ST:A:R_23
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26 <strong>ST</strong>/A/R<br />
Buch IV - Angelo Roventa/elastic_LU Nr. <strong>23</strong>/2009<br />
„Angelos Unit ist Kunst“<br />
Mag. Winfried Nußbaummüller<br />
Leitung Kunstvermittlung / head of art education, KUB-Bregenz<br />
Angelo Roventas Wohnmaschine<br />
Wohnraum soll erschwinglich sein,<br />
den finanziellen Möglichkeiten<br />
der Bewohner wie ihren Bedürfnissen<br />
entsprechen. Traditionelle Kulturen<br />
wussten um diese Balance. Man denke<br />
an die zeltartigen Hütten, die die<br />
Fischer in der Gegend um Grado noch<br />
in der ersten Hälfte des zwanzigsten<br />
Jahrhunderts errichteten. Holzgerüste<br />
wurden mit Matten aus Schilf bedeckt,<br />
diese mit außen herumgehenden und<br />
hineingebundenen Hölzern wie mit<br />
Reifen zusammengehalten. Das Dach<br />
ruhte zumeist auf dem Erdreich auf.<br />
Diese Hütten, manche von ihnen waren<br />
von beachtlicher Größe, kannten oft nur<br />
einen Raum, konnten aber auch durch<br />
eine leichte Zwischenwand in zwei Räume<br />
geteilt sein, wobei der vordere mit<br />
der Feuergrube zum Kochen, der rückwärtige<br />
zum Schlafen diente. Der Rauch<br />
zog durch die Wände und die Tür ab.<br />
Licht fiel einzig durch die offene Türe<br />
ein. Man schlief auf dem Boden. Verwandte<br />
Bauwerke finden sich in vielen<br />
archaischen Kulturen. Freilich waren die<br />
Fischer in der Gegend von Grado arm,<br />
bitter arm. Aber man kann sicher sein,<br />
dass sie stolz auf die von ihnen errichteten<br />
Hütten waren. In ihrer Materialität<br />
standen diese dem Textilen, dem<br />
Überwurf, der Kleidung noch sehr nahe.<br />
Moden kannten sie nicht. Die Schönheit<br />
ihrer Bauten verdankt sich vor allem dem<br />
Umstand, dass das Ästhetische mit dem<br />
Funktionalen in eins fiel. Wohnraum<br />
dieser Art verursachte keine wirklichen<br />
Kosten. Wer heute eine Wohnobjekt<br />
kauft oder für sich errichtet, arbeitet in<br />
der Regel ein halbes Leben dafür. Dies<br />
müsste so nicht sein. Freilich müsste<br />
man Wohnen anders denken, bedürfte<br />
Foto: Gerhard Klocker<br />
es anderer gesetzlicher Regulative. Es<br />
bedürfte einer anderen Architektur.<br />
Es fehlt nicht an Versuchen, Wohnobjekte<br />
erschwinglicher zu machen, tatsächlichen<br />
Bedürfnissen wie Einkommensverhältnissen<br />
entsprechend zu<br />
planen. Das Spektrum reicht von seriell,<br />
also industriell gefertigten, gut durchdachten<br />
Modulen bis hin zu Projekten,<br />
in denen Architekten bemüht sind, den<br />
Spagat zwischen geringen finanziellen<br />
Mitteln und Bedürfnissen zu schaffen.<br />
Spannend wird es allemal dort, wo<br />
man beginnt, für Massen zu planen, an<br />
Wohnraum denkt, der zahllosen Menschen<br />
gerecht wird oder gerecht werden<br />
könnte.<br />
Angelo Roventa hat sich als Architekt<br />
intensiv mit funktionalen Wohnobjekten<br />
beschäftigt. Als ein Beispiel sei<br />
ein von ihm in Hohenems realisiertes<br />
Wohnhaus aus Industriecontainern<br />
genannt: „Durch sehr niedere Baukosten<br />
– bei serieller Fertigung und logistischer<br />
Optimierung konnten sie auf 700<br />
Euro pro Quadratmeter gesenkt werden<br />
– und die unkomplizierte Addierungsbzw.<br />
Reduktionsmöglichkeit um weitere<br />
Raumzellen reagiert ein Bauwerk dieser<br />
Art rasch, erschwinglich und Ressourcen<br />
sparend auf sich verändernde Bedürfnisse<br />
in unterschiedlichen Lebensphasen.“<br />
In seinem Projekt smart_LIVINGU-<br />
NIT geht er einen Schritt weiter, verspricht<br />
dieses doch eine Multiplikation<br />
der Nutzfläche. Dank eines variablen<br />
Modulsystems, dessen Elemente sich<br />
von Hand oder maschinenbetrieben<br />
verschieben lassen, lässt sich ein und<br />
der selbe Raum wie die Bühne in einem<br />
Theater in kürzester Zeit umgruppieren.<br />
Da es im Gegensatz zum Theater<br />
keine Räume hinter, über oder unter<br />
der Bühne gibt, ist von der Nutzfläche<br />
jeweils jener Raum abzuziehen, den die<br />
komprimierten, gerade nicht verwendeten<br />
Module benötigen. Beispiel Wohnraum<br />
/ Tagfunktion: 60m2 Nutzfläche<br />
minus zusammengeschobene Elemente<br />
ergibt 40m2 Wohnfläche: „Komplettes,<br />
modulares, bewegliches Möbelsystem<br />
(Nassraum, Schlafzimmer, Wohnzimmer,<br />
Arbeitszimmer, Küche, alle Räume<br />
einschließlich der erforderlichen<br />
Abstellflächen) zur Errichtung einer<br />
vollwertigen Wohneinheit. Das modulare<br />
Möbelsystem gewährleistet aufgrund<br />
verschiedener Raumarrangements<br />
sämtliche Funktionen mit dem Komfort<br />
einer vollwertigen Wohneinheit.<br />
Die Funktionen können innerhalb der<br />
Wohneinheit simultan oder der Reihe<br />
nach aktiviert werden. Mit der sequenziellen<br />
Aktivierung gewinnen die gerade<br />
benutzten Funktionen die Fläche der<br />
nicht benutzten Funktionen dazu. Auf<br />
diese Weise kann die Nutzfläche bis auf<br />
das Vierfache vergrößert werden : (1.01)<br />
≤ (1.02)+(1.03)+(1.04)+(1.05) ≤ 4x(1.01).<br />
Bruttofläche: 60m2, Nettonutzfläche:<br />
54m2+40m2+44m2+41 m2+41 m2.“<br />
Das Bemühen, den verfügbaren Raum<br />
bestmöglich zu nutzen, ist in der Architekturgeschichte<br />
keineswegs neu. Man<br />
denke an hochklappbare Tische und<br />
Bänke in Bauernhäusern, an ausziehbare<br />
Betten, Wandschränke mit diesen<br />
oder jenen Funktionen und so fort. Im<br />
Gegensatz dazu denkt Angelo Roventa<br />
weniger an einzelne Möbelstücke, sondern<br />
an eine Art Wohnmaschine. Konsequenterweise<br />
verzichtet er auf Trennwände,<br />
die den Räumen eine bestimmte<br />
Funktion zuweisen. Er setzt auf eine Art<br />
Szenenabfolge, in den ein und derselbe<br />
Raum einmal als Arbeitsraum dient,<br />
dann wiederum als Liebesraum genutzt<br />
werden kann.<br />
Vergleichbare Systeme finden sich in<br />
Bibliotheken, in Museumsdepots oder<br />
in der Verwaltung. Angelo Roventa hat<br />
diesbezüglich Erfahrung, hat er doch eine<br />
Privatbibliothek realisiert, in deren Speicher<br />
sich eine lange Serie verschiebbarer<br />
Regalsysteme befindet. Diese Bibliothek<br />
setzt konsequent auf Funktionalität. Sie<br />
zeigt auch, dass die Zurücknahme von<br />
Gestaltungswünschen dem Individuellen<br />
höchst zuträglich sein kann.<br />
Stelle ich mir aber vor, in einer smart_<br />
LIVINGUNIT zu wohnen und zu arbeiten,<br />
dann würde sich die Frage nach meiner<br />
Bibliothek stellen. Wo brächte ich<br />
all meine Bücher unter? Das wäre kein<br />
Problem, lassen sich doch die Module<br />
bedürfnisorientiert zusammenstellen.<br />
Wer viele Bücher hat, benötigt mehr<br />
Bücherregalmodule. Zweifellos erfordert<br />
smart_LIVINGUNIT eine gewisse Disziplin,<br />
soll das System optimal genutzt<br />
werden. Brächte ich diese Disziplin auf?<br />
Auf jeden Fall würde Wohnen tendenziell<br />
zu Arbeit, was mich wieder zu den<br />
Fischerhütten von Grado zurückkommen<br />
lässt. Diese waren erschwinglich,<br />
setzten aber ein stetes beiläufiges Tun<br />
voraus. Wie die Bewohner dieser Hütten<br />
immer wieder damit beschäftigt waren,<br />
Schilfmatten zu flechten oder solche<br />
auszutauschen, so wäre ich als Nutzer<br />
einer smart_LIVINGUNIT-Einheit ständig<br />
genötigt, den Raum anlassgerecht<br />
umzustrukturieren. Freilich, käme kein<br />
Kunde, dann könnte ich auch bei nicht<br />
gemachtem Bett vor dem Bildschirm sitzen.<br />
Vilém Flusser hätte dieses Projekt<br />
wohl gefallen.<br />
smart_LIVINGUNIT ist aus mehreren<br />
Gründen ein höchst zeitgemäßes Projekt.<br />
Während die meisten Architekten<br />
davon leben, unverwechselbare Unikate<br />
zu schaffen, arbeitet Angelo Roventa an<br />
einem bestmöglich durchdachten und<br />
multiplizierbaren Objekt bzw. Wohnprodukt,<br />
welches für den Nutzer nicht allein<br />
finanzierbar sein, sondern ein breites<br />
Spektrum an Gestaltungsmöglichkeiten<br />
ermöglichen soll. Ob smart_LIVINGU-<br />
NIT zu einer Art „tätigem Wohnen“ führen<br />
oder eine weitere Form der Garagierung<br />
des modernen Menschen zur Folge<br />
haben wird, wird weniger von den Intentionen<br />
des Architekten als vom jeweiligen<br />
Nutzer wie vom gesellschaftlichen<br />
Umfeld abhängen, in dem sich dieser<br />
bewegt. Hätte es eine Garagierung zur<br />
Folge, dann würde es sich, folgt man<br />
Ivan Illich, wie beim Häuslbau letztlich<br />
um eine kostspielige Variante des Wohnens<br />
handeln: „Denn je besser durchgaragiert<br />
ein Menschendepot ist, je mehr<br />
Ansprüche jeder an die Ausstattung<br />
und den Betrieb aller Gehäuse stellt, in<br />
denen ihm seine Arbeit und Erziehung,<br />
seine Behandlung und Belustigung verabreicht<br />
werden können, um so mehr<br />
Rettungswagen, Polizei und Putzmannschaften<br />
benötigt die Stadt. Wie John<br />
Turner schon vor 20 Jahren gezeigt<br />
hat, läßt sich diese Krise nur durch die<br />
wirksame Anerkennung des Rechtes auf<br />
tätiges Wohnen lösen. Aber diese Art<br />
des Wohnens kann man einfach nicht<br />
verordnen: Sie ist zutiefst mit dem Träumen<br />
und Imaginieren von Raum und<br />
Bewegung, von Atmosphäre und Wasser<br />
verbunden.“ Das Problem liegt weniger<br />
in der manifesten Architektur als in der<br />
Tatsache, dass Wohnen in einem hohen<br />
Maß mit Bedeutungen aufgeladen ist,<br />
mit Paarungs- und Nestverhalten ebenso<br />
zu tun hat wie mit Prestige und anderem.<br />
Bei Waschmaschinen hat kaum<br />
niemand Mühe mit einem Massenprodukt.<br />
Bei Häusern oder Wohnräumen<br />
ist das anders. Paradoxerweise hat die<br />
Betonung des Individuellen schnell eine<br />
Gleichförmigkeit zur Folge, wird das<br />
Individuelle nur allzuschnell als Zeitgeschmack<br />
enttarnt.<br />
Angelo Roventas smart_LIVINGUNIT<br />
überzeugt in vielerlei Hinsicht, bedarf<br />
aber der Entwicklung, nicht viel anders<br />
als bei einem Auto. Gefragt wären Unternehmen,<br />
die dazu beitragen, solche Projekte<br />
hinsichtlich ihrer Materialität und<br />
Nutzung zur Serienreife zu bringen.<br />
Dies geht nicht ohne bewohnte Prototypen.<br />
Die ansprechendste Grukenraspel<br />
kann sich beim Gebrauch als unpraktisch<br />
erweisen. Man kann sie wegwerfen.<br />
Eine Wohnung wechselt man nicht<br />
so schnell. Deshalb muss man Erfahrungen<br />
von Nutzern oder Bewohnern<br />
sammeln. Genaugenommen müsste das<br />
Projekt in Zusammenarbeit mit einem<br />
Unternehmen als Forschungsprojekt<br />
eingebracht werden, tangiert es doch<br />
neben der Frage einer möglichst effizienten<br />
Raumnutzung zahlreiche andere<br />
Aspekte, angefangen von innovativen<br />
Technologien bis hin zum Wohnverhalten,<br />
welches sich durchaus ändert und<br />
weiter ändern wird.<br />
Bernhard Kathan, Kunsthistoriker,<br />
Autor und Künstler in Insbruck