<br />
meinschaft. Was nimmt sich solch ein narzisstisch<br />
gestörter Mensch heraus, und welche Plattform liefern<br />
ihm die Medien für den Unsinn, den er propagiert.<br />
Es ist „really hot“, bestimmt um 45° C, der Schweiß<br />
fließt in Strömen. Wir sind wieder auf dem Friedhof<br />
und dem dort aufgestellten Zeltdorf für die Flutopfer<br />
tätig. Skurrile Situation, Behandlung zwischen Gräbern,<br />
eine Metapher der besonders tragischen Art. Leben<br />
und Tod liegen eben sehr nah beieinander, besonders<br />
für die vielen Menschen hier in Pakistan. Sie leben<br />
JOURNAL DER HOCHSCHULE RHEINMAIN 3/2010