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ETA Hoffmann (1776 – 1822): Querdenker im Staatsdienst - Manz

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<strong>Querdenker</strong> <strong>im</strong> <strong>Staatsdienst</strong><br />

wieder der Erde, aber das Göttliche weiß er zu bewahren; und so steht<br />

es mit seinem innern Bewusstsein recht gut, glaub’ ich, unerachtet der<br />

scheinbaren, nach außen herausspringenden Tollheit. 5<br />

Des Professors Analyse der Tollheit Krespels relativiert die Ausgefallenheit<br />

von dessen Taten und interpretiert sie als Geringschätzung<br />

des irdischen Lebens zugunsten einer gottgegebenen Genialität, die<br />

Krespel jedoch vor der Öffentlichkeit gehe<strong>im</strong>zuhalten vermag. Eben<br />

einen solchen Funken des „Göttlichen“ trägt die dem Verhältnis<br />

des Rats Krespel und der Signorina Angela entsprungene Tochter<br />

Antonie in sich. Als sei das Ausspielen übermenschlicher Begabung<br />

mit dem Leben nicht vereinbar, ist sie dem Tod geweiht:<br />

Der Klang von Antoniens St<strong>im</strong>me war ganz eigentümlich und seltsam,<br />

oft dem Hauch der Äolsharfe, oft dem Schmettern der Nachtigall gleichend.<br />

Die Töne schienen nicht Raum haben zu können in der menschlichen<br />

Brust. [. . .] Antonie leidet an einem organischen Fehler in der<br />

Brust, der eben ihrer St<strong>im</strong>me die wundervolle Kraft und den seltsamen,<br />

ich möchte sagen, über die Sphäre des menschlichen Gesanges hinaustönenden<br />

Klang gibt. Aber auch ihr früher Tod ist die Folge davon,<br />

denn singt sie fort, so gebe ich ihr noch höchstens sechs Monate Zeit. 6<br />

Die eigenartige Beziehung, die der Rat zu Antonie pflegt, gibt ebenso<br />

Anlass zu Gerüchten wie seine wunderlichen Auftritte in Gesellschaft.<br />

Der Ich-Erzähler vermutet ein Verbrechen hinter den verschlossenen<br />

Türen des Hauses Krespels. Sein Juristengeist, der nach<br />

Gerechtigkeit strebt, verbietet ihm Stillschweigen. So spricht er<br />

schließlich den Rat Krespel persönlich auf die Vorkommnisse an und<br />

wird über die Familiensituation und über das nach dem Tod der<br />

ehemaligen Lebensgefährtin anvertraute Sorgerecht über Antonie<br />

aufgeklärt.<br />

Die Erfahrung absoluter Musik tritt für Antonie gleichzeitig mit<br />

dem Tod ein, der als logische Konsequenz auf eine nach dem Vollkommenen<br />

strebende irdische Existenz folgen muss: 7<br />

Nun fiel Antonie ein in leisen hingehauchten Tönen, die <strong>im</strong>mer steigend<br />

und steigend zum schmetternden Fortiss<strong>im</strong>o wurden, dann<br />

gestalteten sich die wunderbaren Laute zu dem tief ergreifenden Liede,<br />

welches B . . . einst ganz <strong>im</strong> frommen Stil der alten Meister für Antonie<br />

komponiert hatte. Er sprang in Antoniens Z<strong>im</strong>mer. Sie lag mit geschlossenen<br />

Augen, mit holdselig lächelndem Blick, die Hände fromm gefaltet,<br />

auf dem Sofa, als schliefe sie und träume von H<strong>im</strong>melswonne und<br />

Freudigkeit. Sie war aber tot. 8<br />

In tiefer Trauer um die eigene Tochter verhüllt der Rat Krespel<br />

sämtliche Geigen seines Hauses mit schwarzen Tüchern <strong>–</strong> ein Kult,<br />

der an die Passionsriten der Osterfeiertage erinnert. Durch die Ver-<br />

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