ST_A_R_19
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
50 <strong>ST</strong>/A/R Buch VIII - AUTO<strong>ST</strong>AR Nr. <strong>19</strong>/2008<br />
Nr. <strong>19</strong>/2008 Buch VIII - AUTO<strong>ST</strong>AR<br />
<strong>ST</strong>/A/R 51<br />
Mit der Corvette bis ans Ende der Alten Welt<br />
GO WE<strong>ST</strong> ...<br />
ABER SETZ DIR WAS AUF!<br />
Wir richteten die Motorhaube der gelben Corvette Z06<br />
exakt nach Westen aus und ließen uns dreitausend<br />
Kilometer lang nicht davon abbringen. Dort, wo es nicht<br />
mehr weiterging, warfen wir neun Rosen in den Atlantik.<br />
Gruß nach Detroit!<br />
TEXT UND FOTOS: DAVID <strong>ST</strong>ARETZ<br />
Cabo da Roca, das ist die Nasenspitze der iberischen<br />
Halbinsel, also der utmost western point of Europe,<br />
der Amerika nächstliegende Punkt des Alten<br />
Kontinents – der etwa so weit entfernt ist, wie wir dort<br />
hin angereist sind: 3300 Kilometer.<br />
Wir fuhren eine Nacht, einen Tag, eine Nacht und noch<br />
einen halben Tag – mit Schlafpausen in den Sitzen, mit<br />
Kaffee zu Merinque-Pudeln aus einer Konditorei in Monte<br />
Carlo, mit (xy) Tankstopps, Kurzpausen und ein wenig<br />
Sightseeing am Rande der Route. Einmal ins salzige<br />
Meer gehüpft, klebrig empfunden. Dann drehten wir das<br />
Auto um und fuhren alles wieder zurück. Einen halben<br />
Tag und eine (unfreiwillige) Nacht verbrachten wir in Lissabon.<br />
Wir benötigten yx Liter Benzin, zahlten dafür yx Euro,<br />
und für sämtliche Mautgebühren von Wien über Udine,<br />
Mailand, Genua, Monte Carlo, Toulouse, Saragoza, Madrid<br />
und Lissabon bis Cabo de Roca und wieder zurück<br />
löhnten wir yx Euro. Nur das Parkhaus in Monte Carlo<br />
war generöserweise umsonst.<br />
Das Auto.<br />
Die Corvette Z06, General Motors schnellstes Serienmodell<br />
aller Zeiten, gilt als ziviler Ableger der Rennversion<br />
C6.R. Der Wagen ist verhältnismäßig leicht (dank Abräumen<br />
von 40 kg gegenüber der Normalversion mittels<br />
Einsatz von Aluminium und Carbon, sowie durch Verzicht<br />
auf elektrische Beifahrer-Sitzverstellung und massives<br />
Dichtmaterial), wiegt demnach 1420 kg, was ihm<br />
dank der 512 PS aus dem Siebenliter-V8 “Small Block”<br />
zu einem Leistungsgewicht von 2,77 kg pro PS verhilft,<br />
was zu einer möglichen Beschleunigung von unter vier<br />
Sekunden auf Tempo 100 und einer Höchstgeschwindigkeit<br />
jenseits der 300-km/h-Marke verhilft.<br />
Wir verachteten jegliche Verzärtelung durch E-Automatik<br />
und bestanden auf handfester Sechsgang-Schaltung.<br />
(Um dabei aufrichtig zu bleiben: Man kann erstaunlich<br />
lange schaltfaul im sechsten Gang fahren).<br />
Dem Verzicht auf mollige Schalldämmung kann man<br />
auch Positives abgewinnen, wie wir der Pressemappe entnehmen:<br />
“Das Schalldämmpaket wurde zur Gewichtsreduzierung<br />
überarbeitet und ermöglicht nun eine bessere<br />
Überwachung der Antriebsstranggeräusche”.<br />
Der Wagen besaß außer der speziellen, rennnahen Antriebskonfiguration,<br />
der hinten verbreiterten Karosserie<br />
mit Heckspoiler, den Luftauslässen plus markanter Lufthutze<br />
im Bug, noch die aufwendig hochglanzpolierten<br />
2.000-Euro-Zehn-Speichen-Felgen (vorne 18, hinten <strong>19</strong><br />
Zoll). Ideale Geschmeide, um die Goodyear Extended<br />
Mobility Runflat Reifen der Dimensionen 275/35ZR18<br />
bzw. 325/30ZR<strong>19</strong> aufzuziehen. Dazu gleich eine Kritik<br />
von unterwegs: Regenreifen sind dies gewiss nicht.<br />
Für die lange Fahrt gönnten wir uns noch das unverzichtbare<br />
Navigationssystem, dem wir die gute Note 2<br />
verleihen würden, sowie komplette Lederausstattung,<br />
samt Kopfstützen (bestickt mit gekreuzten Konföderierten-Flaggen,<br />
verzichtbar), sowie der eleganten Konsolenverkleidung<br />
um 3.890 Euro. Was sein muss, muss sein.<br />
Gesamtpreis demnach: 96.430 Euro.<br />
Die Beifahrerin.<br />
Eine heikle Wahl. Es sollte jemand sein, die keine zickigen<br />
Ansprüche stellt, wenn es darum geht, vierzig oder<br />
mehr Stunden im Auto zu verbringen, auch wenn sie ihre<br />
erstaunlichen Beine nie ganz ausstrecken würde können.<br />
Sie sollte immer gut gelaunt sein, sich dann und wann an<br />
den Fahrer schmiegen, so es Verkehrssituation und Mittelkonsole<br />
erlauben, sie sollte mit aktuellem Klatsch und<br />
ähnlich leichter Plauderei aufwarten können, von mir aus<br />
auch das Libretto von Boris Godunov oder Eugen Onegin<br />
nacherzählen, aber sie sollte keinesfalls in gefährliche<br />
Beziehungskillerphrasen wie “Sind wir bald da?” und<br />
“Es zieht, da kriege ich mein Kopfweh” oder “Fahr nicht<br />
immer so schnell” verfallen. Sie sollte schminkfest bis<br />
Tempo 180 sein. Erst da zeigt sich die wahre Kunst des<br />
Nagellackauftragens.<br />
Da blieb mir nur eine Wahl: Viktoriya, gebürtig aus Sibirien,<br />
ein Kind der Kälte, das die behaglich raunende Wärme<br />
der russischen Seele in sich birgt und doch deutlich<br />
mehr vorzuweisen hat als die Vorzüge innerer Schönheit.<br />
Stellen Sie sich vor: Eine junge Frau, die immer gut gelaunt<br />
ist und immer gut aussieht. Darunter sollte man es<br />
nicht geben. (Ihre einzige Extravaganz: Meringue-Pudel<br />
aus ihrer Lieblings-Confiserie in Monte Carlo.)<br />
Die Nacht.<br />
Fahren bei Nacht, weite Entfernungen im Lichtkegel zu<br />
schnüren, während die Kanzel von diesen grüngedimmten<br />
Instrumenten erwärmt ist, und ein kleiner Radiosender<br />
spielt eigenartige Orgelmusik oder jemand liest<br />
katalanische Gedichte oder es rauscht einfach nur dieses<br />
Grundklangmuster aus Fahrtwind, Reifenrollen, Motorklang<br />
und zu überwachenden Antriebsstranggeräuschen<br />
– in dieser Stimmung fühlt man sich im Reisen aufgehoben<br />
wie in einem gesicherten Aggregatszustand des<br />
Unterwegsseins als harmonisches Maß für Zwei. Wie<br />
bestätigende Werte schlagen die Querfugen durch, ruhig<br />
stehen die Instrumentennadeln, und die roten Lampen<br />
anderer Nachtpiloten wirken wie verlässliche Positionslichter<br />
auf der Ostfahrt, bis vor uns der Morgen dämmert<br />
in ungewissem Licht, fahle Sterne und ein lichter Mond<br />
versinken hinter scharfgeschnittenen Wolkenkanten,<br />
den verheißungsvollen Kartografien unbekannter Kontinente.<br />
Manchmal birgt die Nacht auch Schrecknisse von alptraumhafter<br />
Qualität: Zwischen Saragoza und Madrid<br />
führt die Strecke so lange so brutal und kurvenreich bergab,<br />
dass man meint, man müsse einen Kraterschlund<br />
unter Meeresspiegel ansteuern. Und alles, was Räder<br />
hatte, schien polternd in einen Malstrom zu Tale zu stürzen:<br />
Lastwägen, Lieferwägen, wildes Geschepper und<br />
Luftdruckgepfeife, unterfangen vom hohlen Dröhnen<br />
scheinbar entlaufener Tankwägen. Ich war so müde, so<br />
gelähmt, dass ich es etliche Kilometer lang nicht schaffte,<br />
an einem apokalyptischen Betonmischer vorbeizukommen,<br />
der unaufhaltsam mahlend zu Tal dröhnte mit<br />
gefährlich schwankendem Aufbau. Ich war so gebannt,<br />
konnte einfach nicht überholen, es war mir körperlich<br />
unmöglich. Es war auch undenkbar, dieses einsaugende<br />
Gefälle zu verlassen – wie gesagt, diese Etappe hatte alle<br />
wesentlichen Zutaten eines Alptraumes.<br />
Raststätten.<br />
Je weiter man nach Oste<br />
kommt, Italien, Frankreich,<br />
Spanien, Portugal, desto<br />
armseliger, desto einladender<br />
werden die<br />
Raststätten. Es geht<br />
nicht mehr um<br />
die organisierte<br />
Abzocke angeschwemmten<br />
Autofahrermülls,<br />
sondern<br />
um Labung, Trost<br />
und Ruhe für die<br />
weither gekommenen,<br />
auch wenn<br />
sie nur im nächsten<br />
Dorf beheimatet sind –<br />
von ungewisser Herkunft<br />
stammen wir alle, und einen<br />
starken Kaffee, ein kräftig<br />
befülltes Weißbrot benötigen wir.<br />
Manche Raststätten sind so liebevoll<br />
eingerichtet, mit Garten und Springbrunnen,<br />
mit Aquarien und Autoreifen-Schwingschaukeln, mit<br />
archaischen Tischfußballgeräten und scheppernden<br />
Musikboxen, dass man gleich ein paar Tage hier bleiben<br />
möchte.<br />
Nur mit dem Tanken bin ich unzufrieden: irgendeine<br />
Vorschrift, und offenbar steckt nicht einmal die EU dahinter,<br />
verbietet es, Zapfhähne mit Einrastvorrichtung<br />
zu versehen, so dass man genötigt ist, die ganze Zeit am<br />
Hebel zu drücken. Natürlich lässt sich gerade in diesen<br />
Fällen kein Tankwart blicken, der sich ein wenig Trinkgeld<br />
verdienen möchte. Aber das vertieft eben die Fahrer-<br />
Auto-Beziehung. Immerhin sind hier die Toiletten frei<br />
zur Benützung und gar nicht einmal so schmutzig wie<br />
einst.<br />
Das Fahren.<br />
Gleich vorangeschickt die Sensation: Wir benötigten<br />
nicht mehr als 10,2 Liter Superbenzin (98 Oktan) im<br />
Gesamtschnitt. Dies rührte von einer äußerst besonnene<br />
Fahrweise. Erst nach rund zweitausend Kilometern gepflegten<br />
Gleitens fiel mir ein, dass ich bisher noch nie die<br />
512 PS entfesselt hatte. Ein tritt aufs Pedal machte sofort<br />
klar: Hier werden die guten alten Hinterräder angetrieben,<br />
und sie wollen als erste durchs Ziel. Hochmoderne<br />
Fahrwerkselektronik legte dem einige Riegel vor, aber die<br />
Absicht kam deutlich durch bis ins Lenkrad. Der Wagen<br />
explodiert förmlich unter den Pedalen. Die berühmte auf<br />
das Dashboard geklebte Hundert-Dollar-Note (die der<br />
massenträg in den Sitz gedrückte Beifahrer natürlich nie<br />
erreicht) wäre hier erstmals in Gefahr: Sie könnte sich<br />
aus der Verklebung reißen und dem Beifahrer in den<br />
Schoß fallen.<br />
Die Sitzposition ist phantastisch, beide Ellbogen finden<br />
solide Auflage, aber die volle Lenkfreiheit ist bei Bedarf<br />
sofort gegeben. Anders als einst ist die Lenkung ziemlich<br />
direkt ausgelegt, der Straßenkontakt ist besser, als einem<br />
manchmal lieb ist, zumal schlechte Straßenqualität<br />
manchmal erstaunlich durchschlägt. Zum gut Aufgehobensein<br />
zählt auch das Exterieur: Die beiden Radkastenwammen<br />
stehen seitlich sichernd hoch wie Sofalehnen.<br />
(Niemand hat verlangt, dass der Wagen übersichtlich<br />
sein möge, wiewohl man schnelle lernt, kratzerfrei durch<br />
Monacos gefürchtete Parkhäuser zu manövrieren.)<br />
Das Verhältnis zwischen Drehzahlmesser und Tachometer<br />
ist einfach:<br />
1.000 Touren – Tempo 80.<br />
2.000 Touren – Tempo 160.<br />
3.000 Touren - ich habe es natürlich ausprobiert im<br />
Dienste der Wissenschaft – das Verhältnis stimmt abermals:<br />
240. Die 4.000er-Marke war allerdings nur mehr<br />
theoretisch zu schaffen – dort, wo sich die Parallelen<br />
schneiden.<br />
Die Klimaanlage ist ok, auch wenn Fahrer und Beifahrer<br />
ein paar Grade auseinanderliegen. Irgendwann findet<br />
man eine leidlich zugfreie Einstellung. Heiß wurde nur<br />
der Griff zum Kugelschreiber: Die Schatulle in der Mittelkonsole<br />
(zugleich Armablage) entwickelte erschreckende<br />
Temperaturen. Selbst die Cupholderböden erhitzten sich<br />
dramatisch. Gut für Kaffee, schlecht für Kaltgetränke und<br />
für unsere neun Rosen (“Belle de Salamanca”), die wir<br />
in einem Cocktailshaker mitführten. Aber sie hielten die<br />
Fahrt tapfer durch, dufteten in voller Pracht bis hin zu ihrem<br />
Bestimmungsort, wo wir die den Wellen des Atlantik<br />
übergaben: Roses to America.<br />
GO WE<strong>ST</strong><br />
Das Ohr am<br />
Lied der Straße.<br />
Manchmal sang<br />
der Asphalt<br />
so allerliebst,<br />
als<br />
wären<br />
die Sirenen<br />
hinter<br />
Weiter gings nicht mehr<br />
Odysseus her.<br />
Wesentlich harscher<br />
dagegen ist der Klang<br />
der weißen Begrenzungsstreifen, die<br />
klugerweise als akustische Marker ausgeführt sind. Ich<br />
konnte diesen Sound gut als Untermalung zu Enigma<br />
einsetzen, das wir versehentlich mitgenommen und einmal<br />
pflichtschuldig abgespielt hatten, um auch ein wenig<br />
Kitsch in die Reise zu bringen. Lieber hörten wir Regina<br />
Spektor, die junge Russin in New York, aber bloß nicht<br />
zu oft, um uns nicht zu übersättigen. Go West von den<br />
Pet Shop Boys hatte ich eher kuriositätshalber gekauft,<br />
nach zwei Nummern machten wir der Sache ein gnädiges<br />
Ende. Besser aber tödlich einschläfernd: Bruce Cockburn<br />
(The Charity of Night). Erhellend: Best of BB (Brigitte<br />
Bardot). Wie Marilyn Monroe ist sie als Sängerin völlig<br />
unterschätzt. Heute würde sie jedes Superstargesuche im<br />
aufblasbaren Saunaanzug gewinnen.<br />
Verkehrsteilnehmer.<br />
So lange man im schnelleren, kräftigeren Auto sitzt, ist<br />
alles leicht, Man kann sich jeglicher lästiger Situation,<br />
jeglichem Mittelklassegerangel im engen Kanaltal durch<br />
einen entschiedenen Gasstoß entziehen und sich angenehmere<br />
Gesellschaft suchen.<br />
Es stimmt, die gelbe Corvette holt niedrige Triebe aus<br />
harmlosen Verkehrsteilnehmern, selbst brave Familienväter<br />
in ihren mausgrauen Lagunas haben plötzlich ein<br />
Messer zwischen den Zähnen und von hinten sehe ich geschwollene<br />
Adern im Ausschnitt ihres Rückspiegels. Im<br />
Profil zeichnet sich das scharfzüngige Gezeter der Gattinnen<br />
ab, während die Kinder vor ungeschneuzter Begeisterung<br />
die Heckscheiben verschmieren. Mit schwankenden<br />
Manövern<br />
versuchen die Holiday-Nuvolaris,<br />
das<br />
unvermeidliche abzuwenden.<br />
Selbst<br />
nach dem Überholtwerden<br />
geben<br />
sie nicht auf, versuchen,<br />
angefeuert<br />
von den Kindern,<br />
niedergekreischt von<br />
den Frauen, sich im<br />
Verdienter<br />
Windschatten der<br />
Corvette zu verankern.<br />
Portugal<br />
Tischfussballer in<br />
Selbst in Monte Carlo<br />
erregten wir Interesse<br />
bei redlichen<br />
Familienvätern<br />
– vornehmlich bei<br />
Bauarbeitern und<br />
ähnlich unverbildeten<br />
Kennern wahren<br />
Machismos.<br />
Geflickte Bettwäsche<br />
Begeisterung kann<br />
auch anstrengend in Lissabon<br />
werden: Ein Opel<br />
Corsa fährt mir bei Autobahntempo<br />
fast hinten rein, weil der Fahrer durchs Handy<br />
linst, um eine formatfüllende Aufnahme vom Corvetteheck<br />
zu kriegen. Objects in camera are closer than they<br />
appear! Wohlmeinendes Horngetöse der Überlandtrucks<br />
bläst mich vor Schreck fast von der Straße.<br />
Lissabon<br />
Die Stadt der geflickten Leintücher. Immerhin ist das<br />
auch keine schlechtere Art, Lissabon zu charakterisieren,<br />
und wo in Hotels noch Leintücher kunstfertig gestickt<br />
und geflickt werden, dort steige man günstig, sauber und<br />
etwas scheel betrachtet ab. Zum Ausgleich funktioniert<br />
der Fernseher nicht und die Bücher sind im Auto, das<br />
wir vergessen haben, rechtzeitig aus der bewachten Parklücke<br />
zu holen. Jetzt ist das Gitter vor und deshalb haben<br />
wir überhaupt das Hotelzimmer genommen, allerdings<br />
ohne Gepäck, deshalb die misstrauischen Nachtportier-<br />
Blicke.<br />
Die Corvette hat sich ohnehin einen Ruhetag verdient.<br />
Eines der schönsten und sakralsten Bauwerke von Lissabon<br />
ist der Bahnhof, eine Kathedrale des Reisens, elegant,<br />
verheißungsvoll in seiner befreienden Perspektive,<br />
wohin der Zug das Häusliche der riesigen glasgedeckten<br />
Halle verlässt, hinaus zu fremden Zielen und gepflegten<br />
Abenteuern. Lissabon ist überhaupt eine Stadt in 3D, mit<br />
vielen Blickwinkeln und Niveauunterschieden, die auf<br />
verschiedenste Art bewältigt werden, durch Stadtaufzüge<br />
Patent Eiffel oder die Linie E28, die berühmte Straßenbahnstrecke<br />
durch Alfama und Barrio Alto.<br />
Auch das gehört zu einer Autoreise. Einmal bewußt darauf<br />
zu verzichten, um es dadurch frisch und begehrenswert<br />
zu erhalten.<br />
Portugals Autobahnen sind geradezu vereinsamt, manchmal<br />
freut man sich schon, einen Kleinlaster oder sonst<br />
ein Lebewesen wahrzunehmen. Selbst der Polizei dürfte<br />
der Sprit zu teuer kommen.<br />
Cabo da Roca.<br />
Wie so oft, zählt das Ziel einer Reise zu den uninteressanteren<br />
Darstellern. Der berühmte (so nenn ich ihn<br />
halt) Leuchtturm ist in Reparatur, das Steinkreuz ist mir<br />
zu steinkreuzig, aber diese Selbstmörderklippen, die haben<br />
schon was. Arme Rosen, sie werden sich ihre Köpfchen<br />
brechen. Doch wie von selbst erheben sie sich aus<br />
Viktoriyas Hand und streben, von einer Windbö erfasst,<br />
im hohen Flug nach Westen. Grüßt uns Amerika!<br />
Wir strollen noch eine Weile im Souvenirladen herum<br />
(tolle Kratzpullover um 65 Euro!), erlauschen die Kommentare<br />
leitender Touristenopas (“Seht, der neue Chevy<br />
Chrysler”, nehmen sie bisher undenkbare gewesene Fusionen<br />
vorweg) und spazieren durch den nahegelegenen<br />
Ort, der nicht recht weiß, ob sich aus der Lage nun touristisches<br />
kapital schlagen lässt oder ob man nicht eher eine<br />
Rückseite Europas darstellt. Eine Künstlerin produziert<br />
Leuchtturmmodelle aus Blech, immerhin.<br />
Zuletzt die branchenübliche Anmaßung: Das Restaurant<br />
O Campones in Malvera da Serra ist ein Geheimtipp für<br />
Bacalhau. Wie könnte ich das tatsächlich beurteilen? Der<br />
Nationalfisch war einfach gut und der billige weiße Hauswein<br />
in der Karaffe war genau das, wie man sich einen<br />
schlichten freundlichen unsüßen Weißwein vorstellt:<br />
Gut gekühlte Plauderzunge.<br />
Cabo da Roca, westlichster Punkt<br />
Europas – am Ziel<br />
Souvenirs.<br />
Wir packten ein, was sich (erstaunlicherweise) alles unterbringen<br />
ließ: Zwei Meringue-Hunde, fünf Hüte (rollbarer<br />
Knautschlack), eine Stoffkappe, eine ausgemusterte<br />
Kommode mit zwei Schubladen (Fundstück), ein Original-Stierkampfplakat,<br />
vier Paar Damenschuhe, zwei Paar<br />
Herrenschuhe, zwei gläserne, einen papierener Lampenschirm<br />
(zerknittert), ein Parfumflakon Silber (Gravur<br />
1829), zwei Sommerkleider, etlichen Modeschmuck,<br />
ein paar Damen-Kniestrümpfe im rot-weißen Tintin-<br />
Raketenmuster, einen rostigen Dosendeckel (irgendwie<br />
dekorativ), zwei grundierte, bespannte Malgründe, zwei<br />
Portemonnaies, zwei Mini-Fläschchen Martini rosso, einige<br />
modische Taschen, sechs Schachteln Zündhölzer,<br />
zwei Kerzen, eine Flasche Essig, Hartkäse, zwei Porzellanteller,<br />
drei T-Shirts und zwei dekorative Kugeln unbestimmter<br />
Verwendung.<br />
Nachtrag.<br />
Auszug aus dem PM online Magazin: “Eine 3439 Kilometer<br />
lange Brücke soll die Alte und Neue Welt miteinander<br />
verbinden. Sie steht nicht auf Pfeilern, sondern hängt an<br />
geostationären Satelliten. Auf dem gigantischen Bauwerk<br />
sollen Städte für acht Millionen Menschen entstehen.<br />
Die Transatlantic-Bridge ist eine Utopie, doch auch der<br />
Mondflug schien unerreichbar – und wurde hundert Jahre<br />
nach Jules Vernes visionärem Roman Von der Erde zum<br />
Mond Realität. Deshalb glauben die beiden Designer Michael<br />
Haas und Kai Zirz von der Staatlichen Hochschule<br />
für Gestaltung in Karlsruhe, dass ihre Idee eines Tages<br />
Wirklichkeit wird: eine 3439 Kilometer lange Brücke über<br />
den Atlantik, die Europa und Amerika miteinander verbindet.<br />
... Bei der Aufhängung ihres Megabaus orientieren<br />
sich die beiden Gestalter an US-Plänen für den Bau<br />
eines Fahrstuhls ins All: Dessen Laufseil soll an einem<br />
in 36.000 Kilometer Höhe stationierten Satelliten befestigt<br />
werden, der sozusagen ortsfest über der Erde steht;<br />
genauso könne man die transatlantische Brücke an Satelliten<br />
aufhängen. Nach den Vorstellungen der beiden Visionäre<br />
soll sie in 800 Meter Höhe vom französischen St.<br />
Nazaire nach Bridgeport im US-Staat Connecticut führen<br />
– und wäre das achte Weltwunder. Das Bauwerk erfüllt<br />
nicht nur die Funktion einer transkontinentalen Autoverbindung<br />
– es bildet gleichzeitig das Territorium des<br />
eigenständigen künstlichen Staates TransatlanticNation<br />
mit acht Millionen Bewohnern, deren soziales und politisches<br />
Leben nach ganz neuen Regeln organisiert ist.”<br />
Wenn es dann so weit ist, werden wir wieder die Corvette<br />
aus der Garage holen und diesmal nicht umkehren, nur<br />
weil uns ein Steilufer mit anschließendem Ozean bremst.<br />
Neun Rosen als Gruß nach Detroit