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ST_A_R_19

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50 <strong>ST</strong>/A/R Buch VIII - AUTO<strong>ST</strong>AR Nr. <strong>19</strong>/2008<br />

Nr. <strong>19</strong>/2008 Buch VIII - AUTO<strong>ST</strong>AR<br />

<strong>ST</strong>/A/R 51<br />

Mit der Corvette bis ans Ende der Alten Welt<br />

GO WE<strong>ST</strong> ...<br />

ABER SETZ DIR WAS AUF!<br />

Wir richteten die Motorhaube der gelben Corvette Z06<br />

exakt nach Westen aus und ließen uns dreitausend<br />

Kilometer lang nicht davon abbringen. Dort, wo es nicht<br />

mehr weiterging, warfen wir neun Rosen in den Atlantik.<br />

Gruß nach Detroit!<br />

TEXT UND FOTOS: DAVID <strong>ST</strong>ARETZ<br />

Cabo da Roca, das ist die Nasenspitze der iberischen<br />

Halbinsel, also der utmost western point of Europe,<br />

der Amerika nächstliegende Punkt des Alten<br />

Kontinents – der etwa so weit entfernt ist, wie wir dort<br />

hin angereist sind: 3300 Kilometer.<br />

Wir fuhren eine Nacht, einen Tag, eine Nacht und noch<br />

einen halben Tag – mit Schlafpausen in den Sitzen, mit<br />

Kaffee zu Merinque-Pudeln aus einer Konditorei in Monte<br />

Carlo, mit (xy) Tankstopps, Kurzpausen und ein wenig<br />

Sightseeing am Rande der Route. Einmal ins salzige<br />

Meer gehüpft, klebrig empfunden. Dann drehten wir das<br />

Auto um und fuhren alles wieder zurück. Einen halben<br />

Tag und eine (unfreiwillige) Nacht verbrachten wir in Lissabon.<br />

Wir benötigten yx Liter Benzin, zahlten dafür yx Euro,<br />

und für sämtliche Mautgebühren von Wien über Udine,<br />

Mailand, Genua, Monte Carlo, Toulouse, Saragoza, Madrid<br />

und Lissabon bis Cabo de Roca und wieder zurück<br />

löhnten wir yx Euro. Nur das Parkhaus in Monte Carlo<br />

war generöserweise umsonst.<br />

Das Auto.<br />

Die Corvette Z06, General Motors schnellstes Serienmodell<br />

aller Zeiten, gilt als ziviler Ableger der Rennversion<br />

C6.R. Der Wagen ist verhältnismäßig leicht (dank Abräumen<br />

von 40 kg gegenüber der Normalversion mittels<br />

Einsatz von Aluminium und Carbon, sowie durch Verzicht<br />

auf elektrische Beifahrer-Sitzverstellung und massives<br />

Dichtmaterial), wiegt demnach 1420 kg, was ihm<br />

dank der 512 PS aus dem Siebenliter-V8 “Small Block”<br />

zu einem Leistungsgewicht von 2,77 kg pro PS verhilft,<br />

was zu einer möglichen Beschleunigung von unter vier<br />

Sekunden auf Tempo 100 und einer Höchstgeschwindigkeit<br />

jenseits der 300-km/h-Marke verhilft.<br />

Wir verachteten jegliche Verzärtelung durch E-Automatik<br />

und bestanden auf handfester Sechsgang-Schaltung.<br />

(Um dabei aufrichtig zu bleiben: Man kann erstaunlich<br />

lange schaltfaul im sechsten Gang fahren).<br />

Dem Verzicht auf mollige Schalldämmung kann man<br />

auch Positives abgewinnen, wie wir der Pressemappe entnehmen:<br />

“Das Schalldämmpaket wurde zur Gewichtsreduzierung<br />

überarbeitet und ermöglicht nun eine bessere<br />

Überwachung der Antriebsstranggeräusche”.<br />

Der Wagen besaß außer der speziellen, rennnahen Antriebskonfiguration,<br />

der hinten verbreiterten Karosserie<br />

mit Heckspoiler, den Luftauslässen plus markanter Lufthutze<br />

im Bug, noch die aufwendig hochglanzpolierten<br />

2.000-Euro-Zehn-Speichen-Felgen (vorne 18, hinten <strong>19</strong><br />

Zoll). Ideale Geschmeide, um die Goodyear Extended<br />

Mobility Runflat Reifen der Dimensionen 275/35ZR18<br />

bzw. 325/30ZR<strong>19</strong> aufzuziehen. Dazu gleich eine Kritik<br />

von unterwegs: Regenreifen sind dies gewiss nicht.<br />

Für die lange Fahrt gönnten wir uns noch das unverzichtbare<br />

Navigationssystem, dem wir die gute Note 2<br />

verleihen würden, sowie komplette Lederausstattung,<br />

samt Kopfstützen (bestickt mit gekreuzten Konföderierten-Flaggen,<br />

verzichtbar), sowie der eleganten Konsolenverkleidung<br />

um 3.890 Euro. Was sein muss, muss sein.<br />

Gesamtpreis demnach: 96.430 Euro.<br />

Die Beifahrerin.<br />

Eine heikle Wahl. Es sollte jemand sein, die keine zickigen<br />

Ansprüche stellt, wenn es darum geht, vierzig oder<br />

mehr Stunden im Auto zu verbringen, auch wenn sie ihre<br />

erstaunlichen Beine nie ganz ausstrecken würde können.<br />

Sie sollte immer gut gelaunt sein, sich dann und wann an<br />

den Fahrer schmiegen, so es Verkehrssituation und Mittelkonsole<br />

erlauben, sie sollte mit aktuellem Klatsch und<br />

ähnlich leichter Plauderei aufwarten können, von mir aus<br />

auch das Libretto von Boris Godunov oder Eugen Onegin<br />

nacherzählen, aber sie sollte keinesfalls in gefährliche<br />

Beziehungskillerphrasen wie “Sind wir bald da?” und<br />

“Es zieht, da kriege ich mein Kopfweh” oder “Fahr nicht<br />

immer so schnell” verfallen. Sie sollte schminkfest bis<br />

Tempo 180 sein. Erst da zeigt sich die wahre Kunst des<br />

Nagellackauftragens.<br />

Da blieb mir nur eine Wahl: Viktoriya, gebürtig aus Sibirien,<br />

ein Kind der Kälte, das die behaglich raunende Wärme<br />

der russischen Seele in sich birgt und doch deutlich<br />

mehr vorzuweisen hat als die Vorzüge innerer Schönheit.<br />

Stellen Sie sich vor: Eine junge Frau, die immer gut gelaunt<br />

ist und immer gut aussieht. Darunter sollte man es<br />

nicht geben. (Ihre einzige Extravaganz: Meringue-Pudel<br />

aus ihrer Lieblings-Confiserie in Monte Carlo.)<br />

Die Nacht.<br />

Fahren bei Nacht, weite Entfernungen im Lichtkegel zu<br />

schnüren, während die Kanzel von diesen grüngedimmten<br />

Instrumenten erwärmt ist, und ein kleiner Radiosender<br />

spielt eigenartige Orgelmusik oder jemand liest<br />

katalanische Gedichte oder es rauscht einfach nur dieses<br />

Grundklangmuster aus Fahrtwind, Reifenrollen, Motorklang<br />

und zu überwachenden Antriebsstranggeräuschen<br />

– in dieser Stimmung fühlt man sich im Reisen aufgehoben<br />

wie in einem gesicherten Aggregatszustand des<br />

Unterwegsseins als harmonisches Maß für Zwei. Wie<br />

bestätigende Werte schlagen die Querfugen durch, ruhig<br />

stehen die Instrumentennadeln, und die roten Lampen<br />

anderer Nachtpiloten wirken wie verlässliche Positionslichter<br />

auf der Ostfahrt, bis vor uns der Morgen dämmert<br />

in ungewissem Licht, fahle Sterne und ein lichter Mond<br />

versinken hinter scharfgeschnittenen Wolkenkanten,<br />

den verheißungsvollen Kartografien unbekannter Kontinente.<br />

Manchmal birgt die Nacht auch Schrecknisse von alptraumhafter<br />

Qualität: Zwischen Saragoza und Madrid<br />

führt die Strecke so lange so brutal und kurvenreich bergab,<br />

dass man meint, man müsse einen Kraterschlund<br />

unter Meeresspiegel ansteuern. Und alles, was Räder<br />

hatte, schien polternd in einen Malstrom zu Tale zu stürzen:<br />

Lastwägen, Lieferwägen, wildes Geschepper und<br />

Luftdruckgepfeife, unterfangen vom hohlen Dröhnen<br />

scheinbar entlaufener Tankwägen. Ich war so müde, so<br />

gelähmt, dass ich es etliche Kilometer lang nicht schaffte,<br />

an einem apokalyptischen Betonmischer vorbeizukommen,<br />

der unaufhaltsam mahlend zu Tal dröhnte mit<br />

gefährlich schwankendem Aufbau. Ich war so gebannt,<br />

konnte einfach nicht überholen, es war mir körperlich<br />

unmöglich. Es war auch undenkbar, dieses einsaugende<br />

Gefälle zu verlassen – wie gesagt, diese Etappe hatte alle<br />

wesentlichen Zutaten eines Alptraumes.<br />

Raststätten.<br />

Je weiter man nach Oste<br />

kommt, Italien, Frankreich,<br />

Spanien, Portugal, desto<br />

armseliger, desto einladender<br />

werden die<br />

Raststätten. Es geht<br />

nicht mehr um<br />

die organisierte<br />

Abzocke angeschwemmten<br />

Autofahrermülls,<br />

sondern<br />

um Labung, Trost<br />

und Ruhe für die<br />

weither gekommenen,<br />

auch wenn<br />

sie nur im nächsten<br />

Dorf beheimatet sind –<br />

von ungewisser Herkunft<br />

stammen wir alle, und einen<br />

starken Kaffee, ein kräftig<br />

befülltes Weißbrot benötigen wir.<br />

Manche Raststätten sind so liebevoll<br />

eingerichtet, mit Garten und Springbrunnen,<br />

mit Aquarien und Autoreifen-Schwingschaukeln, mit<br />

archaischen Tischfußballgeräten und scheppernden<br />

Musikboxen, dass man gleich ein paar Tage hier bleiben<br />

möchte.<br />

Nur mit dem Tanken bin ich unzufrieden: irgendeine<br />

Vorschrift, und offenbar steckt nicht einmal die EU dahinter,<br />

verbietet es, Zapfhähne mit Einrastvorrichtung<br />

zu versehen, so dass man genötigt ist, die ganze Zeit am<br />

Hebel zu drücken. Natürlich lässt sich gerade in diesen<br />

Fällen kein Tankwart blicken, der sich ein wenig Trinkgeld<br />

verdienen möchte. Aber das vertieft eben die Fahrer-<br />

Auto-Beziehung. Immerhin sind hier die Toiletten frei<br />

zur Benützung und gar nicht einmal so schmutzig wie<br />

einst.<br />

Das Fahren.<br />

Gleich vorangeschickt die Sensation: Wir benötigten<br />

nicht mehr als 10,2 Liter Superbenzin (98 Oktan) im<br />

Gesamtschnitt. Dies rührte von einer äußerst besonnene<br />

Fahrweise. Erst nach rund zweitausend Kilometern gepflegten<br />

Gleitens fiel mir ein, dass ich bisher noch nie die<br />

512 PS entfesselt hatte. Ein tritt aufs Pedal machte sofort<br />

klar: Hier werden die guten alten Hinterräder angetrieben,<br />

und sie wollen als erste durchs Ziel. Hochmoderne<br />

Fahrwerkselektronik legte dem einige Riegel vor, aber die<br />

Absicht kam deutlich durch bis ins Lenkrad. Der Wagen<br />

explodiert förmlich unter den Pedalen. Die berühmte auf<br />

das Dashboard geklebte Hundert-Dollar-Note (die der<br />

massenträg in den Sitz gedrückte Beifahrer natürlich nie<br />

erreicht) wäre hier erstmals in Gefahr: Sie könnte sich<br />

aus der Verklebung reißen und dem Beifahrer in den<br />

Schoß fallen.<br />

Die Sitzposition ist phantastisch, beide Ellbogen finden<br />

solide Auflage, aber die volle Lenkfreiheit ist bei Bedarf<br />

sofort gegeben. Anders als einst ist die Lenkung ziemlich<br />

direkt ausgelegt, der Straßenkontakt ist besser, als einem<br />

manchmal lieb ist, zumal schlechte Straßenqualität<br />

manchmal erstaunlich durchschlägt. Zum gut Aufgehobensein<br />

zählt auch das Exterieur: Die beiden Radkastenwammen<br />

stehen seitlich sichernd hoch wie Sofalehnen.<br />

(Niemand hat verlangt, dass der Wagen übersichtlich<br />

sein möge, wiewohl man schnelle lernt, kratzerfrei durch<br />

Monacos gefürchtete Parkhäuser zu manövrieren.)<br />

Das Verhältnis zwischen Drehzahlmesser und Tachometer<br />

ist einfach:<br />

1.000 Touren – Tempo 80.<br />

2.000 Touren – Tempo 160.<br />

3.000 Touren - ich habe es natürlich ausprobiert im<br />

Dienste der Wissenschaft – das Verhältnis stimmt abermals:<br />

240. Die 4.000er-Marke war allerdings nur mehr<br />

theoretisch zu schaffen – dort, wo sich die Parallelen<br />

schneiden.<br />

Die Klimaanlage ist ok, auch wenn Fahrer und Beifahrer<br />

ein paar Grade auseinanderliegen. Irgendwann findet<br />

man eine leidlich zugfreie Einstellung. Heiß wurde nur<br />

der Griff zum Kugelschreiber: Die Schatulle in der Mittelkonsole<br />

(zugleich Armablage) entwickelte erschreckende<br />

Temperaturen. Selbst die Cupholderböden erhitzten sich<br />

dramatisch. Gut für Kaffee, schlecht für Kaltgetränke und<br />

für unsere neun Rosen (“Belle de Salamanca”), die wir<br />

in einem Cocktailshaker mitführten. Aber sie hielten die<br />

Fahrt tapfer durch, dufteten in voller Pracht bis hin zu ihrem<br />

Bestimmungsort, wo wir die den Wellen des Atlantik<br />

übergaben: Roses to America.<br />

GO WE<strong>ST</strong><br />

Das Ohr am<br />

Lied der Straße.<br />

Manchmal sang<br />

der Asphalt<br />

so allerliebst,<br />

als<br />

wären<br />

die Sirenen<br />

hinter<br />

Weiter gings nicht mehr<br />

Odysseus her.<br />

Wesentlich harscher<br />

dagegen ist der Klang<br />

der weißen Begrenzungsstreifen, die<br />

klugerweise als akustische Marker ausgeführt sind. Ich<br />

konnte diesen Sound gut als Untermalung zu Enigma<br />

einsetzen, das wir versehentlich mitgenommen und einmal<br />

pflichtschuldig abgespielt hatten, um auch ein wenig<br />

Kitsch in die Reise zu bringen. Lieber hörten wir Regina<br />

Spektor, die junge Russin in New York, aber bloß nicht<br />

zu oft, um uns nicht zu übersättigen. Go West von den<br />

Pet Shop Boys hatte ich eher kuriositätshalber gekauft,<br />

nach zwei Nummern machten wir der Sache ein gnädiges<br />

Ende. Besser aber tödlich einschläfernd: Bruce Cockburn<br />

(The Charity of Night). Erhellend: Best of BB (Brigitte<br />

Bardot). Wie Marilyn Monroe ist sie als Sängerin völlig<br />

unterschätzt. Heute würde sie jedes Superstargesuche im<br />

aufblasbaren Saunaanzug gewinnen.<br />

Verkehrsteilnehmer.<br />

So lange man im schnelleren, kräftigeren Auto sitzt, ist<br />

alles leicht, Man kann sich jeglicher lästiger Situation,<br />

jeglichem Mittelklassegerangel im engen Kanaltal durch<br />

einen entschiedenen Gasstoß entziehen und sich angenehmere<br />

Gesellschaft suchen.<br />

Es stimmt, die gelbe Corvette holt niedrige Triebe aus<br />

harmlosen Verkehrsteilnehmern, selbst brave Familienväter<br />

in ihren mausgrauen Lagunas haben plötzlich ein<br />

Messer zwischen den Zähnen und von hinten sehe ich geschwollene<br />

Adern im Ausschnitt ihres Rückspiegels. Im<br />

Profil zeichnet sich das scharfzüngige Gezeter der Gattinnen<br />

ab, während die Kinder vor ungeschneuzter Begeisterung<br />

die Heckscheiben verschmieren. Mit schwankenden<br />

Manövern<br />

versuchen die Holiday-Nuvolaris,<br />

das<br />

unvermeidliche abzuwenden.<br />

Selbst<br />

nach dem Überholtwerden<br />

geben<br />

sie nicht auf, versuchen,<br />

angefeuert<br />

von den Kindern,<br />

niedergekreischt von<br />

den Frauen, sich im<br />

Verdienter<br />

Windschatten der<br />

Corvette zu verankern.<br />

Portugal<br />

Tischfussballer in<br />

Selbst in Monte Carlo<br />

erregten wir Interesse<br />

bei redlichen<br />

Familienvätern<br />

– vornehmlich bei<br />

Bauarbeitern und<br />

ähnlich unverbildeten<br />

Kennern wahren<br />

Machismos.<br />

Geflickte Bettwäsche<br />

Begeisterung kann<br />

auch anstrengend in Lissabon<br />

werden: Ein Opel<br />

Corsa fährt mir bei Autobahntempo<br />

fast hinten rein, weil der Fahrer durchs Handy<br />

linst, um eine formatfüllende Aufnahme vom Corvetteheck<br />

zu kriegen. Objects in camera are closer than they<br />

appear! Wohlmeinendes Horngetöse der Überlandtrucks<br />

bläst mich vor Schreck fast von der Straße.<br />

Lissabon<br />

Die Stadt der geflickten Leintücher. Immerhin ist das<br />

auch keine schlechtere Art, Lissabon zu charakterisieren,<br />

und wo in Hotels noch Leintücher kunstfertig gestickt<br />

und geflickt werden, dort steige man günstig, sauber und<br />

etwas scheel betrachtet ab. Zum Ausgleich funktioniert<br />

der Fernseher nicht und die Bücher sind im Auto, das<br />

wir vergessen haben, rechtzeitig aus der bewachten Parklücke<br />

zu holen. Jetzt ist das Gitter vor und deshalb haben<br />

wir überhaupt das Hotelzimmer genommen, allerdings<br />

ohne Gepäck, deshalb die misstrauischen Nachtportier-<br />

Blicke.<br />

Die Corvette hat sich ohnehin einen Ruhetag verdient.<br />

Eines der schönsten und sakralsten Bauwerke von Lissabon<br />

ist der Bahnhof, eine Kathedrale des Reisens, elegant,<br />

verheißungsvoll in seiner befreienden Perspektive,<br />

wohin der Zug das Häusliche der riesigen glasgedeckten<br />

Halle verlässt, hinaus zu fremden Zielen und gepflegten<br />

Abenteuern. Lissabon ist überhaupt eine Stadt in 3D, mit<br />

vielen Blickwinkeln und Niveauunterschieden, die auf<br />

verschiedenste Art bewältigt werden, durch Stadtaufzüge<br />

Patent Eiffel oder die Linie E28, die berühmte Straßenbahnstrecke<br />

durch Alfama und Barrio Alto.<br />

Auch das gehört zu einer Autoreise. Einmal bewußt darauf<br />

zu verzichten, um es dadurch frisch und begehrenswert<br />

zu erhalten.<br />

Portugals Autobahnen sind geradezu vereinsamt, manchmal<br />

freut man sich schon, einen Kleinlaster oder sonst<br />

ein Lebewesen wahrzunehmen. Selbst der Polizei dürfte<br />

der Sprit zu teuer kommen.<br />

Cabo da Roca.<br />

Wie so oft, zählt das Ziel einer Reise zu den uninteressanteren<br />

Darstellern. Der berühmte (so nenn ich ihn<br />

halt) Leuchtturm ist in Reparatur, das Steinkreuz ist mir<br />

zu steinkreuzig, aber diese Selbstmörderklippen, die haben<br />

schon was. Arme Rosen, sie werden sich ihre Köpfchen<br />

brechen. Doch wie von selbst erheben sie sich aus<br />

Viktoriyas Hand und streben, von einer Windbö erfasst,<br />

im hohen Flug nach Westen. Grüßt uns Amerika!<br />

Wir strollen noch eine Weile im Souvenirladen herum<br />

(tolle Kratzpullover um 65 Euro!), erlauschen die Kommentare<br />

leitender Touristenopas (“Seht, der neue Chevy<br />

Chrysler”, nehmen sie bisher undenkbare gewesene Fusionen<br />

vorweg) und spazieren durch den nahegelegenen<br />

Ort, der nicht recht weiß, ob sich aus der Lage nun touristisches<br />

kapital schlagen lässt oder ob man nicht eher eine<br />

Rückseite Europas darstellt. Eine Künstlerin produziert<br />

Leuchtturmmodelle aus Blech, immerhin.<br />

Zuletzt die branchenübliche Anmaßung: Das Restaurant<br />

O Campones in Malvera da Serra ist ein Geheimtipp für<br />

Bacalhau. Wie könnte ich das tatsächlich beurteilen? Der<br />

Nationalfisch war einfach gut und der billige weiße Hauswein<br />

in der Karaffe war genau das, wie man sich einen<br />

schlichten freundlichen unsüßen Weißwein vorstellt:<br />

Gut gekühlte Plauderzunge.<br />

Cabo da Roca, westlichster Punkt<br />

Europas – am Ziel<br />

Souvenirs.<br />

Wir packten ein, was sich (erstaunlicherweise) alles unterbringen<br />

ließ: Zwei Meringue-Hunde, fünf Hüte (rollbarer<br />

Knautschlack), eine Stoffkappe, eine ausgemusterte<br />

Kommode mit zwei Schubladen (Fundstück), ein Original-Stierkampfplakat,<br />

vier Paar Damenschuhe, zwei Paar<br />

Herrenschuhe, zwei gläserne, einen papierener Lampenschirm<br />

(zerknittert), ein Parfumflakon Silber (Gravur<br />

1829), zwei Sommerkleider, etlichen Modeschmuck,<br />

ein paar Damen-Kniestrümpfe im rot-weißen Tintin-<br />

Raketenmuster, einen rostigen Dosendeckel (irgendwie<br />

dekorativ), zwei grundierte, bespannte Malgründe, zwei<br />

Portemonnaies, zwei Mini-Fläschchen Martini rosso, einige<br />

modische Taschen, sechs Schachteln Zündhölzer,<br />

zwei Kerzen, eine Flasche Essig, Hartkäse, zwei Porzellanteller,<br />

drei T-Shirts und zwei dekorative Kugeln unbestimmter<br />

Verwendung.<br />

Nachtrag.<br />

Auszug aus dem PM online Magazin: “Eine 3439 Kilometer<br />

lange Brücke soll die Alte und Neue Welt miteinander<br />

verbinden. Sie steht nicht auf Pfeilern, sondern hängt an<br />

geostationären Satelliten. Auf dem gigantischen Bauwerk<br />

sollen Städte für acht Millionen Menschen entstehen.<br />

Die Transatlantic-Bridge ist eine Utopie, doch auch der<br />

Mondflug schien unerreichbar – und wurde hundert Jahre<br />

nach Jules Vernes visionärem Roman Von der Erde zum<br />

Mond Realität. Deshalb glauben die beiden Designer Michael<br />

Haas und Kai Zirz von der Staatlichen Hochschule<br />

für Gestaltung in Karlsruhe, dass ihre Idee eines Tages<br />

Wirklichkeit wird: eine 3439 Kilometer lange Brücke über<br />

den Atlantik, die Europa und Amerika miteinander verbindet.<br />

... Bei der Aufhängung ihres Megabaus orientieren<br />

sich die beiden Gestalter an US-Plänen für den Bau<br />

eines Fahrstuhls ins All: Dessen Laufseil soll an einem<br />

in 36.000 Kilometer Höhe stationierten Satelliten befestigt<br />

werden, der sozusagen ortsfest über der Erde steht;<br />

genauso könne man die transatlantische Brücke an Satelliten<br />

aufhängen. Nach den Vorstellungen der beiden Visionäre<br />

soll sie in 800 Meter Höhe vom französischen St.<br />

Nazaire nach Bridgeport im US-Staat Connecticut führen<br />

– und wäre das achte Weltwunder. Das Bauwerk erfüllt<br />

nicht nur die Funktion einer transkontinentalen Autoverbindung<br />

– es bildet gleichzeitig das Territorium des<br />

eigenständigen künstlichen Staates TransatlanticNation<br />

mit acht Millionen Bewohnern, deren soziales und politisches<br />

Leben nach ganz neuen Regeln organisiert ist.”<br />

Wenn es dann so weit ist, werden wir wieder die Corvette<br />

aus der Garage holen und diesmal nicht umkehren, nur<br />

weil uns ein Steilufer mit anschließendem Ozean bremst.<br />

Neun Rosen als Gruß nach Detroit

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