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ETA Hoffmann (1776 – 1822): Querdenker im Staatsdienst - Manz

ETA Hoffmann (1776 – 1822): Querdenker im Staatsdienst - Manz

ETA Hoffmann (1776 – 1822): Querdenker im Staatsdienst - Manz

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Angelika Frühwirth<br />

E. T. A. <strong>Hoffmann</strong><br />

(<strong>1776</strong> <strong>–</strong> <strong>1822</strong>): <strong>Querdenker</strong> <strong>im</strong> <strong>Staatsdienst</strong><br />

„Ich habe einen Mann gekannt, der tage-, nächtelang einsam in<br />

seinem Z<strong>im</strong>mer Bank machte und gegen sich selbst pontierte, er war<br />

meines Bedünkens ein echter Spieler“, 1 legte E. T. A. <strong>Hoffmann</strong> 1819<br />

einem seltsamen Fremden in Spielerglück in den Mund. Fasziniert<br />

von den Mechanismen des Zufalls und sich der Willkür einer höheren,<br />

dunklen Macht aussetzend, träte der wahre Spieler regelmäßig<br />

an die Spielbank, ungeachtet eines möglichen Gewinns. E. T. A. <strong>Hoffmann</strong><br />

selbst war auf einer Reise ins Riesengebirge in einem schlesischen<br />

Badeort gemeinsam mit Julius von Voß, dem Autor sitten- und<br />

zeitgeschichtlicher Romane und Lustspiele, mit der Spielleidenschaft<br />

in Kontakt gekommen und zu der Erzählung Spielerglück inspiriert<br />

worden. Was ihn jedoch viel mehr verband mit dem „wahren Spieler“<br />

war die Hingabe, mit der er sich abseits des Kammergerichts<br />

während seiner dienstfreien Zeit düsteren Phantasien hingab und<br />

übernatürliche Welten ersann.<br />

Bekannt als Autor der Elixiere des Teufels sowie zahlreicher Erzählungen<br />

mit Anklängen an das Horror- und Gruselgenre, hatte <strong>Hoffmann</strong><br />

als ausgebildeter Jurist eine Beamtenposition <strong>im</strong> preußischen<br />

<strong>Staatsdienst</strong> inne, die ihm soziale Stabilität gewährleistete und ihn der<br />

Abhängigkeit vom finanziellen Erfolg seiner Werke entband. Friedrich<br />

Schnapp wagt außerdem in diesem Zusammenhang die Vermutung<br />

zu äußern, „daß ihm die juristische Arbeit auch einen Schutz vor<br />

den Dämonen [. . .] bot, und daß die richterliche Tätigkeit seinem<br />

gefährdeten Geiste nicht nur Zwang, sondern auch Halt bedeute“. 2<br />

Die Freiheit, die sich <strong>Hoffmann</strong> in schriftstellerischen Belangen nahm,<br />

war ihm nur solange ein Segen, als er die nur scheinbar aus einer fantastischen<br />

Welt tönende Gesellschaftsskepsis nicht allzu deutlich<br />

gegen seine Vorgesetzten aus dem Staatsgefüge richtete.<br />

<strong>Hoffmann</strong> sah sich in seinem Amt dazu verpflichtet, dem Staat<br />

gegenüber loyal zu handeln, musste aber zunehmend feststellen,<br />

dass dies nicht <strong>im</strong>mer mit seinem natürlichen Sinn von Gerechtig-<br />

144


<strong>Querdenker</strong> <strong>im</strong> <strong>Staatsdienst</strong><br />

keit zu vereinbaren war. Zuletzt <strong>im</strong> Zuge des Aufruhrs rund um<br />

Meister Floh, der in Märchenform verpackten Satire auf die Korruption<br />

des Staatsapparates, wurde <strong>Hoffmann</strong> selbst Zielscheibe der<br />

„Demagogenverfolgung“. Seiner Prinzipientreue wegen hatte er von<br />

der Seite des Anklägers auf die des Angeklagten zu wechseln.<br />

Seine Schaffensperiode fällt in eine Zeit des Wandels, der sich<br />

am augenscheinlichsten in der Französischen Revolution und dem<br />

damit in Verbindung stehenden Paradigmenwechsel von der Aufklärung<br />

zur Romantik vollzog. Während Napoleons militärische<br />

Expansionspolitik politisch-philosophische Ideen quer über den<br />

europäischen Kontinent aussäte, vollzog sich die Auflösung einer<br />

Sozialstruktur zugunsten einer anderen: Parallel zum allmählichen<br />

wirtschaftlichen Erstarken der neu entstandenen bürgerlichen<br />

Schicht brachte das einsetzende 19. Jahrhundert Veränderungen der<br />

literarischen Szene mit sich: Während die Literatur des Mittelalters<br />

in ihrer Repräsentanz der alleinig herrschenden Oberschicht die<br />

finanzielle Unterstützung ihrer Souveräne besaß, war der Autor des<br />

19. Jahrhunderts durch soziale Umbrüche obdachlos geworden. Als<br />

neue Grundlage des Schreibens diente dem Dichter die öffentlich<br />

relevant gewordene Privatsphäre der Gesellschaft. Aus der Obhut<br />

der adeligen Mäzene entlassen, fand der Künstler zu einer Autonomie,<br />

die neben dem finanziellen Risiko die Sorge um Anerkennung<br />

und Erfolg mit sich brachte. Die praktische Existenzsicherung über<br />

einen handfesten Nebenerwerb war also für viele Dichter der Ausweg<br />

aus der Geldnot. E. T. A. <strong>Hoffmann</strong>, seinerseits, hatte die Juristenlaufbahn<br />

eingeschlagen und verhielt sich dabei in Einklang mit<br />

seiner Künstlerseele, das Recht des Individuums gegen den Zugriff<br />

des Staates einfordernd.<br />

Die innere Zerrissenheit der Epoche, die dem Einzelnen durch<br />

politische und soziale Änderungsprozesse zuteil geworden war,<br />

sowie die Seelenqualen eines in eine neue Ära entlassenen Individuums<br />

prägten die literarischen Charaktere der Romantik. <strong>Hoffmann</strong><br />

fügte sich auf eine kritisch distanzierte Art und Weise in<br />

seinem schriftstellerischen Werk der Mode seiner Zeit und stellte sie<br />

gleichzeitig ironisch in Frage. So zahlreich die wundersamsten<br />

Gestalten seine Zeilen bevölkern mögen, so gemäßigt verhielt sich<br />

der Dichter jedoch selbst Zeit seines Lebens. Trotz seines überdurchschnittlichen<br />

literarischen und musikalischen Talents hütete er sich<br />

davor, sein Leben völlig der Kunst zu verschreiben <strong>–</strong> ein Exper<strong>im</strong>ent,<br />

das er aber sehr wohl an seinen literarischen Gestalten durchexerzierte.<br />

Das romantische Ideal künstlerischen Schöpfertums sah<br />

die Entgrenzung des Künstlers und somit die völlige Entfremdung<br />

aus dem Gesellschaftsverband vor. Das Auf- und gleichzeitige Ver-<br />

145


gehen in der Vollkommenheit der Schöpfung wurde zum paradigmatischen<br />

Dilemma der künstlerischen Moderne und somit auch<br />

von <strong>Hoffmann</strong>s Künstlerfiguren. 3<br />

Die Geschichten der Grenzgänger<br />

<strong>Hoffmann</strong> war sich der Vereinzelung bewusst, die das Individuum<br />

zugunsten der Kunst auf sich nahm. Zahlreich sind die Figuren in<br />

seinen Erzählungen, die über die gesellschaftlichen Grenzen hinaus<br />

eine Existenz als erbarmungslose Künstler beziehungsweise verantwortungslose<br />

Verbrecher führen: der Goldschmied Cardillac (Das<br />

Fräulein von Scuderi), der Einsiedler Serapion (Die Geschichte des Einsiedlers<br />

Serapion), der Student Nathanael (Der Sandmann) und der Rat<br />

Krespel in der gleichnamigen Erzählung. Das Überschreiten gesellschaftlicher<br />

Normen provoziert die Stigmatisierung des Künstlers<br />

samt seinem Werk. Eben ein solches Schicksal ereilt den Juristen<br />

Krespel, der <strong>–</strong> ungeachtet der Erwartungshaltung der Allgemeinheit<br />

<strong>–</strong> ein zurückgezogenes Leben führt. Durch die extravagante<br />

Bauweise seines Hauses, die sich durch nachträgliches Herausschlagen<br />

von Türen und Fenstern hervorhebt, zieht er die Aufmerksamkeit<br />

der Stadtbewohner auf sich. Neben seinem Brotberuf verbindet<br />

ihn eine außerordentliche Liebe mit der Musik, die er einerseits<br />

über die he<strong>im</strong>liche Vermählung mit der italienischen Sängerin<br />

Signorina Angela, andererseits über seine Besessenheit vom Bau der<br />

perfekten Violine zu stillen sucht: „Hat Krespel eine Violine<br />

gemacht, so spielt er selbst eine oder zwei Stunden darauf, und zwar<br />

mit höchster Kraft, mit hinreißendem Ausdruck, dann hängt er sie<br />

aber zu den übrigen, ohne sie jemals wieder zu berühren oder von<br />

andern berühren zu lassen.“ 4<br />

Sein Privatleben wird zum Inhalt nachbarschaftlicher Gespräche,<br />

sein Betragen zum Spott der he<strong>im</strong>lichen Beobachter.<br />

Ein befreundeter Professor des Ich-Erzählers klärt denselben<br />

über Krespels gar wundersame Persönlichkeit folgender Maßen<br />

auf:<br />

146<br />

Ernst Theodor Amadeus <strong>Hoffmann</strong> (<strong>1776</strong> <strong>–</strong> <strong>1822</strong>)<br />

Es gibt Menschen, [. . .] denen die Natur oder ein besonderes Verhängnis<br />

die Decke wegzog, unter der wir andern unser tolles Wesen<br />

unbemerkt treiben. Sie gleichen dünngehäuteten Insekten, die <strong>im</strong><br />

regen, sichtbaren Muskelspiel missgestaltet erscheinen, ungeachtet sich<br />

alles bald wieder in die gehörige Form fügt. Was bei uns Gedanke<br />

bleibt, wird dem Krespel alles zur Tat. <strong>–</strong> Den bittern Hohn, wie der in<br />

das irdische Tun und Treiben eingeschachtete Geist ihn wohl oft bei der<br />

Hand hat, führt Krespel aus in tollen Gebärden und geschickten Hasensprüngen.<br />

Das ist aber sein Blitzableiter. Was aus der Erde steigt, gibt er


<strong>Querdenker</strong> <strong>im</strong> <strong>Staatsdienst</strong><br />

wieder der Erde, aber das Göttliche weiß er zu bewahren; und so steht<br />

es mit seinem innern Bewusstsein recht gut, glaub’ ich, unerachtet der<br />

scheinbaren, nach außen herausspringenden Tollheit. 5<br />

Des Professors Analyse der Tollheit Krespels relativiert die Ausgefallenheit<br />

von dessen Taten und interpretiert sie als Geringschätzung<br />

des irdischen Lebens zugunsten einer gottgegebenen Genialität, die<br />

Krespel jedoch vor der Öffentlichkeit gehe<strong>im</strong>zuhalten vermag. Eben<br />

einen solchen Funken des „Göttlichen“ trägt die dem Verhältnis<br />

des Rats Krespel und der Signorina Angela entsprungene Tochter<br />

Antonie in sich. Als sei das Ausspielen übermenschlicher Begabung<br />

mit dem Leben nicht vereinbar, ist sie dem Tod geweiht:<br />

Der Klang von Antoniens St<strong>im</strong>me war ganz eigentümlich und seltsam,<br />

oft dem Hauch der Äolsharfe, oft dem Schmettern der Nachtigall gleichend.<br />

Die Töne schienen nicht Raum haben zu können in der menschlichen<br />

Brust. [. . .] Antonie leidet an einem organischen Fehler in der<br />

Brust, der eben ihrer St<strong>im</strong>me die wundervolle Kraft und den seltsamen,<br />

ich möchte sagen, über die Sphäre des menschlichen Gesanges hinaustönenden<br />

Klang gibt. Aber auch ihr früher Tod ist die Folge davon,<br />

denn singt sie fort, so gebe ich ihr noch höchstens sechs Monate Zeit. 6<br />

Die eigenartige Beziehung, die der Rat zu Antonie pflegt, gibt ebenso<br />

Anlass zu Gerüchten wie seine wunderlichen Auftritte in Gesellschaft.<br />

Der Ich-Erzähler vermutet ein Verbrechen hinter den verschlossenen<br />

Türen des Hauses Krespels. Sein Juristengeist, der nach<br />

Gerechtigkeit strebt, verbietet ihm Stillschweigen. So spricht er<br />

schließlich den Rat Krespel persönlich auf die Vorkommnisse an und<br />

wird über die Familiensituation und über das nach dem Tod der<br />

ehemaligen Lebensgefährtin anvertraute Sorgerecht über Antonie<br />

aufgeklärt.<br />

Die Erfahrung absoluter Musik tritt für Antonie gleichzeitig mit<br />

dem Tod ein, der als logische Konsequenz auf eine nach dem Vollkommenen<br />

strebende irdische Existenz folgen muss: 7<br />

Nun fiel Antonie ein in leisen hingehauchten Tönen, die <strong>im</strong>mer steigend<br />

und steigend zum schmetternden Fortiss<strong>im</strong>o wurden, dann<br />

gestalteten sich die wunderbaren Laute zu dem tief ergreifenden Liede,<br />

welches B . . . einst ganz <strong>im</strong> frommen Stil der alten Meister für Antonie<br />

komponiert hatte. Er sprang in Antoniens Z<strong>im</strong>mer. Sie lag mit geschlossenen<br />

Augen, mit holdselig lächelndem Blick, die Hände fromm gefaltet,<br />

auf dem Sofa, als schliefe sie und träume von H<strong>im</strong>melswonne und<br />

Freudigkeit. Sie war aber tot. 8<br />

In tiefer Trauer um die eigene Tochter verhüllt der Rat Krespel<br />

sämtliche Geigen seines Hauses mit schwarzen Tüchern <strong>–</strong> ein Kult,<br />

der an die Passionsriten der Osterfeiertage erinnert. Durch die Ver-<br />

147


Ernst Theodor Amadeus <strong>Hoffmann</strong> (<strong>1776</strong> <strong>–</strong> <strong>1822</strong>)<br />

bindung christlicher Tradition mit dem eigentümlichen Gebaren des<br />

Rats ergibt sich ein verzerrtes Sittenbild, das sich in die allgemeine<br />

Religionskritik <strong>Hoffmann</strong>s Werk fügt.<br />

<strong>Hoffmann</strong>, der sich als Jurist sehr wohl über die teilweise<br />

schwankenden Grenzen von Recht und Unrecht bewusst war, ließ<br />

sich eine normativ vereinfachte Unterscheidung zwischen Gut und<br />

Böse, von der sowohl Kunstauffassung als auch Demagogenverfolgung<br />

seiner Zeit geprägt waren, nicht aufdrängen. Die Suche nach<br />

Entgrenzung und Ausweitung vorgezeichneter Normen beschäftigten<br />

die Romantik und ihre Vertreter. <strong>Hoffmann</strong> war hingegen stets<br />

bemüht, den Weg der Mitte zu wählen, weshalb seine Existenz von<br />

einem steten Prozess des Ausgleichens begleitet war. Er pflegte<br />

neben der Literatur vorzüglich seine zeichnerische und musikalische<br />

Begabung, bekleidete während einiger Jahre (1809 <strong>–</strong> 1813) die Stelle<br />

als Musikdirektor in Bamberg. Ihm waren der Absolutismus sowie<br />

jegliche Ansprüche auf ausschließliche Geltung eines best<strong>im</strong>mten<br />

Wertesystems verhasst. Der in Klein Zaches etablierte Polizeistaat<br />

parodiert die Diktatur der Aufklärung. Im Kl<strong>im</strong>a dieses Staates, der<br />

alles dem Prinzip der Vernunft widerstrebende, also auch die Welt<br />

der Feen, verfolgt, vollzieht sich der Aufstieg von Klein Zaches vom<br />

Studenten bis zum höchsten Staatsbeamten und Minister mit unumschränkten<br />

Vollmachten. An Fräulein Rosenschön, einer Dame aus<br />

dem Stift, die über überirdische Fähigkeiten verfügt, soll die Hexenprobe<br />

vollzogen werden. Ihre Standesherkunft wird als niedrig eingestuft<br />

und daher sieht sich der Machthaber auch nicht bemüßigt,<br />

die öffentliche Verhöhnung des Fräuleins zu verhindern: „Der Baron<br />

Prätextatus [von Mondenschein] ließ alles geschehen und sprach<br />

lächelnd zu sich selbst: ‚So geht es s<strong>im</strong>plen Leuten ohne Ahnen, die<br />

nicht von solch alten guten Herkommen sind wie der Mondenschein.‘“<br />

9<br />

Die Identitätsproblematik<br />

Das Motiv des Doppelgängers spielt nicht zufällig eine hervorragende<br />

Rolle in <strong>Hoffmann</strong>s erzählerischem Werk. 10 Im Kater<br />

Murr montierte <strong>Hoffmann</strong> zwei Biographien: die des Katers,<br />

dessen Aufstieg als Bildungsbürger parodiert wird, und die des<br />

Kapellmeisters Johannes Kreisler. Die Parallelführung zweier unterschiedlicher<br />

Schicksale, deren Kollision einer Epochenschau des<br />

beginnenden 19. Jahrhunderts gleicht, stellt außerdem einen der<br />

ersten Versuche <strong>im</strong> europäischen Roman, einen entscheidenden<br />

Akzent auf die Struktur des Werkes zu legen, dar. Schlichtes Erzählen<br />

vermochte allmählich der durch Kriege, Revolutionen und<br />

148


<strong>Querdenker</strong> <strong>im</strong> <strong>Staatsdienst</strong><br />

die beginnende Industrialisierung fragmentierten Welt nicht mehr<br />

zu entsprechen. Die Paradoxie des Alltags in einer so gearteten Welt<br />

spiegelte sich in der Heterogenität der Persönlichkeit, die ihre Einheit<br />

über eine notwendigerweise bruchstückhafte Vielheit zu<br />

begründen suchte. Novalis umriss die Identitätsproblematik der<br />

Romantik wie folgt: „Das ächte Dividuum ist auch das ächte Individuum.“<br />

11<br />

<strong>Hoffmann</strong>s erzählerische Gestaltungsmerkmale der Dissonanz,<br />

Montage und Ironie sind Vorboten einer Moderne, die aus den<br />

Umbrüchen der wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Gegebenheiten<br />

heraus entstand. Zu Beginn des Märchens Meister Floh<br />

steht nach gewohnter Erzähltradition die Anfangsformel „Es war einmal“,<br />

sogleich jedoch bricht <strong>Hoffmann</strong> mit der Erwartungshaltung<br />

des Lesers und verwirft sie als veraltet: „Langweilig! <strong>–</strong> so ruft der<br />

geneigte oder vielmehr ungeneigte Leser, der nach des alten römischen<br />

Dichters weisen Rat gleich media in res versetzt sein will.“ 12<br />

<strong>Hoffmann</strong> exper<strong>im</strong>entierte mit formalen Innovationen und griff dabei<br />

indirekt erstarrte Erwartungshaltungen seiner Leserschaft an.<br />

Ebenso überschreitet E. T. A. <strong>Hoffmann</strong> in seinem Werk Genreund<br />

Metiergrenzen, kombiniert triviale mit anspruchsvoller Literatur,<br />

vermischt Alltag mit Kunst, schuf also Stilsynkretismen, die prägend<br />

für das Schaffen des 20. Jahrhunderts wurden.<br />

Komik bedeutet für <strong>Hoffmann</strong>, über gewisse Grenzen hinauszublicken,<br />

um unter anderem das Genre auszuweiten, so wie er <strong>im</strong><br />

Fall des Meister Floh die Formelhaftigkeit des Märchens unterwandert.<br />

Das „Komische“ entsteht für <strong>Hoffmann</strong> aus der Polarität<br />

zwischen innerer Gemütsst<strong>im</strong>mung und äußerer Erlebniswelt, wie<br />

er es in seiner Verteidigungsschrift zum Meister Floh formuliert:<br />

Der Held des Stücks Peregrinus Tyß genannt, ist ein beinahe kindischer<br />

welt- und vorzüglich weiberscheuer Mensch, und der Zufall will es,<br />

daß gerade er den Verdacht einer Entführung auf sich ladet. Der<br />

Contrast einer inneren Gemüthsst<strong>im</strong>mung mit den Situationen des<br />

Lebens ist eine Grundbasis des Komischen, welches in dem Märchen<br />

vorherrschen sollte, und so glaubte ich die Erfindung nach bewährten<br />

Theorien für glücklich halten zu dürfen. [Siehe Flögel, Geschichte des<br />

Grotesk-Komischen (1788)] 13<br />

E. T. A. <strong>Hoffmann</strong> übern<strong>im</strong>mt die Tradition des Grotesken in<br />

Anklang an das Mittelalter, verleiht ihr aber eine bedeutende sozialkritische<br />

Funktion. Oft gelten seine Satiren den Philistern, jenem<br />

kleinbürgerlichen Milieu, dem er selbst entstammte und das überwiegend<br />

die mittlere bis gehobene Beamtenschicht (Justiz-, Gehe<strong>im</strong>-,<br />

Medizinal-, Legationsräte, Professoren) stellte.<br />

149


Ernst Theodor Amadeus <strong>Hoffmann</strong> (<strong>1776</strong> <strong>–</strong> <strong>1822</strong>)<br />

Die Lebensgeschichte<br />

<strong>Hoffmann</strong> absolvierte seine schulische Ausbildung in Königsberg,<br />

wo sein Vater, Christoph Ludwig <strong>Hoffmann</strong>, eine Stelle als Rechtsanwalt<br />

am Preußischen Hofgericht bekleidete. Auch die Mutter entstammte<br />

einer Juristenfamilie, die sich dem Pietismus verschrieben<br />

hatte und dementsprechend strenge, mitunter engstirnige moralische<br />

Prinzipien verfolgte.<br />

Dank seines Onkels kam <strong>Hoffmann</strong> bereits in seiner frühesten<br />

Kindheit mit Musik in Berührung, einer Kunst, welcher in der Stadt<br />

Königsberg in besonderem Maße gehuldigt wurde. Der Graf Keyserling<br />

pflegte einst eine enge Beziehung mit J. S. Bach, der für seinen<br />

Hofmeister Goldberg die gleichnamigen Variationen komponiert hatte.<br />

14 Der Sohn des Grafen führte die Musikpflege während <strong>Hoffmann</strong>s<br />

Jugendjahren fort. <strong>Hoffmann</strong> erhielt Klavierunterricht bei<br />

Christian Podbielski, einem der damals berühmtesten Organisten<br />

Königsbergs, dem er <strong>im</strong> Kater Murr in der Person des Abraham<br />

Liskov ein literarisches Denkmal setzte. Mit 18 erteilte <strong>Hoffmann</strong><br />

bereits selbst Musikstunden, u. a. auch der acht Jahre älteren Dora<br />

Hatt, mit der sich ein erstes zartes Liebesverhältnis entspann. <strong>Hoffmann</strong>s<br />

Begeisterung für die Musik Mozarts spiegelt sich später in der<br />

Änderung seines dritten Vornamens von Wilhelm in Amadeus wider.<br />

Für das Studium der Rechtswissenschaften inskribierte sich<br />

<strong>Hoffmann</strong> 1792 an der Königsberger Universität, an der Kant eine<br />

Professur für Logik und Metaphysik innehatte. 15 Sein erstes juristisches<br />

Examen legte er 1795 bei der Ostpreußischen Regierung in<br />

Königsberg ab, wo er für kurze Zeit als Auskulator (Gerichtsreferendar),<br />

bald darauf aber (in gleicher Funktion) am Königlichen Gericht<br />

<strong>im</strong> niederländischen Glogau arbeitete. Dort war sein Patenonkel<br />

Johann Ludwig Doerffer, ebenfalls ein Vertreter der Rechtswissenschaft,<br />

ansässig. <strong>Hoffmann</strong> verlobte sich mit dessen Tochter, Minna<br />

Doerffer, jedoch wurden diese Bande nach drei Jahren wieder aufgelöst.<br />

Zu jener Zeit lernte er den Musiker Johann Samuel Hampe<br />

sowie den Maler Aloys Molinary kennen, der in der Jesuitenkirche zu<br />

G. und als alter Maler Francesco in den Elixieren des Teufels auftaucht.<br />

<strong>Hoffmann</strong> legte 1798 die zweite Staatsprüfung ab und wurde<br />

zum Referendar <strong>–</strong> zuerst in Glogau, dann in Berlin <strong>–</strong> ernannt. Berlin<br />

war damals die Hauptstadt Preußens, beherrscht vom Beamtentum<br />

und vom Militär. Das rege geistige Leben der Stadt, beeinflusst von<br />

freigeistigen jüdischen Traditionen und den Salons der Henriette<br />

Herz und der Rahel Varnhagen von Ense, förderte <strong>Hoffmann</strong>s literarische<br />

Entwicklung und formte ihn zum „Großstadtromantiker“. Als<br />

Gegenbewegung zur verfehlten europäischen Sozialpolitik bildete<br />

150


<strong>Querdenker</strong> <strong>im</strong> <strong>Staatsdienst</strong><br />

sich das Genre der Gehe<strong>im</strong>bundromane (Vulpius, Cramer, Grosse)<br />

heraus, das mit düsteren Ausblicken in die Zukunft vorgab, hinter<br />

die Kulissen der Politik spähen zu können. Bereits den Machwerken<br />

der Turmgesellschaft in Goethes Wilhelm Meister hing eine gehe<strong>im</strong>nisvoll-schaurige<br />

Note an, die vom politischen Alltag ablenken sollte.<br />

Die phantastische irreale Gegenwelt zur Politsphäre sowie triviale<br />

literarische Formen übten einen beachtlichen Einfluss auf <strong>Hoffmann</strong><br />

aus, der allerdings nicht die Intention hatte, Realitäten zu verschleiern,<br />

sondern sie über die Verklausulierung des Romantischen<br />

anzuprangern.<br />

Sobald <strong>Hoffmann</strong> 1800 das dritte Examen (das damals so<br />

genannte zweite Referendarsexamen) be<strong>im</strong> Kammergericht in Berlin<br />

mit Auszeichnung bestand, folgte die Ernennung zum Assessor<br />

be<strong>im</strong> Obergericht in Posen. Jene Stadt gehörte zu Preußen (Provinz<br />

Brandenburg-Südpreußen) und war Teil der ursprünglich polnischen<br />

Nation, die 1795 unter den damaligen drei Großmächten Russland,<br />

Deutschland und Österreich aufgeteilt worden war. Posen galt<br />

als kulturelles Zentrum Westpolens und bedeutender Schnittpunkt<br />

des deutschen, polnischen und jüdischen Geistes.<br />

Das Jahr darauf wurde <strong>Hoffmann</strong> in das unweit von Warschau<br />

gelegene Plock strafversetzt, nachdem er mit Karikaturen über<br />

Adelige, Offiziere und höhere Beamten, unter anderen den Generalmajor<br />

Zastrow, Aufsehen erregt hatte. Es folgte die Heirat mit<br />

Michaelina Rorer-Trcinka und mehr oder weniger ereignislose Jahre<br />

in der Provinz. <strong>Hoffmann</strong> schloss Freundschaft mit Julius Eduard<br />

Hitzig, dem aus Berlin stammenden, am Warschauer Gericht tätigen<br />

Assessor, der zum Kreis aufgeklärter jüdischer Bürger Berlins zählte<br />

und als einer der ersten eine Verlagsbuchhandlung eröffnet hatte.<br />

Hitzig war ein gewichtiger Fürsprecher <strong>Hoffmann</strong>s in dessen Streit<br />

mit der Ministerialbürokratie und sollte ihn in späteren Jahren in<br />

geistige und persönliche Verbindung mit der Berliner Romantik<br />

seiner Zeit bringen.<br />

Der Einmarsch der Napoleonischen Truppen bereitete 1807<br />

<strong>Hoffmann</strong>s Zeit als Assessor in Plock ein jähes Ende, da man ihn vor<br />

die Entscheidung stellte, der Preußischen Verfassung abzuschwören<br />

oder die Stadt zu verlassen. <strong>Hoffmann</strong> entschied sich für letzteres<br />

und ging nach Berlin, wo er unter akuter Geldnot litt, aber dank<br />

Hitzig entscheidende Bekanntschaften machte. Jener bewegte sich<br />

<strong>im</strong> Kreise der „Serapionsbrüder“ und stand <strong>im</strong> Zusammenhang mit<br />

der „christlich-teutschen-Tischgesellschaft“, in der sich die national<br />

gesinnte Berliner Romantikergruppe zusammengefunden hatte.<br />

Unter ihnen befanden sich unter anderen Clemens Brentano, Ach<strong>im</strong><br />

von Armin, Adam Müller, Adelbert von Chamisso, Heinrich Kleist,<br />

151


Ernst Theodor Amadeus <strong>Hoffmann</strong> (<strong>1776</strong> <strong>–</strong> <strong>1822</strong>)<br />

Ludwig Tieck und Wilhelm Heinrich Wackenroder. Beide Dichtervereinigungen<br />

stellten sich offen gegen die konservativen Wertauffassungen<br />

der „Philister“.<br />

Das „Serapiontische Prinzip“ strebte eine Aussöhnung zwischen<br />

innerer Freiheit und dem Materialismus der Außenwelt an; 16<br />

erzähltechnisch kommunizierten die Anhänger dieses Dichterzirkels<br />

ihre Weltansicht über das Einflechten von Lücken, die man heute in<br />

der Literaturwissenschaft als Leerstellen bezeichnen würde. Sie griffen<br />

damit den Ideen der „Wirkungsästhetik“ Jauß’ und Isers 17 voraus.<br />

Der Appell an den Leser, selbständig Lösungsansätze zu ersinnen,<br />

taucht auch in <strong>Hoffmann</strong>s Schreiben auf. Er setzte phantastisch<br />

Irrationales in kontrapunktischen Gegensatz zur Alltagswirklichkeit<br />

(der Welt des „Biedermeier“) und ließ den Leser daraus seine eigene<br />

Schlüsse ziehen. Hierbei ist anzunehmen, dass <strong>Hoffmann</strong>s Werk<br />

auch aus Lawrence Sternes Tristram Shandy (1759 <strong>–</strong> 1769) Anregungen<br />

bezog. Sterne suchte durch konstruktive Verwirrung den Leser zum<br />

Denken anzuregen. Seinen Berliner Freundesbund, der sich am Tag<br />

des Heiligen Serapion (14. November) bei ihm zusammengefunden<br />

hatte, verewigte <strong>Hoffmann</strong> in den drei Bänden der Serapionsbrüder<br />

(1819). Vorbilder dafür waren Boccaccios Decamerone und Ludwig<br />

Tiecks Geschichtensammlung Phantasus.<br />

Im Jahre 1809 übernahm <strong>Hoffmann</strong> die Stelle als Kapellmeister<br />

in Bamberg, wo er kaum auf wohlwollende Resonanz <strong>im</strong> Publikum<br />

hoffen durfte. Er entwarf <strong>im</strong> Jahr darauf mit der Gestalt des Kapellmeisters<br />

Johann Kreisler die romantische Künstlerfigur par excellence,<br />

sozusagen die Fortsetzung des von Wackenroder erdachten<br />

Kapellmeisters Josef Berglinger. Kreisler verkörpert einen Gegenentwurf<br />

zu den von der Aufklärung entstellten Erscheinungen Klein<br />

Zaches und Knarrpanti, dem gehe<strong>im</strong>en Hofrat <strong>im</strong> Meister Floh: In<br />

seinem romantischen Streben nach Höherem steuert er auf die Grenzen<br />

des Irdischen zu. Die ironische Verkündigung des Scheiterns<br />

spielt indirekt auf <strong>Hoffmann</strong>s eigene Situation am Bamberger<br />

Musiktheater an, wo sich seine Arbeit am bigotten katholischen<br />

Milieu und dessen Fanatismus rieb. Dieser Verdacht wird bestärkt<br />

durch den Umstand, dass <strong>Hoffmann</strong> sich mitunter bei der Herausgabe<br />

eigener Schriften Kreislers Namen als Pseudonym bediente.<br />

Um sich finanziell über Wasser zu halten, musste <strong>Hoffmann</strong><br />

neben seiner Kapellmeister-Tätigkeit Musikunterricht erteilen, u. a.<br />

auch der 13-jährigen Julie Mark, die einen gewissen Liebreiz auf den<br />

Dichter auszuüben schien. 18 Sie taucht an verschiedenen Stellen in<br />

seinem Werk als Verkörperung kindlicher Erotik auf, weshalb die<br />

Bamberger Ereignisse rund um die Mark-Tochter als „Julie-Affäre“<br />

in die Literaturkritik eingingen. 19<br />

152


<strong>Querdenker</strong> <strong>im</strong> <strong>Staatsdienst</strong><br />

1813, zu einem Zeitpunkt, als sich <strong>Hoffmann</strong> bereits als Komponist<br />

20 und Musikkritiker einen gewissen Ruf geschaffen hatte, bat<br />

Joseph Seconda ihn, in Dresden die Stelle des Musikdirektors anzunehmen.<br />

Die Konfrontation Preußens, Österreichs und Russlands<br />

mit dem gemeinsamen äußeren Feind Napoleon gipfelte <strong>im</strong> Oktober<br />

desselben Jahres in der Völkerschlacht bei Leipzig, aus der Preußen<br />

siegreich hervorging. Die Erlebnisse des Kriegs prägten <strong>Hoffmann</strong><br />

und gingen unter anderem in Die Vision auf dem Schlachtfeld zu<br />

Dresden ein. Preußen passte sich schnell der politischen Restauration<br />

an, wie sie durch die Heilige Allianz und das Metternichsche<br />

Konzept einer Neuordnung Europas gemäß den Ergebnissen des<br />

Wiener Kongresses von 1815 propagiert wurde. In den Jahren bis<br />

zur Julirevolution 1830 liefen die geistigen Strömungen langsam<br />

aus, ohne jedoch sich völlig zu verlieren: Romantik, Klassik und<br />

Spätaufklärung existierten nebeneinander; gleichzeitig kam der<br />

Realismus der Restauration und des Biedermeiers langsam zu<br />

Tage.<br />

<strong>Hoffmann</strong> nahm 1815 in Berlin seine Tätigkeit als Assessor, die<br />

in Warschau jäh durch den Einfall der Truppen Napoleons und die<br />

damit verbundene Auflösung der preußischen Regierung unterbrochen<br />

worden war, am Kammergericht 21 wieder auf. Zusammen<br />

mit Hitzig wurde er dem Kr<strong>im</strong>inalsenat zugewiesen. Wenige seiner<br />

Urteilsbesprechungen sind aus jener Zeit erhalten, da die Akten<br />

inzwischen eingestampft wurden. Lediglich private Aufzeichnungen<br />

und die Akten der „Immediat-Commission“, 22 in die er kurz darauf<br />

aufgenommen wurde, können Aufschluss geben über gewisse<br />

Aspekte seiner juristischen Urteilsfindung.<br />

Die typische Berliner Atmosphäre spiegelt sich in einer Vielzahl<br />

seiner Werke: Prinzessin Brambilla (1820), Lebensansichten des Katers<br />

Murr (1819/21), Seltsame Leiden eines Theaterdirektors (1818), Die<br />

Brautwahl (1819/21), Die Abenteuer der Silvesternacht (1814/15), Das<br />

Sanctus (1816/17), Ritter Gluck (1814/15), Des Vetters Eckfenster<br />

(<strong>1822</strong>). Der Ernennung zum Kammergerichtsrat folgten zahlreiche<br />

Anerkennungen, darunter auch vom Präsidenten des Kammergerichts<br />

selbst, Daniel Woldermann. Dieser schrieb in einem Brief an<br />

den preußischen Justizminister Ludwig Leopold von Kircheisen,<br />

datiert den 23. Februar <strong>1822</strong>, Folgendes: „ . . . und ich muss meiner<br />

Pflicht nach, hier wiederholen: daß der Kammergerichts-Rath<br />

<strong>Hoffmann</strong>, sich durch vorzüglich gründliche Arbeiten, in dem allerwichtigsten<br />

Cr<strong>im</strong>inal-Sachen eben so sehr, als durch Ernst und würdiges<br />

Betragen in seinen Amtshandlungen ausgezeichnet hat, auch<br />

nicht einmal eine Spur seines comischen Schriftsteller-Talents blicken<br />

ließ.“ 23<br />

153


Ernst Theodor Amadeus <strong>Hoffmann</strong> (<strong>1776</strong> <strong>–</strong> <strong>1822</strong>)<br />

Die Frage der Zurechnungsfähigkeit<br />

Als Folge des Umdenkens, das durch die Französische Revolution<br />

ausgelöst worden war, wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts<br />

eine neue Kr<strong>im</strong>inalordnung eingeführt, die als erste ihrer<br />

Art einen Verteidiger für jeden Angeschuldigten vorsah. Sie<br />

beinhaltete u. a. auch eine Unterscheidung zwischen „Mord“ und<br />

„Totschlag“ <strong>im</strong> heutigen Sinn, die <strong>Hoffmann</strong> als einer der ersten<br />

Justizbeamten in Preußen aktiv praktizierte. In diesem Zusammenhang<br />

entspann sich auch die Diskussion um die Zurechnungsfähigkeit,<br />

eines der strittigsten Probleme des Strafrechts zu <strong>Hoffmann</strong>s<br />

Zeit.<br />

Julius E. Hitzig gab nach <strong>Hoffmann</strong>s Tod die Zeitschrift für die<br />

Cr<strong>im</strong>inal-Rechts-Pflege in den Preußischen Staaten mit Ausschluß der<br />

Rheinprovinzen heraus, um best<strong>im</strong>mte Auslegungen der Preußischen<br />

Verfassung anhand realer Fälle aufzuzeigen. Gewisse offene Rechtsfragen<br />

sollten zur Diskussion gestellt werden, darunter auch sehr<br />

prominent die der Zurechnungsfähigkeit. Der Fall des Tabakspinnergesellen<br />

Daniel Schmolling, der seine Geliebte ermordet hatte <strong>–</strong> er<br />

war seinerzeit <strong>Hoffmann</strong> anvertraut <strong>–</strong>, wurde dabei in Verbindung<br />

gebracht mit dem ebenso aufsehenerregenden Geschehen rund um<br />

Johann Christian Woyzeck, dem 1836/37 eine literarische Würdigung<br />

durch Georg Büchner zuteil wurde. Hofrat Dr. Heinroth, der<br />

Woyzeck selbst auf seinen Gemütszustand untersucht hatte, erwähnte<br />

beide Fälle in Zusammenhang mit einem Aufsatz über die<br />

Kr<strong>im</strong>inalpsychologie. 24<br />

<strong>Hoffmann</strong> hatte sich zu seiner Bamberger Zeit in den Ärzte-<br />

Kreisen rund um Dr. Marc, 25 Albert Friedrich Marcus 26 und<br />

Friedrich Speyer, 27 die damals als die fortschrittlichsten Mediziner<br />

Deutschlands galten, bewegt. Seine besondere Aufmerksamkeit galt<br />

den Phänomenen der Psychopathologie und des Somnambulen<br />

sowie der Rücksichtnahme auf solche Krankheitsformen in Bezug<br />

auf die Urteilsfindung. Zu <strong>Hoffmann</strong>s literarischer Verarbeitung desselben<br />

in Das Majorat (1816/17) und Vampirismus (1819/21) äußert<br />

sich Pleschinski folgendermaßen: „Was <strong>Hoffmann</strong> meisterhaft in<br />

Bewegung setzte, ist das Spiel der unbegrenzten Vorstellungen, die<br />

man von sich selbst oder der Welt haben kann. Solches Ausmaß an<br />

Befreiung der Phantasie kann jederzeit vom Anmutigen ins Erschreckende<br />

umschlagen. Der Mensch verläßt das scheinbar Vorbest<strong>im</strong>mte,<br />

gerät außer sich, wird sich selbst und anderen fremd. <strong>Hoffmann</strong><br />

vertiefte sich damit in so gewichtige Lebenserscheinungen wie<br />

Hysterie, Verfolgungswahn, die wechselnden Schattierungen von<br />

Euphorie und Depression.“ 28<br />

154


Die Erkenntnisproblematik<br />

<strong>Querdenker</strong> <strong>im</strong> <strong>Staatsdienst</strong><br />

Nicht allein die Motive in <strong>Hoffmann</strong>s Werken, die er seinen<br />

kr<strong>im</strong>inologischen Studien entnahm, sondern auch der nahezu belletristische<br />

Stil in <strong>Hoffmann</strong>s Gerichtsgutachten deutet auf eine Vermischung<br />

von <strong>Hoffmann</strong>s juristischer und literarischer Betätigung<br />

hin. Die Beschreibung des Tathergangs sowohl in der Angelegenheit<br />

des Kaufmanns Wilhelm S., der wegen versuchten Giftmordes an<br />

seiner Ehefrau 29 angeklagt wurde, als auch das Gutachten über die<br />

Mordtat des Tabakspinnergesellen Daniel Schmolling 30 beweisen<br />

<strong>Hoffmann</strong>s erzählerisches Talent. Die Nähe zur trivialen Genre der<br />

Kr<strong>im</strong>inalliteratur, das sich zur gleichen Zeit zu etablieren begann, ist<br />

nicht zu verleugnen. Trotz des Sensationsgehalts der Bestandsaufnahmen<br />

legte <strong>Hoffmann</strong> große Seriosität in die Untersuchung. Er<br />

holte von verschiedensten Personen wissenschaftliche Informationen<br />

aus den Bereichen der Medizin und der Pharmazie ein und behandelte<br />

sie kritisch. Die Zeugenaussagen, denen zufolge der Angeklagte<br />

Wilhelm S. <strong>im</strong> durch Alkohol berauschten Zustand nicht<br />

zurechnungsfähig gewesen sein soll, widerlegte <strong>Hoffmann</strong> nach eingehenden<br />

Nachforschungen. Der angeschuldigte Ehemann war in<br />

ein Liebesverhältnis mit einer jüngeren Frau verstrickt und besaß<br />

daher ein Motiv, seine Gattin zu töten. Der Mord erschien <strong>Hoffmann</strong><br />

von längerer Hand geplant und keineswegs das Resultat einer<br />

Affekthandlung gewesen zu sein, weshalb er eine Gefängnisstrafe<br />

von zwölf Jahren beantragte.<br />

Im Gutachten über die Mordtat des Tabakspinnergesellen Daniel<br />

Schmolling 31 plädierte <strong>Hoffmann</strong> auf Mord und verhängte die Todesstrafe.<br />

Die dem Angeklagten bescheinigte geistige Abnormität wollte<br />

<strong>Hoffmann</strong> nicht als Milderungsgrund annehmen, da ihm die Beweislage<br />

als ungenügend erschien. 32 Er untermauerte seine Ablehnung<br />

des medizinischen Urteils mit der gesetzlichen Irrelevanz der<br />

Seelenlage des Angeklagten: „Die Cr<strong>im</strong>inal-Ordnung § 280 schweigt<br />

über die Untersuchung des Gemüthszustandes in Cr<strong>im</strong>inalfällen.“ 33<br />

<strong>Hoffmann</strong> stellte sich aber nicht gegen die prinzipielle Berücksichtigung<br />

der psychischen Verfassung des Angeklagten, sondern gegen<br />

die in jenem Prozess eingeholte Meinung des Dr. Merzdorff. <strong>Hoffmann</strong><br />

maßte sich sogar an, eine Gegenbehauptung in medizinischer<br />

Form aufzustellen, zog dazu Quellen seines Vertrauens heran 34 und<br />

forderte seinerseits Zeugen zur Aussage auf. Das königliche Justizministerium<br />

wandelte die von <strong>Hoffmann</strong> geforderte Todesstrafe in<br />

eine lebenslängliche Haftstrafe um. Nach vierjähriger Haftzeit<br />

ermordete Schmolling seinen Haftgenossen, worauf schließlich die<br />

Hinrichtung durch das Beil angeordnet wurde.<br />

155


Ernst Theodor Amadeus <strong>Hoffmann</strong> (<strong>1776</strong> <strong>–</strong> <strong>1822</strong>)<br />

Die Frage der Zurechnungsfähigkeit war deshalb relevant, da<br />

sich abnorme Geisteszustände strafmildernd auswirkten und die<br />

Einlieferung in Heilanstalten auch für einen Gewaltverbrecher in<br />

Frage kam. <strong>Hoffmann</strong> demonstrierte durch seine kritische Haltung<br />

gegenüber dem medizinischen Gutachter <strong>im</strong> Fall Schmolling die<br />

Problematik der Bescheinigung des Wahnsinns und warf die Frage<br />

auf, wer die Autorität besäße, eine solche vorzunehmen. In diesem<br />

Zusammenhang verwies er auf Kants Anthropologie in pragmatischer<br />

Hinsicht (1798), die sich mit der Frage beschäftigt, welcher Fakultät<br />

die geistige Anomalie zuzuschreiben sei. Kant votiert darin für die<br />

Philosophie, da die Medizin nur für physisch sichtbare Symptome<br />

zuständig sei. Die Diskussion fällt in die Jahre, als die Psychologie<br />

um einen eigenen Lehrstuhl und um die Anerkennung als eigene<br />

wissenschaftliche Disziplin zu kämpfen hatte. Unter anderem war<br />

mit dem Widerstand der Mediziner zu rechnen, die eine Ausgliederung<br />

dieser Disziplin in eine eigene Fakultät nicht ohne weiteres<br />

zulassen wollten. 35<br />

<strong>Hoffmann</strong> schien sich gegen eine vorschnelle Aburteilung des<br />

Angeklagten als „abnorm“ oder „geisteskrank“ zu sträuben, da seiner<br />

Ansicht nach die Abweichung von der Norm, selbst wenn es<br />

sich um einen Mörder handelte, nicht notwendigerweise gleichzusetzen<br />

sei mit Geisteskrankheit. Die Figuren in <strong>Hoffmann</strong>s Werken<br />

legen <strong>–</strong> wenn auch auf ironisch überzeichnete Weise (z. B. in Vampirismus)<br />

<strong>–</strong> nahe, dass in jedem Menschen extreme Neigungen schlummern<br />

und die Trennung in gesundes und krankes Gemüt die Gefahr<br />

der Vereinheitlichung birgt. Eine hybride Figur zwischen Künstler<br />

und Verbrecher erschafft <strong>Hoffmann</strong> mit dem Goldschmied René<br />

Cardillac <strong>im</strong> Fräulein von Scuderi (1819/21), der dermaßen in seine<br />

Erzeugnisse vernarrt ist, dass er zum Mörder wird, um den verkauften<br />

Schmuck von den Kunden zurückzuerlangen. Das Motiv Cardillacs<br />

ist ein durch seine übernatürliche künstlerische Begabung<br />

geschaffenes und bricht daher mit dem klassischen Bild des Mörders.<br />

<strong>Hoffmann</strong> verwischt die herkömmlichen Grenzen von Gut und<br />

Böse, was wohl auch am ehesten der Realität seines Brotberufs entsprach.<br />

In <strong>Hoffmann</strong>s Vorgehensweise bei Ermittlungen und Kr<strong>im</strong>inalfällen<br />

wird seine Beschäftigung mit der Erkenntnisproblematik<br />

sowohl als Dichter als auch als Jurist ersichtlich: „Dem <strong>im</strong> irdischen<br />

Leben befangenen Menschen ist es nicht vergönnt, die Tiefe seiner<br />

eignen Natur zu ergründen.“ 36 Skeptisch gegenüber der Möglichkeit<br />

zur Selbsterkenntnis, konnte er nur zu dem Schluss gelangen, dass<br />

alle Entscheidungsfindung einen Kompromiss zur Grundlage haben<br />

müsse und somit die Gerichtsbarkeit nur als Illusion von Gerechtig-<br />

156


keit zu verstehen sei. Die Auseinandersetzung mit dem Wahnsinn<br />

und die Deklaration eines solchen konnten nur relativ in Bezug auf<br />

den Durchschnitt getroffen werden, aber keinen Anspruch auf absolute<br />

Aussagekraft erheben. An dieser Stelle trifft sich <strong>Hoffmann</strong>s<br />

Intention als Jurist mit jener des Dichters, dessen Bemühungen darin<br />

lagen, dem aus der Norm gleitenden Genie einen Platz in der<br />

Welt <strong>–</strong> wenn auch nur in der fiktiven <strong>–</strong> einzuräumen und ersichtlich<br />

zu machen, welch scharfen Urteilen der Künstler gegenübertreten<br />

muss. Sein literarisches Werk schafft Platz für Sonderlinge und weist<br />

hin auf den möglichen Wahnsinn <strong>im</strong> menschlichen Tun, unterläuft<br />

die starren Ordnungen seiner Welt und bezeichnet gleichzeitig das<br />

Risiko solcher Befreiungsschläge.<br />

Die Rechtsauffassung<br />

<strong>Querdenker</strong> <strong>im</strong> <strong>Staatsdienst</strong><br />

Wulf Segebrecht erklärt in <strong>Hoffmann</strong>s Auffassung vom Richteramt 37<br />

Hitzigs und <strong>Hoffmann</strong>s Meinungen als stellvertretend für die verschiedenen<br />

Rechtsauffassungen ihrer Zeit, als Austragung eines<br />

Konflikts zwischen Aufklärung und Romantik: <strong>Hoffmann</strong> sah sich<br />

als Richter mit der eigenmächtigen Entscheidung über Angeklagte<br />

betraut, auch wenn etwaige Gutachten entgegen seiner Meinung<br />

ausgefallen waren. Letztendlich oblag aus <strong>Hoffmann</strong>s Sicht die Entscheidung<br />

<strong>im</strong>mer dem Juristen, womit er dem Individuum einen<br />

sehr hohen Grad an Verantwortung übertrug. Dem romantischen<br />

Postulat des universellen Genies, der vollkommenen Einheit von<br />

Vielheit, war vor dem Staatsganzen der Vorzug zu geben. <strong>Hoffmann</strong>s<br />

Liberalität verband sich mit Akribie sowohl in seinen juristischen<br />

als auch in seinen musikkritischen Schriften. Hitzig hingegen<br />

vertrat eine aufklärerisch-rationalistische Rechtsauffassung auf der<br />

Grundlage des Naturrechts. Klare Richtlinien und eindeutige Vorgangsweisen<br />

sollten die Richter ihrer schweren Verantwortung entbinden.<br />

Der Staat könne so als Monument vereinter Kompetenzen<br />

gelesen werden. Hitzigs Modell der Staatssicherheit war nahezu<br />

gleichzusetzen mit der Rechtssicherheit.<br />

Wurde <strong>Hoffmann</strong> also als „Radikaler <strong>im</strong> öffentlichen Dienst“ 38<br />

abgestempelt, so war seine facettenreiche Persönlichkeit in ihrer<br />

Ganzheit nicht wahrgenommen worden. In Schnapps Ausgabe <strong>Hoffmann</strong>s<br />

juristischer Schriften sind sämtliche Gutachten zu den ihm<br />

anvertrauten Kr<strong>im</strong>inalfällen nachzulesen. Neben der teilweise literarischen<br />

Qualität der einführenden Tatsachenberichte zeichnet sich<br />

<strong>Hoffmann</strong> wie erwähnt durch außergewöhnliche Vorgehensweise<br />

sowie gewissenhafte Arbeit aus. Im Zusammenhang mit der Untersuchungssache<br />

wider Samuel Schallenberger 39 (Münzfälschung) stellte<br />

157


Ernst Theodor Amadeus <strong>Hoffmann</strong> (<strong>1776</strong> <strong>–</strong> <strong>1822</strong>)<br />

<strong>Hoffmann</strong> Nachforschungen über die Neufchâteler Verfassungen an,<br />

wozu er sich in französische Gesetzestexte einlesen musste. Das<br />

Fürstentum Neufchâtel war mit der Grafschaft Valengin von 1707 bis<br />

1806 preußisch gewesen, wurde dann an Napoleon abgetreten, der<br />

es dem Marschall Berthier verlieh, und kam 1814 wieder an<br />

Preußen, wurde aber gleichzeitig als 21. Kanton in die Schweizerische<br />

Eidgenossenschaft aufgenommen. Erst 1857 gab Preußen seine<br />

Ansprüche auf Neuenburg auf. Das Gutachten, das 1816 verfasst<br />

worden war, sollte die Todesstrafe, die noch unter der Herrschaft<br />

Berthiers verhängt wurde, von Schallenberger abwenden. Der<br />

Prozess zögerte sich hinaus, sodass der Preußische König Souverän<br />

von Neufchâtel geworden war, als <strong>Hoffmann</strong> mit dem Akt betraut<br />

wurde. Er riet dem Preußischen König, der laut Neufchâteler Verfassung<br />

keine Befugnis Recht zu sprechen besaß, zur Begnadigung,<br />

um so innerhalb seines relativ geringen Handlungsspielraumes als<br />

Souverän eine Schallenberger gewogene Entscheidung zu treffen.<br />

Die „Immediat-Commission“<br />

1819 wurde <strong>Hoffmann</strong> auf Veranlassung des Präsidenten des<br />

Kr<strong>im</strong>inal-Senats Friedrich von Trützschler zum „Decernenten“ der<br />

„Immediat-Untersuchungs-Commission zur Ermittlung hochverräterischer<br />

Verbindungen und anderer gefährlicher Umtriebe“<br />

ernannt. Sie war als insgesamt sechs Mitglieder zählende Spezialeinheit<br />

durch eine Cabinetts-Order 1819 nach dem Metternichschen<br />

Konzept zur Verfolgung von „Demagogen“ gebildet worden. So hatte<br />

man eine Maßnahme gegen Personen ergriffen, die sich keines tatsächlichen<br />

Vergehens strafbar gemacht hatten, deren Rebellion gegen<br />

die absolutistische Fürstenmacht man aber befürchtete. Die Mächtigen<br />

waren damit am besten Wege, mit aller Gewalt die Ideale der<br />

Französischen Revolution <strong>–</strong> Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit <strong>–</strong><br />

rückgängig zu machen. Die „Karlsbader Beschlüsse“ zielten darauf<br />

ab, sich das Volk durch Unbildung und Gleichgültigkeit gefügig zu<br />

machen, wie es <strong>Hoffmann</strong> dem Polizeihauptmann in Meister Floh in<br />

den Mund legt: „Das Denken, meinte Knarrpanti, sei an und vor<br />

sich selbst schon eine gefährliche Operation und würde bei gefährlichen<br />

Menschen eben desto gefährlicher.“ 40<br />

Die kriegerischen Auseinandersetzungen in den Jahren, die auf<br />

die Französische Revolution folgten, begünstigten neben der Entwicklung<br />

des bürgerlichen Industrialismus vor allem die Verbreitung<br />

politisch-freiheitlichen Ideenguts. Das beginnende Zeitalter<br />

des Biedermeier war alles andere als eine ruhige Zeit: 1815 wurden<br />

nach Beschlüssen des Wiener Kongresses die von Napoleon ge-<br />

158


<strong>Querdenker</strong> <strong>im</strong> <strong>Staatsdienst</strong><br />

stürzten Duodezfürsten mit all ihren überlebten Privilegien wieder<br />

eingesetzt, was die studentische Jugend und die Freiheitskämpfer<br />

aufbrachte. Hinzu gesellte sich die Unzufriedenheit über die allgemeinen<br />

wirtschaftlichen Verhältnisse. Als bei einem Wartburgfest<br />

der Burschenschaften reaktionäre Schriften verbrannt wurden, darunter<br />

auch der Codex der Gendarmerie, und kurz darauf 1819 der<br />

Theaterautor Kotzebue vom Studenten Sand ermordet wurde, traten<br />

die berüchtigten „Karlsbader Beschlüsse“ in Kraft: Sie legit<strong>im</strong>ierten<br />

ein radikales Vorgehen der Regierung gegen diejenigen Kräfte, welche<br />

auf die Beendigung der deutschen Kleinstaaterei bzw. auf eine<br />

geeinte deutsche Nation hinarbeiteten und beinhalteten u. a. das Verbot<br />

des Turnens und die Einführung der Zensur.<br />

Die „Immediat-Commission“ hegte den studentischen Burschenschaften,<br />

den Universitäten, den Turnerbewegungen und der<br />

Publizistik gegenüber besonderes Misstrauen. Unter den Verhafteten<br />

befanden sich: der Turnvater Dr. phil. Friedrich Ludwig Jahn, der<br />

Verleger Georg Re<strong>im</strong>er, der Wissenschafter Ludwig Roediger, der<br />

Schriftsteller August Follen, der Student Ludwig von Mühlenfels<br />

und viele andere. Die Kommission war vom preußischen König<br />

Friedrich Wilhelm III. mit allen Befugnissen eines höchsten Gerichtshofs<br />

ausgestattet worden. Dementsprechend hatte die Kommission<br />

nicht nur rechtliche Beurteilungen abzugeben, sondern auch rechtskräftige<br />

Entscheidungen zu fällen, die daraufhin vollzogen wurden.<br />

Prinzipiell sollte die Entscheidung getroffen werden, ob der Angeklagte<br />

<strong>im</strong> Zuge eines Kr<strong>im</strong>inalverfahrens anzuklagen sei. Die Mitglieder<br />

der Untersuchungskommission durften sich uneingeschränkt<br />

in ihrer Kompetenz als Richter angesprochen fühlen, obwohl die<br />

eigentliche Motivation die Rechtfertigung der restriktiven Politik<br />

gegenüber der Justiz war.<br />

Hauptsächlich war <strong>Hoffmann</strong> angehalten, herauszufinden, ob<br />

die Angeklagten an einer gegen die Verfassung gerichteten Vereinigung<br />

teilgenommen hatten. Anfangs verlief <strong>Hoffmann</strong>s Tätigkeit in<br />

der Kommission problemlos, doch zunehmend kristallisierten sich<br />

Differenzen mit den Vertretern der übergeordneten Instanzen und<br />

Überwachungsorgane heraus. Er nahm stets eine liberale, die Angeklagten<br />

verteidigende Rolle ein, indem er deren Äußerungen als<br />

nicht hinreichend für eine rechtskräftige Anklageschrift bezeichnete.<br />

41 <strong>Hoffmann</strong> beharrte darauf, ausschließlich Straftaten, aber<br />

niemals Gesinnungen zu verfolgen. Im Falle Roedigers, eines Mitglieds<br />

der Jenaer Urburschenschaft, der auf dem Wartburgfest eine<br />

umstürzlerische Rede gehalten hatte, stellte <strong>Hoffmann</strong> dessen Gesinnung<br />

genauso wie seine Verbindung zum Kotzebue-Mörder Sand<br />

und dem Verlagsbuchhändler Re<strong>im</strong>er 42 als harmlos dar und forderte<br />

159


die sofortige Entlassung aus der Untersuchungshaft. Von Kamptz,<br />

der Direktor des Polize<strong>im</strong>inisteriums, bestand hingegen gemeinsam<br />

mit dem Staatskanzler von Hardenberg auf einer Fortsetzung der<br />

Untersuchungen. Sogar bei der zweiten Untersuchungsrunde verteidigte<br />

<strong>Hoffmann</strong> standhaft Roediger.<br />

Im Gegensatz zu seiner Behandlung tatsächlich kr<strong>im</strong>ineller<br />

Täter verhielt sich <strong>Hoffmann</strong> innerhalb der Immediat-Commission<br />

milde in seinen Urteilen und suchte die Allmacht des Staates sowie<br />

dessen Übergriffe auf die Gedankenfreiheit zu unterbinden. Sein<br />

Engagement richtete sich gegen den Polizeistaat, der <strong>im</strong>mer unbedenklicher<br />

seine Herrschaft ausübte, und stellte unmissverständlich<br />

dessen Legit<strong>im</strong>ität in Frage. <strong>Hoffmann</strong> regte zudem an, den unpräzisen<br />

Vorwurf der „demagogischen Umtriebe“ durch „Stiftung<br />

oder Theilnahme an einem gegen die bestehende Verfassung der<br />

deutschen Staaten gerichteten Bunde“ zu ersetzen. 43<br />

Die Diskrepanz zwischen politischer Paranoia und Nachsichtigkeit<br />

der Immediat-Commission, die etliche Entlassungen von<br />

Angeklagten nach sich zog, führte zu einer Unterwerfung der Kommission<br />

unter die Obhut der Polizei und die Ministerien der Justiz.<br />

Durch die Aberkennung der Vollzugskompetenzen war die Kommission<br />

praktisch machtlos geworden. Es kann daher nur in <strong>Hoffmann</strong>s<br />

Sinne gewesen sein, als er 1820 durch die Berufung in den Oberappellationssenat<br />

des Kammergerichts aus der Kommission ausschied.<br />

Die Rechte der Kunst<br />

Ernst Theodor Amadeus <strong>Hoffmann</strong> (<strong>1776</strong> <strong>–</strong> <strong>1822</strong>)<br />

Die Künstlerfiguren in <strong>Hoffmann</strong>s literarischem Werk sind oftmals<br />

den Angeklagten nachempfunden, mit denen <strong>Hoffmann</strong> <strong>im</strong> Zusammenhang<br />

mit der Kommission zu tun hatte. Es sind Menschen,<br />

die sich gegen Anpassung sträuben, sich schwer in die Gesellschaft<br />

integrieren lassen und dort dadurch Irritation hervorrufen. Ihre<br />

Kunst ist nicht staatstragend, hat keinen politischen Stabilitätsfaktor,<br />

ebenso wenig, wie <strong>Hoffmann</strong>s Arbeit in der „Immediat-Commission“<br />

der repressiven Ideologie des Reg<strong>im</strong>es dienlich war.<br />

Kunst erscheint also in <strong>Hoffmann</strong>s Weltbild nicht ruhe- und<br />

ordnungsstiftend, sondern engagiert, wie z. B. <strong>im</strong> Meister Floh (<strong>1822</strong>).<br />

In diesem Märchen verbirgt sich die Kritik an der polizeilichen Willkür,<br />

die an dem „Turnvater“ Jahn verübt worden war. Der gehe<strong>im</strong>e<br />

Hofrat Knarrpanti leitet <strong>im</strong> Meister Floh die Ermittlungen in einer auf<br />

einem Gerücht beruhenden Affäre, demnach eine junge Dame aus<br />

dem Hause eines Bankiers entführt worden sei. Obwohl Knarrpanti<br />

zu dem Ergebnis gelangt, dass in dem Gerücht kein wahrer Kern sei,<br />

lässt er dennoch einen Bürger seiner Wahl, Peregrinus Tyß, ver-<br />

160


<strong>Querdenker</strong> <strong>im</strong> <strong>Staatsdienst</strong><br />

haften. Dieser muss sich wohl oder übel der Staatsgewalt beugen<br />

und sieht sich in völliger Ohnmacht dessen Organen ausgesetzt:<br />

„Herr Peregrinus schwur hoch und teuer, daß er sich auch nicht des<br />

geringsten Verbrechens bewußt sei. Einer der Abgeordneten meinte<br />

aber lächelnd, daß vielleicht in wenigen Stunden seine völlige<br />

Unschuld aufgeklärt sein werde, bis dahin müsse er sich aber den<br />

Befehlen der Obrigkeit fügen.“ 44<br />

Der Auftritt des gehe<strong>im</strong>en Hofrats Knarrpanti macht die<br />

Diskrepanz zwischen der ihm zugewiesenen hohen hierarchischen<br />

Stellung und seiner tatsächlichen Kompetenz deutlich. Das Gebaren,<br />

das er nach außen trägt, steht <strong>im</strong> Gegensatz zu seinen inneren<br />

Werten, seiner Intelligenz. Knarrpanti kann mit der seiner Position<br />

entsprechenden Macht nicht umgehen und legt eine unpassende<br />

Überheblichkeit an den Tag, die zwar lächerlich und einfältig wirkt,<br />

jedoch trotzdem Ehrfurcht einflößt:<br />

Da erschien [. . .] vor dem Rat ein seltsamer Mensch, sowohl<br />

seiner Kleidung als seinem ganzen Wesen nach, welcher sagte, er sei<br />

Gehe<strong>im</strong>er Hofrat und nenne sich Knarrpanti. Darauf zog er ein Papier<br />

mit einem großen Siegel aus der Tasche und überreichte es mit einer<br />

höflichen Verbeugung und einer Miene, die deutlich aussprach, wie<br />

sehr der Rat durch die hohe Würde, die er, der Gehe<strong>im</strong>e Hofrat Knarrpanti<br />

bekleide und durch den wichtigen Auftrag, den er erhalten, überrascht<br />

sein, und welcher Respekt ihm nun erwiesen werden würde. 45<br />

Knarrpanti verfährt gemäß dem Grundsatz, dass sich zu jedem Verbrecher<br />

auch ein Verbrechen finden müsste. Dahinter verbirgt sich<br />

eine Anspielung <strong>Hoffmann</strong>s auf ein in Umlauf gebrachtes Gerücht,<br />

das der fundierten Anschuldigungen entbehrt, so dass für den einmal<br />

ausgesprochenen Verdacht Bestätigung gefunden werden muss.<br />

Die Durchsuchung der Manuskripte Peregrinus Tyß’ und die spätere<br />

Anklage desselben auf Grund der in den Schriftstücken enthaltenen,<br />

aus dem Zusammenhang gerissenen Worte sind Teil einer Verfahrensweise,<br />

der <strong>Hoffmann</strong> Amtsmissbrauch und Willkür anlastet.<br />

So werden Peregrinus Tyß beispielsweise Entführungsgedanken vorgeworfen,<br />

da er in seinen Aufzeichnungen den Besuch von Mozarts<br />

Oper Die Entführung aus dem Serail erwähnt. Knarrpanti bildet sich<br />

ein, diese Verklausulierung scharfsinnig durchschaut zu haben,<br />

obwohl er eigentlich nur seiner Erwartungshaltung gemäße Ergebnisse<br />

zu Tage fördert. <strong>Hoffmann</strong> thematisiert in diesem Zusammenhang<br />

die fehlende Präzision der Sprache, die großen Interpretationsspielraum<br />

offen lässt und die bei dem Versuch, präzise Parameter<br />

(Richtlinien) an ein relatives Medium (Sprache) anzulegen, unweigerlich<br />

zu Ungerechtigkeiten führen muss.<br />

161


Einer ähnlichen Problematik unterliegt das Verhör Peregrinus<br />

Tyß’, der sich der Gefahr des absichtlich missverstanden Werdens<br />

bewusst, aber dennoch der Willkür des Knarrpanti ausgeliefert<br />

ist:<br />

Peregrinus geriet in nicht geringe Verlegenheit, als er von dem<br />

Abgeordneten über den Hergang der Sache befragt wurde. Er fühlte,<br />

daß die ganze Erzählung, weiche er in keinem Umstande von der<br />

Wahrheit ab, eben deshalb den Stempel der Lüge, wenigstens der<br />

höchsten Unwahrscheinlichkeit tragen müsse. Für ratsam fand er es<br />

daher, ganz zu schweigen und sich damit zu schützen, daß sobald kein<br />

wirkliches best<strong>im</strong>mtes Verbrechen feststehe, dessen man ihn beschuldige,<br />

er nicht nötig zu haben glaube, über einzelne Begebenheiten in<br />

seinem Leben Rede zu stehen. Knarrpanti frohlockte über diese<br />

Erklärung des Angeklagten, durch die er seinen Verdacht bestätigt<br />

fand. 46<br />

In der Sprachskepsis des Meister Floh verbirgt sich Kritik am staatlichen<br />

Zensurapparat <strong>–</strong> Kritik, die zur Beschlagnahmung von <strong>Hoffmann</strong>s<br />

Manuskripten führte: Die Zensoren hatten sich selbst in dem<br />

sarkastischen Märchen wiederentdeckt und sahen sich gezwungen,<br />

ihrer Entblößung durch die Bestrafung <strong>Hoffmann</strong>s entgegenzuwirken.<br />

Die Anklage<br />

Ernst Theodor Amadeus <strong>Hoffmann</strong> (<strong>1776</strong> <strong>–</strong> <strong>1822</strong>)<br />

Der Bezug auf den Polizeidirektor Albert von Kamptz, der seine<br />

paranoide Furcht vor Staatsfeinden in Jahn bestätigt sah, ist <strong>im</strong> Meister<br />

Floh augenscheinlich. Von Kamptz hatte nach der Verhaftung<br />

Jahns eine Meldung in zwei Berliner Zeitungen lanciert, der zufolge<br />

Jahn erwiesenermaßen regierungsfeindlich tätig gewesen sei und die<br />

Jugend <strong>im</strong> Rahmen seines Turnprogramms aufgehetzt habe. Jahn<br />

erhob daraufhin Klage be<strong>im</strong> Kammergericht und warf von Kamptz<br />

vor, ein Pasquill ohne Beweisgrundlage verfasst und verbreitet zu<br />

haben. <strong>Hoffmann</strong> wurde mit der Untersuchung des Streitfalls<br />

betraut und widerlegte den Vorwurf des Hochverrats, der gegen<br />

Jahn vorgebracht worden war. Er verfasste am 30. November 1819<br />

ein „Decretum ex Conclusio Collegii“ (eine Verfügung mit Zust<strong>im</strong>mung<br />

seiner Mitarbeiter), gab darin der Klage Jahns statt und<br />

ordnete die Vorladung von Kamptz’ trotz vorhergehender Warnung<br />

durch den Kammergerichtspräsidenten Woldermann an. Der Justizminister<br />

von Kircheisen reagierte darauf mit der Forderung, das Verfahren<br />

unverzüglich einzustellen. Konfrontiert mit dem innenministeriellen<br />

Machtmissbrauch seines Vorgesetzten, stellte sich<br />

162


<strong>Querdenker</strong> <strong>im</strong> <strong>Staatsdienst</strong><br />

<strong>Hoffmann</strong> offen gegen den Justizminister von Kircheisen, unter dem<br />

der „diktatorische“ Premierminister Hardenberg stand, und verkündete,<br />

nur vor dem Wort des Königs selbst weichen zu wollen<br />

(was zum Ende auch geschah). Der Polizeidirektor von Kamptz<br />

beantwortete <strong>Hoffmann</strong>s Prinzipientreue mit einer Beschwerde<br />

gegen die gesamte Belegschaft der Kommission (Von Gerlach, Kuhlmeyer,<br />

Trützschler und <strong>Hoffmann</strong>), in der er sie der Demagogie und<br />

des Oppositionsgeistes bezichtigte. 47<br />

<strong>Hoffmann</strong> war also durch seine Gesetzestreue und Korrektheit<br />

der Obrigkeitsgläubigkeit der Staatsorgane in die Quere gekommen.<br />

Mit dem Meister Floh hatte er den Zensoren die Grundlage geliefert,<br />

auf Grund derer sie ihn für seine Staatskritik belangen konnten. Im<br />

Vorgehen des Polizeidirektors wiederum spiegelt sich exakt die von<br />

<strong>Hoffmann</strong> <strong>im</strong> Meister Floh denunzierte Korruption.<br />

Meister Floh wurde <strong>–</strong> sofern er bereits gedruckt und in Frankfurt<br />

be<strong>im</strong> Verlag angekommen war <strong>–</strong> zunächst konfisziert. Aus Angst<br />

vor einem Berufsverbot zeigte sich der Verleger Wilmans äußerst<br />

kooperativ gegenüber der Polizei und gab bereitwillig Auskunft<br />

über <strong>Hoffmann</strong>s Korrespondenzen, verriet u. a. auch, dass <strong>Hoffmann</strong><br />

um die Tilgung einer Anspielung auf von Kamptz in den Manuskriptseiten<br />

gebeten hatte (und damit, dass <strong>Hoffmann</strong>s Zeilen tatsächlich<br />

auf jenen gemünzt gewesen waren). Des Verlegers Denunziation<br />

wurde von der Polizei per Erstattung der für Wilmans<br />

entstandenen Verlustkosten honoriert. Gegen <strong>Hoffmann</strong> wurden vier<br />

Verfahren eingeleitet, 48 und zwar wegen „gebrochener Amtsverschwiegenheit“<br />

(<strong>Hoffmann</strong> habe Aspekte seiner juristischen Tätigkeit<br />

<strong>im</strong> Meister Floh verarbeitet), wegen „Beamtenverleumdung“<br />

(Knarrpanti sei als Parodie auf den Polizeidirektor von Kamptz konzipiert<br />

worden), wegen „Majestätsbeleidigung“ (die Obrigkeit fühle<br />

sich verhöhnt) und wegen „Demagogie“ (<strong>Hoffmann</strong> habe den Meister<br />

Floh als Protestschrift gegen die Staatsgewalt verfasst).<br />

Wegen Vernehmungsunfähigkeit hatte das Verhör am Krankenbett<br />

<strong>Hoffmann</strong>s zu erfolgen. Schwer an Syphilis erkrankt, diktierte<br />

der Angeklagte von dort aus auch seine Verteidigungsschrift: 49<br />

Dem Vorwurf, seine beruflichen Erfahrungen in literarischer<br />

Form verarbeitet zu haben, hatte <strong>Hoffmann</strong> entgegen zu halten, dass<br />

niemand völlig abstrahiert von seinem Lebensalltag schaffen könne.<br />

Der Realitätsbezug der Kunst sei also unvermeidlich, der Schriftsteller<br />

habe schließlich gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen.<br />

Walter Scott, seinerseits Jurist, habe ebenso persönliche Berufserfahrungen<br />

in sein schriftstellerisches Schaffen einfließen lassen.<br />

Segebrecht bezeichnet <strong>Hoffmann</strong>s Argumentation als Verteidigung<br />

der Rechte der Poesie gegenüber der Staatsgewalt. 50<br />

163


Ernst Theodor Amadeus <strong>Hoffmann</strong> (<strong>1776</strong> <strong>–</strong> <strong>1822</strong>)<br />

<strong>Hoffmann</strong> reklamiert außerdem <strong>im</strong> Meister Floh das Recht,<br />

unsachgemäß durchgeführte Verhöre ankreiden zu dürfen. Er<br />

appelliert an die von der Französischen Revolution propagierte<br />

Meinungsfreiheit, wenn er schreibt:<br />

Dem humoristischen Dichter muß es freistehen, sich in dem Gebiet<br />

seiner phantastischen Welt frei und frisch zu bewegen. Soll er sich in<br />

tausend Rücksichten, in misstrauische Zweifel darüber, wie seine<br />

Gedanken gemißdeutet werden könnten, wie in das Bett des<br />

Procrustes 51 einengen? Wie würde es ihm möglich sein, geistreich,<br />

anmuthig zu schreiben, und Gemüth und Herz seiner Leser zu ergreifen?<br />

52<br />

Dem laufenden Disziplinarverfahren mit all seinen Implikationen<br />

kam der Tod zuvor: E. T. A. <strong>Hoffmann</strong> erlag am 25. Juni <strong>1822</strong> in Berlin<br />

den Folgen einer Zerstörung des zentralen Nervensystems (als<br />

fortgeschrittenes Stadium der Syphilis). Die Irritation, die er durch<br />

seine Kritik erzeugt hatte, hielt weit bis über sein Lebensende hinaus<br />

an: Der Innenminister, Friedrich von Schuckmann, äußerte sich in<br />

einem Brief an Danckelman 53 sechs Jahre später abfällig über <strong>Hoffmann</strong>s<br />

„Talent“, die Mitglieder der Immediat-Commission zu „irrigen<br />

Ansichten“ hingerissen zu haben. Das sei diesem „Aussätzigen<br />

nur in jener contagiösen Zeitperiode wo jeder, der gegen die Demagogen<br />

auftrat, als ein stupider Obscurant verlästert wurde, möglich<br />

gewesen“. 54<br />

Der Meister Floh erschien noch zu Lebzeiten <strong>Hoffmann</strong>s bei Wilmans<br />

in Frankfurt, jedoch in zensierter Form ohne die „Knarrpanti-<br />

Affäre“. Der erste vollständige Abdruck gemäß dem Erstdruck von<br />

Wilmans einschließlich der handschriftlich überlieferten Passage der<br />

Knarrpanti-Affäre erfolgte durch den <strong>Hoffmann</strong>-Forscher Hans von<br />

Müller 1908 <strong>im</strong> Bard-Verlag.<br />

Das Erbrecht und der Tod<br />

Den komplizierten besitzrechtlichen Änderungsprozessen seiner<br />

Zeit widmet sich die Erzählung Das Majorat (1817). Der Fürst<br />

Hardenberg hatte Reformen weitergeführt, die vom Reichsfreiherr<br />

vom und zum Stein 55 eingeleitet worden waren. Sie richteten sich<br />

gegen die Gewaltanwendung revolutionärer Prozesse, wie sie in<br />

Frankreich stattgefunden hatte. Die endgültige Bauernbefreiung war<br />

Stein durch das Edikt von 1807 geglückt. In seiner Bemühung um<br />

das Wohlergehen und somit die Loyalität der breiten Allgemeinheit<br />

pflanzte er den Ke<strong>im</strong> des modernen sozialen Verwaltungsrechts.<br />

164


<strong>Querdenker</strong> <strong>im</strong> <strong>Staatsdienst</strong><br />

Die Beibehaltung der Patr<strong>im</strong>onialgerichtbarkeit führte jedoch<br />

trotz Abschaffung der Erbuntertänigkeit <strong>im</strong> Endeffekt zu einer<br />

erneuten Standessicherung des Adels auf Kosten der Bauern. Zu<br />

den adeligen Gutsherren gesellten sich die bürgerlichen, die sich<br />

in der Gestaltung ihrer alltäglichen Lebenspraxis den Adel zum Vorbild<br />

nahmen und nur neue, nicht weniger umfassende Abhängigkeitsverhältnisse<br />

schufen. Das Tagelöhnerwesen griff um<br />

sich.<br />

Das Majorat wird aus der Sicht eines jungen Juristen erzählt,<br />

dessen Großonkel <strong>–</strong> seinerseits ebenfalls Rechtsgelehrter <strong>–</strong> mit der<br />

Aufsicht über die Ein- und Ausgaben sowie mit der Testamentsvollziehung<br />

des Freiherrn betraut ist. Fast ironisch zeichnet <strong>Hoffmann</strong><br />

<strong>im</strong> Großonkel des Ich-Erzählers eine Allegorie des Rechts, die den<br />

Neffen bevormundet und sogar den Majoratsherrn in Schranken zu<br />

weisen vermag.<br />

Sein Neffe gerät aus Liebe zur Gattin des Majoratsherrn in Konflikt<br />

mit der Moral und der gesellschaftlichen Determination. Seine<br />

jugendliche Leidenschaft ist ihm ein Motor in allen Belangen, doch<br />

fehlt ihm ähnlich wie auch dem Ich-Erzähler <strong>im</strong> Rat Krespel die Reife<br />

des Alters. Die musikalische Komponente als erotisierendes Element<br />

prägt die Annäherung zwischen der jungen Baronin und dem Ich-<br />

Erzähler:<br />

Wohl merkt’ ich nehmlich, daß das Fräulein der Baronin bedeutende<br />

Blicke zuwarf, und daß diese sich mühte uns zu hören. Vorzüglich war<br />

dies der Fall, als ich, da das Gespräch sich auf Musik gewandt, mit voller<br />

Begeisterung von der herrlichen, heiligen Kunst sprach und zuletzt<br />

nicht verhehlte, daß ich, trockener, langweiliger Juristerei, der ich mich<br />

ergeben, unerachtet, den Flügel mit ziemlicher Fertigkeit spiele, singe<br />

und auch wohl schon manches Lied gesetzt habe.<br />

Die Parallele zu <strong>Hoffmann</strong> scheint an dieser Stelle offenbar.<br />

Ebenso erinnert die Spannung, die zwischen den beiden Charakteren<br />

entsteht, an <strong>Hoffmann</strong>s Schwäche für Julie Mark. Auch er hatte <strong>–</strong><br />

wie der junge Liebhaber <strong>im</strong> Buch <strong>–</strong> eine von Eifersucht geprägte<br />

Abneigung gegen den zukünftigen Gatten der Verehrten, den Hamburger<br />

Kaufmann Graepel, entwickelt. Jener musste dem von <strong>Hoffmann</strong><br />

als Raubein charakterisierten Majoratsherrn Roderich ähnlich<br />

gewesen sein. 56<br />

Das Jagderlebnis des jungen Juristen <strong>im</strong> Majorat, bei dem er nur<br />

knapp dem Angriff eines durch einen verfehlten Schuss in Rage<br />

geratenen Wolfes entgeht, gibt der Baronin Anlass, den Freund eindringlich<br />

vor den Gefahren des Waldes zu warnen. Im Lichte der<br />

Ereignisse <strong>Hoffmann</strong>s letzter Lebensjahre, als er den Instanzen,<br />

165


Ernst Theodor Amadeus <strong>Hoffmann</strong> (<strong>1776</strong> <strong>–</strong> <strong>1822</strong>)<br />

denen er ein Leben lang gedient hatte, in die Quere kam, ist ihr<br />

Ausspruch als allgemeine Gesellschafts- und Staatskritik, vielleicht<br />

sogar als Klage über einen in seiner Kunst verkannten Romantiker<br />

zu lesen: „Aber mein Gott, ist es denn Ihres Berufs, es mit Wölfen<br />

aufzunehmen? Wissen Sie denn nicht, daß Orpheus’, Amphions<br />

fabelhafte Zeit, längst vorüber ist, und daß die wilden Thiere<br />

allen Respect vor den vortrefflichsten Sängern ganz verloren<br />

haben?“ 57<br />

Werkverzeichnis (Auswahl)<br />

Literarische Werke<br />

Fantasiestücke in Callots Manier (1814)<br />

Die Elixiere des Teufels (1815)<br />

Nachtstücke (1817)<br />

Seltsame Leiden eines Theater-Direktors (1819)<br />

Klein Zaches, genannt Zinnober (1819)<br />

Spielerglück in Urania, Jahrbuch auf das Jahr 1820 (1820)<br />

Die Serapionsbrüder (1819)<br />

Lebensansichten des Katers Murr (1820 <strong>–</strong> <strong>1822</strong>)<br />

Meister Floh (<strong>1822</strong>)<br />

Musikalische Werke<br />

Vokalmusik<br />

Messa d-moll (1805)<br />

Trois Canzonettes à 2 et à 3 voix (1807)<br />

6 Canzoni per 4 voci a cappella (1808)<br />

Miserere b-moll (1809)<br />

In des Irtisch weiße Fluten (Kotzebue), Lied (1811)<br />

Tre Canzonette italiane (1812); 6 Duettini italiani (1812)<br />

Nachtgesang, Türkische Musik, Jägerlied, Katzburschenlied für<br />

Männerchor (1819 <strong>–</strong> 1821)<br />

Bühnenwerke<br />

Die Maske (Libretto: E. T. A. <strong>Hoffmann</strong>), Singspiel (1799)<br />

Die lustigen Musikanten (Libretto: Clemens Brentano), Singspiel<br />

(1804)<br />

Liebe und Eifersucht (Calderón/August Wilhelm Schlegel) (1807)<br />

Arlequin, Ballettmusik (1808)<br />

Saul, König von Israel (Libretto: Joseph von Seyfried), Melodram<br />

(1811)<br />

Aurora (Libretto: Franz von Holbein), heroische Oper (1812)<br />

Undine (Libretto: Friedrich de la Motte Fouqué), Zauberoper (1814)<br />

166


Instrumentalmusik<br />

Rondo für Klavier (1794/95)<br />

Ouvertura. Musica per la chiesa d-moll (1801)<br />

5 Klaviersonaten: A-Dur, f-moll, F-Dur, f-moll, cis-moll (1805 <strong>–</strong> 1808)<br />

Sinfonie Es-Dur (1806)<br />

Harfenquintett c-moll (1807)<br />

Grand Trio E-Dur (1809)<br />

Literatur<br />

<strong>Querdenker</strong> <strong>im</strong> <strong>Staatsdienst</strong><br />

Blomeyer, E.T.A. <strong>Hoffmann</strong> als Jurist. Eine Würdigung zu seinem 200. Geburtstag<br />

(1978) (Schriftenreihe der Juristischen Gesellschaft, Berlin; Nr. 55)<br />

Helmke, E. T. A. <strong>Hoffmann</strong>. Lebensbericht mit Bildern und Dokumenten<br />

(1975)<br />

Pleschinski, E. T. A. <strong>Hoffmann</strong>s Erzählungen (2000)<br />

Schnapp (Hrsg.), Juristische Arbeiten (1973)<br />

Schnapp (Hrsg.), E. T. A. <strong>Hoffmann</strong> in Aufzeichnungen seiner Freunde und<br />

Bekannten (1974)<br />

Schnapp (Hrsg.), E. T. A. <strong>Hoffmann</strong>s Briefwechsel III. Nachträgliches, Urkunden,<br />

Anzeigen, Offene Briefe, Amtliche Briefe, Die Affäre des „Meister<br />

Floh“ (1969)<br />

Segebrecht, Beamter, Künstler, Außenseiter <strong>–</strong> Analogien zwischen der juristischen<br />

und dichterischen Praxis E. T. A. <strong>Hoffmann</strong>s (1984)<br />

Segebrecht, E. T. A. <strong>Hoffmann</strong>s Auffassung vom Richteramt und vom Dichterberuf.<br />

Mit unbekannten Zeugnissen aus <strong>Hoffmann</strong>s juristischer Tätigkeit,<br />

in Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft XI (1967)<br />

Vitt-Maucher, E. T. A. <strong>Hoffmann</strong>s „Meister Floh“: Überwindung des Inhalts<br />

durch die Sprache, in Aurora. Jahrbuch der Eichendorff Gesellschaft<br />

XLII (1982)<br />

Weinholz, E. T. A. <strong>Hoffmann</strong>. Dichter <strong>–</strong> Psychologe <strong>–</strong> Jurist (1991)<br />

Wittkop-Ménardeau, E. T. A. <strong>Hoffmann</strong> in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten<br />

15 (1998)<br />

Wittkop-Ménardeau (Hrsg.), E. T. A. <strong>Hoffmann</strong>s Leben und Werk in Daten und<br />

Bildern. (1968)<br />

1 Schweizer (Hrsg.), <strong>Hoffmann</strong>s Werke II (1896) 361.<br />

2 Schnapp (Hrsg.), Juristische Arbeiten (1973) 7.<br />

3 Dieses Motiv birgt Anklänge an die ikarische Selbstüberschätzung, beschrieben in<br />

Ovids Metamorphosen (Dädalus und Ikarus).<br />

4 Pleschinski, E. T. A. <strong>Hoffmann</strong>s Erzählungen (2000) 60.<br />

5 Pleschinski, <strong>Hoffmann</strong>s Erzählungen 69.<br />

6 Pleschinski, <strong>Hoffmann</strong>s Erzählungen 74 f.<br />

7 Das dem Tode Anhe<strong>im</strong>fallen bei gleichzeitigem Erleben eines einzigartigen musikalischen<br />

Moments taucht in der Literatur vielerorts auf, etwa in Thomas Manns „Tristan“, wo die<br />

kränkliche Kaufmannsgattin Gabriele Klöterjahn <strong>im</strong> Sanatorium Einfried nach der Hingabe an<br />

Wagners „Tristan und Isolde“ ihre letzten Kräfte aushaucht.<br />

167


Ernst Theodor Amadeus <strong>Hoffmann</strong> (<strong>1776</strong> <strong>–</strong> <strong>1822</strong>)<br />

18 Pleschinski, <strong>Hoffmann</strong>s Erzählungen 78.<br />

19 <strong>Hoffmann</strong>, Werke II (Die Elixiere des Teufels, Klein Zaches) (1946) 366.<br />

10 Vgl. Wittkop-Ménardeau, E. T. A. <strong>Hoffmann</strong> in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten15<br />

(1998) 35 ff.<br />

11 Novalis, Das allgemeine Brouillon (Materialien zur Enzyklopädistik) (1789/99) in<br />

Mähl/Samuel (Hrsg.), Novalis Werke. Tagebücher und Briefe Friedrich von Hardenbergs II<br />

(1978) 692.<br />

12 <strong>Hoffmann</strong>, Meister Floh. Ein Märchen in sieben Abenteuern zweier Freunde (1970) 5.<br />

13 Schnapp (Hrsg.), E. T. A. <strong>Hoffmann</strong>s Briefwechsel III (1969) 258.<br />

14 Thomas Bernhard zeichnet <strong>im</strong> Untergeher (1983) ein dem romantischen Ideal entsprechendes<br />

Künstlerbild des Genies Glenn Gould, der sich vollauf der Interpretation der<br />

Goldberg-Variationen verschrieben hat, jedoch unweigerlich an der Unzulänglichkeit der irdischen<br />

Medien verzweifeln muss. Dieser Roman ist also als Fortsetzung einer Künstlerkrise,<br />

welche ihren Anfang mit literarischen Figuren wie Berglinger oder Kreisler genommen hatte,<br />

<strong>im</strong> 20. Jahrhundert zu sehen.<br />

15 Kritik an dessen Rationalismus übte <strong>Hoffmann</strong> wie bereits erwähnt in „Klein<br />

Zaches“.<br />

16 Vgl. Wittkop-Ménardeau, <strong>Hoffmann</strong> in Selbstzeugnissen 144f.<br />

17 Wolfgang Iser und Hans Robert Jauß waren Vorreiter in der literaturtheoretischen<br />

Erforschung des Leserkreises bzw. des Literaturrezipienten. Mit Studien über dessen Leseverhalten<br />

und Sinnkonstruktionsprinzipien gründeten sie die Schule, die als „Wirkungs-“<br />

bzw. „Rezeptionsästhetik“ in die Literaturwissenschaft einging.<br />

18 Vgl. Wittkop-Ménardeau, <strong>Hoffmann</strong> in Selbstzeugnissen 71.<br />

19 Siehe auch: Das Majorat, weiter unten.<br />

20 Insbesondere die Oper Undine (1813) spielte für die Entwicklung der Romantik in der<br />

Musik eine nicht zu vernachlässigende Rolle.<br />

21 Das Obergericht für die Kurmark hieß Kammergericht.<br />

22 Zunächst befanden sich die Akten der „Immediat-Commission“ <strong>im</strong> Gehe<strong>im</strong>en<br />

Preußischen Staatsarchiv in Berlin, jetzt sind sie <strong>im</strong> Deutschen Zentralarchiv in Merseburg in<br />

der Historischen Abteilung aufbewahrt.<br />

23 In Schnapp (Hrsg.), E. T. A. <strong>Hoffmann</strong> in Aufzeichnungen seiner Freunde und Bekannten<br />

(1974) 644, zit. in Weinholz, E. T. A. <strong>Hoffmann</strong>. Dichter <strong>–</strong> Psychologe <strong>–</strong> Jurist (1991) 122.<br />

24 Einen ähnlich gelagerten Fall präsentierte Martin Wehner, der 1821 wegen Totschlags<br />

angeklagt wurde.<br />

25 Dr. Marc war verwandt mit der erwähnten Julie Mark, die bei <strong>Hoffmann</strong> Gesangstunden<br />

nahm.<br />

26 Albert Friedrich Marcus setzte sich eingehend mit dem Mesmerismus auseinander.<br />

Jene vom deutschen Arzt Mesmer entwickelte Heilmethode basiert auf der Einwirkung<br />

magnetischer Felder auf den menschlichen Körper.<br />

27 Friedrich Speyer ging in die Elixiere des Teufels ein.<br />

28 Pleschinski, <strong>Hoffmann</strong>s Erzählungen 334.<br />

29 Schnapp (Hrsg.), Juristische Arbeiten 56 <strong>–</strong> 71.<br />

30 Ebd. 83.<br />

31 Ebd. 83 <strong>–</strong> 120.<br />

32 Ebd. 91 f.<br />

33 Ebd. 92.<br />

34 Pinel (Chefarzt der Salpêtrière, Paris), Traité sur l’aliénation mentale; Marcus/Reil,<br />

Über die Erkenntnis und Cur der Fieber und Rhapsodieen über die Anwendung der psychischen<br />

Curmethode auf Geisteszerrüttungen; Schubert, Ansichten von der Nachtseite der<br />

Naturwissenschaft.<br />

35 Die Ausdifferenzierung der Systeme um 1800 wird auch in Michel Foucaults<br />

Vorlesung L’ordre du discours (1974) thematisiert: Anthropologie und Psychologie begannen<br />

sich zu etablieren und arbeiteten an der Entdeckung des Menschen und der Vermessung<br />

eines bürgerlichen Subjekts, das zum neuen Maßstab der Gesellschaft geworden<br />

war.<br />

36 <strong>Hoffmann</strong> zit. in Zeitschrift für die Cr<strong>im</strong>inal-Rechts-Pflege I, Heft 2 (1825) 291.<br />

168


<strong>Querdenker</strong> <strong>im</strong> <strong>Staatsdienst</strong><br />

37 Segebrecht, E. T. A. <strong>Hoffmann</strong>s Auffassung vom Richteramt und vom Dichterberuf.<br />

Mit unbekannten Zeugnissen aus <strong>Hoffmann</strong>s juristischer Tätigkeit in Jahrbuch der deutschen<br />

Schillergesellschaft XI (1967) 62 <strong>–</strong> 138.<br />

38 Weinholz, E. T. A. <strong>Hoffmann</strong>. Dichter <strong>–</strong> Psychologe <strong>–</strong> Jurist (1991) 121.<br />

39 Schnapp (Hrsg.), Juristische Arbeiten 71 <strong>–</strong> 78.<br />

40 <strong>Hoffmann</strong>, Meister Floh 106.<br />

41 Schnapp (Hrsg.), Juristische Arbeiten 127, zit. in Segebrecht, Beamter, Künstler, Außenseiter<br />

<strong>–</strong> Analogien zwischen der juristischen und dichterischen Praxis E. T. A. <strong>Hoffmann</strong>s<br />

(1984) 298.<br />

42 Re<strong>im</strong>er hatte auch <strong>Hoffmann</strong>s Erzählsammlungen Nachtstücke und Die Serapions-<br />

Brüder verlegt.<br />

43 Schnapp (Hrsg.), Juristische Arbeiten 131, zit. in Segebrecht, Beamter, Künstler, Außenseiter<br />

298.<br />

44 <strong>Hoffmann</strong>, Meister Floh 79 f.<br />

45 <strong>Hoffmann</strong>, Meister Floh 82 f.<br />

46 <strong>Hoffmann</strong>, Meister Floh 105.<br />

47 Schnapp (Hrsg.), Juristische Arbeiten 518, zit. in Segebrecht, Beamter, Künstler, Außenseiter<br />

300 f.<br />

48 Kamptz fordert zur Anklage jener Anschuldigungen in einem Brief an Schuckmann<br />

(31. 1. <strong>1822</strong>) in Schnapp (Hrsg.), E. T. A. <strong>Hoffmann</strong>s Briefwechsel III (1969) 236.<br />

49 In Schnapp (Hrsg.), E. T. A. <strong>Hoffmann</strong>s Briefwechsel 257 <strong>–</strong> 263.<br />

50 Segebrecht, <strong>Hoffmann</strong>s Auffassung vom Richteramt 63.<br />

51 Der Geschichtsschreiber Diodor berichtet über den in der griechischen Mythologie<br />

als Riese überlieferten Procrustes, dass er Reisenden aufgelauert und ihnen ein Bett über<br />

Nacht angeboten hätte. War der Wanderer von großer Gestalt, hätte er absichtlich ein kleines<br />

Bett bereitgestellt und dem Reisenden die Gliedmaßen abgehackt, damit er in das Bett passe.<br />

Der Vergleich, den <strong>Hoffmann</strong> zwischen der Staatsgewalt und dem Wegelagerer Procrustes<br />

anstellt, drückt seinen Unwillen aus, sich in die von der Obrigkeit vorgeschriebene Bahnen<br />

zwängen zu lassen, würden diese seinen persönlichen Überzeugungen von Gerechtigkeit<br />

widersprechen.<br />

52 Schnapp (Hrsg.), <strong>Hoffmann</strong>s Briefwechsel 260.<br />

53 Berlin, 18. 10. 1828, in: Schnapp (Hrsg.), Juristische Arbeiten 40.<br />

54 Ebd.<br />

55 Zum Reichsfreiherrn vom und zum Stein (1757 <strong>–</strong> 1831) siehe: Stern, Stein, Heinrich<br />

Friedrich Karl Freiherr vom, in Allgemeine Deutsche Biographie (ADB) XXXV (1893) 614 <strong>–</strong> 641<br />

und Fuchs, Stein, Heinrich Friedrich Karl, in Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon<br />

(BBKL) X (1995) 1286 <strong>–</strong> 1288.<br />

56 Vgl. <strong>Hoffmann</strong>, Das Majorat. Eine Erzählung (o. J.) 25.<br />

57 <strong>Hoffmann</strong>, Das Majorat 35. Orpheus, Sohn der Muse Kalliope, galt als einer der betörendsten<br />

Sänger der griechischen Mythologie. Orpheus und Amphion sollen die Fähigkeit<br />

besessen haben, mit ihrem Gesang wilde Tiere zu zähmen. Letzterer gilt als Begründer einer<br />

der Dur verwandten Tonart, der „Lydius modus“.<br />

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