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Die Weinstraße - November 2020

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BRENNPUNKT<br />

mich. Viele Jahre lang war ich dort Portier,<br />

da habe ich schon einiges erlebt!<br />

Natürlich tat es mir leid, dass ich meine<br />

Angehörigen in diesem Frühling nicht<br />

habe sehen können, aber das war halt so.<br />

Handy habe ich keines, ich wollte auch<br />

nie eines. Ich war aber doch auf dem Laufenden,<br />

denn meine Enkelin arbeitet hier.<br />

Ab und zu haben mir meine Angehörigen<br />

etwas vorbeigebracht, und später haben sie<br />

mich ja auch wieder besuchen können. Als<br />

die Türen wieder aufgingen, hat mich das<br />

schon gefreut. Ich kann gehen, wenn ich<br />

möchte, ich bin nicht eingesperrt – und<br />

dennoch: Besonders weit gehe ich nicht,<br />

dieses Bedürfnis habe ich nicht.<br />

Ich hatte nie Angst, mich anzustecken.<br />

Wenn ich es kriege, dann kriege ich es. Es<br />

wäre schlimmer, wenn man noch jung wäre<br />

(lacht). Ich bin kein ängstlicher Mensch,<br />

das war ich nie. Ich bin den Kontakt mit<br />

vielen Leuten seit jeher gewohnt. Im Krankenhaus<br />

habe ich eine Zeit lang in den<br />

Ambulatorien gearbeitet, ich habe dort<br />

die Leute gelotst und eingeteilt. Ich habe<br />

einmal ausgerechnet – das wird wohl einer<br />

der schlimmsten Tage gewesen sein – dass<br />

ich drei Leute pro Minute eingelassen habe,<br />

acht Stunden lang. Das waren über tausend!<br />

Sprengel gab es damals auch noch<br />

keine, also sind alle im Landeskrankenhaus<br />

zusammengelaufen. Ich verliere aber nicht<br />

die Ruhe.<br />

<strong>Die</strong> Stimmung hier im Heim war eigentlich<br />

gut, aber es sind nicht alle Heimbewohner<br />

gleich. Einigen hat es schon sehr<br />

weh getan, dass sie nicht raus durften und<br />

dass sie ihre Verwandten nicht sehen konnten.<br />

Eingesperrt sein, das ist schon schwer.<br />

Ich war hier drin aber immer unter Leuten,<br />

da hat mir nichts gefehlt. Unsere Kartenrunde<br />

ist eng zusammengewachsen, wir<br />

kommen gut aus.<br />

Ich habe in diesen Monaten auch angefangen,<br />

den Mitarbeiterinnen hier ein<br />

bisschen zu helfen, beim Austeilen vom<br />

Sonntagskaffee zum Beispiel, beim Rollstühle<br />

schieben oder wenn die Heimbewohner<br />

Hilfe brauchen – Kleinigkeiten<br />

halt, dazu bin ich gerne bereit, und ich<br />

habe jede Menge Zeit.<br />

MAN DARF SICH NICHT<br />

HINEINSTEIGERN,<br />

DANN HAT MAN ES NUR<br />

NOCH SCHWERER.<br />

Maria Florian Wwe. Gasser,<br />

73 Jahre, lebt in einer Wohnung<br />

in Kaltern<br />

Am Anfang dachte ich mir: „Was ist<br />

das jetzt für ein Theater?“, und dann sagte<br />

ich mir: „Das wird auch gehen. Wenn<br />

es so sein muss, und wenn es alle tun<br />

müssen, dann tut man‘s halt.“ Dann hieß<br />

es auch, das dauert nicht lange, 14 Tage<br />

oder so; dass das nicht mehr aufhört, hat<br />

ja damals keiner gemeint. Ich bin halt nur<br />

mehr einkaufen gegangen, wenn es sein<br />

musste, und das zur Mittagszeit, da sind<br />

am wenigsten Leute. Man war gewohnt,<br />

das Haus zu verlassen, wenn man etwas<br />

brauchte. In dieser Zeit dachte man dann<br />

immer: „Na, ich darf ja nicht!“ Ich hatte<br />

Quelle: Lisa Pfitscher<br />

immer ein komisches Gefühl, wenn ich<br />

die Treppe runtergegangen bin – als ob<br />

ich etwas Verbotenes täte. Man hat gehofft,<br />

niemandem zu begegnen, ansonsten hat<br />

man warten müssen, bis der eine hinunter<br />

oder hinauf ist. Als wären wir alle giftig.<br />

Man hat sich fast nicht mehr angesehen.<br />

Ich hatte nie eine Eigenerklärung bei<br />

mir, denn ich hatte niemanden, den ich<br />

bitten konnte, mir so was auszudrucken.<br />

Ich selbst habe keinen Computer. Meine<br />

Tochter wohnt in Udine, ich sehe sie auch<br />

sonst sehr wenig. Telefoniert haben wir<br />

aber schon viel. Geändert hat sich, dass ich<br />

nicht mehr auf den Friedhof gehen konnte.<br />

Das hat mir schon gefehlt. Seit fünf Jahren<br />

bin ich Witwe, in der ersten Zeit bin ich<br />

täglich zum Grab, danach zweimal in der<br />

Woche und natürlich sonntags nach der<br />

Hl. Messe. Aber in der Coronazeit war ja<br />

auch die Kirche geschlossen. Ich habe sie in<br />

dieser Zeit halt im Radio und im Fernsehen<br />

gefeiert. Soviel „Kirchen“ wie damals habe<br />

ich eh noch nie gehört.<br />

Am Anfang habe ich halt geputzt, wie<br />

die meisten anderen auch. <strong>Die</strong> Speis‘, das<br />

Bad, den Keller – all die Dinge, die man<br />

sonst einmal im Jahr tut. Irgendwann ist<br />

das aber auch fertig. Dass ich das Haus nicht<br />

verlassen durfte, war schon schade, ansonsten<br />

heißt es ja immer, man soll eine Runde<br />

20 // NOVEMBER <strong>2020</strong>

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