23.06.2020 Aufrufe

syndicom magazin Nr. 17

Das syndicom-Magazin bietet Informationen aus Gewerkschaft und Politik: Die Zeitschrift beleuchtet Hintergründe, ordnet ein und hat auch Platz für Kultur und Unterhaltendes. Das Magazin pflegt den Dialog über Social Media und informiert über die wichtigsten Dienstleistungen, Veranstaltungen und Bildungsangebote der Gewerkschaft und nahestehender Organisationen.

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10 Dossier<br />

Schwere Zeiten für die Lernenden<br />

Von Lernenden, Ausbildenden und Betrieben,<br />

die Video-Konferenzen kreativ nutzen,<br />

an der Isolation leiden oder Home-Schooling<br />

begrüssen: Corona hat auf die Berufsbildung<br />

höchst individuelle Auswirkungen.<br />

Text: Philippe Wenger<br />

Bilder: Sandro Mahler<br />

Die Wissenschaft hat bereits begonnen, sich mit den Auswirkungen<br />

der Pandemie auf den Berufsbildungsmarkt<br />

der Schweiz zu befassen. Das grösste Aufhebens erzeugte<br />

wahrscheinlich eine Studie von Samuel Lüthi und Stefan<br />

Wolter von der Schweizerischen Koordinationsstelle für<br />

Bildungsforschung: Basierend auf den offiziellen Konjunkturzahlen<br />

prognostizieren die beiden Ökonomen,<br />

dass es bis 2025 dauern wird, bis sich die Auswirkungen<br />

der Wirtschaftsflaute auf den Lehrstellenmarkt ausgeglichen<br />

haben. Im schlimmsten Fall heisst das: Bis zu 20 000<br />

Lehrstellen könnten weniger geschaffen werden, als wenn<br />

es Covid-19 nicht gegeben hätte.<br />

Zwar ist diese Zahl von sehr vielen Faktoren abhängig,<br />

aber dass es zu einem Einbruch bei der Anzahl der vorhandenen<br />

Lehrstellen kommen wird, bestätigt auch eine andere<br />

Untersuchung: Eine Gruppe Forscherinnen und Forscher<br />

von der Konjunkturforschungsstelle KOF der ETHZ<br />

mit der Online-Lehrstellenplattform Yousty befragt zurzeit<br />

Tausende Unternehmen aller Grössen, in allen Landesteilen<br />

und in allen Branchen danach, wie sich Corona<br />

auf die betriebliche Ausbildung auswirkt. Es zeichnet sich<br />

ab, dass ein kleiner Prozentsatz der Lehrstellen verloren<br />

gehen wird – entweder weil die betroffenen Unternehmen<br />

schlicht die Mittel nicht mehr haben oder weil die Unsicherheit,<br />

wie sich die Pandemie entwickeln wird, keine<br />

zuverlässige Planung zulässt. Ein anderer Befund lautet:<br />

Die betriebliche Ausbildung im Shutdown war für fast einen<br />

Drittel der Lernenden stark eingeschränkt: Sie erhielten<br />

bloss Hausaufgaben oder gar keine Ausbildung.<br />

Unter dem Namen «Task Force Perspektive Berufslehre<br />

2020» hat der Bund ausserdem die Sozialpartner, die<br />

Bundesverwaltung und die Kantone an einem Tisch versammelt,<br />

um die Auswirkungen der Corona-Krise zu untersuchen<br />

und Massnahmen zu planen, damit möglichst<br />

viele Jugendliche per Anfang August 2020 eine Lehrstelle<br />

finden – <strong>syndicom</strong> ist über den Gewerkschaftsbund dabei.<br />

Erste Ergebnisse dieser Taskforce wurden für die Zeit<br />

nach Redaktionsschluss angekündigt, sollten bei Erscheinen<br />

dieser Magazin-Ausgabe aber vorliegen.<br />

Unsicherheit über den Wert des Abschlusses<br />

Das Wort Unsicherheit fällt im Gespräch mit Zoe Sutter<br />

mehrmals. Die junge Frau wird diesen Sommer ihre Lehre<br />

als Buchhändlerin abschliessen: Ohne betriebliche und<br />

ohne schulische Abschlussprüfung. Die schulische Abschlussprüfung<br />

wurde für alle Berufslehren in der Schweiz<br />

dieses Jahr gestrichen, die betriebliche Prüfung fällt in<br />

manchen Branchen weg. In anderen werden betriebliche<br />

Prüfungen in digitaler Form abgehalten, und manche<br />

prüfen wie immer. «Ich habe Angst vor negativen langfristigen<br />

Konsequenzen. Was, wenn ich in zwei Jahren in einem<br />

Bewerbungsverfahren gegen jemanden antreten<br />

muss, der einen ‹normalen› Abschluss mit Prüfung hat?<br />

Ist es dann ein Nachteil, keine Prüfung abgelegt zu haben?»,<br />

sagt Sutter.<br />

Diese Befürchtung scheint unter jungen Berufsleuten<br />

verbreitet zu sein. Jarina Renz, die diesen Sommer als<br />

Poly grafin ihren Abschluss machen wird, sagt: «Einige<br />

Kolleginnen und Kollegen haben behauptet, das Streichen<br />

der Abschlussprüfungen sei unfair gegenüber jenen,<br />

die im vergangenen Jahr abgeschlossen haben.» Renz betont<br />

aber, dass die Prüfung keine Aussagekraft darüber<br />

habe, wie gut sie arbeitet: «Diese Leute vergessen, dass ich<br />

die ganzen drei Jahre Lehre gemacht habe.»<br />

Für die Buchhändlerin Sutter ist der Wert ihres<br />

Abschlusses nicht das einzige Unangenehme in dieser<br />

Situa tion: «Ich empfand den Shutdown als psychisch belastend.<br />

Ich hatte zwar viel Zeit, um für meine Aufnahmeprüfung<br />

für die Berufsmatura zu lernen, aber ansonsten<br />

wenig zu tun – das minderte meinen Ansporn, von mir aus<br />

etwas zu unternehmen. Dann bin ich im April auch noch<br />

von zu Hause ausgezogen, was nicht unbedingt der beste<br />

Zeitpunkt war. Als wir den Buchladen wieder öffnen konnten,<br />

habe ich mich auf die Arbeit gefreut. Aber es ist verstörend,<br />

wie wenig sich die Leute im Zug und die Kund*innen<br />

im Geschäft um die Abstandsregeln kümmern.»<br />

Sutter konnte die Krise aber auch nutzen und ihre Vorgesetzten<br />

nach einiger Zeit überzeugen, einen Social-Media-<br />

Account für ihre Buchhandlung zu starten, den sie gleich<br />

selbst umsetzte.<br />

Der unter Home-Schooling bekannte Begriff hat auch<br />

viele Fürsprecher*innen unter den Lernenden gewonnen.<br />

Gerade wenn man sich bei Lernenden in den Abschlussjahrgängen<br />

oder bei Studierenden erkundigt, fällt häufig<br />

ein Satz im Sinne von «ich könnte mir gut vorstellen, dass<br />

das so weitergeht». Einige betonen aber, es hänge sehr von<br />

der Persönlichkeit ab, wie gut man damit umgehen kann,<br />

und es gebe auch Unterrichtseinheiten, bei denen<br />

Präsenz unterricht weiterhin effektiver ist.<br />

«Wir haben zu wenige Fachleute»<br />

Druckereien kämpfen seit Jahren mit schwindenden Umsätzen,<br />

und viele Arbeitsstellen gelten als unsicher. Die<br />

Corona-Krise führte zu einem zusätzlichen Einbruch an<br />

Aufträgen, wie etwa bei der mittelständischen Druckerei<br />

Kromer Print AG im Kanton Aargau, deren Aufträge um<br />

rund die Hälfte eingebrochen sind. Was die Anzahl neuer<br />

Lehrverträge angeht, hat das aber noch keinen Einfluss:<br />

«Wenn wir genug geeignete Kandidaten finden, werden<br />

wir gleich viele Lernende anstellen wie im letzten Jahr»,<br />

Bis zu 20 000<br />

Lehrstellen<br />

könnten<br />

verschwinden

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