April 2021 - coolibri
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INTERVIEW<br />
Foto: pixabay<br />
mals gewünschtund vorgestellthaben.Ein bunter,vielfältigerReigen an<br />
deutschsprachigerMusik, in demwir nunmittendrin sitzen.<br />
Redenwir mal übersAlbum!„Myriaden“ist einsehrschönes Wort.Wovon<br />
gibtesdeinerMeinung nach denn so unzählbarviel? Wiekamst du auf<br />
denTitel?<br />
Mirist dasWortamStrandgekommen.Ich lagnachtsrum,hab geschlafen<br />
undzwischenzeitlich in denSternenhimmel geguckt. Je längerdudorthin<br />
schaust, destomehrSternekommenauf dich zu.Das hattewas psychodelisches.Ich<br />
wollte dieseUnzählbarkeitder Sterne in einemWortzusammenfassenund<br />
bindann auf„Myriaden“gestoßen, wasauch „Unendlichkeit“bedeutet.<br />
Das istmystischund magisch zugleich.<br />
HatsichdennCorona-bedingt inhaltlich etwasamAlbum verändert?<br />
DieGrundinspiration istdie Lage derWeltund auch derKinder. In Zeiten<br />
von„Fridaysfor Future“,„Extinction Rebellion“ undstärker aufkommendemRassismus<br />
istesuns wichtig, dennachfolgenden Generationen –also<br />
auch unsereneigenen Kindern –keinenmaroden Planeten zu übergeben.<br />
Früher haben wir unsüberRock’n’Roll,Drogenund Mädchenunterhalten,<br />
jetztgehtesumErnährung, Atemtechnikenund Hochbeete,wer da<br />
dasschönstehat,und natürlichdie politische Lage.DaeseineSelig-Platte<br />
ist, isteseinerseitsein wenigProtest,andererseitsaberauch einLiebesbrief<br />
an dieSeligkeitder Menschheit, dieinaktuellen Zeiten wieCorona<br />
wirklich wichtigist.Und es istein Dankeschön an diePerle im All,alsoan<br />
denPlaneten, aufdem wir leben.<br />
Umsotrauriger,dassman diesenInhaltnun garnicht livepräsentieren<br />
kann,oder?<br />
Ichfinde,esist ganz gut vonuns gelöst, indemwir dassolange rauszögern.Eigentlich<br />
war dieVeröffentlichungschon fürletzten Herbstgeplant,<br />
wir haben dann aber dieganzenKurzfilme unddie Liveaufnahmenhinterhergeschoben.<br />
Wirhatten93Songideenfür dasAlbum,davon sind die<br />
besten 14 nundrauf –demnach haben wir aber noch vieleübrig,wovon<br />
wir einpaarvielleichtnochmal aufeiner EP raushauenwollen. Wir können<br />
alsonochviele weitereSachenaufnehmen,falls diePandemielänger<br />
geht. Isteinfachein langes Vorspiel,ein bisschen wieSlow-Sex.<br />
Wiewürdest du das Albummusikalisch skizzieren?<br />
Es beleuchtet,wie wir Menschenmiteinander umgehen. Manche Songs<br />
sind überraschend,esgibteinen Pop-Chansonund wasFunkigeszum<br />
Beispiel. DieVielfaltder Genresist mittlerweile derartig groß,dasswir uns<br />
davonhaben inspirieren lassen.EsgibtRetro-Soulund Grunge.Von vielem<br />
etwas, allerdingsüberraschendruhig, dashätte icherstgar nichtgedacht.<br />
DieAufnahmenwarensehrwild, aber am Ende istdie Scheibenun<br />
eher reif undbesinnlichgeworden.<br />
…und da istsogar einSong, der„Selig“ heißt!<br />
Ja!Das istder typische Selig-Sound. So fangen Seligebenwiederan. Seligkeit<br />
istein Zustanddes purenGlücks. Diesen Zustandkann manhervorrufen,<br />
wenn manmomentanimHierund Jetztist.Wennwir alsMusiker auf<br />
derBühnestehen, sind wir voll da.Dagibtesweder ZukunftnochVergangenheit,<br />
sondernnur diesen Moment.WenndieserFunkeüberspringt und<br />
dasPublikumdann auch im Hier undJetzt ist, istdas dieser selige Zustand.<br />
„Selig“ist also derAugenblick, wenn dieWeltden Augenblick erblickt.Einfachnicht<br />
immer nach vornerennendurch dieDiktaturder Raserei<br />
oder durch das Grämen der Vergangenheit. EineErlösungsfantasie, für<br />
diewir schon immerstehen.<br />
TrotzdemsindStücke wie„Spacetaxi“ oder „SüßerVogel“eherleichtund<br />
groovy.BenötigtesmehrLeichtigkeitinder gegenwärtigenZeit?<br />
Aufjeden Fall.Wennwir nichtpositiv bleiben,sindwir alleverloren. Wir<br />
müssendas Lichtsehen unddürfenuns nichtvon denSchattenauffressenlassen.<br />
Angstist derletzteRatgeber, denwir brauchen.Ideenkommennur<br />
durch Freiheit,Hoffnungund Zufriedenheit.<br />
Waswünschstdudir fürdie Band-Zukunft?<br />
Dieseneue Form vonMusikmachen, alsodassman für Streaming-Plattformen<br />
eher einzelne Tracks stattAlben veröffentlicht, würde ichgerne für<br />
unsnutzen.Einfachspontan einenSongaufnehmen undden direkt raushauen.<br />
AlsBandnochungebundenerarbeiten, mehr im Zeitgeschehen<br />
sein,alsovon dergegebenenInhaltsebenezur Jamsession. Wenn dann<br />
über einenbestimmten Zeitraum zwölfSongs da sind,kannman dasfür<br />
dieAlbumfreunde bündeln. Quasiein kommentarischerZeitverlauf, wieein<br />
rasenderReporter.<br />
Und waswünschstdudir vonder Kulturszene?<br />
Musikerinnen sind darangewöhnt,dassman malkeinGeld hat. Dasses<br />
malbergauf und-ab geht, dieseSchwingungenkennenwir alle. Dasist<br />
nichtsoneu. Womöglichist dasauch einGrund,warum wir unshinsichtlich<br />
deranherrschendenKrise nichtsovernetzen,dajederein eigenes<br />
Süppchenkocht.Wir sind eigentlich zu weit auseinander.<br />
Als vorein paar Jahrendiese faschistische Echo-Verleihungstattfand,hättensichschon<br />
vieleKünstlerinnen zusammentrommeln müssen, um dagegenanzugehen.Genau<br />
dasGleiche wäre jetzt gerade möglich.Esgibt<br />
keinen wirklichen „Klassensprecher“,stattdessen wirdgenreübergreifend<br />
viel zu viel gedisst.Solange es unsnochgut geht,ist daszwar schön,<br />
aber wenn wirgemeinsam malauf dieLeute aufmerksam machenkönnten,<br />
denenesvielschlechtergeht, wiebeispielsweise Obdachlosen–das<br />
wäre malwas.Aberich binkeinOrganisator.Ich habejedenfalls dasGefühl,<br />
dass diedeutscheSzene schonmalbesserzusammengehalten hat.<br />
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