Geistiges Eigentum und die Entwicklung der ... - Florian Felix Weyh
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100 <strong>Florian</strong> <strong>Felix</strong> <strong>Weyh</strong><br />
si-Vorwurf gefälscht? Der Fehler lag in <strong>der</strong> Druckvorlagenherstellung; dort hatte<br />
man am Bildschirm aus <strong>der</strong> digitalisierten 3 eine 5 gemacht, da <strong>die</strong> Form <strong>der</strong><br />
ursprünglichen Zahl nicht klar erkennbar war. Im Handstreich war aus dem<br />
schwer lesbaren, aber wahren Dokument ein gestochen scharfes, aber falsches<br />
Abbild geworden. Der Leser, <strong>der</strong> das Original nicht kannte, hatte keine Chance,<br />
<strong>die</strong> in <strong>der</strong> Unscharfe verborgene Wahrheit für sich selbst zu entscheiden. Das<br />
digitale System läßt Grauzonen nicht zu, man muß sie, will man sie haben, künstlich<br />
simulieren - doch wer will das schon? Die Retuscheure in <strong>der</strong> „Spiegel" -<br />
Druckvorbereitung folgten dem Gesetz zur guten Gestalt <strong>und</strong> redigierten <strong>die</strong><br />
Wirklichkeit auf eine eindeutige Erscheinung hin - menschlich verständlich, historisch<br />
fatal.<br />
3. Nicht nur, daß digitale Überlieferungen <strong>die</strong> Geschichte verfälschen, sie sind,<br />
konsequent angewandt, vollkommen ahistorisch. In <strong>der</strong> digitalen Welt gibt eine<br />
keine Originale mehr, weil sie sich von <strong>der</strong> Kopie nicht unterscheiden lassen.<br />
Digitale Informationen altern nicht <strong>und</strong> setzen keine Patina an. Während heutige<br />
Archivare mit dem organischen Verfall von Papier kämpfen müssen, werden<br />
künftige mit zweifelhaften Datierungen zu ringen haben. Jede nachträgliche Geschichtskorrektur<br />
liegt zugleich in <strong>der</strong> Gegenwart wie in <strong>der</strong> datierten Vergangenheit<br />
vor, kein Gilb, kein Schimmelfleck verrät ihr wahres Alter. Der Verlust<br />
des Originals ist ein Verlust <strong>der</strong> Vergangenheit schlechthin - <strong>und</strong> entspricht doch<br />
dem Ideal <strong>der</strong> Informationsgesellschaft.<br />
Nicht zufällig wurde im vergangenen Jahrzehnt <strong>der</strong> Ausbau elektronischer<br />
Verkehrswege forciert, Glasfaserkabel bilden <strong>die</strong> „Datenautobahnen" des kommenden<br />
Jahrh<strong>und</strong>erts. Sie verbinden alles <strong>und</strong> jeden in Gleichzeitigkeit, so daß<br />
Zapping, bisher nur das Springen <strong>der</strong> Kanäle beim Fernsehen, zum Signum einer<br />
amorphen Gesellschaft wird. Während herkömmliche Me<strong>die</strong>n in sich abgeschlossen<br />
sind, also auch geschlossen bewältigt werden können - ein Buch liest man<br />
von vorne nach hinten, ein Musikstück hat einen Auftakt <strong>und</strong> einen Schlußakkord -<br />
liegen digitale Informationen gr<strong>und</strong>sätzlich grenzenlos vor. Sie behaupten keine<br />
abgeschlossene Form mehr, ihr Zugriff ist beliebig <strong>und</strong> je<strong>der</strong>zeit aus je<strong>der</strong> beliebigen<br />
Richtung möglich. Teilnehmer des weltumspannenden Computernetzes<br />
„CompuServe" können sich jeden Morgen eine nach ihren Interessen zusammengestellte<br />
Zeitung auf den Bildschirm bringen lassen, <strong>der</strong>en Bestandteile eben keine<br />
neue Zeitung ausmachen, son<strong>der</strong>n beliebig neukombinierbar sind. Das erzeugt<br />
eine gleichermaßen totalitäre wie diffuse Weltsicht. Wolfgang Welsch schreibt in<br />
seiner „Postmo<strong>der</strong>nen Mo<strong>der</strong>ne" über ihre Folgen:<br />
„Unter ihrer Ägide werden Gedicht <strong>und</strong> Anklage, Bericht <strong>und</strong> Hymnus, Analyse <strong>und</strong><br />
Erzählung allesamt gleich, indem sie als bloße Informationsformen traktiert werden.<br />
Austausch von Informationen aber - handfest <strong>und</strong> reflexionslos, zeitsparend statt zeitverbrauchend,<br />
Bit um Bit - das ist <strong>der</strong> Prozeß, in dem <strong>die</strong> Sprache zum Geschäft wird <strong>und</strong><br />
ihre Träger <strong>und</strong> Gehalte zu Waren verkommen." 10<br />
10 Welsch, S. 220.