ST_A_R_19
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WWW.TOL<strong>ST</strong>OI.RU<br />
Nr. <strong>19</strong>/2008 Buch VII - LITERATUR<br />
<strong>ST</strong>/A/R 43<br />
ELISABETH VON SAMSONOW (WIEN)<br />
ALOIS DEMPF – FOUCAULT AUF BAYERISCH<br />
MEINEM LEHRER <strong>ST</strong>EPHAN OTTO GEWIDMET<br />
A Zur Person<br />
B Dempfs Konzept der „langen Geschichte“ und der<br />
„historischen Vernunft“<br />
C Dempfs Entwurf der Theoretischen Anthropologie<br />
A Zur Person<br />
Nach Ernesto Grassi trat Stephan Otto als Institutsvorstand<br />
die Leitung des Instituts für Philosophie und<br />
Geistesgeschichte der Renaissance an der Universität<br />
München an. Ich habe von <strong>19</strong>77 bis <strong>19</strong>86, nach zwei<br />
Orientierungsjahren an der Philosophischen Fakultät<br />
(während derer ich Spaemann, Krings, Kuhn, Annemarie<br />
Pieper und Höffe gehört hatte) an diesem Institut studiert,<br />
zunächst bei Eckhart Kessler, dann bei Stephan Otto selbst,<br />
der mich dann auch mit einer Arbeit über Johannes Kepler<br />
promovierte. In Anschluß an die Promotion war ich mit<br />
Lehraufträgen zu den artes mechanicae und zum Verhältnis<br />
zwischen Astronomie und Philosophie in der Renaissance<br />
betraut, war also auch noch einige Zeit über den Abschluß<br />
meines Doktorats hinaus mit diesem Institut verbunden.<br />
Ich habe Stephan Otto in dieser Zeit mehrmals bewundernd<br />
über seinen Lehrer Alois Dempf sprechen hören. Was mir<br />
als Studentin nicht bewusst gewesen war, war der Umstand,<br />
dass Dempf zur Zeit meines Studiums in unmittelbarer<br />
Nähe zum Haus meiner Tante in Eggstätt seinen<br />
Lebensabend verbrachte und sich in so guter Verfassung<br />
befand, dass er in der Lage war, <strong>19</strong>81 „hochaufgerichtet“ zu<br />
seinem 90.Geburtstag die Glückwünsche der Kollegen und<br />
einer großen Öffentlichkeit entgegen zu nehmen, dabei<br />
überaus kräftig die Hände der Gratulierenden drückend 1 .<br />
Ich muß nachträglich sagen, dass ich ihm gerne persönlich<br />
begegnet wäre, zumal ihm eine Fama vorauslief, die ihn<br />
mir als nahen Verwandten erscheinen ließ, insofern er<br />
nämlich durch eine Verbindung zwischen Philosophie<br />
als Passion und seiner bäuerlicher Herkunft, wie man<br />
berichtet, charakterisiert ist. Wenn ich jetzt in Wien,<br />
nach vielen Umwegen, auf eine hellsichtige Einladung<br />
des hochgeschätzten Michael Benedikt hin, der in mir<br />
so etwas wie eine „geistige Enkelin“ Dempfs erblickte,<br />
mich mit den Schriften Dempfs beschäftige, kommt es<br />
mir vor, als würde der Geist meines Studiums, der Geist<br />
der Münchner Zeit lebendig. Ich fange an zu verstehen,<br />
in welch grundsätzlicher Weise mein eigener Lehrer<br />
wiederum von seinem Lehrer geprägt war, was dann auch<br />
ein Licht auf meine eigene intellektuelle Herkunft wirft,<br />
das mir so vorher noch nicht aufgegangen war. Es ist<br />
natürlich merkwürdig, wenn man als feministische Autorin<br />
plötzlich eine Eloge oder kritische Würdigung der eigenen<br />
Abstammungslinie von sehr patriarchalischen Philosophen<br />
verfasst, in der frau, wie sie endlich zugibt, steht oder<br />
gestanden hat. Ich will diese Gedächtnisarbeit aber auch<br />
in dem Sinne verstehen und vollenden, dass ein Teil der<br />
Befreiung von DenkerInnen meiner Generation hinsichtlich<br />
institutioneller und struktureller Diktate darin besteht, die<br />
Position der Lehrer zu erkennen und zu durchdringen, um<br />
sie dann in positiver Hinsicht, gewissermaßen durch- und<br />
abgearbeitet, anzuerkennen und schließlich zu lassen.<br />
Es ist mir schließlich nicht bewusst gewesen, dass ich als<br />
Kunstanthropologin an der Wiener Akademie der bildenden<br />
Künste in die Nähe eines theoretischen Programms geraten<br />
war, das von Dempf in mehrfachen Anläufen skizziert<br />
und entworfen worden war, nämlich in die Sphäre einer<br />
sich über sich selbst aufklärenden Philosophie, die die<br />
Trauer über die Unmöglichkeit ihrer eigenen Positivität<br />
durch die Konjunktion mit Disziplinen zu heilen versucht,<br />
welche über die Spezifikation „des Menschen“ verstreute<br />
Antworten zu bieten haben.<br />
Daß es ausgerechnet der berühmte Pater Wilhelm Schmidt,<br />
neben Wilhelm Koppers, gewesen sein sollte, der Dempf zu<br />
einem Ruf als Ordinarius für Philosophie an die Universität<br />
Wien verhalf, ist, scheint mir, aus heutiger Sicht eine<br />
folgerichtige und sprechende Tatsache. Schmidt hat sich<br />
als Ethnologe um den Beweis bemüht, dass die „Wilden“<br />
allzumal fromm seien und an einen Himmelvater glaubten.<br />
Auch wenn seine einseitige Lektüre der ethnographischen<br />
Aufzeichnungen heute als radikal überholt gilt, so findet<br />
man doch in den umfangreichen Schriften interessante<br />
Quellen. Seine Deutungsabsichten wirken auf uns heute<br />
naiv und es fällt nicht leicht, sie in ihrem, wenn auch<br />
begrenzten Wert, für die damalige Perspektive auf das<br />
Fremde zu würdigen. Jedenfalls war Schmidt betört vom<br />
1 Vincent Berning und Hans Maier (Hg.): Alois Dempf. Philosoph, Kulturtheoretiker,<br />
Prophet gegen den Nationalsozialismus, Weissenhorn <strong>19</strong>92, S.5<br />
(Vorwort der Herausgeber)<br />
Elisabeth von Samsonow in Jerusalem<br />
Studium des Fremden und damit in gewisser Hinsicht<br />
wahrer Kollege Dempfs, dessen anthropologische<br />
Skizzen immer auf die Vereinigung der bruchstückhaften<br />
Kenntnisse menschlicher Selbst - und Fremdbeschreibung 2<br />
ausgehen. Die Erträge, die die Ethnologie den<br />
substanziellen historischen Kenntnissen Dempfs zur<br />
Seite zu stellen hätte können, sind von ihm bestimmt in<br />
ihrem Wert erkannt worden. Schmidt war es auch, der<br />
sich bemüht hatte, „dank seiner vielen internationalen<br />
Beziehungen(,) verschiedene Rufe ins Ausland (zu)<br />
vermitteln, auch mit dem Angebot der amerikanischen<br />
Staaatsbürgerschaft“ 3 .<br />
Daß Dempf die Mehrheit der Stimmen der<br />
Fakultätsmitglieder für seine Berufung nach Wien erhielt,<br />
hängt kurioserweise auch damit zusammen, dass etwa der<br />
Historiker Heinrich von Srbik aus Unkenntnis des Textes<br />
das Hauptwerk des Kandidaten („Sacrum Imperium“) für<br />
eine „großdeutsche“ Schrift hielt. Dempf selber gab an,<br />
nach dem biographischen Zeugnis seiner Tochter , von<br />
dem „philofaschistischen“ Klima im Kulturleben Wiens<br />
überrascht gewesen zu sein. Für sein Zwangspensionierung<br />
im März <strong>19</strong>38 war wohl Dempfs Mitarbeit bei der<br />
faschismuskritischen Untersuchung „Studien zum Mythos“<br />
Rosenbergs verantwortlich, die dann von einem Gestapo-<br />
Agent eben nicht missverstanden worden war. Nach<br />
Kriegsende wird Dempf wieder nach Wien geholt, liest dort<br />
bis zu seinem Umzug nach München bis <strong>19</strong>50. Ab <strong>19</strong>49<br />
ist er Ordinarius an der Ludwig-Maximilians-Universität;<br />
er beginnt, regen Austausch mit Kollegen und Forschern<br />
zu pflegen, darunter die „Junge(n) Freunde(n), die seine<br />
Forschungsarbeit fortsetzten“ 4 , namentlich Stephan Otto - ,<br />
mein späterer Lehrer - , Rainer Specht, Hermann Krings.<br />
2 s. Alois Dempf: Theoretische Anthropologie, Bern <strong>19</strong>50, S. <strong>19</strong>2-201 (Kap.V<br />
Fremderkenntnislehre und Charakterologie)<br />
3 Felicitas Hagen-Dempf: Alois Dempf – ein Lebensbild, in: Vincent Berning<br />
und Hans Maier (Hg.): Alois Dempf, a.a.O., S.17<br />
4 Alois Dempf: Theoretische Anthropologie, a.a.O., S.20<br />
B die lange Geschichte<br />
Der Schlüssel zu Dempfs Philosophie ist sein Konzept der<br />
Geschichte. Seine Idee einer „langen Geschichte“, über<br />
welche er sich profunde Kenntnis anzueignen trachtete,<br />
rückt auch seinen Katholizismus in einem neuen Licht.<br />
„Goethe verlangte, dass man sich von 3000 Jahren<br />
Geschichte müsse Rechenschaft geben können, jetzt sind<br />
es 5000 Jahre!“ 5 Selbst in einem seiner späteren Beiträge,<br />
nämlich zu einer Festgabe für Eric Vögelin zu dessen<br />
60.Geburtstag, fordert er in einem gerade dreieinhalb<br />
Seiten langen Beitrag, dass man endlich die Frage zu<br />
beantworten habe, „was für Stämme in den ersten Staaten<br />
zusammengefasst werden sollten und wer dies konnte.“ 6<br />
Diese Frage “wer dies konnte“ spiegelt das Motiv von<br />
Dempfs Hauptinteresse an der Geschichte wider. Als<br />
Gegenbewegung zu einer Dialektik der Geschichte oder<br />
zu Modellen evolutionärer Geschichtslogik setzt er die<br />
„universale Personalität“, das sich mit der Welt verbindende<br />
Selbstbewusstsein in der Vielzahl seiner Schichtungen,<br />
welche sich am Leitfaden der Selbsterkenntnis und der<br />
anwachsenden Fülle der Aspekte und Potenzen derselben<br />
selbstbestimmt als Geschichte hat 7 . Diese universale<br />
Personalität ist wohl auch in einer Auseinandersetzung<br />
der Geistes begriffen, deshalb auch reagierend und<br />
eben in systembildenden Prozessen auf dem Wege<br />
zu seiner Entfaltung, aber doch immer vollständig<br />
selbstverantwortlich und frei. Dempf antwortet mit seinen<br />
Entwürfen auf die, wie er selbst schreibt, 150 Jahre des<br />
heroischen Versuchs, eine kritische Geschichtsphilosophie<br />
5 Alois Dempf: Die unsichtbare Bilderwelt. Eine Geistesgeschichte der Kunst,<br />
Einsiedeln-Zürich-Köln <strong>19</strong>60, S.7<br />
6 Alois Dempf: Probleme der Genesis der Hochkulturen, in: Politische Ordnung<br />
und menschliche Existenz. Festgabe für Eric Vögelin zum 60.Geburtstag,,<br />
hg. von Alois Dempf, Hannah Arendt und Friedrich Engel-Janosi,, München<br />
<strong>19</strong>62, S.144<br />
7 „Der Mensch ist das höchstorganisierte, selbstbewusste Wesen, das sich<br />
charakteristisch entfaltet, also frei gesellschaftlich und geschichtlich lebt“ Alois<br />
Dempf: Theoretische Anthropologie, a.a.O., S.10<br />
S.46 >