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Medizinische Detektivarbeit:<br />

Die ANCA-assoziierte<br />

Vaskulitis erkennen und<br />

behandeln<br />

Bei der ANCA-assoziierten Vaskulitis handelt es sich um eine<br />

Gruppe seltener Autoimmunerkrankungen, die auch für erfahrene<br />

Mediziner nicht leicht zu erkennen sind. Ein Gespräch mit dem<br />

Experten Prof. Dr. Bernhard Hellmich über die derzeitigen<br />

Diagnose- und Therapiemöglichkeiten.<br />

Text Hanna Sinnecker<br />

Herr Prof. Hellmich, die ANCAassoziierte<br />

Vaskulitis ist eine seltene<br />

Erkrankung, was es für Ärzte erschwert,<br />

die Erkrankung zu erkennen.<br />

Welche Symptome können auf diese<br />

Erkrankung deuten?<br />

Bei der ANCA-assoziierten Vaskulitis<br />

handelt es sich um eine Autoimmunerkrankung.<br />

In den meisten Fällen werden<br />

Patienten mit Symptomen einer chronischen<br />

Entzündung erstmalig beim Arzt<br />

vorstellig. Was Betroffene immer wieder<br />

berichten, ist, dass sie mit Antibiotika<br />

behandelt werden, aber diese nicht<br />

helfen. Daher ist es wichtig, sich das<br />

Gesamtbild der Symptome anzuschauen.<br />

Für sich genommen sind die Symptome<br />

nicht spezifisch, aber im Gesamtbild ergeben<br />

sie wie bei einem Puzzle Hinweise für<br />

eine Diagnose.<br />

Patienten klagen zu Beginn oft über unspezifische<br />

Symptome wie Gliederschmerzen,<br />

Gelenkschmerzen, manchmal<br />

auch über Nachtschweiß oder Gewichtsverlust.<br />

In manchen Fällen kommt auch<br />

Fieber hinzu. Wenn in diesem Kontext<br />

dann aber andere Beschwerden hinzukommen,<br />

dann muss man an eine ANCAassoziierte<br />

Vaskulitis denken.<br />

Bei der Granulomatose mit Polyangiitis/<br />

GPA (umgangssprachlich als Morbus<br />

Wegener bezeichnet) beginnen die Beschwerden<br />

oft im oberen Respirationstrakt.<br />

Die Patienten berichten über<br />

blutigen Schnupfen oder Nasenbluten<br />

aus beiden Nasenlöchern. Dabei können<br />

blutige Krusten abgehen, die die Nase<br />

auch verstopfen können. Weitere Symptome<br />

im Hals-Nasen-Ohren-Trakt wie<br />

z. B. eine Hörminderung bedingt durch<br />

eine Entzündung der Ohrnerven oder im<br />

Ohr selbst oder eine Beeinträchtigung der<br />

Luftröhre können hinzukommen. Letzteres<br />

äußert sich durch ein Pfeifgeräusch<br />

beim Ausatmen. Bei besonders schweren<br />

Verläufen kann auch die Lunge selbst betroffen<br />

sein: Das zeigt sich im leichtesten<br />

Fall durch Husten und Luftnot, in schwereren<br />

Fällen durch blutigen Husten, wenn<br />

die Lungengefäße durch das Infektionsgeschehen<br />

betroffen sind.<br />

Bei den Patienten mit Mikroskopischer<br />

Polyangiitis/MPA, die ca. die Hälfte aller<br />

Vaskulitis-Patienten ausmachen, ist sehr<br />

oft die Niere betroffen, was sich in geschwollenen<br />

Füßen oder nicht erklärbaren<br />

Blutdruckentgleisungen äußern kann.<br />

Diese Nierenschwäche kann bis zu einem<br />

vollständigen Ausfall der Nierenfunktion<br />

führen. Auch Hautveränderungen, wie z.<br />

B. kleine rote Flecken vor allem an den<br />

Beinen, können auftreten. Zudem kann es<br />

zu Durchblutungsstörungen an Händen<br />

und Füßen kommen, die sich durch eine<br />

Farbveränderung zeigen können. Das<br />

Nervensystem kann im Rahmen einer<br />

Polyneuropathie betroffen sein, wobei<br />

sie bei der ANCA-assoziierten Vaskulitis<br />

sehr rasch fortschreitet und mit einer<br />

Schwäche bei der Zehen- oder Fußhebung<br />

einhergehen kann, die Schmerzen<br />

verursacht. Diese Sonderform der<br />

Neuropathie erlaubt eine Abgrenzung zu<br />

anderen Erkrankungen. Seltener kann es<br />

zu Schlaganfällen oder zu Symptomen im<br />

Magen-Darm-Trakt kommen. Das Herz ist<br />

glücklicherweise sehr selten betroffen.<br />

Wenn sich der Verdacht auf eine<br />

ANCA-assoziierte Erkrankung<br />

erhärtet: Was sind die konkreten diagnostischen<br />

Schritte und wie vermitteln<br />

Sie dem Patienten diese einschneidende<br />

Diagnose?<br />

Das Vorliegen einer entzündlichen<br />

Erkrankung kann man über Laborwerte<br />

recht einfach feststellen. Dabei sind die<br />

Blutsenkungsgeschwindigkeit und der<br />

CRP-Wert die wichtigen Parameter. Bei<br />

einer neu manifestierten ANCA-assoziierten<br />

Vaskulitis sind beide Werte fast<br />

immer erhöht.<br />

Der Begriff ANCA bezieht sich auf die<br />

antineutrophilen cytoplasmatischen<br />

Antikörper, die im Blut bestimmt<br />

werden können. Wenn diese Werte vor<br />

dem Hintergrund des Krankheitsbildes<br />

entsprechend erhöht sind, dann ist es<br />

sehr wahrscheinlich, dass eine ANCAassoziierte<br />

Vaskulitis vorliegt. Man muss<br />

sich dann die einzelnen Symptome<br />

des Patienten genau anschauen. Dazu<br />

benötigt man ein interdisziplinäres<br />

Netzwerk bestehend aus Fachärzten wie<br />

Neurologen, Hals-Nasen-Ohren-Ärzten,<br />

Augenärzten und Radiologen. Sie sind<br />

Teile des „medizinischen Detektivteams“,<br />

um gemeinsam eine verlässliche Diagnose<br />

stellen zu können. Zusätzlich wird<br />

die Diagnose durch eine Biopsie, also eine<br />

Gewebeentnahme, abgesichert.<br />

Der nächste Schritt ist, die Diagnose mit<br />

dem Patienten zu besprechen. Man muss<br />

Patienten die seltene Erkrankung, an der<br />

sie leiden, erklären und sie strukturiert<br />

über die nächsten Schritte informieren:<br />

Wie kann die Therapie aussehen, wie<br />

sieht die Prognose aus, wie lange wird<br />

voraussichtlich behandelt, und worauf<br />

kann der Patient selbst achten? Das sind<br />

alles Punkte, die im Gespräch erläutert<br />

werden sollten. Viele Kliniken und<br />

Prof. Dr. med.<br />

Bernhard<br />

Hellmich<br />

Chefarzt der Klinik<br />

für Innere Medizin,<br />

Rheumatologie und<br />

Immunologie<br />

Medius Klinik Kirchheim<br />

unter Teck<br />

Akademisches<br />

Lehrkrankenhaus<br />

der Univ. Tübingen<br />

Betroffenenverbände bieten zu diesem<br />

Zweck Informationsveranstaltungen an.<br />

Wichtig ist, den Patienten an die Hand zu<br />

nehmen und ihn durch die in der Regel<br />

mehrere Jahre dauernde Erkrankung zu<br />

führen.<br />

Es handelt sich um eine chronische<br />

Erkrankung, bei der sich Phasen<br />

mit akuten Krankheitsschüben<br />

abwechseln mit Phasen, in denen die<br />

Erkrankung eher ruht. Wie kann ein<br />

optimales Krankheitsmanagement<br />

aussehen?<br />

Wichtig ist, dass die Betroffenen<br />

regelmäßig von den entsprechenden<br />

Fachärzten gesehen werden, die die<br />

Erkrankung kennen. So kann man frühzeitig<br />

reagieren, wenn die Situation des<br />

Patienten sich verschlechtert. Idealerweise<br />

passiert das an einem spezialisierten<br />

Zentrum.<br />

Sehen Sie als medizinischer Experte<br />

noch einen ungedeckten Bedarf in der<br />

Therapie?<br />

Auf jeden Fall. Es handelt sich um sehr<br />

schwere, teils lebensbedrohliche Erkrankungsverläufe,<br />

auch wenn sich<br />

die Prognose in den letzten 50 Jahren<br />

deutlich verbessert hat. Als die Erkrankung<br />

entdeckt wurde, gab es noch<br />

keinerlei Behandlungsmöglichkeiten<br />

und viele Betroffene sind im Verlauf der<br />

Erkrankung innerhalb kurzer Zeit verstorben.<br />

In den 50er-Jahren wurde die Therapie<br />

mit Cortison eingeführt, wodurch<br />

viele Patienten gerettet werden konnten.<br />

Aber auch da lag die Sterblichkeit noch<br />

bei etwa 50 %. Erst als moderne Immunsuppressiva<br />

eingesetzt werden konnten,<br />

wurden viele Patienten zu einer Remission,<br />

d. h. Beschwerdefreiheit, geführt.<br />

Das verbleibende Problem allerdings ist:<br />

Es sind recht aggressive Therapien, die<br />

das Immunsystem stark unterdrücken.<br />

Dadurch haben wir auch heute noch zwei<br />

Herausforderungen: Zum einen sehen<br />

wir in akuten Krankheitsphasen recht<br />

viele Infektionen, was nach wie vor zu<br />

einer Reduzierung der Lebenserwartung<br />

führt. Andere Patienten haben zudem<br />

das Problem, dass die Medikamente<br />

nicht schnell genug wirken und sich in<br />

der Folge Organschäden entwickeln. Der<br />

Bedarf besteht in neuen Medikamenten,<br />

die zu weniger Infekten führen und mit<br />

denen wir Langzeitschäden eindämmen<br />

können. Auch das Verhindern von Rückfällen<br />

ist in diesem Zusammenhang ein<br />

wichtiger Faktor.<br />

Angesichts der aktuellen Lage überlegen<br />

viele Vaskulitis-Patienten, ob sie<br />

sich gegen COVID-19 impfen lassen sollten<br />

und mit welchem Impfstoff. Können<br />

Sie hier eine Empfehlung geben?<br />

Auch hier muss man Risiken und Nebenwirkungen<br />

abwägen. Die Empfehlung<br />

lautet aber ganz eindeutig, sich impfen zu<br />

lassen. Aus den ersten Erfahrungen, die<br />

wir bisher mit der COVID-19-Schutzimpfung<br />

bei Vaskulitis-Patienten sammeln<br />

konnten, wissen wir, dass die Impfung gut<br />

vertragen wird. Was man beachten muss,<br />

ist der Zeitpunkt der Impfung, da eines der<br />

eingesetzten immunsuppressiven<br />

Medikamente die Antikörperbildung<br />

hemmt. Das kann dazu führen, dass die<br />

Impfung nicht so gut wirkt wie bei einem<br />

gesunden Patienten. Wir versuchen dann,<br />

die betreffenden Patienten dann zu<br />

impfen, wenn die Wirkung dieses<br />

Medikamentes nicht mehr so stark ist.<br />

Bezüglich der Wahl des Impfstoffes sollte<br />

man sich lediglich an die derzeit geltenden<br />

Empfehlungen und Vorschriften<br />

halten. Grundsätzlich sind aber alle<br />

derzeit zugelassenen Impfstoffe für<br />

Vaskulitis-Patienten geeignet.

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