DER FEIND IN MEINEM KÖRPER
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
10<br />
Lesen Sie mehr auf seltenekrankheiten.de<br />
Medizinische Detektivarbeit:<br />
Die ANCA-assoziierte<br />
Vaskulitis erkennen und<br />
behandeln<br />
Bei der ANCA-assoziierten Vaskulitis handelt es sich um eine<br />
Gruppe seltener Autoimmunerkrankungen, die auch für erfahrene<br />
Mediziner nicht leicht zu erkennen sind. Ein Gespräch mit dem<br />
Experten Prof. Dr. Bernhard Hellmich über die derzeitigen<br />
Diagnose- und Therapiemöglichkeiten.<br />
Text Hanna Sinnecker<br />
Herr Prof. Hellmich, die ANCAassoziierte<br />
Vaskulitis ist eine seltene<br />
Erkrankung, was es für Ärzte erschwert,<br />
die Erkrankung zu erkennen.<br />
Welche Symptome können auf diese<br />
Erkrankung deuten?<br />
Bei der ANCA-assoziierten Vaskulitis<br />
handelt es sich um eine Autoimmunerkrankung.<br />
In den meisten Fällen werden<br />
Patienten mit Symptomen einer chronischen<br />
Entzündung erstmalig beim Arzt<br />
vorstellig. Was Betroffene immer wieder<br />
berichten, ist, dass sie mit Antibiotika<br />
behandelt werden, aber diese nicht<br />
helfen. Daher ist es wichtig, sich das<br />
Gesamtbild der Symptome anzuschauen.<br />
Für sich genommen sind die Symptome<br />
nicht spezifisch, aber im Gesamtbild ergeben<br />
sie wie bei einem Puzzle Hinweise für<br />
eine Diagnose.<br />
Patienten klagen zu Beginn oft über unspezifische<br />
Symptome wie Gliederschmerzen,<br />
Gelenkschmerzen, manchmal<br />
auch über Nachtschweiß oder Gewichtsverlust.<br />
In manchen Fällen kommt auch<br />
Fieber hinzu. Wenn in diesem Kontext<br />
dann aber andere Beschwerden hinzukommen,<br />
dann muss man an eine ANCAassoziierte<br />
Vaskulitis denken.<br />
Bei der Granulomatose mit Polyangiitis/<br />
GPA (umgangssprachlich als Morbus<br />
Wegener bezeichnet) beginnen die Beschwerden<br />
oft im oberen Respirationstrakt.<br />
Die Patienten berichten über<br />
blutigen Schnupfen oder Nasenbluten<br />
aus beiden Nasenlöchern. Dabei können<br />
blutige Krusten abgehen, die die Nase<br />
auch verstopfen können. Weitere Symptome<br />
im Hals-Nasen-Ohren-Trakt wie<br />
z. B. eine Hörminderung bedingt durch<br />
eine Entzündung der Ohrnerven oder im<br />
Ohr selbst oder eine Beeinträchtigung der<br />
Luftröhre können hinzukommen. Letzteres<br />
äußert sich durch ein Pfeifgeräusch<br />
beim Ausatmen. Bei besonders schweren<br />
Verläufen kann auch die Lunge selbst betroffen<br />
sein: Das zeigt sich im leichtesten<br />
Fall durch Husten und Luftnot, in schwereren<br />
Fällen durch blutigen Husten, wenn<br />
die Lungengefäße durch das Infektionsgeschehen<br />
betroffen sind.<br />
Bei den Patienten mit Mikroskopischer<br />
Polyangiitis/MPA, die ca. die Hälfte aller<br />
Vaskulitis-Patienten ausmachen, ist sehr<br />
oft die Niere betroffen, was sich in geschwollenen<br />
Füßen oder nicht erklärbaren<br />
Blutdruckentgleisungen äußern kann.<br />
Diese Nierenschwäche kann bis zu einem<br />
vollständigen Ausfall der Nierenfunktion<br />
führen. Auch Hautveränderungen, wie z.<br />
B. kleine rote Flecken vor allem an den<br />
Beinen, können auftreten. Zudem kann es<br />
zu Durchblutungsstörungen an Händen<br />
und Füßen kommen, die sich durch eine<br />
Farbveränderung zeigen können. Das<br />
Nervensystem kann im Rahmen einer<br />
Polyneuropathie betroffen sein, wobei<br />
sie bei der ANCA-assoziierten Vaskulitis<br />
sehr rasch fortschreitet und mit einer<br />
Schwäche bei der Zehen- oder Fußhebung<br />
einhergehen kann, die Schmerzen<br />
verursacht. Diese Sonderform der<br />
Neuropathie erlaubt eine Abgrenzung zu<br />
anderen Erkrankungen. Seltener kann es<br />
zu Schlaganfällen oder zu Symptomen im<br />
Magen-Darm-Trakt kommen. Das Herz ist<br />
glücklicherweise sehr selten betroffen.<br />
Wenn sich der Verdacht auf eine<br />
ANCA-assoziierte Erkrankung<br />
erhärtet: Was sind die konkreten diagnostischen<br />
Schritte und wie vermitteln<br />
Sie dem Patienten diese einschneidende<br />
Diagnose?<br />
Das Vorliegen einer entzündlichen<br />
Erkrankung kann man über Laborwerte<br />
recht einfach feststellen. Dabei sind die<br />
Blutsenkungsgeschwindigkeit und der<br />
CRP-Wert die wichtigen Parameter. Bei<br />
einer neu manifestierten ANCA-assoziierten<br />
Vaskulitis sind beide Werte fast<br />
immer erhöht.<br />
Der Begriff ANCA bezieht sich auf die<br />
antineutrophilen cytoplasmatischen<br />
Antikörper, die im Blut bestimmt<br />
werden können. Wenn diese Werte vor<br />
dem Hintergrund des Krankheitsbildes<br />
entsprechend erhöht sind, dann ist es<br />
sehr wahrscheinlich, dass eine ANCAassoziierte<br />
Vaskulitis vorliegt. Man muss<br />
sich dann die einzelnen Symptome<br />
des Patienten genau anschauen. Dazu<br />
benötigt man ein interdisziplinäres<br />
Netzwerk bestehend aus Fachärzten wie<br />
Neurologen, Hals-Nasen-Ohren-Ärzten,<br />
Augenärzten und Radiologen. Sie sind<br />
Teile des „medizinischen Detektivteams“,<br />
um gemeinsam eine verlässliche Diagnose<br />
stellen zu können. Zusätzlich wird<br />
die Diagnose durch eine Biopsie, also eine<br />
Gewebeentnahme, abgesichert.<br />
Der nächste Schritt ist, die Diagnose mit<br />
dem Patienten zu besprechen. Man muss<br />
Patienten die seltene Erkrankung, an der<br />
sie leiden, erklären und sie strukturiert<br />
über die nächsten Schritte informieren:<br />
Wie kann die Therapie aussehen, wie<br />
sieht die Prognose aus, wie lange wird<br />
voraussichtlich behandelt, und worauf<br />
kann der Patient selbst achten? Das sind<br />
alles Punkte, die im Gespräch erläutert<br />
werden sollten. Viele Kliniken und<br />
Prof. Dr. med.<br />
Bernhard<br />
Hellmich<br />
Chefarzt der Klinik<br />
für Innere Medizin,<br />
Rheumatologie und<br />
Immunologie<br />
Medius Klinik Kirchheim<br />
unter Teck<br />
Akademisches<br />
Lehrkrankenhaus<br />
der Univ. Tübingen<br />
Betroffenenverbände bieten zu diesem<br />
Zweck Informationsveranstaltungen an.<br />
Wichtig ist, den Patienten an die Hand zu<br />
nehmen und ihn durch die in der Regel<br />
mehrere Jahre dauernde Erkrankung zu<br />
führen.<br />
Es handelt sich um eine chronische<br />
Erkrankung, bei der sich Phasen<br />
mit akuten Krankheitsschüben<br />
abwechseln mit Phasen, in denen die<br />
Erkrankung eher ruht. Wie kann ein<br />
optimales Krankheitsmanagement<br />
aussehen?<br />
Wichtig ist, dass die Betroffenen<br />
regelmäßig von den entsprechenden<br />
Fachärzten gesehen werden, die die<br />
Erkrankung kennen. So kann man frühzeitig<br />
reagieren, wenn die Situation des<br />
Patienten sich verschlechtert. Idealerweise<br />
passiert das an einem spezialisierten<br />
Zentrum.<br />
Sehen Sie als medizinischer Experte<br />
noch einen ungedeckten Bedarf in der<br />
Therapie?<br />
Auf jeden Fall. Es handelt sich um sehr<br />
schwere, teils lebensbedrohliche Erkrankungsverläufe,<br />
auch wenn sich<br />
die Prognose in den letzten 50 Jahren<br />
deutlich verbessert hat. Als die Erkrankung<br />
entdeckt wurde, gab es noch<br />
keinerlei Behandlungsmöglichkeiten<br />
und viele Betroffene sind im Verlauf der<br />
Erkrankung innerhalb kurzer Zeit verstorben.<br />
In den 50er-Jahren wurde die Therapie<br />
mit Cortison eingeführt, wodurch<br />
viele Patienten gerettet werden konnten.<br />
Aber auch da lag die Sterblichkeit noch<br />
bei etwa 50 %. Erst als moderne Immunsuppressiva<br />
eingesetzt werden konnten,<br />
wurden viele Patienten zu einer Remission,<br />
d. h. Beschwerdefreiheit, geführt.<br />
Das verbleibende Problem allerdings ist:<br />
Es sind recht aggressive Therapien, die<br />
das Immunsystem stark unterdrücken.<br />
Dadurch haben wir auch heute noch zwei<br />
Herausforderungen: Zum einen sehen<br />
wir in akuten Krankheitsphasen recht<br />
viele Infektionen, was nach wie vor zu<br />
einer Reduzierung der Lebenserwartung<br />
führt. Andere Patienten haben zudem<br />
das Problem, dass die Medikamente<br />
nicht schnell genug wirken und sich in<br />
der Folge Organschäden entwickeln. Der<br />
Bedarf besteht in neuen Medikamenten,<br />
die zu weniger Infekten führen und mit<br />
denen wir Langzeitschäden eindämmen<br />
können. Auch das Verhindern von Rückfällen<br />
ist in diesem Zusammenhang ein<br />
wichtiger Faktor.<br />
Angesichts der aktuellen Lage überlegen<br />
viele Vaskulitis-Patienten, ob sie<br />
sich gegen COVID-19 impfen lassen sollten<br />
und mit welchem Impfstoff. Können<br />
Sie hier eine Empfehlung geben?<br />
Auch hier muss man Risiken und Nebenwirkungen<br />
abwägen. Die Empfehlung<br />
lautet aber ganz eindeutig, sich impfen zu<br />
lassen. Aus den ersten Erfahrungen, die<br />
wir bisher mit der COVID-19-Schutzimpfung<br />
bei Vaskulitis-Patienten sammeln<br />
konnten, wissen wir, dass die Impfung gut<br />
vertragen wird. Was man beachten muss,<br />
ist der Zeitpunkt der Impfung, da eines der<br />
eingesetzten immunsuppressiven<br />
Medikamente die Antikörperbildung<br />
hemmt. Das kann dazu führen, dass die<br />
Impfung nicht so gut wirkt wie bei einem<br />
gesunden Patienten. Wir versuchen dann,<br />
die betreffenden Patienten dann zu<br />
impfen, wenn die Wirkung dieses<br />
Medikamentes nicht mehr so stark ist.<br />
Bezüglich der Wahl des Impfstoffes sollte<br />
man sich lediglich an die derzeit geltenden<br />
Empfehlungen und Vorschriften<br />
halten. Grundsätzlich sind aber alle<br />
derzeit zugelassenen Impfstoffe für<br />
Vaskulitis-Patienten geeignet.