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doktorinwien 03/2021

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MEDIZIN SERVICE<br />

Corona-Studie<br />

Infektionsrisiko am Land höher<br />

Eine Studie der MedUni Wien, die im Auftrag des Landes Oberösterreich untersucht hat, welche demografischen<br />

Faktoren Einfluss auf die phasenweise sehr hohen SARS-CoV-2-Inzidenzen im zweiten<br />

Halbjahr 2020 im Bundesland gehabt haben, hat interessante Ergebnisse gebracht: Die Wahrscheinlichkeit,<br />

sich mit dem Coronavirus anzustecken, war im dicht besiedelten urbanen Raum geringer als<br />

am Land. Und in Bezirken mit hohem Ausländeranteil war das Infektionsgeschehen klar schwächer.<br />

Foto: Daniele Mezzadri/iStock<br />

► Oberösterreich gehörte im vergangenen<br />

Herbst zu den am<br />

stärksten von der SARS-CoV-2-Epidemie<br />

betroffenen Regionen Österreichs.<br />

Die Verteilung des Virus in den 18 Bezirken<br />

war dabei aber recht unterschiedlich.<br />

Zwischen 1. Juli und 31. Dezember<br />

variierte die maximale<br />

Sieben-Tage-Inzidenz pro 100.000<br />

Menschen zwischen 602 (Stadt-Linz)<br />

und 1.628 (Bezirk Rohrbach). Die Landesregierung<br />

nahm das zum Anlass,<br />

das Zentrum für Public Health der Medizin-Uni<br />

Wien mit einer Analyse zu<br />

beauftragten, warum sich die Infektionen<br />

regional so stark unterschieden.<br />

In ihren Analysen kommen nun die<br />

Public-Health-Experten und Epidemiologen<br />

Hans-Peter Hutter und Michael<br />

Kundi zu teils überraschenden<br />

Ergebnissen. Je höher die Einwohnerdichte,<br />

desto niedriger war die Sieben-<br />

Tage-Inzidenz und die Mortalität, je<br />

höher die Agrarquote – also je mehr<br />

Menschen in einem Bezirk im landwirtschaftlichen<br />

Bereich tätig sind –,<br />

umso höher die Zahlen. „Entgegen der<br />

Annahme, dass eine hohe Bevölkerungszahl<br />

und die daraus resultierende<br />

höhere Kontaktwahrscheinlichkeit das<br />

Risiko einer Infektion erhöht, ist der<br />

umgekehrte Effekt festzustellen“, sagte<br />

Hutter im APA-Gespräch.<br />

Vermeintliches Stadt-Problem<br />

„Eine mögliche Erklärung dafür ist, dass<br />

im ländlichen Bereich vielleicht eher<br />

ein Schlendrian beim Einhalten der<br />

Maßnahmen herrscht. Die vertrauten<br />

Kontakte dürften am Land mehr gepflegt<br />

werden, man sieht das Virus<br />

möglicherweise als ein Problem der<br />

Stadt“, sagte der Umweltmediziner. „Im<br />

urbanen Bereich könnte es hingegen<br />

mehr Selbstkontrolle der Gesellschaft<br />

geben. Wenn jemand in ein Geschäft<br />

geht und die Maske nicht oder nicht<br />

richtig aufhat, wird er schnell einmal<br />

schief angeschaut.“<br />

Die zweite Feststellung der Studie: In<br />

Bezirken, wo der Anteil an Ausländerinnen<br />

und Ausländern hoch ist oder<br />

viele Personen ausländischer Herkunft<br />

leben, gab es eine signifikant geringere<br />

Inzidenz. „Es zeigt sich, dass bei dem<br />

dramatischen Anstieg im November<br />

und Dezember in Oberösterreich Ausländer<br />

keine Rolle gespielt haben.“ Ob<br />

das daran liegt, dass sie sich eher an die<br />

empfohlenen Maßnahmen halten – etwa,<br />

weil sie öfter noch mit älteren Menschen<br />

im Familienverbund leben – oder<br />

hier andere Faktoren eine Rolle spielen,<br />

könne er aber nicht sagen, so Hutter.<br />

Einfluss auf die Inzidenz<br />

Eine gewisse Rolle spielte auch das Bildungsniveau:<br />

„Höhere Bildung hat einen<br />

Einfluss auf die Inzidenz, aber das<br />

heißt nicht, dass niedrige Abschlüsse<br />

für deutlich höhere Zahlen sorgten.<br />

Signi fikant positive Ergebnisse haben<br />

sich eher bei den berufsbildenden mittleren<br />

Schulen gezeigt“, erklärte Hutter.<br />

Keine signifikanten Zusammenhänge<br />

fanden sich in der Altersstruktur – möglicherweise<br />

auch, weil hier die Unter-<br />

„Entgegen<br />

der Annahme,<br />

dass<br />

eine hohe<br />

Bevölkerungszahl<br />

und die daraus<br />

resultierende<br />

höhere<br />

Kontaktwahrscheinlichkeit<br />

das<br />

Risiko einer<br />

Infektion erhöht,<br />

ist der<br />

umgekehrte<br />

Effekt festzustellen.“<br />

schiede zwischen den Bezirken gering<br />

sind. Bemerkbar war aber, dass je mehr<br />

Menschen über 65 Jahre in einem Bezirk<br />

lebten, desto niedriger dort auch die<br />

Inzidenz war. „Ein Grund dafür könnte<br />

sein, dass sich die Älteren eher an die<br />

Sicherheitsmaßnahmen halten.“<br />

Eine Aussagekraft für andere Bundesländer<br />

hätten die Ergebnisse aus Oberösterreich<br />

übrigens nur bedingt, betonte<br />

Hutter: „Wien hat etwa eine ganz<br />

andere Bevölkerungsstruktur.“ Es sei<br />

auch nicht Aufgabe der Studie gewesen,<br />

Erklärungen für die festgestellten Zusammenhänge<br />

zu liefern. „Es ging einmal<br />

darum zu schauen, was an gewissen<br />

Vermutungen dran ist, die immer<br />

wieder kursieren.“ Für die Frage nach<br />

dem Warum schlägt Hutter weiterführende<br />

Analysen vor.<br />

Wichtige Erkenntnisse<br />

Die Ergebnisse der MedUni-Studie<br />

könnten aber – gerade in Zeiten knapper<br />

Ressourcen – wichtige Handlungsanleitungen<br />

liefern. „Wenn es etwa darum<br />

geht, in welche Kampagnen man<br />

Geld steckt oder wie man versucht, bestimme<br />

Gruppen zu erreichen“, betonte<br />

Hutter.<br />

Christine Haberlander, oberösterreichische<br />

Gesundheitslandesrätin und<br />

Landeshauptmann-Stellvertreterin<br />

(ÖVP) hält die Erkenntnisse der beiden<br />

Studienautoren für wichtig: „Als Konsequenz<br />

beobachten wir mit Medizinern<br />

seit einigen Wochen Gemeinden<br />

mit auffälligem Fallgeschehen über einen<br />

Zeitraum von mehreren Wochen.<br />

Wir können nach den ersten Betrachtungen<br />

bestätigen: Es sind meist Fallhäufungen,<br />

die aus einem privaten<br />

Umfeld kommen, und solche Fallhäufungen,<br />

etwa aus Geburtstagsfeiern,<br />

wurden vermehrt im ländlichen Raum<br />

festgestellt.“ <br />

APA<br />

<strong>03</strong>_<strong>2021</strong> doktor in wien 25

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