JAKOB DER LÜGNER - Badisches Staatstheater - Karlsruhe
JAKOB DER LÜGNER - Badisches Staatstheater - Karlsruhe
JAKOB DER LÜGNER - Badisches Staatstheater - Karlsruhe
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
und eben nicht ein Beispiel. Die Darstellung<br />
von Widerstand, der sich nicht im<br />
Warschauer Ghetto zugetragen hat, muss<br />
beim kundigen Leser die Frage auslösen:<br />
Wo soll denn das gewesen sein? Natürlich<br />
kann sich ein Autor darüber hinwegsetzen,<br />
und es ist möglich, dass ich es<br />
getan hätte, wenn da nicht noch andere<br />
Bedenken gewesen wären.<br />
Ich bitte Sie nach diesen kurzen, wahrscheinlich<br />
überflüssigen historischen<br />
Belehrungen sich selbst die Frage zu<br />
stellen, was in der Literatur über jene<br />
Zeit aus dem Widerstand geworden ist.<br />
Ohne Übertreibung kann man doch sagen,<br />
dass er in den Büchern eine erstaunliche<br />
Karriere gemacht hat. Ohne große<br />
Übertreibung kann man doch sagen, dass<br />
die Literatur über jene Zeit im Grunde<br />
eine Literatur über den Widerstand ist.<br />
Aus der Ausnahme ist da plötzlich die<br />
Regel geworden, aus dem Unerhörten<br />
und Einmaligen eine Alltäglichkeit. Die<br />
Gründe dafür sind sonnenklar: Es ist<br />
angenehmer zu glauben, dass die Opfer<br />
sich gewehrt haben; es ist angenehmer<br />
zu glauben, dass das Unrecht es schwer<br />
hat, sich durchzusetzen; und es ist angenehmer<br />
zu glauben, dass die Zahl derer,<br />
die Faschisten gewesen sind, mit den<br />
Jahren abnimmt. Kommen Sie heute nach<br />
Deutschland und hören Sie sich um – Sie<br />
werden bald denken müssen, dass Hitler<br />
allein auf weiter Flur gestanden hat.<br />
Worauf ich aber hinaus will – die Inflation<br />
des Widerstands in der Literatur mindert<br />
nachträglich die Leistung derer herab,<br />
die tatsächlich Widerstand geleistet<br />
haben. Sie waren die großen Helden, die<br />
großen Ausnahmen; der massenhafte<br />
Widerstand in den Büchern aber macht<br />
sie zu Dutzendtypen. Und die anderen,<br />
die Nicht-Helden, die Ängstlichen, die<br />
Zögerer, die Unscheinbaren, die Feiglinge,<br />
also fast alle – die gehen irgendwie unter<br />
in den Büchern, die kommen kaum vor.<br />
Ich komme auf einen anderen Punkt zu<br />
sprechen: Niemals war es meine Absicht,<br />
ein historisches Bild zu malen, weder<br />
in diesem Buch noch in einem anderen;<br />
ich hatte nie im Sinn, dem Leser eine Art<br />
historische Lektion zu erteilen. Ich wollte<br />
natürlich auch kein historisches Bild<br />
verfälschen, doch mein Vorhaben war es,<br />
eine ordentliche Geschichte zu erzählen.<br />
Ich suchte mir das Material dafür zusammen,<br />
ich musste mir auch die Frage beantworten,<br />
welches die Voraussetzungen<br />
meiner Geschichte sind. Zwei möchte ich<br />
nennen: eine der Voraussetzungen war<br />
gerade die, dass die meisten Leser von<br />
dem zu wenigen Widerstand schon zuviel<br />
gehört hatten. Eine andere bestand darin,<br />
dass ich in dieser Geschichte keinen<br />
Widerstand brauchen konnte. So, wie sie<br />
mir vor Augen stand, hatte Widerstand<br />
nichts in ihr zu suchen. Er hätte mich nur<br />
in meiner Konzentration gestört, in einer<br />
Ruhe, die, wie ich damals fand, diese<br />
Geschichte unbedingt brauchte.<br />
Ich will sie, die Geschichte, nicht erklären,<br />
dafür sind Sie eher prädestiniert als<br />
ich. Ich will nur sagen, dass ihre Motive<br />
nicht in der Vergangenheit liegen. Ich vermute,<br />
dass jedes vernünftige Buch einen<br />
gegenwärtigen Grund braucht und dass<br />
dieser Grund nicht nur darin bestehen<br />
darf, eine Geschichte erzählen zu wollen.<br />
Ich hatte zum Beispiel Lust, über die Frage<br />
zu meditieren, welche Rolle Hoffnung<br />
im Leben von Menschen spielt. Ob sie<br />
ausreicht, um zu überleben, oder ob sie<br />
nur dann hilfreich ist, wenn sie Menschen<br />
aktiviert. Zum Beispiel zum Widerstand.<br />
23