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prima! Magazin - Ausgabe Oktober 2020

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Fotos © Nico Mühl<br />

Wenn es um Luigi geht, passt Erik sofort Mimik und Gestik der Figur an. Sobald er von der Arbeit nach Hause kommt, begrüßt er sein Huhn, das er Corona nennt<br />

erzählt, hört Erik aufmerksam<br />

zu. Sein Blick ist gesenkt und<br />

seine Hände mit den schmalen<br />

langen Fingern hat er unter<br />

seine Oberschenkel geschoben.<br />

Je mehr Zeit vergeht, umso<br />

ruhiger wird er und umso mehr<br />

nimmt er am Gespräch teil. Bei<br />

seinem Lieblingsthema strahlt<br />

er: Super Mario.<br />

Die Identifizierung mit dem<br />

dünnen, beweglichen Bruder<br />

von Mario, der bekanntesten<br />

Videospiel-Figur von Nintendo,<br />

hat vor einigen Jahren begonnen.<br />

Erik taucht gern in die<br />

Figur des Luigi ein. Für ihn ist<br />

das mehr als ein Faible.<br />

Rituale geben Sicherheit<br />

Wenn Erik von der Arbeit nach<br />

Hause kommt, beginnt die<br />

optische Verwandlung. Blaue<br />

Hose, Hosenträger, grüne<br />

Kappe mit einem großen „L“<br />

darauf. Das ist die Kleidung,<br />

in der er sich wohlfühlt. Doch<br />

alles läuft nach einem strikten<br />

Ritual ab. „Zuerst begrüße ich<br />

meinen Hund, dann meine<br />

Henne. Danach muss ich<br />

sofort duschen“, erzählt Erik.<br />

Ohne diese Abfolge kann er<br />

sich nicht an den Tisch zum<br />

Essen setzen. „Weil sonst der<br />

Sessel verseucht ist“, sagt er.<br />

Sie arbeiten gerne<br />

mit alten Menschen?<br />

-lich willkommen im<br />

Diakoniezentrum<br />

Oberwart<br />

Erik weiß, dass er „anders“ ist.<br />

Er fühle sich auch so. Verspielt<br />

sei er, sagt er von sich. „Ich<br />

habe gemerkt, dass ich meine<br />

Persönlichkeit nicht geändert<br />

habe, seit ich ein Kind bin“,<br />

fügt er nach einer kurzen Pause<br />

hinzu. Aber seine Freunde<br />

akzeptieren das, sagt er. Wenn<br />

er versehentlich mit dem<br />

Namen seiner Lieblings-Comic-Figur<br />

angesprochen wird,<br />

strahlt er. „Du kannst mich<br />

weiterhin ruhig Luigi nennen“,<br />

sagt er dann.<br />

Laut Diagnoserichtlinien zeigen<br />

Asperger Autisten deutlich<br />

weniger Gestik und Mimik als<br />

andere Menschen. Nicht Erik.<br />

Wenn er von seinem Alter Ego<br />

redet, richtet er sich auf und<br />

hält dem Blick seines Gegenübers<br />

stand. Er lächelt dabei.<br />

Mehr als das. Eriks Körpersprache<br />

und sein Gesichtsausdruck<br />

sind enorm ausgeprägt.<br />

Sein Humor ist staubtrocken.<br />

Über sich selbst lacht er viel<br />

und gerne. Und über seine<br />

Mutter. Eriks trockene Kommentare,<br />

über die beide dann<br />

schmunzeln, zeigt, wie nah und<br />

eingespielt ihre Beziehung ist.<br />

Dass Asperger Autisten Ironie<br />

und Sarkasmus nicht verstehen,<br />

trifft auf Erik nicht zu.<br />

Im Gegenteil. Humor schätzt<br />

er auch an der Figur des Luigi.<br />

„Er ist witzig – und er hat<br />

einen tollen Bart“, sagt Erik.<br />

Dass sein eigener gut sitzt, ist<br />

ihm wichtig. Dafür inverstiert<br />

er am Tag etwa eine Stunde.<br />

Stärken nutzen<br />

Wie empathisch Erik ist und<br />

wie sehr er die Gestik anderer<br />

Menschen interpretieren kann,<br />

zeigt Erik in seinen Zeichnungen.<br />

„Comic-Strips“, sagt<br />

Gabriele Nachtmann, und<br />

blickt dabei mit einem Lächeln<br />

auf ihren Sohn. „Für mich ist<br />

es immer wieder erstaunlich,<br />

wie sehr er hier die Gestik der<br />

Figuren zum Ausdruck bringt,<br />

wo Menschen mit Asperger<br />

ja angeblich die Gestik und<br />

Mimik anderer nicht deuten<br />

können“, sagt sie. Nicht einmal<br />

Sprechblasen seien notwendig,<br />

um die Geschichten, die er<br />

zeichnet, zu verstehen. Ein Beweis<br />

dafür, dass man nicht alle<br />

Menschen mit Asperger über<br />

einen Kamm scheren könne,<br />

betont sie. Jeder Mensch sei<br />

eben einzigartig und besonders.<br />

Glücklich wäre Sie sie, arbeiten wenn gerne diese<br />

Begabung weiterhin mit alten Menschen? forciert<br />

werden könnte. -lich Doch willkommen dabei im<br />

Diakoniezentrum<br />

stehe sich Erik selbst Oberwart im Weg.<br />

„Er zeichnet nur wann er will<br />

und was er will“, sagt sie. Alles<br />

andere ist für ihn wieder zu<br />

viel Druck.<br />

Bei Vamos ist er gerne. Vamos<br />

gehört zu seiner Routine.<br />

Den Wunsch, dass er jemals<br />

einen Beruf erlernen und<br />

einer Arbeit nachgehen kann,<br />

30 OKTOBER <strong>2020</strong><br />

www.<strong>prima</strong>-magazin.at

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