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information & vielfalt<br />
In Zeiten des Stillstands:<br />
Die Kunst der Improvisation<br />
WAS WIR MOMENTAN VOM THEATER <strong>LERNEN</strong> KÖNNEN<br />
Lena Knapp<br />
Studentin und<br />
freie Schauspielerin<br />
Foto: © Robert Krenker<br />
Foto: © Kyle Head | unsplash.com<br />
24 | <strong>MÄRZ</strong> <strong>2021</strong><br />
Hätte man mich vor einem Jahr<br />
gefragt, wie meine Pläne für die<br />
nahe Zukunft aussehen, hätte<br />
ich sofort eine Antwort parat<br />
gehabt: In zwei Monaten ist Premiere,<br />
nebenbei laufen Proben für eine weitere<br />
Produktion, ich will endlich den Bachelorabschluss<br />
schaffen und werde bestimmt<br />
noch irgendwo anders irgendwie Theater<br />
machen, da tut sich sicher etwas auf.<br />
KUNST IST EBEN DOCH SYSTEM-<br />
RELEVANT<br />
Das Einzige, was sich bekanntlich in den<br />
nächsten Monaten tatsächlich auftat,<br />
war und ist eine große Leere – auch auf<br />
den Bühnen der Kunst- und Kulturlandschaft.<br />
Spätestens jetzt, Anfang <strong>2021</strong>,<br />
haben bestimmt nicht nur die Kunst- und<br />
Kulturschaffenden, sondern auch alle<br />
Kunst- und Kulturkonsument*innen<br />
gemerkt: Ab einem gewissen Zeitpunkt<br />
ist die Kunst doch systemrelevant.<br />
Und damit meine ich nicht die großen,<br />
jederzeit verfügbaren Streamingdienste,<br />
die sich während der Lockdowns 1, 2<br />
und 3 wahrscheinlich eine goldene Nase<br />
verdient haben. Damit meine ich alle<br />
Museen, Ausstellungsräume, Konzerthallen,<br />
Clubs, Kinos und eben auch die<br />
Theater, die am besten funktionieren,<br />
wenn Menschen zusammenkommen und<br />
nicht jede*r alleine zu Hause vor einem<br />
Bildschirm sitzt.<br />
Wo sind all die Räume und deren Raumschaffenden<br />
hin, in denen wir Menschen<br />
zusammenfinden, sich die Realität neu<br />
verhandeln, die Zukunft erträumen und<br />
Vergangenes erforschen lässt? Ein Teil<br />
der Raumschaffenden hatte über kurz<br />
oder lang keine Wahl und musste genau<br />
wie der Friseursalon ums Eck oder das<br />
Kaffeehaus des Vertrauens dichtmachen.<br />
Ein weiterer Teil hat sich in die Tiefen<br />
des Internets vorgewagt um, mehr oder<br />
weniger erfolgreich, neue Formen zu<br />
finden und alle anderen stehen hinter<br />
verschlossenen Türen und scharren seit<br />
12 Monaten ungeduldig mit den Hufen<br />
bereit die Welt zurückzuerobern.<br />
DIE KUNST DER IMPROVISATION<br />
Auch ich will nicht mehr warten. Seit einigen<br />
Jahren bin ich als Schauspielerin in<br />
der freien Theaterszene Wiens aktiv und<br />
habe die Möglichkeit, ebendiese Diskursräume<br />
mitzugestalten, ein Publikum zu<br />
berühren, zu schockieren, vor den Kopf<br />
zu stoßen, zum Nachdenken anzuregen<br />
oder es schlichtweg für einen Moment<br />
von der ganz eigenen Realität abzulenken<br />
und zu unterhalten. Dass dies<br />
gerade nur begrenzt möglich ist, macht<br />
mich traurig, wütend und lässt mich an<br />
vielen Dingen zweifeln. Aber wenn es etwas<br />
gibt, das mich das Theater in Zeiten<br />
des Stillstandes gelehrt hat und das uns<br />
allen, ob Kulturinteressent*innen oder<br />
Kulturverweigerern, eine Hilfe sein kann,<br />
dann ist es die Kunst der Improvisation.<br />
Ein Grund, weshalb bestimmt nicht nur<br />
ich das Theater liebe, ist diese gewisse<br />
Unberechenbarkeit, die bei jedem Theaterbesuch<br />
dabei ist. Auch wenn eine<br />
Vorstellung zum fünfzigsten Mal gespielt<br />
wird, so ist sie doch jedes Mal etwas<br />
anders als die Vorherige. Mal bringt das<br />
Publikum eine ganz andere Energie mit,<br />
mal hat man vor einem Auftritt besser<br />
oder schlechter geschlafen und manch-