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sich nicht mehr jeder und jede an die

vorgegebenen Regeln. Wie überall gibt

es die, die Klischees bedienen, und die,

die den Zuschreibungen ganz und gar

nicht entsprechen. Und jene, die all dies

kritisch hinterfragen.

Wie Anna * , die aus einem anderen

österreichischen Adelsgeschlecht

stammt. Anna ist heute in der Kreativbranche

tätig. Sie möchte anonym

bleiben. Soviel muss reichen: Ihre Eltern

wären, wenn es die Monarchie noch

gäbe, beide Graf und Gräfin. Der Adel

in Österreich ist eng vernetzt, also ist

Vorsicht geboten, wenn man aus dem

Nähkästchen der eigenen Familie plaudert.

Soviel muss reichen: Ihre Eltern

sind beide Graf und Gräfin. „Dieser Kreis

will etwas aufrechterhalten, das einfach

nicht mehr existiert. Richtig viele Familien

können sich das aber einfach nicht

mehr leisten, die ganzen Schlösser zum

Beispiel, von denen sie sich aber nicht

trennen können. Es ist ein riesiges Privileg,

so aufzuwachsen. Aber es ist Fluch

und Segen zugleich“, so die 31-Jährige.

Besitztümer und Materielles sind eine

Sache. Aber was beide Frauen wirklich

beschäftigt, sind die Werte, die ihnen

von klein auf beigebracht wurden.

„MAHLZEIT“ SAGT

MAN NICHT

Etikette sei wichtig, besonders Manieren

„Dieser Kreis

will etwas aufrechterhalten,

das so nicht

mehr existiert.“

beim Essen. Bei Tisch gerade sitzen, die

Gabel speziell halten, und die Serviette

auf den Schoß legen. „Wer diese Etikette

nicht beherrscht, wird bei uns schief

angeschaut.“ Adelige erkennen Adelige

– da sind sich Anna und Mia einig. Vor

allem an ihren Tischmanieren.“

„Wir essen nicht wie Bauern“, hieß es

immer in Annas Familie. „Guten Appetit“

oder „Mahlzeit“ sage man nicht vor dem

Essen. Niemals. Das kommt laut Mia

daher, dass in gediegenen Kreisen Essen

nichts Besonderes sein durfte. „Mahlzeit“

war etwas für die Armen, die sich über

Essen am Tisch gefreut hatten. „Das war

bei uns ein totales No-Go.“ Mia erinnert

sich, als sie eines Tages ihren damaligen

Freund zu einem Essen bei ihrer

Großmutter mitgenommen hatte. Er war

Musiker aus Berlin und die Adels-Etikette

war ihm fremd. Als das Essen serviert

wurde, hatte er allen „Guten Appetit“

gewünscht und damit die Runde in Verlegenheit

gebracht. Mia und Anna haben

sich beide schon dabei erwischt, wie sie

bei vergangenen Partnern darauf geachtet

haben, ob diese auch Tischetikette

beherrschen. „Ob er gerade sitzt, ob er

„richtig“ isst“, erzählt Mia. Heute hat sich

diese Denkweise bei ihr stark geändert.

“Das war so bescheuert von mir. Aber

es war einfach so tief in mir verankert.“

Es hat auch bei Anna Jahre gedauert,

bis sie es geschafft hat, die Denkmuster

aus ihrer Kindheit aufzubrechen. Vieles

werde so gelebt, weil "man das eben

so macht": Die Etikette, der sonntägliche

Gang in die Messe, die Exklusivität.

Irgendwann hat Anna begonnen, all dies

stark zu hinterfragen. „Ich musste mich

quasi selbst neu erziehen, damit ich mich

für die Welt öffnen kann.“ Heute erzählt

Anna reflektiert und offen über ihre Vergangenheit.

Ihre Kindheit hat sie trotz all

der Regeln aber gut in Erinnerung.

Auch der 26-Jährige Medizinstudent

Friedrich*, dessen Mutter aus einem

österreichischen Ritterstand stammt, und

dessen Vater aus Deutschland kommt,

hat eine strenge Erziehung genossen,

wie er selbst sagt. „Vor allem was die

Tischkultur angeht. Vernünftig und höflich

benehmen – das heißt: leise sein und

sich den Gepflogenheiten anpassen, das

wurde uns immer eingebläut.“ Friedrichs

Eltern war es immer sehr wichtig, dass

ihre Kinder „etwas vorzeigen können“:

Wie Klavierspielen oder gute sportliche

Leistungen. „Da waren meine Eltern

sehr bedacht darauf.“ Nach Außen eben.

Innerhalb der Familie war das anders:

„Meine Familie ist sehr distanziert. Es

wird wenig mit Emotionen umgegangen.

Ich habe so gut wie nie gesehen, dass

meine Eltern sich küssen oder körperliche

Nähe zeigen.“

„AM LIEBSTEN WÄRE

IHR JA PRINZ HARRY

GEWESEN.“

Friedrich lässt das „von“ bei seinem

Nachnamen gerne aus - vor allem auf

seinem Namensschild im Krankenhaus,

in dem er gerade arbeitet. Er dürfte es

offiziell noch angeben, da er halb Deutscher

ist. In Deutschland ist das „von“

nicht abgeschafft, aber Friedrich lebt in

Österreich. „Dann fragt mich niemand

über meine Familie aus. Das würdest

du ja andere Leute auch nicht fragen.“

Mia und Anna hängen ihre Herkunft

auch nicht an die große Glocke. Es sei

irgendwo ein Stigma, von dem man

nicht loskommt: Ob Bemerkungen im

Geschichtsunterricht, Mobbing durch

MitschülerInnen und die Tatsache, dass

jeder alles über deine Familiengeschichte

nachlesen kann – auch durchaus negative

Vorfälle. Das Gefühl, sich rechtfertigen

zu müssen, sei sehr präsent.

„Ich habe lange gedacht, dass ich

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