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KULTUR 61 HÖLLE & PARADIES Das in den Räumen des ehemaligen Dominikanerinnen-Klosters St. Wolfgang angesiedelte Städtische Museum Engen gilt als Geheimtipp unter Freunden zeitgenössischer Kunst. Mit der Sonderausstellung „Hölle & Paradies“ zeigt es noch bis September ein Jahrzehnt deutscher Kunstgeschichte, das von tiefgreifenden Umbrüchen gezeichnet war. Gleich zu Beginn der Sonderausstellung werden die bedeutenden Kriegszyklen von Ludwig Meidner (1914) und Otto Dix (1924) einander exemplarisch gegenübergestellt. Die Vorstellung des Krieges und seine grausame Realität bilden den Kristallisationspunkt für eine neue expressionistische Künstlergeneration, die sich mit dem Ende des Ersten Weltkriegs formiert. Es ist die Zeit der gesellschaftlichen Extreme: zwischen Hunger und Verheißung, Revolution und Reaktion, Zukunftsängsten und hochgespannten Idealen. Stilistische Neuerungen wie Kubismus, Futurismus und ein expressiver Naturalismus werden von den Avantgarde-Künstlern Conrad Felixmüller, Georg Tappert und Bruno Krauskopf zur Intensitätssteigerung ihrer Bildsprache eingesetzt. Man möchte die Gesellschaft mit den ästhetischen Mitteln der Kunst erneuern: schöpferisch, spirituell, politisch. Freiheit und Künstlergruppen Während auf den Straßen der Hauptstadt die Barrikadenkämpfe des Spartakusaufstandes toben, schließen sich die Künstler in ganz Deutschland zu neuen Vereinigungen zusammen: in Berlin zur „Novembergruppe“, in Dresden zur „Sezession Gruppe 1919“, in Düsseldorf zum „Das Junge Rheinland“. Sie fühlen sich als „Revolutionäre des Geistes“. In der Euphorie des Neuanfangs der Weimarer Republik sind die Hoffnungen groß, den neuen Menschen in einer freiheitlichen Gesellschaft hervorzubringen. Die Kunst soll universal sein: der große Aufbruch der Gegenwart, Erlebnis und Zukunftsvision – von der „Hölle“ des Krieges ins „Paradies“ einer friedlichen, vergeistigten Menschheit, wie sie die süddeutschen Expressionisten Gottfried Graf, Albert Mueller und Josef Eberz herbeiträumen. Doch lassen sich diese hochfliegenden geistigen Spannungszustände auf Dauer nicht aufrechterhalten. Das leidenschaftliche Gefühl weicht dem nüchternen Blick, dem Expressionismus folgen Abstraktion und Neue Sachlichkeit. In den charismatischen Räumen des ehemaligen Klosters werden über 100 Kunstwerke von 30 Künstlern gezeigt, unter denen etwa Curt Lahs, Hans Orlowski oder Curt Ehrhardt neu zu entdecken sind. Neben dem berühmten Dreigestirn Meidner – Felixmüller – Dix und den sich zwischen Figuration und Abstraktion bewegenden „Körperbildern“ greift die Konzeption der Ausstellung mit „Blick, Porträt, Maske“ den abgründigen, hypnotischen Blick auf. Dieses für den Expressionismus so charakteristische Thema ist auch Gegenstand einer 15-minütigen Sequenz aus Fritz Langs „Dr. Mabuse“, dem Stummfilmklassiker von 1922 über die diabolische Verführungskraft eines Verwandlungskünstlers. bis 13.09., Di–Fr 14–17 Uhr, Sa–So 11–18 Uhr Städtisches Museum Engen + Galerie Klostergasse 19 D-78234 Engen +49 (0)7733 50 14 00 www.engen.de linke Seite: Gottfried Graf GANYMED II, 1921 Öl auf Leinwand, 127 × 85 cm Kunstsammlung der Oberschwäbischen Elektrizitätswerke (OEW)/Landkreis Sigmaringen Foto: Reiner Löbe Josef Eberz, VERFÜHRER, 1919, Öl auf Leinwand, 120 × 100 cm, Magistrat der Kreisstadt Limburg a.d. Lahn — Kunstsammlungen, Fotostudio Karl, Limburg 2014/15