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EINST AN DER WEINSTRASSE<br />
Ein¾ an der<br />
Wein¾raße<br />
Gotthard Andergassen<br />
ÜBER DEN BRENNER ABGESCHOBEN<br />
Leifers, 4. <strong>November</strong> 1920 - Gemeindesekretär Gruber,<br />
ein gebürtiger Aldeiner, also ein Südtiroler, wurde über<br />
Auftrag der Behörde seines Amtes enthoben und über<br />
den Brenner abgeschoben. Gruber, der erst heuer im<br />
Mai zum Gemeindesekretär gewählt worden war, war<br />
letztere Zeit in Innsbruck Gendarmerie-Revierinspektor.<br />
Südtiroler Landeszeitung vom 04.11.1920<br />
SIE WEINTEN UM IHRE ANGEHÖRIGEN<br />
Tramin, 4. <strong>November</strong> 1920 - Heute hatten wir wieder<br />
einmal einen Gottesdienst für unsere gefallenen Krieger.<br />
Viele Menschen hatten sich beim Gottesdienst eingefunden.<br />
Recht rührend war es, als die Sänger auf dem<br />
Chor ihre Stimme hören ließen und gleich darauf die<br />
Musik in der Kirche den Trauermarsch spielte. Da konnte<br />
man sehen, wie viele arme Eltern, Witwen, Geschwister<br />
usw. um ihre Angehörigen weinten. Es war wirklich ein<br />
Trauergottesdienst.<br />
Volksbote vom 11.11.1920<br />
ˆ<br />
- Ich mag den Baron nicht, er hat mich beleidigt.<br />
- Nun, Sie könnten ihn ja zu einer hohen Geldstrafe verurteilen.<br />
Wochenschrift „<strong>Die</strong> Bombe“ vom 01.11.1920<br />
HÜHNERDARM ALS NAHRUNG<br />
Kaltern, 26. <strong>November</strong> 1920 - <strong>Die</strong> Lebensmittelknappheit<br />
macht sich jetzt wieder, wie bereits in der Kriegszeit,<br />
bemerkbar. Wie es damals bei uns bestellt war, mag<br />
daraus hervorgehen, dass unser verflossenes Gemeindeoberhaupt<br />
den Nicht-Selbstversorgern in christlicher<br />
Nächstenliebe Brennnesseln, Hühnerdarm und Maikäfer<br />
als Nahrung empfohlen hat, obwohl er mit den Seinigen<br />
von diesem Rezept natürlich keinen Gebrauch<br />
machte. Von jener schweren Zeit könnte manche Frau<br />
ein Liedchen singen, das heute gewissen Leuten recht<br />
unangenehm klingen würde.<br />
Volkrecht vom 26.11.1920<br />
FÜR TOT GEGLAUBTER HEIMKEHRER<br />
Neumarkt, 2. Oktober 1920 - Josef Mutschlechner<br />
aus Neumarkt geriet Ende 1914 in russische Kriegsgefangenschaft.<br />
Von ihm gab es seit drei Jahren kein<br />
Lebenszeichen mehr. Man war daher der Meinung, dass<br />
Mutschlechner nicht mehr am Leben sei. Vor einer Woche<br />
erschien der Genannte plötzlich im Haus seiner Eltern,<br />
ohne dass diese die geringste Ahnung von seiner Rückkehr<br />
hatten. Selbstverständlich herrschte bei dieser ganz<br />
unerwarteten Heimkehr bei den Familienangehörigen<br />
freudige Aufregung.<br />
Südtiroler Landeszeitung vom 02.10.1920<br />
DIE BROTKARTE ABGENOMMEN<br />
Tramin, 6. <strong>November</strong> 1920 - Im Laufe dieser Woche<br />
wurde den Selbstversorgern in Tramin, also den Bauern,<br />
die Brotkarte abgenommen. In Tramin kommt Getreideanbau<br />
nicht in Betracht. Auf den Hügeln wächst Wein<br />
und in der Ebene gibt es Tirgg- oder Kartoffelfelder. Mit<br />
der Abverlangung der Brotkarte ist deshalb den Traminer<br />
Bauern und ihren Kindern das Brot für das ganze Jahr<br />
entzogen worden. Viele haben keine alten Tirggvorräte<br />
mehr. <strong>Die</strong> Nachbargemeinden sollen anscheinend viel<br />
besser behandelt werden. Eine starke Abordnung Traminer<br />
will gemeinsam in dieser Sache nach Bozen gehen,<br />
um Milderungen zu erreichen.<br />
Der Tiroler vom 10.11.1920<br />
54 // NOVEMBER <strong>2020</strong>