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BRENNPUNKT<br />
mich. Viele Jahre lang war ich dort Portier,<br />
da habe ich schon einiges erlebt!<br />
Natürlich tat es mir leid, dass ich meine<br />
Angehörigen in diesem Frühling nicht<br />
habe sehen können, aber das war halt so.<br />
Handy habe ich keines, ich wollte auch<br />
nie eines. Ich war aber doch auf dem Laufenden,<br />
denn meine Enkelin arbeitet hier.<br />
Ab und zu haben mir meine Angehörigen<br />
etwas vorbeigebracht, und später haben sie<br />
mich ja auch wieder besuchen können. Als<br />
die Türen wieder aufgingen, hat mich das<br />
schon gefreut. Ich kann gehen, wenn ich<br />
möchte, ich bin nicht eingesperrt – und<br />
dennoch: Besonders weit gehe ich nicht,<br />
dieses Bedürfnis habe ich nicht.<br />
Ich hatte nie Angst, mich anzustecken.<br />
Wenn ich es kriege, dann kriege ich es. Es<br />
wäre schlimmer, wenn man noch jung wäre<br />
(lacht). Ich bin kein ängstlicher Mensch,<br />
das war ich nie. Ich bin den Kontakt mit<br />
vielen Leuten seit jeher gewohnt. Im Krankenhaus<br />
habe ich eine Zeit lang in den<br />
Ambulatorien gearbeitet, ich habe dort<br />
die Leute gelotst und eingeteilt. Ich habe<br />
einmal ausgerechnet – das wird wohl einer<br />
der schlimmsten Tage gewesen sein – dass<br />
ich drei Leute pro Minute eingelassen habe,<br />
acht Stunden lang. Das waren über tausend!<br />
Sprengel gab es damals auch noch<br />
keine, also sind alle im Landeskrankenhaus<br />
zusammengelaufen. Ich verliere aber nicht<br />
die Ruhe.<br />
<strong>Die</strong> Stimmung hier im Heim war eigentlich<br />
gut, aber es sind nicht alle Heimbewohner<br />
gleich. Einigen hat es schon sehr<br />
weh getan, dass sie nicht raus durften und<br />
dass sie ihre Verwandten nicht sehen konnten.<br />
Eingesperrt sein, das ist schon schwer.<br />
Ich war hier drin aber immer unter Leuten,<br />
da hat mir nichts gefehlt. Unsere Kartenrunde<br />
ist eng zusammengewachsen, wir<br />
kommen gut aus.<br />
Ich habe in diesen Monaten auch angefangen,<br />
den Mitarbeiterinnen hier ein<br />
bisschen zu helfen, beim Austeilen vom<br />
Sonntagskaffee zum Beispiel, beim Rollstühle<br />
schieben oder wenn die Heimbewohner<br />
Hilfe brauchen – Kleinigkeiten<br />
halt, dazu bin ich gerne bereit, und ich<br />
habe jede Menge Zeit.<br />
MAN DARF SICH NICHT<br />
HINEINSTEIGERN,<br />
DANN HAT MAN ES NUR<br />
NOCH SCHWERER.<br />
Maria Florian Wwe. Gasser,<br />
73 Jahre, lebt in einer Wohnung<br />
in Kaltern<br />
Am Anfang dachte ich mir: „Was ist<br />
das jetzt für ein Theater?“, und dann sagte<br />
ich mir: „Das wird auch gehen. Wenn<br />
es so sein muss, und wenn es alle tun<br />
müssen, dann tut man‘s halt.“ Dann hieß<br />
es auch, das dauert nicht lange, 14 Tage<br />
oder so; dass das nicht mehr aufhört, hat<br />
ja damals keiner gemeint. Ich bin halt nur<br />
mehr einkaufen gegangen, wenn es sein<br />
musste, und das zur Mittagszeit, da sind<br />
am wenigsten Leute. Man war gewohnt,<br />
das Haus zu verlassen, wenn man etwas<br />
brauchte. In dieser Zeit dachte man dann<br />
immer: „Na, ich darf ja nicht!“ Ich hatte<br />
Quelle: Lisa Pfitscher<br />
immer ein komisches Gefühl, wenn ich<br />
die Treppe runtergegangen bin – als ob<br />
ich etwas Verbotenes täte. Man hat gehofft,<br />
niemandem zu begegnen, ansonsten hat<br />
man warten müssen, bis der eine hinunter<br />
oder hinauf ist. Als wären wir alle giftig.<br />
Man hat sich fast nicht mehr angesehen.<br />
Ich hatte nie eine Eigenerklärung bei<br />
mir, denn ich hatte niemanden, den ich<br />
bitten konnte, mir so was auszudrucken.<br />
Ich selbst habe keinen Computer. Meine<br />
Tochter wohnt in Udine, ich sehe sie auch<br />
sonst sehr wenig. Telefoniert haben wir<br />
aber schon viel. Geändert hat sich, dass ich<br />
nicht mehr auf den Friedhof gehen konnte.<br />
Das hat mir schon gefehlt. Seit fünf Jahren<br />
bin ich Witwe, in der ersten Zeit bin ich<br />
täglich zum Grab, danach zweimal in der<br />
Woche und natürlich sonntags nach der<br />
Hl. Messe. Aber in der Coronazeit war ja<br />
auch die Kirche geschlossen. Ich habe sie in<br />
dieser Zeit halt im Radio und im Fernsehen<br />
gefeiert. Soviel „Kirchen“ wie damals habe<br />
ich eh noch nie gehört.<br />
Am Anfang habe ich halt geputzt, wie<br />
die meisten anderen auch. <strong>Die</strong> Speis‘, das<br />
Bad, den Keller – all die Dinge, die man<br />
sonst einmal im Jahr tut. Irgendwann ist<br />
das aber auch fertig. Dass ich das Haus nicht<br />
verlassen durfte, war schon schade, ansonsten<br />
heißt es ja immer, man soll eine Runde<br />
20 // NOVEMBER <strong>2020</strong>