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Buch VIII - Galerie Brunnhofer<br />

<strong>ST</strong>/A/R<br />

Christoph Schirmer<br />

„Distorted Heroes“ - 2006<br />

Bildbearbeitungsprogrammen erstellt, sondern vom Künstler während des<br />

Arbeitsprozesses kognitiv übersetzt.<br />

Klassische malerische Lösungen per se werden so um computergenerierte<br />

Darstellungsweisen ergänzt und um virtuelle Wahrnehmungsformen<br />

erweitert.<br />

Über die Arbeiten<br />

Florian Steininger, Kurator BA-CA Kunstforum - 2005<br />

Christoph Schirmers Malereibegriff fügt sich in jene optische Matrix ein, die<br />

jenseits des guten alten Guckkastenprinzips zu finden ist. Die Farbmaterie<br />

befindet sich oft reliefhaft auf der Oberfläche, verstärkt durch eine grelle,<br />

ins psychedelische kippende Farbpalette, die das aggressive Pulsieren<br />

des Bildes intensiviert. Anstelle des beschaulichen Blickes in die Bildtiefe<br />

wird die Netzhaut des Betrachters aggressiv attackiert, ähnlich den optisch<br />

flimmernden Effekten von Timessquare-Reklameschildern oder leuchtend<br />

flirrenden Flipper- und Spielautomaten in Las Vegas oder in Bowlinghallen.<br />

“Meersau”, Acryl auf Leinwand, 180 x 150 cm, 2006<br />

CHRI<strong>ST</strong>OPH SCHIRMER<br />

Christoph Schirmer entnimmt die einzelnen (Anti-<br />

) Heldendarstellungen seiner Bildkompositionen<br />

von virtuellen Medien, wie etwa DVDs oder Computeranimationen.<br />

Diese werden einerseits durch den Vorgang<br />

der Malerei an sich entfremdet und andererseits durch die<br />

Entfernung aus der ihnen zugedachten und üblicherweise<br />

bekannten Umgebung in einen neuen Kontext gestellt.<br />

Zusätzlich kommt es auf dem Bildträger zu einem<br />

Zusammentreffen von Charakteren, Objekten und<br />

Elementen, das der „virtuellen Realität“ nicht entspricht,<br />

sondern der persönlichen Imagination Schirmers<br />

entspringt.<br />

In den malerischen Flächenlösungen ist eine<br />

gewisse „digitalisierte Visualisierung“ spürbar.<br />

Diese werden jedoch nicht mit Hilfe von digitalen<br />

1979 geboren in Vorau / Steiermark<br />

1998 Aufnahme an der Akademie der bildenden Künste,<br />

Wien<br />

1998–03 Studium Institut für Wissenschaften und<br />

Technologien in der Kunst, Wien<br />

Institut für Geographie und<br />

Regionalforschung, Wien<br />

1999–04 Studium Malerei und Grafik, Akademie der<br />

bildenden Künste Wien<br />

Lebt und arbeitet in Wien<br />

Schon in den späten 1990er Jahren spielt die Farbe als Materie eine<br />

übergeordnete Rolle. Schirmer „deponiert“ Acrylfarbe in schlierenartigen<br />

Konstellationen auf den Bildträger, die sich zu Netzen und Farbknäueln<br />

verdichten. Er übersteigert damit Jackson Pollocks Drip-Painting-Verfahren,<br />

indem der Blick in die Tiefe durch die Materialschlacht an Farbe verdeckt<br />

wird. Auch Pollock hat sich mittels der geklecksten, teils materiell<br />

sedimentierten Farbe auf der Leinwand von der sensiblen malerischen<br />

Qualität entzogen, an jenen Stellen, wo aber die dünnflüssige Farbe von dem<br />

Textil der Leinwand aufgesogen wurde, sind höchst sensible malerische<br />

Zonen entstanden.<br />

In den aktuellen Arbeiten reduziert Schirmer diesen radikalen materiellen Farbauftrag. Wenn<br />

auch manchmal die Acryl- und Lackschicht erhabene Stellen aufweist, tendiert der Maler reine<br />

Farbzonen malerisch zu verarbeiten. Vibrierende farblich fein nuancierte Bildzonen entstehen, die<br />

dem Werk eine neue räumliche Spannung verleihen. Dieser malerischen Räumlichkeit wirken die<br />

emblematischen Figuren und Motive entgegen, sowohl in ihrer zweidimensionalen Wirkung als<br />

auch in der inhaltlichen Aussage. Dennoch intendiert Schirmer eine abstrakte Komposition, in der<br />

Figuration und rein malerische Bereiche selbstverständlich ineinander übergehen können oder im<br />

Dialog zu einander stehen.<br />

Der Künstler zählt zu jener Generation, die selbstverständlich diametrale Modi miteinander<br />

vereinbaren kann. Die akademisch anmutende Trennung von Figur und Abstraktion gehört<br />

der Geschichte der Moderne an, in der ja Narration und das Thema der menschlichen Figur<br />

anachronistische Inhalte waren. Neo Rauch, Daniel Richter oder Franz Ackermann sind jene<br />

internationalen Beispiele, bei denen dieser freie Umgang in der Malerei manifestiert wird. Wie<br />

auch sie referiert Schirmer in einer komplex verschlüsselten Bildsprache über den Alltag, die<br />

Jugendkultur, den sozialen Zwang, den Industrie und Werbung der Gesellschaft aufoktruieren.<br />

In seinen Arbeiten um 2002/03 übt Schirmer mit seiner Malerei noch ironische Kritik an den<br />

gesellschaftlichen Umständen der westlichen Zivilisation, wie etwa in dem Werkblock: Beautiful<br />

People – The Have Nots. Gezeigt werden Symbole der kapitalistischen und ästhetischen Macht:<br />

Kleidung, Autos, Designer-HIFI-Geräte, schicke Bars und Gucci-Girls versus der Tristesse der No-<br />

Future-Generation am Rande der Verarmung, Kriminalität und der Selbstaufgabe.<br />

In den neuesten Werken möchte sich der Künstler mehr auf die strukturell-kompositorischen<br />

Herausforderungen des Tafelbildes an sich konzentrieren und die gegenständlichen Motive noch<br />

deutlicher als malerische Chiffren gemeinsam mit den abstrakten Zonen verweben.<br />

Christoph Schirmers künstlerische Position vereint in direkter sowie sensitiver Weise die<br />

Ikonografie der Jugendkultur und des Alltags mit komplexen Herausforderungen an das Medium<br />

Malerei per se.

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