Life Channel Magazin November 2020
Glauben
Glauben
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| THEMA<br />
mit einem Boden, der uns Halt gibt. Einem<br />
Boden, den wir mit anderen teilen, auch<br />
wenn sie ganz unterschiedlich darauf<br />
wachsen.<br />
Das ist für mich Kirche. Viel grösser und<br />
älter, als die Organisation, deren Mitgliederzahlen<br />
gerade rapide abnehmen. Viel stabiler<br />
und tröstlicher, als ihre Exponentinnen<br />
und Exponenten, die gerade Schlagzeilen<br />
machen. Viel weiter als diejenigen, die sich<br />
in Frömmigkeitsströmungen und Konfessionen<br />
gegeneinander abgrenzen. Und vielleicht<br />
sogar weiter als die Religionen, die<br />
sich gegenseitig die Wahrheit absprechen.<br />
Und das alles mit uns starrköpfigen, rechthaberischen<br />
und unsicheren Menschen. In<br />
dieser Unterschiedlichkeit sind wir Kirche.<br />
Wir, die wir unsere Wurzeln in dieser Traditionsgemeinschaft<br />
haben, mehr oder weniger,<br />
tiefer oder oberflächlicher, glaubensgewisser<br />
oder zweifelnder. Kein Wunder,<br />
dass wir uns nicht auf ein gemeinsames<br />
Bekenntnis einigen können! Was einige von<br />
ganzem Herzen glauben, können andere<br />
nicht widerspruchsfrei denken. Und wo die<br />
einen denken können wollen, fühlen sich<br />
die anderen in ihrem Glauben bedroht.<br />
einem menschlichen Bekenntnis zu tun hat.<br />
Es kommt vom griechischen «kyriake», was<br />
bedeutet: «dem Herrn zugehörig». Diese<br />
Zugehörigkeit hängt nicht an unserer eigenen<br />
Leistung und Anstrengung. Ebenfalls<br />
nicht an unserem Glauben. Es hängt allein<br />
daran, dass Gott in Jesus Christus Mensch<br />
wurde und durch seinen Geist unter den<br />
Menschen gegenwärtig ist und bleibt. Es ist<br />
keine Selbstbezeichnung, sondern eine<br />
Fremdbeschreibung, wie die der Magd, als<br />
sie zu Petrus sagte: «He, bist Du nicht auch<br />
einer, der zu diesem Jesus gehört?»<br />
Und auch wenn Petrus erschreckt reagiert:<br />
«Nein, ich doch nicht!», so gehört er doch<br />
zu diesem Jesus und kann nicht anders.<br />
Ich glaube an Gott und seine Zuwendung<br />
zum Menschen in seinem Sohn und durch<br />
seinen Geist. Und daran, dass wir zu ihm<br />
gehören. Aber ich glaube nicht an die<br />
Kirche. Ich glaube nicht an Organisationsformen<br />
und nicht an Machtstrukturen, nicht<br />
an Abendmahlsverständnisse und auch<br />
nicht an geistliche Gesetze. Auch wenn<br />
vieles davon sicher nötig ist, wie zum Beispiel<br />
die Diskussionen über die Kirchenentwicklung,<br />
die Organisationsstrukturen und<br />
die Ökumene in und zwischen den Konfessionen.<br />
Das sind menschliche Dinge, die zu<br />
bewegen und gestalten wichtig ist.<br />
Aber ich glaube nicht daran. Ich glaube<br />
nicht an die, sondern die Kirche, als die<br />
Traditionsgemeinschaft und den weiten<br />
Boden, in dem wir in unserer ganzen Verschiedenheit<br />
mit- und manchmal auch<br />
gegeneinander verwurzelt sind; etwas, das<br />
ich nur immer wieder glauben kann, oft<br />
gegen den Augenschein, oft als ein Trotzdem.<br />
Und manchmal als ein Ja, genau so!<br />
Wir sind kyriake, wir gehören zu dem,<br />
welchen die ersten Christinnen und Christen<br />
«Herr» nannten. Das hält uns zusammen.<br />
«Ich glaube die Kirche». Nicht anders<br />
ist es auch im apostolischen Glaubensbekenntnis<br />
formuliert.<br />
Kyriake – Dem Herrn zugehörig<br />
Mir hilft es, mich daran zu erinnern, dass<br />
das Wort «Kirche» ursprünglich nichts mit<br />
ZUR PERSON<br />
Christina Aus der Au, Jg. 1966, lehrt als<br />
Philosophin und Theologin Religionswissenschaft,<br />
Ethik und Wissenschaftstheorie an<br />
der Universität Fribourg, der ETH Zürich<br />
und an der Pädagogischen Hochschule<br />
Thurgau. Ihr Herz brennt für ihre Familie,<br />
die Theologie, Katzen, Krimis und Kirche.<br />
<strong>Life</strong> <strong>Channel</strong> <strong>Magazin</strong> | <strong>November</strong> <strong>2020</strong> | 7