WOLL Magazin 2021.2 Sommer I Warstein, Möhnesee, Rüthen
WOLL Magazin 2021.2 Sommer I Warstein, Möhnesee, Rüthen
WOLL Magazin 2021.2 Sommer I Warstein, Möhnesee, Rüthen
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<strong>Sommer</strong> 2021<br />
14<br />
Worte, Orte, Land und Leute.<br />
Ausgabe für<br />
<strong>Warstein</strong>,<br />
<strong>Möhnesee</strong> und<br />
<strong>Rüthen</strong><br />
Sauerland<br />
Sauerland-<br />
<strong>Sommer</strong><br />
Hoinkhausen mit „Ö“<br />
Tesla und die Stadt <strong>Warstein</strong><br />
Körbecke: Altes Fachwerkhaus Stockebrand<br />
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Öffnungszeiten<br />
Montag-Freitag · 9 Uhr – 18 Uhr<br />
Samstag · 10 Uhr – 13 Uhr
Liebe Leserinnen und Leser,<br />
der Klimaschutz ist ein zentrales Zukunftsthema. In diesem Zusammenhang<br />
spielt die „Mobilität“ eine bedeutende Rolle, die wir in unserer <strong>Sommer</strong>-Ausgabe<br />
unter die Lupe nehmen. Mobilität 2030 birgt großes Potenzial und ist ein spannender<br />
und gleichzeitig notwendiger Prozess. Natürlich stellt sich auch die Frage,<br />
wann das erste autonome/hochautomatisierte Auto auf Sauerländer Straßen<br />
fährt. Professor Christian Kutzera von der FH Südwestfahlen hält in unserem<br />
<strong>WOLL</strong>-Interview „das Jahr 2025 für haltbar“. Unabhängig davon schützt ein<br />
intelligenter Verkehr, also individuelle Mobilität (Auto, Rad, zu Fuß) mit öffentlichem<br />
Nahverkehr und neuer Mobilität zu verbinden, Umwelt und Klima und<br />
verbessert die Lebensqualität. Auch und besonders ermöglicht ein intelligenter<br />
Verkehr die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, die vor dem Hintergrund der<br />
demografischen Entwicklung und der immer älter werdenden Bevölkerung ein<br />
zentrales Anliegen sein muss.<br />
Paul Senske<br />
Chefredakteur<br />
Auf unserer Rundreise waren wir viel in der freien Natur unterwegs. Wir haben<br />
das idyllisch gelegene Schloss Welschenbeck in Belecke mit der herrlichen Parkanlage<br />
besucht. Wie ein Freilichtmuseum mutet das kleine Dorf Hoinkhausen<br />
bei <strong>Rüthen</strong> an. Auch dort haben wir Station gemacht und nachhaltige Eindrücke<br />
erhalten.<br />
In <strong>Warstein</strong> haben wir uns mit dem jungen Künstler Oliver Schäfer getroffen,<br />
der „Fearless Women“ also „Furchtlose Frauen“ gemalt hat, die jetzt im Gruga-<br />
Park in Essen ausgestellt sind. Zu den „Furchtlosen Frauen“ zählt auch Catharina<br />
Cramer, die Chefin der <strong>Warstein</strong>er Brauerei.<br />
Viel Spaß beim Lesen der <strong>WOLL</strong>-<strong>Sommer</strong>ausgabe!<br />
Paul Senske<br />
Kontakt:<br />
www.woll-magazin.de<br />
redaktion-woll@axo.media<br />
facebook.com/<strong>WOLL</strong><strong>Warstein</strong><br />
<strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021 - 3
<strong>Warstein</strong><br />
06 Maximilian Spinnrath<br />
14 Priesterschüler Jens Baronowsky<br />
42 Tesla und <strong>Warstein</strong><br />
54 FH3 – der 3. Ort<br />
60 Modelleisenbahnfreunde<br />
64 Haus Welschenbeck<br />
80 Künstler Oliver Schäfer<br />
112 Geschwisterkälber<br />
<strong>Möhnesee</strong><br />
17 Haus Stockebrand<br />
<strong>Rüthen</strong><br />
08 Ortsporträt Hoinkhausen<br />
41 Mitfahrerbänke<br />
51 Gegen das Vergessen<br />
57 Selbstschutzschule<br />
Schwerpunkt “Mobilität im<br />
Sauerland” ab Seite 19<br />
Aus dem Sauerland<br />
12 Das Josefsheim<br />
34 Rose-Handwerk<br />
37 Hoppecke-Batterien<br />
63 Premium-Verteilstellen/Impressum<br />
67 Netzfundstücke<br />
68 Der Bestwig Wasserturm<br />
70 ABB<br />
72 Mondraker Rockets<br />
75 Wilhelmine Lübke<br />
78 Gute Geschichten aus Südwestfalen<br />
83 Dolmetscherin und Dozentin Hongxia Zheng<br />
86 Reiterin Kim Brinkmöller<br />
89 Centrotherm<br />
90 Der Schäferwagen<br />
93 Baron von Lüninck<br />
96 Elternratgeber<br />
97 Nina Karpinski, die Vogelpäpplerin<br />
100 Die Pausenbutze<br />
102 Robert geht wandern<br />
105 Fotoserie: Alte Bahnhöfe<br />
110 Gedicht<br />
111 <strong>WOLL</strong>-ABO<br />
4 - <strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021
Die Sonne liebt cremiges Eis in der Waffel.<br />
An heißen <strong>Sommer</strong>tagen muss man<br />
schnell schlecken, denn ihre Strahlenzunge<br />
ist genau so verrückt nach<br />
der leckeren Süßspeise wie wir.<br />
Die erste Eisdiele soll im 17. Jahrhundert ein<br />
ehemaliger Koch des Sonnenkönigs Ludwig XIV. in Paris eröffnet haben, ein<br />
Sizilianer. Über hundert Jahre hat es dann noch gedauert, bis die erste Eisdiele<br />
in Deutschland öffnete. Bis heute sind die meisten Eisdielen noch immer in<br />
italienischer Hand. Kein Wunder, denn die sind einfach Meister ihres Fachs<br />
und produzieren ihr Eis überwiegend selbst. (c.z.)<br />
”Dame in der Badewanne“<br />
Noch bis Ende Juni können<br />
wir uns am “Tränenden Herz”<br />
erfreuen. Dann nämlich sind<br />
herzförmigen Blüten weit geöffnet<br />
und seine “Tränen” sind<br />
zu sehen. Ein wunderschönes,<br />
aber leider auch relativ kurzes<br />
Schauspiel. Der romantische Name passt perfekt zu dieser Pflanze. Warum<br />
die Engländer sie “Lady in the bath”, also “Dame in der Badewanne”<br />
nennen, kann man verstehen, wenn man die Pflanze einmal auf<br />
den Kopf stellt. 2017 war das “Tränende Herz” übrigens “Giftpflanze<br />
des Jahres”. Also bitte nur mit Handschuhen anfassen. (c.z.)<br />
Der Himmel über Meinkenbracht<br />
Im <strong>Sommer</strong> ist es wunderschön, den Nachthimmel zu beobachten. Besonders<br />
auf Hochebenen wie in Sundern-Meinkenbracht. Dem Sternendorf, wie es<br />
sich selbst nennt. Doch nicht alles, was oben am Himmel so hell leuchtet, ist<br />
auch ein Stern. Jüngst hat der Unternehmer Elon Musk 60 Satelliten in die<br />
Erdumlaufbahn gesandt, die schon jetzt deutlich am Himmel zu sehen sind.<br />
1.300 hat Musk schon losgeschickt, bis zu 42.000 Satelliten sollen es noch<br />
werden. Mit seinem SpaceX-Projekt Starklink soll ein globaler Breitband-Internetgürtel<br />
um die Erde gelegt werden, damit auch ländliche Regionen<br />
wie z. B. das Sauerland<br />
bestmöglich mit dem<br />
Internet versorgt werden.<br />
Nun, vielleicht muss man<br />
sich manchmal einfach<br />
ent scheiden: Noch schnelleres<br />
Internet oder die Erhabenheit<br />
des herr lichen<br />
Firmaments. (c.z.)<br />
Martin Richter<br />
Ice in the sunshine<br />
Ein Käfer namens<br />
Würmchen.<br />
Glühwürmchen.<br />
Jedes Jahr um den Johannistag herum,<br />
dem 24. Juni, kann man in warmen<br />
<strong>Sommer</strong>nächten den Tanz der Glühwürmchen<br />
beobachten. In unseren<br />
Breitengraden sind es ausschließlich<br />
Männchen auf Partnersuche, die da<br />
durch die Luft schwirren. Die Weibchen<br />
können nicht fliegen. Der Anblick<br />
versetzt selbst die nüchternsten<br />
Beobachter in eine romantische Stimmung.<br />
Das war´s dann aber auch schon in<br />
Sachen Romantik. Denn wenn ein<br />
Männchen ein Weibchen erspäht hat,<br />
lässt es sich ganz einfach zielgerade auf<br />
dieses fallen. Kurz nach diesem recht<br />
plumpen Liebesspiel endet aber auch<br />
schon ihr Dasein.<br />
Es übrigens die Carbonsäure Luciferin,<br />
die die Käfer zum Leuchten<br />
bringt. Und wenn der Käfer schon<br />
kein Don Juan ist, so ist er doch sehr<br />
energieeffizient, denn um zu leuchten,<br />
wandelt er chemische Energie<br />
nahezu verlustfrei in<br />
(kaltes) Licht<br />
um. (c.z.)<br />
<strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021 - 5
POLITIK, KARNEVAL<br />
UND GANZ VIEL<br />
HEIMATLIEBE<br />
Maximilian Spinnrath - voller Freude an dem, was er tut<br />
Britta Melgert S. Droste<br />
W<br />
er sagt, dass Politiker alt sein müssen? Wo<br />
steht, dass die, die sich für ihre Stadt engagieren,<br />
jahrelange Erfahrung mitbringen müssen?<br />
Warum kann Kommunikation in einer Kommune nicht<br />
auch von einem Twen initiiert werden? Und weshalb sollte<br />
nicht auch ein junger Mann so richtig viel Freude an<br />
Verantwortung haben? Alles ist möglich. Der <strong>Warstein</strong>er<br />
Maximilian Spinnrath stellt den Beweis auf!<br />
Wir treffen Maximilian Spinnrath am neuen Domizil des<br />
<strong>Warstein</strong>er FH3. Als Vorstandsmitglied der Initiative „We<br />
love <strong>Warstein</strong>“, die diesen Treffpunkt für die heimischen<br />
Bürger realisiert hat, packt er natürlich mit an bei den anfallenden<br />
Renovierungs- und Umzugsarbeiten (siehe separater<br />
Bericht). „Schreibtischarbeit allein reicht mir nicht“, lächelt er.<br />
Die leistet er im Wahlkreisbüro als persönlicher Referent und<br />
wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Jörg Blöming MdL. „Mein<br />
Interesse an Politik hat sich bereits in der Schule gezeigt“, erinnert<br />
er sich, „und inzwischen bin ich auch ein Ratsmitglied<br />
der Stadt <strong>Warstein</strong>.“<br />
Impulse eines jungen Menschen<br />
„Ich bin durch und durch <strong>Warstein</strong>er und ich möchte viel<br />
für meine Heimatstadt bewirken“, erklärt Spinnrath und<br />
er ergänzt: „Vielleicht bringe ich eher Impulse der jüngeren<br />
Menschen ein, wie z.B. beim Engagement für den Calistenics-<br />
Park, der noch in diesem Jahr fertiggestellt werden soll.“<br />
„Heimat für mich: Die Offenheit von hier“<br />
Doch der junge <strong>Warstein</strong>er hat auch traditionelle Gedanken,<br />
wenn er an seine Heimatstadt denkt. „Wenn ich nach einer<br />
längeren Abwesenheit endlich die alte Kirche dort oben auf<br />
dem Berg wieder erblicke, dann geht mir das Herz auf. Die<br />
Vorfreude auf die Menschen von hier und auf die Offenheit,<br />
die man bei uns im Gespräch miteinander pflegt - das macht<br />
für mich Heimat aus. Und dabei denke ich nicht unbedingt<br />
nur an meine Leute von Karnevalsverein, die zu meiner zweiten<br />
Familie geworden sind.“ Ach ja, Karnevalsprinz war er<br />
auch schon!<br />
6 - <strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021
„Habt Freude daran“<br />
Doch zurück zur Politik! „Wenn ich da an meine Vorbilder<br />
denke, muss ich gar nicht bis nach Berlin oder Düsseldorf<br />
schauen“, ist sich Spinnrath sicher. „Bleiben wir ruhig<br />
auf kommunaler Ebene. Unser Bürgermeister Dr. Thomas<br />
Schöne beeindruckt mich immer wieder mit seinem Engagement<br />
und mit dem, was er für unsere Stadt schon<br />
erreicht hat.“<br />
Und er selbst? Ob auch ein Maximilian Spinnrath für<br />
junge <strong>Warstein</strong>er ein Mensch ist, dem man nacheifern<br />
möchte? Da ist er bescheiden. „Mich würde schon<br />
freuen, wenn ich die nachwachsende Generation mit<br />
meinem Wahlspruch inspirieren könnte: ‘Wenn<br />
dir etwas nicht passt, ändere es. Wenn du es nicht<br />
schaffst, verändere deine Einstellung‘.“ Seine weiteren<br />
Ratschläge: „Engagement lohnt sich und<br />
bringt euch langfristig immer weiter. Entdeckt<br />
eure Möglichkeiten, lernt Menschen kennen, nutzt<br />
Netzwerke - und habt Freude daran.“ ■<br />
„Ich bin durch und durch <strong>Warstein</strong>er und ich<br />
möchte viel für meine Heimatstadt bewirken“<br />
- Maximilian Spinnrath<br />
<strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021 - 7
Zu Gast in einem kleinen Ort mit großer Historie<br />
Hoinkhausen mit „Ö“<br />
Britta Melgert<br />
Iris Böning<br />
Den Kirchturm sieht man, wenn man Hoinkhausen<br />
besucht, bereits aus der Ferne, dazu<br />
ein paar Gebäude drumherum. Groß ist er<br />
nicht, der <strong>Rüthen</strong>er Ortsteil. Die ländliche Umgebung<br />
lässt auf ein gemächliches Dorfleben für die rund 175<br />
Einwohner schließen. Und doch werden wir uns wundern<br />
über die Bedeutung von Hoinkhausen, das bereits<br />
seit dem 10. Jahrhundert urkundlich erwähnt wurde.<br />
Wir sind direkt an der Kirche mit einer Abordnung<br />
Hoink hauser verabredet, die ihren Ort aus dem Effeff<br />
kennen. Timo Zimmermann ist als Ortsvorsteher<br />
natürlich dabei. Ihr geschichtliches Wissen wird Wilma<br />
Mollerus mit uns teilen. Bernd Lukas und Pascal Rückert<br />
wurden sogar hier geboren; sind also echte Insider!<br />
Historischer Ortskern wie im Freilichtmuseum<br />
Der Kirchplatz liegt ein bisschen erhaben innerhalb einer<br />
gut erhaltenen Mauer. Die besondere Stimmung, die<br />
einen direkt überkommt, wenn man die Stufen hinaufgestiegen<br />
ist, wird mit der parkähnlichen Rasenlandschaft<br />
mit einigen alten Gräbern und hohen Bäumen zu tun<br />
haben. Zusätzlich gibt es aber auch einen sensationellen<br />
Rundumblick auf diverse Gebäude aus der frühen Neuzeit,<br />
beispielsweise das Pastorat, das hier mit dem Baujahr<br />
1680 als ältestes erhaltenes Haus gilt. „Wir stehen<br />
hier in einem Ortskern, den es so in ganz Westfalen nicht<br />
noch einmal gibt“, weiß Pascal Rückert. „Die Vikarie, die<br />
Küsterei, der Zehntspeicher, die Schule und natürlich die<br />
Kirche – alles ist noch als intaktes Ensemble erhalten.“<br />
Tatsächlich wähnt man sich fast im Freilichtmuseum.<br />
12 alte Apostel – aber marode Orgel<br />
Zunächst geht’s in die alte Kirche, deren Bau seinerzeit<br />
von benachbarten Adelshäusern ermöglicht wurde. „Das<br />
gibt’s nicht so oft“, macht uns Wilma Mollerus aufmerksam,<br />
„alle 12 Apostel sind noch im Original an den<br />
Seitenwänden erhalten.“<br />
8 - <strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021
Ein weiteres Highlight liegt Timo Zimmermann sehr am<br />
Herzen: „Unsere alte Orgel aus dem Jahr 1747. Dringend<br />
müsste sie renoviert werden, doch die dafür erforderlichen<br />
Gelder stehen nicht zur Verfügung. Wir freuen<br />
uns aber über jede Spende.“<br />
Geschichten mit Gänsehaut und Fußballfieber<br />
Irgendwann wurde die alte Glocke aus der Kirche ausgebaut.<br />
Jetzt hängt sie in direkter Umgebung außerhalb<br />
der Mauer. Bernd Lukas grinst und verrät: „Auch heute<br />
noch tut sie ihren Job, und zwar zweckentfremdet für<br />
besondere Fußballsiege. Je nachdem, ob der BVB oder<br />
Schalke gewinnt, sorgen mein Nachbar oder ich dafür,<br />
dass die Hoinkhauser das große Ereignis mitbekommen.“<br />
Das sind sie, die Storys, die wohl nur in Dörfern entstehen.<br />
Eine andere, viel ältere Geschichte, kennt wohl jedes<br />
Kind hier. Wilma Mollerus erzählt sie uns: „Als seinerzeit<br />
die Gebeine der hier beigesetzten Adeligen aus den Katakomben<br />
umgebettet werden sollten, prahlte ein Arbeiter<br />
damit, einen der Schädel mit in die Kneipe zu bringen.<br />
Achtung Grusel: Er ging als junger Mann hinunter<br />
und kam mit weißen Haaren wieder heraus.“<br />
Melchior Ludolf Herold – seiner Zeit voraus<br />
Die größte Geschichte, die es zu erzählen gibt, ist jedoch<br />
die über Melchior Ludolf Herold, den wohl berühmtesten<br />
Einwohner. 1780 kam er als Pfarrer nach Hoinkhausen<br />
und brachte fortschrittliche Gedanken mit.<br />
„Heute würde man wohl sagen, dass er gut vernetzt war“,<br />
meint Pascal Rückert. „Sein Denken jedenfalls war seiner<br />
Zeit weit voraus.“<br />
Neben seinen klerikalen Aufgaben kümmerte sich Herold<br />
um das Schulwesen. Er setzte die aus Böhmen kommende<br />
Idee der Industrieschule erstmalig in ganz Westfalen um,<br />
die Schulbildung mit handwerklicher, landwirtschaftlicher<br />
oder hauswirtschaftlicher Ausbildung zu kombinieren,<br />
um Kinder auf ihr Berufsleben vorzubereiten.<br />
Auch die Erwachsenenbildung, beispielsweise in der<br />
Kräuterkunde, war ihm wichtig. In der Folge erlebte man<br />
in Hoinkhausen einen wirtschaftlichen Aufschwung, der<br />
bis ins 20. Jahrhundert hinein spürbar war. „Den Samen<br />
dafür hat Herold gelegt“, ist sich Wilma Mollerus sicher,<br />
und sie fügt hinzu: „Man erzählt, dass früher die Mädchen<br />
aus Hoinkhausen überall begehrte Heiratskandidatinnen<br />
waren, so gut ausgebildet wie sie waren.“<br />
Hoinkhausen heute<br />
Die Zeiten ändern sich. Inzwischen gibt’s vor Ort keine<br />
produzierenden Unternehmen mehr, dafür macht ein<br />
Rei terhof in Fachkreisen von sich reden, und neues Leben<br />
ist z. B. durch Jugendhilfeeinrichtungen eingekehrt.<br />
„Uns ist wichtig, dass die gute Dorfgemeinschaft erhalten<br />
bleibt“, so Timo Zimmermann. „So ein dorfeigener<br />
Weihnachtsmarkt innerhalb der Kirchplatzmauer,<br />
Die Orgel aus dem Jahre 1747<br />
Pascal Rückert, Wilma Mollerus, Bernd Lukas<br />
und Ortsvorsteher Timo Zimmermann (v.l.)<br />
<strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021 - 9
Alte Herold’sche Schule<br />
ist etwas ganz Besonderes. Auch unsere Grillfeste sind<br />
legendär. Wenn Geld vom Getränkeverkauf übrigbleibt,<br />
dann fließt dieses wieder zurück in Ortsprojekte. 2019<br />
haben wir so, aber auch mit viel Eigenleistung, einen<br />
Kinderspielplatz realisiert. Und unser nächstes Projekt<br />
ist der Umbau eines alten Trafohäuschens zu einem multifunktionalen<br />
Gebäude: Mit Büchertauschstelle, Insektenhotel,<br />
Nistkästen für Vögel etc. soll das Objekt mit<br />
dem schönen Gemäuer künftig weiter sinnvoll genutzt<br />
werden.<br />
Kornspeicher<br />
Pfarrkirche St. Pankratius<br />
Ganz wichtig: Das „Ö“<br />
Sie sehen. liebe Leser, ein Besuch in Hoinkhausen lohnt<br />
sich. Eine wichtige Information jedoch sollten Sie noch<br />
haben, bevor Sie richtig Ärger bekommen. Es geht um<br />
die korrekte Aussprache. Hoinkhausen spricht man mit<br />
„ö“ und nicht mit „eu“. „Eunk“ macht das Schwein, so<br />
sagt man hier! Wieder was gelernt, woll? ■<br />
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10 - <strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021
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Auszug aus dem Sauerland- Comic<br />
9<br />
„Das Wunder von<br />
Döneken“, Band 2.<br />
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<strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021 - 11
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Mitten in der Gesellschaft<br />
Kinder und Jugendliche, die Unterstützung im<br />
Alltag benötigen, leben gemeinsam in Olsberg<br />
Britta Melgert<br />
sabrinity<br />
W<br />
er mit einer körperlichen, geistigen oder seelischen Beeinträchtigung aufwächst, hat es nicht leicht. Pflegerische<br />
und therapeutische Maßnahmen sowie die Unterstützung Zuhause überfordern mit den Jahren auch<br />
starke Familienverbünde. Früher wurde dann die heimähnlichen Unterbringung, in der alle Entscheidungen<br />
und Arbeiten ‚rundumsorglos‘ abgenommen wurden, als letzte Alternative gesehen. Dies ist heute anders. So bietet das<br />
Bigger Josefsheim seit mehr als 12 Jahren selbstbestimmtes, familiäres Leben in kleinen Wohngruppen für Kinder und<br />
Jugendliche von 6 bis 18 Jahren an.<br />
Janine Rottler, pädagogische Geschäftsführerin<br />
der Josefsheim gGmbH, kennt<br />
das Dilemma: „Die Kinder im Grundschulalter<br />
und Jugendlichen leben im<br />
Elternhaus größtenteils isoliert. Oft ist<br />
kein Regelbesuch darstellbar, und selbst<br />
wenn, dann frisst allein schon der gesonderte<br />
Bustransport durch die Region<br />
einen großen Teil der Freizeit auf.<br />
Freundschaften zu Mitschülern pflegen<br />
ist dabei oft schwer.“<br />
Hinzu kommt eine weitere Herausforderung:<br />
Wie auch bei anderen Heranwachsenden<br />
beginnt mit dem Älter<br />
werden der Kinder nicht nur die Abgrenzung<br />
gegen die Eltern, sondern es<br />
wachsen auch gewisse Körperbarrieren,<br />
die die Fürsorge und Pflege durch die<br />
Eltern komplizieren. „Für viele von ihnen<br />
ist dann das Leben in einer unserer<br />
wohngemeinschaftsähnlichen Einrichtungen<br />
eine lohnenswerte Alternative“,<br />
so Rottler, die Eltern, die mit der anstehenden<br />
Entscheidung an ihre Grenzen<br />
kommen, während der Findungsphase<br />
gemeinsam mit dem Josefsheim Expertenteam<br />
in vielen Gesprächen begleitet.<br />
„Keine Familie muss alleine durch diese<br />
Situation gehen. Sich professionelle<br />
Hilfe zu holen ist vernünftig und eine<br />
gute Entscheidung. Dabei sehen wir uns<br />
jedoch niemals als Familienersatz, sondern<br />
nur als Unterstützung im Alltag.<br />
Die Bindung zur eigenen Familie kann<br />
hier bei uns durch die sehr gern gesehenen<br />
Besuche sogar noch enger werden,<br />
da das Konfliktpotenzial ja größtenteils<br />
ausgelagert ist.“ Michaele Halbey,<br />
die als Geschäftsfeldleiterin ‚Wohnen<br />
und personenbezogene Dienstleistungen‘<br />
tätig ist, erklärt die Leistungen des<br />
Josefsheims so: „In kleinen Wohngruppen<br />
trainieren wir mit den Heranwachsenden<br />
den Umgang mit alltäglichen,<br />
haushaltstypischen Aufgaben. Einen<br />
Speiseplan aufstellen, einkaufen gehen,<br />
der Umgang mit Geld – all das muss<br />
geübt werden. Die zentrale Lage der<br />
Einrichtung in Olsberg-Bigge macht<br />
das Leben ‚Mitten in der Gesellschaft‘<br />
zur Normalität. Mit der in unmittel-<br />
12 - <strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021
ar gelegenen Schule an den Ruhrauen<br />
besteht eine enge Nachbarschaft. Das<br />
Ziel unserer Leistungen für Kinder und<br />
Jugendliche ist ein selbstbestimmtes,<br />
selbstständiges Leben als Erwachsener.<br />
Doch davor begleiten wir natürlich<br />
nicht nur die Schul- und Berufsausbildung<br />
oder ein Studium, sondern auch<br />
die medizinische und therapeutische<br />
Versorgung bzw. Entwicklung.“ Die Erfahrung<br />
zeigt, dass der enge Kontakt zu<br />
Menschen mit ähnlichen Herausforderungen<br />
der Entwicklung guttut. Gruppendynamik<br />
entsteht beispielsweise<br />
beim gemeinsamen Schwimmen, therapeutischem<br />
Reiten oder beim fröhlichen<br />
Musizieren. „Besonderen Anklang finden<br />
auch Ausflüge oder Urlaubsfahrten<br />
in den Schulferien“, so Halbey. „Und<br />
natürlich sind die ganz normalen Feste,<br />
wie Geburtstage, Schulentlassung oder<br />
die christlichen Feiertage, echte Highlights<br />
in den Gruppen.“ Was im Haus<br />
Jakobus erfolgreich praktiziert wird, soll<br />
nun in die Breite getragen werden. „Je<br />
nach Bedarf sind wir offen für ähnliche<br />
Projekte im Gebiet des HSK und des<br />
Kreises Soest“, erklärt Michaele Halbey.<br />
„Man weiß heutzutage, dass eine wohnortnahe<br />
Unterbringung sowohl den Jugendlichen<br />
als auch den Angehörigen<br />
zugutekommt. Deshalb sind wir sehr an<br />
Kontakten zu betroffenen Familien interessiert,<br />
um praktikable Lösungen zu<br />
finden. Bitte sprechen Sie uns an!“ ■<br />
Betroffene und Interessierte<br />
können sich jederzeit<br />
vertrauensvoll an das Experten-Team<br />
des Josefsheim<br />
wenden. Alle Informationen<br />
und Ansprechpartner finden<br />
Sie direkt online unter www.<br />
josefsheim-bigge.de/wohnen.<br />
josefsheim-bigge.de
Jens Baronowsky und seine<br />
Berufung zum Priester<br />
„Der Kern der<br />
Wahrheit bleibt<br />
und motiviert“<br />
Christel Zidi<br />
sabrinity<br />
Sonntag in den Gottesdienst. Etwas<br />
ganz Selbstverständliches für Jens Baro-<br />
Am nowsky aus Hirschberg. Schließlich<br />
kommt der 24-Jährige aus einem soliden, katholischen<br />
Elternhaus. Der Vater war nebenamtlich als Kirchenmusiker<br />
tätig. Die Mutter innerhalb in der Kirchengemeinde<br />
sehr engagiert. Wer oder was hat diesen jungen Menschen<br />
bewogen, sein Leben ganz in den Dienst der Kirche zu stellen?<br />
Um es gleich vorweg zu nehmen: Die „Bennies“ waren es<br />
nicht. Auch wenn Jens Baronowsky in Meschede aufs Gymnasium<br />
der Benediktiner gegangen und dort sein Abitur gemacht<br />
hat. Zu damaliger Zeit hätte er sich „viele Dinge vorstellen<br />
können; zum Beispiel Lehrer zu werden“.<br />
Auf die Frage nach den Beweggründen für eine Laufbahn als<br />
Priester, erinnert er sich gern an Manuel Klashörster, Vikar<br />
aus <strong>Warstein</strong>, der ihn mit seiner Begeisterung für den Glauben<br />
anstecken konnte „Er konnte zu allen Dingen Rede und<br />
Antwort geben.“ Förderlich war auch „die enge Sozialstruktur<br />
in Hirschberg“, erklärt Jens Baronowsky, „Das ganze Sauerland<br />
ist davon geprägt, von dem selbstverständlichen Katholizismus.<br />
Auch von der vielerorts üblichen Heiligenverehrung:<br />
„Es geht nicht darum, Heilige anzubeten, sondern sie zu verehren.<br />
Sie als guten Freund zu sehen, der hilfreich in unserem<br />
Tun ist und Fürbitte für uns einlegt.“<br />
Der junge Hirschberger studiert jetzt im 7. Semester am Erzbischöflichen<br />
Priesterseminar in Paderborn. Insgesamt acht<br />
Jahre dauert die Ausbildung zum Priester. Das Propädeuti-<br />
14 - <strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021
kum, die „Vorerziehung“, hat er schon längst hinter sich. Also<br />
das Jahr in dem man quasi akklimatisiert wird. Das war auch<br />
die Zeit, in der verstärkt Fragen in ihm hochkamen, wie „Bin<br />
ich der Richtige für dieses Amt?“. Die Schüler des Priesterseminars<br />
haben auch später, während des Studiums, noch<br />
genügend Zeit sich mit der Frage auseinandersetzen, ob der<br />
eingeschlagene Weg, der richtige für sie ist.<br />
Für Jens Baronowsky ist er das. Deshalb muss er jetzt neben<br />
den theologischen Fächern auch Griechisch und Hebräisch<br />
lernen, Latein hatte er schon auf dem Gymnasium. Das Hebräische<br />
zu erlernen ist noch einiges schwieriger: eine andere<br />
Grammatik, man schreibt von rechts nach links, die Vokale<br />
werden manchmal nicht geschrieben …<br />
„Wir können die Psyche<br />
nicht behandeln“<br />
Nach seiner Ausbildung wird Baro nowsky nicht ins Kloster<br />
gehen, das ist nichts für ihn. „Ich bin gern bei den Menschen,<br />
in deren Lebensumfeld. Das macht mir viel Freude.“ Er möchte<br />
Seelsorger werden, denn er „möchte den Menschen helfen,<br />
damit sie ihre Lebenssituation richtig erkennen können“. Das<br />
sehen auch viele Psychologen als ihre Aufgabe an. Wo sieht<br />
Jens Baronowsky den Unterschied zwischen diesen beiden Berufen?<br />
„Seelsorger sind für die Seele da“, erklärt er den Unterschied.<br />
„Wir könne die Psyche nicht behandeln.“ Aber: „Wenn<br />
ich als Seelsorger nicht weiterkomme, würde ich einen Psychologen<br />
empfehlen.“<br />
„Priester zu sein – Das ist für mich kein Beruf, sondern eine<br />
Berufung“ erklärt Jens Baronowsky. Diesem Ruf zu folgen,<br />
stand und steht für ihn an erster Stelle. Dabei hätte er sich<br />
durchaus vorstellen können, eine eigene Familie zu gründen.<br />
„Aber ich weiß, wenn ich diesem Ruf, dem Ruf Christi nicht<br />
folgen würde, hätte ich stets eine bleibende Unversöhntheit<br />
in mir.“<br />
Viele Menschen plagen sich von Zeit zu Zeit mit Glaubenszweifeln.<br />
Auch oder gerade ein Priesterschüler? „Ja, durchaus“,<br />
bestätigt das Baronowsky. Und dabei geht es ihm nicht allein<br />
um die derzeitige Position der Katholischen Kirche und dass<br />
er sich manchmal rechtfertigen müsse. Vieles, was da geschehen<br />
ist, ist auch für ihn „durchaus abschreckend und traurig.“<br />
Die<br />
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in <strong>Warstein</strong><br />
<strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021 - 15
„Es ist mein Weg<br />
mit Mut und Tat“<br />
Vorrangig geht es ihm aber darum, den eigenen Weg vor<br />
Gott zu gehen. Alles rückführen zu können auf Christus. Alles<br />
auf ihn auszurichten. Auch angesichts des Bibelstudiums<br />
sind schon mal Zweifel in ihm hochgekommen, auch angebrachte.<br />
„Aber der Kern der Wahrheit bleibt und motiviert.<br />
Vor allem dann, wenn man Gott in seinem Leben wirken<br />
sieht.“ Das bestätigt ihn auch darin, den eingeschlagenen<br />
Weg zu gehen: „Es ist mein Weg mit Mut und Tat.“<br />
Jens Baronowsky ist davon überzeugt, dass die meisten von<br />
uns auch die Sehnsucht nach etwas Spirituellem haben. Oft<br />
sei diese Spiritualität in jungen Jahren noch nicht vorhanden,<br />
komme aber im Laufe des Lebens und zeige sich auch<br />
daran, dass man das Wirken Gottes auch an seinem Schaffen<br />
erkennt, an der Schönheit der Natur. „Und die ist in meiner<br />
Heimat, im Sauerland, ganz besonders schön und wohlgeraten.“<br />
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16 - <strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021
Altes Fachwerkhaus Stockebrand<br />
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Die alte Körbecker Weisheit verweist auf eine der<br />
vielen Nutzungsarten des „Alten Fachwerkhauses<br />
Stockebrand“. Heute bietet der Kulturverein<br />
die unterschiedlichsten Programme in dem alten<br />
Fachwerkhaus an. Dabei stand vor knapp 22 Jahren zum<br />
zweiten Mal der Abriss des Hauses zur Debatte. Mit nur<br />
einer einzigen Stimme Mehrheit wurde dafür gestimmt,<br />
dass das Gebäude noch steht.<br />
Heute sind vom alten Stockebrand-Anwesen nur das Wohnhaus<br />
als eines der letzten Fachwerkhäuser Körbeckes und<br />
das „Haus des Gastes“ erhalten geblieben. Erste Erwähnung<br />
findet das Haus im Urkataster 1829. 1880 gehörte es dem<br />
Zimmermeister Ferdinand Stockebrand, 1885 wird in der<br />
Gebäudesteuerrolle die von August Stockebrand betriebene<br />
„Dampfkornbrantweinbrennerei und Preßhefefabrik“ genannt.<br />
Spezialität der Brennerei war der „Körbecker Doppelkorn“.<br />
Nach der Schließung des Betriebs 1934/35 wurden<br />
Land und Wirtschaftsgebäude an heimische Landwirte verpachtet.<br />
Gegen Ende des 2. Weltkrieges waren in den Wirtschaftsgebäuden<br />
russische Gefangene und Fremdarbeiter<br />
untergebracht. Allein in der riesigen Scheune befanden sich in<br />
den letzten Kriegstagen 1.500 Gefangene.<br />
In den 50er Jahren dann zog die Weberei Winkler AG in die<br />
Wirtschaftsgebäude, in den 60ern fertigte die Firma Rösler<br />
dort Drahtseile. Das Wohnhaus selbst wurde bei Ende der<br />
60er Jahre noch bewohnt.<br />
Auf und Ab<br />
1971 erwarb die Gemeinde <strong>Möhnesee</strong> das Grundstück. Eigentlich<br />
sollten alle Gebäude abgerissen werden. Doch eine<br />
Überprüfung der Bausubstanz änderte die Pläne und man<br />
beschloss, das Gebäude zu erhalten. Der erste Vorschlag zur<br />
Nutzung des Fachwerkhauses als Heimatmuseum kam 1974<br />
von der Arbeitsgemeinschaft für Heimatpflege <strong>Möhnesee</strong><br />
unter Federführung des späteren Bundestagsabgeordneten<br />
Bernhard Schulte-Drüggelte. Dieser Vorschlag entwickelte<br />
sich weiter zu einem Museum für die zahlreichen am <strong>Möhnesee</strong><br />
ansässigen Künstler. So wurde das Künstlermuseum 1976<br />
mit einer Ausstellung von Fritz Viegener eröffnet. Seit 1984<br />
findet im Zweijahresrhythmus die landesweit bekannte Osterausstellung<br />
statt. Vor allem baltische Besucher zieht es zur<br />
Gedenkstube für Jānis Jaunsudrabiņš (1877-1962). Der lettische<br />
Schriftsteller und Maler kam 1944 nach Deutschland<br />
und ließ sich mit seiner Frau im „Mondscheinhäuschen“ am<br />
Südufer des <strong>Möhnesee</strong>s nieder. 1994 fand Haus Stockebrand<br />
seinen Eintrag in die Liste denkmalgeschützter Objekte.<br />
1996 übertrug die Gemeinde dem frisch gegründeten Kulturverein<br />
<strong>Möhnesee</strong> die Nutzungsrechte für Haus Stockebrand.<br />
Nun sollte das Museum für alle Künstler<br />
geöffnet werden. Doch es kam<br />
anders: 1998 musste es wegen Baufälligkeit<br />
geschlossen werden - und<br />
plötzlich stand wieder der Abriss<br />
zur Debatte. Der Kulturverein<br />
<strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021 - 17
organisierte eine große Unterschriftenaktion zu Gunsten<br />
einer Sanierung, arbeitete ein Nutzungskonzept<br />
aus und beschaffte mit Hilfe der NRW-Stiftung wertvolle<br />
Förderungsgelder. Als es dann am 12.08.1999 im<br />
Rat hieß, über das weitere Schicksal von Haus Stockebrand<br />
abzustimmen, fiel die Entscheidung so knapp<br />
aus, wie nur irgend möglich: Mit nur einer Stimme<br />
mehr wurde zugunsten des Hauses entschieden.<br />
Kultur für alle<br />
Seitdem wird das Fachwerkhaus vom Kulturverein bewirtschaftet.<br />
Franziska Hanusa und Alfons Mühlenschulte, die<br />
beiden Vorsitzenden des Vereins, sind stolz auf die aktive<br />
Nutzung des Gebäudes. „Wir versuchen hier mit kleinem<br />
Budget ein tolles Programm auf die Beine zu stellen“, erzählt<br />
die Vorsitzende. In normalen Zeiten findet jeden Monat eine<br />
Veranstaltung statt. Alfons Mühlenschulte ist stolz, dass das<br />
Kulturangebot so gut ankommt: „Vor leerem Haus hat hier<br />
noch keiner gespielt!“<br />
Die Veranstaltungen sind dabei so vielfältig wie die Region:<br />
Da gibt es das offene Singen, Vorträge über Wild im Arnsberger<br />
Wald, Musik, Bildervorträge über Reisen, Karneval,<br />
Wissenschaft, Lesungen und vieles mehr. Besonders beliebt<br />
sind auch die Kleinkunstabende, bei denen jeder fünf Minuten<br />
lang vortragen kann, was er möchte. Verliebte Paare können<br />
sich außerdem im „Kaminzimmer“ das Ja-Wort geben.<br />
„Manchmal hätten wir hier gern mehr Platz“, gesteht Alfons<br />
Mühlenschulte. „Aber dann wieder denke ich, das ist doch<br />
genau das Tolle hier, diese heimelige Atmosphäre, die man<br />
woanders eben nicht hat.“<br />
Auch organisiert der Verein zwei bis drei Ausstellungen lokaler<br />
Künstler pro Jahr. „Wir können hier natürlich keine großformatigen<br />
Werke ausstellen“, so Franziska Hanusa. „Aber die<br />
Künstler fertigen dann auch oft etwas für die Räumlichkeiten<br />
hier an.“ Jetzt hofft der Verein, dass das kulturelle Leben bald<br />
wieder aufgenommen werden kann. „Unsere Künstler stehen<br />
schon in den Startlöchern!“ ■<br />
Kaminzimmer<br />
„Wir versuchen hier mit kleinem<br />
Budget ein tolles Programm auf die<br />
Beine zu stellen“- Franziska Hanusa<br />
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18 - <strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021
Leben im Sauerland<br />
<strong>WOLL</strong><br />
Worte, Orte, Land und Leute.<br />
Verlags-Spezial<br />
Mobilität und<br />
Verkehr im Sauerland<br />
<strong>WOLL</strong> – mit Herz und Hand von<br />
Mobilität 2030 birgt enormes Potenzial Seite 20<br />
Hasse chehört Seite 23<br />
Die Anfänge der Mobilität Seite 24<br />
Level 5 im Sauerland Seite 27<br />
Peter Nürnberger und sein Austin Healey Seite 32<br />
Der Kleinstwagen aus dem Sauerland Seite 35<br />
Die Ruhrtaler Motorenwerke Seite 38<br />
Mitfahrerbänke Seite 41<br />
Tesla und die Stadt <strong>Warstein</strong> Seite 42<br />
Tweed-Run Seite 44<br />
Anmerkungen zu Mobilität im Sauerland Seite 45<br />
Carsharing Seite 46<br />
Ballonfahrer Daniel Thamm Seite 47<br />
Busfahrerin Pauline Zacharias Seite 48<br />
<strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021 - 19
MOBILITÄT<br />
2030 BIRGT<br />
ENORMES<br />
POTENZIAL<br />
Mobilitätswende als Herausforderung<br />
und Chance:<br />
Menschen müssen<br />
überzeugt werden<br />
Paul Senske<br />
Hochsauerlandkreis<br />
Die Mobilität gilt als eine der zentralen Herausforderungen<br />
unserer Zukunft. E-Mobilität,<br />
automatisiertes Fahren, Carsharing, E-Bike-<br />
Boom oder intelligente, digitale Vernetzung unterschiedlicher<br />
Angebote zeigen einige Tendenzen, wohin<br />
der Aufbruch in ein neues, multimobiles Zeitalter, das<br />
ökologische, soziale und wirtschaftliche Aspekte integriert,<br />
geht. Es zeichnet sich ab, dass die Mobilität<br />
2030 enormes Potenzial birgt - mit der Digitalisierung<br />
als Innovationsmotor. Wichtig ist es, die Menschen an<br />
der „Evolution der Mobilität“ zu beteiligen und sie zu<br />
überzeugen, dass sie von den neuen und nachhaltigen<br />
Modellen profitieren. „Die Mobilitätsangebote werden<br />
vielfältiger und flexibler, der Verkehr emissionsärmer“,<br />
erklärt Jörg Maaß, beim Hochsauerlandkreis zuständig<br />
für Mobilität im Fachdienst Strukturförderung und Regionalentwicklung.<br />
„Es wird ein spannender Prozess.“<br />
Als Prämisse für diesen Prozess gilt es, einen ganzheitlichen<br />
Blick auf die Mobilität zu werfen. „Mobilität ist ein Grundbedürfnis<br />
der Menschen“, so Maaß. Bei der Mobilität geht<br />
es nicht nur um die Möglichkeit, sich von einem zum anderen<br />
Ort bewegen zu können, sondern auch um soziale<br />
Teilhabe und Freiheit des Einzelnen, um Lebensqualität<br />
sowie gleichwertige Lebensverhältnisse in Stadt und ländlichen<br />
Regionen. Mobilität mit einer klimafreundlichen, modernen<br />
und leistungsfähigen Verkehrsinfrastruktur ist eine<br />
der Grundvoraussetzungen für Wirtschaftswachstum und<br />
Beschäftigung, auch und besonders für den starken Wohn-,<br />
Wirtschafts- und Tourismusstandort Sauerland, natürlich<br />
auch für die ebenso breit aufgestellte Hellweg-Region.<br />
Soziale, ökologische und<br />
ökonomische Nachhaltigkeit<br />
Die Kommunen vor Ort müssen diesen Prozess, den<br />
Bedürfnissen der Menschen entsprechend, gestalten und<br />
begleiten. Der Kreistag des Hochsauerlandkreises hat 2019<br />
den Nahverkehrsplan 2019 - 2023 beschlossen. „Das Leitbild<br />
zur Weiterentwicklung der Mobilitätsangebote stellt<br />
die soziale, ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit<br />
in den Mittelpunkt“, heißt es. Der Erhalt und die langfristige<br />
Sicherung des ÖPNV-Angebots in seiner Grundstruktur<br />
wurden als vorrangiges Ziel formuliert. Zudem<br />
sollen weitere Möglichkeiten zur Entwicklung des Mobilitätsangebotes,<br />
die über 2023 hinausgehen, untersucht<br />
werden, wie der Ausbau der Mobilstationen, die Nutzung<br />
der Digitalisierung zur Fahrgastinformation und für den<br />
Ticketverkauf oder die Einführung eines Qualitätsmanagements.<br />
Der Kreis Soest hat 2018 seinen Nahverkehrsplan<br />
auf den Weg gebracht, der Kreis Olpe zwei Jahre früher.<br />
Der Tenor in allen drei Kreisen: Soziale und umweltverträgliche<br />
Gestaltung des täglichen Verkehrs, Ausbau<br />
des ÖPNV sowie Sicherstellung der Mobilität der Menschen<br />
zum Erhalt der Lebensqualität und Attraktivität der<br />
Wirtschaftsstandorte. Auch die Städte sind aktiv: Soest hat<br />
2016 einen Verkehrsentwicklungsplan verabschiedet, Arnsberg<br />
arbeitet mit einem „Masterplan Mobilität 2030“ als<br />
Klimaschutz-Teilkonzept. Die Stadt Olpe hat die Vision<br />
„Olpe 2030“ als Smart City entwickelt. Umwelt, Mobi lität<br />
und Wirtschaft spielen eine bedeutende Rolle. Olpe als Pionierstadt<br />
entwickelt zudem gemeinsam mit Arnsberg, Bad<br />
20 - <strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021
Erwartet einen spannenden<br />
Mobilitätsprozess: Jörg Maaß.<br />
Berleburg, Menden, Olpe sowie der<br />
Südwestfalenagentur das Modellprojekt<br />
„Smart Cities, 5 für Südwestfalen“.<br />
Digitalisierung spielt<br />
bedeutende Rolle<br />
Zukunftsforscher sind sich einig,<br />
dass die Mobilitätszu kunft umweltverträglich,<br />
elektrisch, vernetzt und<br />
auto matisiert sein wird. Die Digitalisierung<br />
spielt dabei eine bedeutende<br />
Rolle und eröffnet neue Potenziale.<br />
Das bisher stark habitualisierte werde<br />
sich zu einem multimodalen Verkehrsverhalten<br />
entwickeln. Das gelte<br />
vor allem für junge Menschen. „Die<br />
digitalen Angebote werden vielfältiger<br />
und flexibler, hoffentlich auch<br />
einfacher“, so Jörg Maaß. „Vor allem<br />
die junge Generation ist dafür offen.“<br />
Ein wichtiger Schritt auf diesem Weg<br />
ist die noch für dieses Jahr geplante<br />
Einführung des „eTickets NRW“ für<br />
den ÖPNV. Mit diesem landesweiten<br />
„eTarif NRW“ checkt der Fahrgast<br />
via Smartphone beim Einstieg in Bus<br />
oder Bahn ein und beim Aussteigen<br />
selbst oder automatisch wieder aus.<br />
Der Preis wird nach dem Ausstieg<br />
mit einem Grundpreis und den Luftkilometern<br />
zwischen Start und Ziel<br />
berechnet. Mit dem E-Tarif, der die<br />
bisherigen Tarife ergänzt, entfällt die<br />
umständliche Suche nach einem Anschluss-Ticket<br />
für die Weiterfahrt in<br />
den Bereich des je weiligen anderen<br />
Verkehrsverbundes.<br />
Im Mittelpunkt der Diskussion steht<br />
das Auto. Jungen Menschen gilt<br />
es zunehmend nicht mehr als Statussymbol.<br />
Carsharing werde auch<br />
in ländlichen Regionen an Bedeutung<br />
gewinnen, heißt es. „So ganz<br />
lässt sich der Indivi dualverkehr mit<br />
dem Auto aber nicht ausbremsen“,<br />
sagte Landrat Dr. Karl Schneider auf<br />
der Europäischen Mobili tätswoche<br />
im September 2019 in Meschede.<br />
„Dafür stellt der Hochsauerlandkreis<br />
als Flächenkreis mit seinem hohen<br />
Mobilitätsbedarf, als Wirtschaftsstandort<br />
und als Naherholungsregion<br />
zu hohe Anforderungen.“<br />
Und wie sieht es mit dem ersten<br />
autonomen Fahrzeug im Sauerland<br />
und in der Hellweg Region aus?<br />
Professor Dr. Christian Kutzera von<br />
der FH Südwestfalen sieht „das Jahr<br />
2025 für haltbar. Beim autonomen<br />
Fahrzeug soll zunächst das Level<br />
3 von insgesamt 5 auf den Straßen<br />
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<strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021 - 21
„Die Energie wird teurer, ohne<br />
Energie läuft Mobilität nicht.“<br />
- Jörg Maaß<br />
verfügbar sein.“ Beim Level<br />
3, dem hochautomatisierten<br />
Fahren, übernimmt die Autotechnik<br />
viele Funktionen<br />
selbst. Bei Gefahr oder Systemausfall<br />
kann der Fahrer<br />
eingreifen.<br />
Die neue Mobilität<br />
bedeutet auch einen<br />
Modernisierungsschub<br />
Die neue Mobilität hat<br />
ihren Preis und erfordert<br />
erhebliche Investitionen.<br />
„Die Energie wird teu rer,<br />
Mobilität kann ohne Energie<br />
aber nicht laufen“,<br />
erklärt Maaß. Ausbau der<br />
Radwegenetze, Umrüstung<br />
der Busse auf E-Mobilität,<br />
Ertüchtigung und Elektrifizierung<br />
des Schienennetzes<br />
für Züge, die nicht mehr<br />
mit Diesel fahren: Diese<br />
Maßnahmen stehen u. a. auf<br />
der Investitionsagenda und<br />
bedeuten einen Modernisierungsschub,<br />
der auch die<br />
Wirtschaft ankurbelt.<br />
Bei der Entwicklung der<br />
künftigen Mobilität müssen<br />
auch Tendenzen und Bewegungen<br />
betrachtet werden,<br />
die die Corona-Pandemie<br />
offengelegt hat. Wie sieht<br />
es mit der demografischen<br />
Entwicklung aus? Corona<br />
hat einen Trend zur „Landliebe“<br />
verstärkt und den<br />
ländlichen Regionen mögliche<br />
neue Chancen eröffnet.<br />
Kann zudem durch das verstärkte<br />
Homeoffice der Pendlerverkehr<br />
eingeschränkt<br />
werden? Entstehen entsprechende<br />
neue Arbeits welten?<br />
Kann der Fachkräftemangel<br />
besonders bei den Busfahrern<br />
entschärft werden? Wie<br />
entwi ckeln sich die Innenstädte,<br />
die durch Corona<br />
arg gebeutelt sind? Wie<br />
sieht es künf tig mit den<br />
heimischen Tourismusregionen<br />
aus? Eröffnen sich<br />
angesichts der Tatsache, dass<br />
der internatio nale Flugverkehr<br />
in Turbulenzen ge raten<br />
ist, neue Chancen für die<br />
heimischen Naherholungsgebiete?<br />
„Diese Tendenzen<br />
müssen bei den Planungen<br />
berücksichtigt werden.<br />
Zudem ist der Hochsauerlandkreis<br />
mit seinen unterschiedlichen<br />
Einwohner-Schwerpunkten<br />
nicht<br />
homogen“, betont Maaß.<br />
„Die Angebote müssen der<br />
jeweiligen Region angepasst<br />
werden.“ Für Maaß<br />
wird der Weg zur Mobilität<br />
2030 eine „spannende Zeit“.<br />
Landrat Dr. Karl Schneider<br />
sieht im HSK „einen auf<br />
Maß und Mitte basierenden<br />
Weg zu einem erweiterten<br />
ÖPNV“. Ein Olper Bürger<br />
hat folgende Vision: „Olpe<br />
wird durch alternative<br />
Verkehrsmittel mehr Lebensqualität<br />
erhalten. Es wird<br />
eine mobile Stadt in Form<br />
von elektrischen Bussen und<br />
Shuttlen oder Ähnlichem.<br />
Dörfer werden an Olpe angeschlossen<br />
sein sowie diverse<br />
Sehenswürdigkeiten rund<br />
um den Biggesee.“ ■<br />
22 - <strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021
Hasse chehört…?<br />
Anke Kemper<br />
ma, Lisbeth, mit wat is denn der Friedel da<br />
chestern durch de Straße jefahren?“<br />
„Sach<br />
„Ach, Fine, dat war doch ein Elektromobil für<br />
Senioren. Da hat er ne Probefahrt mit jemacht.“<br />
„Ja wieso dat denn? Ihr seid doch noch nich alt und außerdem<br />
fahrt ihr Auto.“<br />
„Jau, abba der Friedel iset leid, dat er nich mehr inne<br />
Parklücke passt, wenn er zum Einkaufen fährt. Weißte doch:<br />
Die sind viel zu eng für diese großen Karren alle.“<br />
„Abba ihr fahrt doch nen Polo. Da kommste doch überall<br />
mit inne Ecken.“<br />
„Ja wir, abba de andern nich. Wenn de zwischen zwei so<br />
dicke Karren parkst, kommste auch mit dem Polo nich<br />
mehr chut raus.“<br />
„Haste Töne! Und dann will der Friedel mit son nem Elektromobil<br />
durch de Jegend juckeln? Da kommste ja kaum<br />
mit voran.“<br />
„Macht ja nix. Der hat doch Zeit. Und mit so nem Jefährt<br />
darfste sogar inne Fußgängerzone fahren und dat Beste is:<br />
fast überall parken, sogar im Hausflur!“<br />
„Also, ich weißnich. Wo packt er denn de Einkäufe alle hin?“<br />
„Da chibt et jenuch Zubehör dazu, auch nen Korb, weißte.“<br />
„Und wenn de mal mitwillst?“<br />
„Willichnich. Is nur für den Friedel, damit er weiter cherne<br />
einkaufen chet. Dat iset mir wert. Dann hab ich dat nich<br />
anner Backe und er is ne Weile beschäftigt.“<br />
„Achso, klingt chut. Und wennet regnet, fährst dann du mit<br />
dem Auto.“<br />
„Ja, stimmt wohl. Und im Winter auch.“<br />
„Vergiss nich den stürmischen Herbst und im Frühjahr de<br />
Eisheiligen sind auch nich zu unterschätzen. Da fährt der<br />
Friedel sicher nich los.“<br />
„Ach Fine, du kannst einem abba auch allet madich reden.<br />
Jetzt hatte ich mich mal so jefreut, dat der Kerl ne neue Beschäftijung<br />
hat.“<br />
„Is doch nur ne chut jemeinte Vorwarnung! Weißte Lisbeth,<br />
de cheistige Mobilität is doch imma noch dat Wichtigste,<br />
woll?“ ■<br />
<strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021 - 23
Die Anfänge der Mobilität im Sauerland<br />
Christel Zidi<br />
Kreisarchiv des Hochsauerlandkreises & Sammlung Bernd Schulte<br />
Vor der alten Post in Fredeburg<br />
Auto, Bus und Bahn – lau ter<br />
Selbstverständ lichkeiten<br />
im 21. Jahrhundert. Aber<br />
wie sah es vor diesen Erfindungen<br />
aus? Wie kamen die Menschen von<br />
A nach B? Und wann zog die Mobilität,<br />
so wie wir sie kennen, ins<br />
Sauerland ein?<br />
Susi Frank arbeitet als Historikerin<br />
im Archiv des Hochsauerlandkreises<br />
und hat sich für uns<br />
auf die Suche nach den Anfängen<br />
der Mobilität gemacht. Sie hat in<br />
alten Büchern geblättert und in<br />
Urkunden gestöbert und dabei so<br />
einige Schätze ausgegraben.<br />
<strong>WOLL</strong>: Ein ausreichendes Wegeund<br />
Straßennetz, eine gute Infrastruktur<br />
wie wir es heute nennen,<br />
gab vor dreihundert Jahren im<br />
Sauer land noch nicht…<br />
Susi Frank: Aber ein Wegesystem<br />
fernab der großen Straßen gab es<br />
schon immer. Das waren hauptsächlich<br />
größere oder kleine Trampelpfade,<br />
die schon seit Jahrhunderten<br />
benutzt wurden. Häufig führten die<br />
Pfade auf kürzestem Wege zum Ziel<br />
und waren daher beschwer lich, weil<br />
sie über steile Bergkuppen führten.<br />
Oft waren diese Wege nur zu Fuß<br />
und in den trockenen <strong>Sommer</strong>monaten<br />
passierbar. Zudem war das Reisen<br />
gefährlich. Im dichten Wald des<br />
Sauerlandes lauerten viele Gefahren<br />
– Räuber, Wildtiere, steile Pfade -<br />
oder man wurde vom schlechten<br />
Wetter überrascht.<br />
Außerdem war Reisen teuer. Es<br />
gab noch keine Banken oder Supermärkte.<br />
Die Menschen mussten<br />
genau planen, wie lange sie unterwegs<br />
sein würden. Bei zehn Tagen<br />
Wanderung brauchte man ca. fünf<br />
Laib Brot oder genügend Münzen.<br />
<strong>WOLL</strong>: Auch vor mehr als 300<br />
Jahren mussten Waren transpor-<br />
Chaussee bei Nordenau<br />
24 - <strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021<br />
Wandernder Mausfallenverkäufer in Meschede
tiert werden. Wie haben das die<br />
Sauerländer früher bewerkstelligt?<br />
Susi Frank: In einem Korb auf dem<br />
Rücken oder am Arm. Ab und zu<br />
konnte man auch noch Lastentiere<br />
einsetzen, aber die waren für weite<br />
Strecken ungeeignet oder zu wertvoll.<br />
Falls sie auf einen Räuber treffen,<br />
sind sie nicht nur den Korb los,<br />
sondern auch den wertvollen Esel.<br />
Es gab auch Wanderhändler, die<br />
Kiepenkerle, die in der Nebensaison<br />
durch die Lande zogen und bei den<br />
Bauernfamilien Ware kauften und<br />
verkauften.<br />
<strong>WOLL</strong>: Aus der Not heraus erfand<br />
der gebürtige Karlsruher Karl<br />
Drais 1817 die „Draisine“, auch<br />
Laufmaschine genannt und Ur-<br />
Form des heutigen Fahrrads. Waren<br />
solche Gefährte auch im Sauerland<br />
unterwegs?<br />
Susi Frank: Draisine oder auch Laufmaschinen<br />
ge nannt, waren im Sauerland<br />
nicht sehr weit verbreitet. Auf<br />
Postkarten aus Arnsberg um 1900<br />
sieht man vereinzelt ei nen Laufmaschinenfahrer.<br />
Aber im Großen<br />
und Ganzen waren die Städte zu bergig.<br />
Auf dem Lande fand das Fahrrad<br />
auch erst Verbreitung, als das Wegenetz<br />
verbessert wurde, also ca. um<br />
1950. Wer einmal über grobes Kopfsteinpflaster<br />
gefahren ist, kann sich<br />
gut ein Bild machen.<br />
<strong>WOLL</strong>: Wann und wo fuhren die<br />
ersten Postkutschen?<br />
Susi Frank: Hier müssen wir etwas<br />
unterscheiden. Die erste Botenlinie<br />
wurde schon 1601 urkundlich erwähnt.<br />
Ernst von Bayern war Kurfürst<br />
von Köln und Fürstbischof von<br />
Hildesheim. Beide Gebiete verband<br />
er mit einem Botensystem von Köln<br />
– Arnsberg – Lippe – Hildesheim.<br />
Arnsberg wurde als „Botenposten mit<br />
Wechselstation“ betrieben. Auf dieser<br />
Linie wurden allerdings nur Briefe<br />
ausgetauscht. Abseits dieser Linien<br />
hatten die Herrscher wenig Interesse<br />
die Strecken und Wege auszubauen.<br />
Man dachte damals sehr praktisch:<br />
Schlechte Wege halten den Feind<br />
länger auf.<br />
1742 erhielt Arnsberg dann ein offizielles<br />
Postamt, dem die Aufsicht<br />
über die Posthaltereien in Meschede,<br />
Stock um, Werl und über den Brieftransport<br />
von Meschede und Brilon<br />
übertragen wurde. Es wurden zwar<br />
immer wieder Unternehmungen einer<br />
Postkutschenlinie unternommen,<br />
das Postkutschennetz auszubauen,<br />
aber das schwierige Terrain machte<br />
jede Bemühung zunichte.<br />
Nach 1816 übernahmen die Preußen<br />
die Gebiete des Herzogtums Westfalen<br />
und richteten ein preußisches<br />
Postnetz ein. Dazu bauten sie die<br />
Wege und Straßen aus, sodass auch<br />
endlich ein Postkutschenverkehr einsetzen<br />
konnte. Aber dann war Rei sen<br />
immer noch sehr schwierig, weil die<br />
Postkutschen nicht aufeinander getaktet<br />
waren. So mussten die Menschen<br />
beim Umsteigen manchmal<br />
tagelang auf den Anschluss warten.<br />
Die Post besaß bis 1838 das Monopol<br />
zum Personen- und Gütertransport.<br />
Danach wurde der Wettbewerb<br />
auch für die Eisenbahn geöffnet.<br />
<strong>WOLL</strong>: Wann fuhr die erste Lokomotive<br />
im Sauerland?<br />
Susi Frank: Der erste Bau einer Eisenbahnverbindung<br />
begann 1859<br />
mit der Ruhr-Sieg-Strecke (Hagen<br />
– Siegen). Dadurch wurde das westliche<br />
Sauerland mit dem heutigen<br />
Märkischen Kreis und Kreis Olpe<br />
erschlossen. Davon zweigten verschiedene<br />
Linien ab. Das Hochsauerland<br />
wurde durch die Obere Ruhrtalbahn<br />
(Schwerte – Warburg) ab 1870<br />
an das Eisenbahnnetz angeschlossen.<br />
Winterberg wurde über die<br />
Gasthof Anton Lukas, Endorf,1900.<br />
Der Schlossbergtunnel bei Anrsberg<br />
<strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021 - 25
Bahnstrecke Nuttlar – Fran kenberg<br />
erst 1906 angebunden. Allerdings<br />
wurden Teile der Strecke 1966 schon<br />
wieder eingestellt. Seitdem ist die<br />
Strecke nach Winterberg ein Ableger<br />
der Oberen Ruhrtalbahn. Wichtig<br />
für den weiteren Ausbau waren allerdings<br />
die privaten Kleinbahnen.<br />
Um den Ausbau auch abseits der<br />
Hauptlinien voranzutreiben und Teil<br />
am wirtschaftlichen Aufschwung zu<br />
haben, schlossen sich zahlreiche Unternehmen<br />
und Privatpersonen zu<br />
Gesellschaften zusammen. So wurde<br />
beispielsweise Neheim ein Bahnknotenpunkt,<br />
da 1898 eine eigene<br />
Strecke Soest-Neheim-Arnsberg (Jägerbrücke)<br />
verband und sogar 1908<br />
noch eine Abzweigung zum <strong>Möhnesee</strong><br />
(über Günne) dazu bekam.<br />
Über die Röhrtalbahn wurde 1900<br />
Neheim mit Sundern verbunden.<br />
Eine Wiedereröffnung der Strecke<br />
wird immer mal wieder themati siert.<br />
Weitere wichtige Strecken waren<br />
die Kleinbahn Steinhelle-Medebach<br />
(1902) oder Finnentrop-Wennemen<br />
(1911) und Wenholthausen-Fredeburg<br />
(1911).<br />
Der Ausbrauch des Ersten Weltkrieges<br />
1914 verhinderte den Ausbau<br />
weiterer Strecken. Nach dem Zweiten<br />
Weltkrieg wurden fast alle Kleinstrecken<br />
wieder geschlossen, da sie<br />
unrentabel wurden.<br />
<strong>WOLL</strong>: Einige Zeit später konnten<br />
die Menschen Busse nutzen …<br />
Susi Frank: Nach dem Zweiten<br />
Weltkrieg erlebte auch das Sauerland<br />
einen wirtschaftlichen Aufschwung.<br />
Es entstanden Fabriken, zu denen<br />
die Menschen auch hinkommen<br />
mussten. Die Busse deckten neben<br />
der Eisenbahn die notwendige Personenbeförderung.<br />
Zwar gab es<br />
schon vorher Busverbindungen in<br />
das Hochsauerland, aber erst nach<br />
dem Krieg erlebte der Busverkehr<br />
eine Hochzeit. Über Buslinien konnten<br />
die Verkehrsbetriebe flexibler ein<br />
Netzwerk aufbauen als mit dem Zug.<br />
Zwar mussten auch hier erst neue<br />
Strecke einrichtet und asphaltiert<br />
werden, aber diese waren günstiger<br />
als Gleisverbindungen. Bis 1990 beförderten<br />
Busse den größten Teil der<br />
täglichen Pendler und Schüler, daher<br />
wurden von 1960-1990 zahlreich<br />
Kleinbahntrassen stillgelegt.<br />
<strong>WOLL</strong>: Wo tauchten die ersten privaten<br />
Automobile auf?<br />
Susi Frank: Das erste Automobil, zumindest<br />
im Kreis Meschede, wurde<br />
für die Dienstfahrten des Landrates<br />
Meinulf von Mallinckrodt (Landrat<br />
von 1897 bis 1926) schon im August<br />
1909 angeschafft. In den 1920er<br />
Jahren verbreitete sich das Auto ganz<br />
langsam. So vermietet Heinrich Rosier<br />
in Menden 1927 die ersten Autos.<br />
Leisten konnte sich die meisten<br />
Menschen ein Auto freilich noch<br />
nicht. Erst in den 1960er Jahren war<br />
der Wohlstand so weit gewachsen,<br />
dass ein eigenes Auto erschwinglich<br />
wurde. Die Politik förderte die<br />
Individualmobilisierung durch den<br />
Ausbau von Bundesstraßen und Autobahnen.<br />
Auch die Städte wurden<br />
autogerecht vierspurig ausgebaut,<br />
was wir heute noch in vielen Städten<br />
im Sauerland sehen können. ■<br />
Auf der Eisenbahnverbindung<br />
Finnentrop-Meschede<br />
26 - <strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021<br />
Busverkehr in Richtung Meschede<br />
Der erste PKW des Kreises Meschede
Gespräch mit Prof. Dr.-Ing.<br />
Kutzera über Autonomes Fahren<br />
LEVEL 5 IM<br />
SAUERLAND?<br />
Christel Zidi<br />
Christian Klett<br />
Dr. 1. September 2017<br />
Ing. Christian Kutzera<br />
lehrt seit dem<br />
an der Fachhochschule Südwestfalen.<br />
Der 40-Jährige ist Professor für Sensorsysteme<br />
und lehrt seine Studenten<br />
die Komplexi tät von Sensoren allgemein<br />
und das „Sehen“ eines Autos.<br />
Er kennt sich auf dem Gebiet „Autonomes<br />
Fahren“ bestens aus.<br />
<strong>WOLL</strong>: Prof. Kutzera, woher<br />
kommt Ihre Begeisterung für<br />
diesen Fachbereich?<br />
Prof. Kutzera: Ich begeistere mich<br />
allgemein für Autos. So habe ich im<br />
Studium schon Praktika oder Abschlussarbeiten<br />
in der Automobilbranche<br />
absolviert. z. B. habe ich einen<br />
Intentionsschätzer bei Volkswagen<br />
erforscht - ob ein Fahrer gleich abbiegen<br />
oder überholen möchte. Die Abfolge<br />
von Fahrtätigkeiten ist nahezu<br />
gleich. Während meiner Promotion<br />
an der TAU Erlangen in Zusammenarbeit<br />
mit der Porsche AG habe ich<br />
untersucht, wie man Sensoren und Assistenzsysteme<br />
bewerten kann. Wenn<br />
es dafür Regeln und Normen gibt, ist<br />
dies evtl. einfacher als für Systeme,<br />
welche noch nicht standardisiert sind.<br />
Nach der Promotion wechselte ich zur<br />
Daimler AG und war zunächst zustän-<br />
<strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021 - 27
dig für den Tempomaten in der Sparte VAN. Kurze Zeit<br />
später übernahm ich die Projektleitung für die semi-autonome<br />
Notbremse (ebenfalls bei VAN). Nach einigen<br />
Jahren wechselte ich zur Lippstädter Firma Hella KG und<br />
war als Senior Projektmanager für die Entwicklung eines<br />
Totwinkel-Radars verantwortlich.<br />
<strong>WOLL</strong>: Mit welchem Bereich be schäftigen Sie sich<br />
speziell?<br />
Prof. Kutzera: In der Lehre bringe ich den Studierenden<br />
die Komplexität des Detektierens und allgemein das<br />
“Sehen” durch Sensoren bei. Im allgemeinen Sinne aber<br />
auch bezogen auf Sensoren mit Einsatz in den Fahrzeugen.<br />
Zudem habe ich eine Vorlesung Regelungstechnik.<br />
Die Sensoren sind zum Teil sehr gut entwickelt und es<br />
finden Anpassungen an individuelle Umgebungen statt.<br />
So wird das “Sehen” heutzutage durch die<br />
Software maßgeblich beeinflusst.<br />
Und die Software muss ebenfalls<br />
entscheiden. So passt<br />
die Vorlesung Regelungstechnik<br />
dazu. Neben<br />
Sensorik behandle<br />
ich das Thema<br />
“Smart Home” an<br />
der Hochschule.<br />
<strong>WOLL</strong>: Auf<br />
welchem Stand<br />
ist die Technik<br />
und wo gibt es<br />
noch Schwachstellen?<br />
Prof. Kutzera: Die<br />
heutige Technik sowie<br />
Gesetzesregelung<br />
erlaubt Level 2. Schwachstellen:<br />
Bsp.: Heutzutage<br />
werden schon Radar-Systeme<br />
(Radio Detection And Ranging)<br />
zum Abstandhalten oder für Unterstützung<br />
bei Notbremsvorgängen in der unteren Mittelklasse für<br />
wenige hundert Euro Aufpreis angeboten. Diese Sensoren<br />
können jedoch so für ein höheres Level nicht genutzt<br />
werden. Einerseits müssen die Sensoren genauer werden,<br />
andererseits muss auch sehr viel an der Software (Regelsysteme)<br />
mit Unterstützung weiterer Sensoren getan werden.<br />
Neben den bisher bekannten Radarsensoren setzen alle<br />
Automobilzulieferer auf eine Weiterentwicklung von Lidar-Sensoren<br />
(Light Detection and Ranging, quasi wie<br />
ein Radar, jedoch mit Lichtwellen). Lidarsensoren können<br />
die Umgebung derzeit genauer als Radar erfassen, haben<br />
jedoch starke Schwächen bei widrigen Witterungen. So<br />
“sieht” ein Lidar bei Regen kaum etwas - hingegen macht<br />
es dem Radar-System kaum etwas aus. Zudem muss ein<br />
Lidar die Umgebung mit Bewegung abtasten.<br />
Während ein Radar die Umgebung breiter erfasst, misst<br />
ein Lidar i.d.R. einen Punkt und muss dabei hin und her<br />
bewegt werden. Und Bewegung im Automobil bringt<br />
Störungen mit sich und die Lebensdauer der Systeme leidet<br />
darun ter. So forschen die Automobilzulieferer an statischen<br />
Lidar-Systemen. Diese tasten die Umgebung ab,<br />
ohne sich zu bewegen (Solid State Lidar).<br />
<strong>WOLL</strong>: Es ist viel von geplanten<br />
Teststrecken im Sauerland<br />
die Rede. Wissen<br />
Sie, wann und wo<br />
es denn damit losgehen<br />
soll?<br />
Prof. Kutzera:<br />
Leider weiß ich<br />
nicht, wann es<br />
losgehen soll<br />
und kenne die<br />
Teststrecke nicht<br />
im Speziellen<br />
(Daimler oder<br />
KIT von der UNI-<br />
KA?). Die Meldungen<br />
zur Teststrecke<br />
im Sauerland waren<br />
(zeitlich gesehen) in der<br />
Vergangenheit kontrovers<br />
diskutiert worden oder wurden<br />
korrigiert.<br />
<strong>WOLL</strong>: Beim Autonomen Fahren – vorausgesetzt, dass<br />
sie gut ausgereift – entfällt die Fehlerquelle menschliches<br />
Versagen. Wie sehr müssen wir uns dann aber vor<br />
dem technischen Versagen fürchten?<br />
Prof. Kutzera: Egal welcher Fehler, dies kann immer unschön<br />
enden. Je höher das Autonomie-Level, desto höher<br />
28 - <strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021
die Anforderungen an Ausfallrate und desto höher der<br />
Testumfang. Tesla beweist jedoch mit seinen Systemen,<br />
dass, wenn die Systeme eingeschaltet sind und genutzt<br />
werden, die Unfallrate deutlich sinkt.<br />
<strong>WOLL</strong>: Wann, denken Sie, wird das erste autonome<br />
Fahrzeug im Sauerland unterwegs sein? Sie gaben im<br />
Gespräch mit einem Kollegen von der WP die Jahreszahl<br />
2025 an?<br />
Prof. Kutzera: Die FH-SWF beteiligt sich an einem Projekt<br />
in Iserlohn, bei welchen ein Bus die Studierenden vom<br />
Bahnhof zum Campus befördern soll. Diese Jahreszahl<br />
halte ich für haltbar. Beim autonomen Auto soll demnächst<br />
Level 3 auf den Straßen verfügbar sein. Nicht nur die Hersteller<br />
waren dazu noch in der Ent wicklung, sondern auch<br />
die Gesetzeslage.<br />
<strong>WOLL</strong>: Viele Menschen lieben es, ihr Auto zu fahren<br />
und zu steuern. Denen wird doch etwas genommen.<br />
Welchen Ersatz bekommen sie dafür?<br />
Prof. Kutzera: Ich denke, dass das Autofahren sich auf<br />
jeden Fall wandeln wird. Denken wir so auch an die<br />
Fahrschule. Was muss der Fahrzeugführer noch mit sich<br />
bringen? Die Fahraufgabe wird mehr eine “Aufpasserrolle”<br />
am Steuer sein. Da es sich aber noch lange Zeit um Assistenzsysteme<br />
handeln wird (Betonung auf Assistenz),<br />
da die Fahrzeugführer eben ungern die Fahraufgabe “aus<br />
den Händen” geben möchten, wird der Übergang zum gezwungen<br />
autonomen Fahren noch lange dauern. Die Infrastruktur<br />
muss auch angepasst werden, was auch lange<br />
dauern kann.<br />
<strong>WOLL</strong>: Selbstfahrende Autos sind eine Form der künstlichen<br />
Intelligenz, die ständig dazulernen muss, speziell<br />
wenn es um die unterschiedlichsten Gefahrenbereiche<br />
geht. Und auch eine ethische Komponente kommt hinzu.<br />
Wie entscheidet das Autohirn, wenn es z. B. darum<br />
geht, entweder die Insassen zu schützen oder Kinder,<br />
die plötzlich auf die Straße zu rennen?<br />
Prof. Kutzera: Moralisches Dilemma: Die Ethik-Kommission<br />
hat hier klar Stellung bezogen: Bei unausweichlichen<br />
Unfallsituationen ist jede Qualifizierung nach persönlichen<br />
Merkmalen (Alter, Geschlecht, körperliche oder<br />
geistige Konstitution) strikt untersagt. So wird nicht nach<br />
Alter, Geschlecht, Führungszeugnis etc. unterschieden.<br />
Wenn dies möglich ist, wird in dieser beispielhaften Situation<br />
das Auto ausweichen und versuchen die Kinder<br />
zu schützen. Wenn ein Spurwechsel nicht möglich ist,<br />
<strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021 - 29
wird es in der eigenen Spur bremsen.<br />
Dies erfolgt dann nach den Grenzen<br />
der Physik. Ein Programmierer muss<br />
sich bewusst sein, dass man im Code /<br />
beim Programmieren also schon vorab<br />
entscheidet, wie das Auto in gegebenen<br />
Situationen reagieren wird.<br />
<strong>WOLL</strong>: Und wer haftet, wenn es<br />
doch zum Unfall kommt?<br />
Prof. Kutzera: Hier ist eine Gesetzesänderung<br />
erforderlich. Wenn ein<br />
Fahrzeugführer nicht selbst bremsen<br />
und/oder den Schaden nicht verursachen<br />
würde, ist laut aktueller Rechtslage<br />
die Situation sehr diffus.<br />
<strong>WOLL</strong>: Thema Datensicherheit:<br />
Was zeichnen solche autonomen<br />
Fahrzeuge von den Insassen auf?<br />
Wer fährt wann wohin? Über was<br />
haben sich die „Fahrgäste“ unterhalten?<br />
Prof. Kutzera: Hier gilt es stark in die<br />
Datenschutzerklärung und AGBs der<br />
Fahrzeughersteller zu schauen. Bsp.<br />
bei meinem Fahrzeug: Ich habe zwei<br />
Schlüssel und jeder Schlüssel ist auf<br />
die Bedürfnisse wie Sitzposition, Klimaanlage<br />
und vieles mehr Individuelle<br />
auf mich oder meine Frau anpassbar.<br />
Zudem lässt sich das Fahrzeug via<br />
Handy-App bedienen. So sind viele<br />
Rückschlüsse schon heutzutage personalisiert<br />
machbar.<br />
Man kann bspw. auch seine Log-in<br />
Daten in ein Miet fahrzeug eingeben<br />
und dies passt sich dann ebenfalls an<br />
den Fahrzeugführer an. @unter halten:<br />
nahezu jeder Fahrzeughersteller bietet<br />
in modernen Fahrzeugen auch<br />
Sprach assistenten oder Assistenten<br />
zum Nachinstallieren wie Google Assistent,<br />
Siri oder Alexa an.<br />
DIE FÜNF LEVEL ZUM<br />
AUTONOMEN FAHREN<br />
Level 1 - Assistiertes Fahren<br />
Assistenten geben Hinweise und unterstützen den Fahrer.<br />
Beispiel Notbremsassistent.<br />
Level 2 - Teilautomatisiertes Fahren<br />
Computer übernimmt einzelne Fahrmanöver –<br />
Fahrer übernimmt weiter die Überwachung und kann eingreifen<br />
(z.B. Spurhalteassistent mit Gegenlenkfunktion)<br />
Level 3 - Hochautomatisiertes Fahren<br />
Autotechnik übernimmt viele Funktionen selbst, bei Gefahr oder<br />
Systemausfall kann der Fahrer eingreifen.<br />
Level 4 - Vollautomatisiertes Fahren<br />
Das Auto manövriert komplett selbständig in Parkhäusern oder<br />
auch über längere Strecken auf der Autobahn. Der Fahrer kann die<br />
Fahrzeugführung abgeben und zum Passagier werden.<br />
Level 5 - Autonomes Fahren<br />
Das Auto fährt komplett selbständig - ohne Fahrer, Lenkrad und Pedal.<br />
<strong>WOLL</strong>: Wenn ein Fahrzeug keinen Fahrer mehr benötigt, entfallen<br />
zwangsläufig viele Berufe: Busfah rer, LKW-Fahrer, Fahrerlehrer und<br />
Verkehrspsycho logen (kein Führerschein mehr nötig?). Sollten diese<br />
Berufsgruppen besser so langsam umschulen?<br />
Prof. Kutzera: Nein, ich denke hier ist keine “Panik” geboten. Meines Erachtens<br />
werden die Berufe jedoch be stimmt angepasst. So hat ein heutiger Berufskraftfahrer<br />
die nötige Erfahrung, um die Fahrzeuge in der Nutzung und im<br />
Verhalten zu beurteilen. Evtl. könnte ein Fahrzeug führer mehrere Fahrzeuge<br />
aus der Ferne fahren bzw. kontrollieren.<br />
<strong>WOLL</strong>: Fahren Sie gern Auto? Auf welchem Level ist Ihr PKW?<br />
Prof. Kutzera: Ja, jedoch nicht gerne lange Strecken. Diese finde ich anstrengend/belastend<br />
und hoffe auf baldige Unterstützung durch weitere moderne(re)<br />
Systeme.<br />
Ich habe ein nagelneues Auto / aktuelles Modell mit allen Assistenz systemen,<br />
welche es in dieser Fahrzeugkategorie zu bestellen gab. Das Auto ist auf Level 2.<br />
Das Auto kann somit Quer- und Längsregelung übernehmen, ich muss jedoch<br />
stets die Hände am Lenkrad haben und ggf. die Kontrolle übernehmen. ■<br />
30 - <strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021
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<strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021 - 31
IM AUSTIN HEALEY SPRITE<br />
DURCHS SAUERLAND<br />
Wie Peter Nürnberger einen schrottreifen Oldtimer in einen spritzigen<br />
Sportwagen verwandelte Sonja Nürnberger S. Droste<br />
Es der ich stehe, ist mir nicht<br />
riecht nach Motoröl und<br />
Autolack. Die Garage, in<br />
unbekannt. Denn heute besuche ich<br />
meinen Bruder in Arnsberg, um mit<br />
ihm über das Auto zu sprechen, an<br />
dem er die letzten fünf Jahre herumgebastelt<br />
hat. Ein Austin Healey Sprite,<br />
ein kleines englisches Cabrio. Ich<br />
erinnere mich noch gut daran, wie es<br />
aussah, als es bei ihm eingezogen ist<br />
– jetzt ist es kaum wiederzuerkennen.<br />
Die Leidenschaft fürs Basteln hat Peter<br />
(33) schon früh entdeckt: Zunächst<br />
war es eine ausgeprägte Affinität zu Legosteinen,<br />
etwas später ferngesteuerte<br />
Modellflugzeuge, die Simson Schwalbe<br />
des Nachbarn, dann eine Suzuki. Aber<br />
irgendwann musste ein größeres Projekt<br />
her, etwas mit vier Rädern. Es dauerte<br />
eine Weile, bis er das richtige Auto für<br />
sich gefunden hatte: Schließlich entschied<br />
er sich für den Austin Healey, einen<br />
kleinen, leichten Sportwagen, Baujahr<br />
1965. Fündig wurde er im <strong>Sommer</strong><br />
2016 in einer Scheune bei Paderborn.<br />
Learning by doing<br />
Es dauerte nicht lange, da stand das<br />
Auto in seiner Einfahrt. Der Zustand:<br />
desaströs – wie desaströs, merkte er erst,<br />
als er mit der Restauration begann. „Es<br />
war ein absoluter Schrotthaufen, aber<br />
ich hab mich einfach verliebt und hab<br />
nicht so genau hingeguckt“, erklärt Peter.<br />
Die Räder waren noch dran, aber alles<br />
andere war ausgebaut und in Kisten<br />
verpackt.<br />
„Ich habe das Auto dann komplett zerlegt<br />
und in ein Rotationsgestell, das ich<br />
auch selbst konstruiert habe, eingebaut<br />
– wie so ein Spanferkel kann man sich<br />
das vorstellen.“ Allein die Schweißarbeiten<br />
haben drei Jahre gedauert. Am Auto<br />
war vorher schon gearbeitet worden –<br />
und das nicht zu seinem Vorteil. Dass<br />
es so lange gedauert hat, liegt zum einen<br />
daran, dass diese Arbeiten extrem auf<br />
32 - <strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021
„Manche Sachen muss man eben auch ein zweites<br />
Mal machen, wenn es beim ersten Mal nicht so<br />
klappt, wie man das will – vielleicht auch ein<br />
drittes Mal.“ - Peter Nürnberger<br />
wändig sind und die Ersatzteile, die aus<br />
England geliefert werden mussten, häufig<br />
eine ganze Weile bis nach Deutschland<br />
brauchten, zum anderen natürlich<br />
aber auch daran, dass Peter noch mit<br />
dem Studium und dem Referendariat<br />
als angehender Berufsschullehrer beschäftigt<br />
war.<br />
Denn irgendwo gelernt hat Peter nichts<br />
von dem, was er da gemacht hat – vom<br />
Schweißen über die Lackierung bis zum<br />
Beziehen der Sitze hat er sich alles selbst<br />
beigebracht. Das gab Blasen an den<br />
Händen und Muskelkater in den Armen,<br />
aber das Ergebnis kann sich sehen<br />
lassen. „Ich habe das alles über You<br />
Tube-Videos gelernt und dann natürlich<br />
in der Praxis. Manche Sachen muss man<br />
eben auch ein zweites Mal machen,<br />
wenn es beim ersten Mal nicht so klappt,<br />
wie man das will – vielleicht auch ein<br />
drittes Mal.“ Nur bei der Überholung<br />
der Technik musste er sich dann doch<br />
Hilfe holen. Hier konnte<br />
er auf die tatkräftige<br />
Unterstützung zweier<br />
erfahrener Bekannter<br />
zählen, deren Herz<br />
ebenfalls für alte englische<br />
Autos<br />
schlägt.<br />
Nach fünf Jahren geht’s<br />
endlich auf die Straße<br />
Genau sagen kann er es nicht, aber<br />
wahrscheinlich sind es mehr als 2.000<br />
Arbeitsstunden, die er in seinen Oldtimer<br />
gesteckt hat. „Auf der einen Seite<br />
bin ich natürlich auch etwas traurig,<br />
dass es nun vorbei ist, weil es sehr viel<br />
Spaß gemacht hat und ich so viel dabei<br />
gelernt habe, aber andererseits bin ich<br />
gerade auch sehr froh, weil ich natürlich<br />
auch endlich damit fahren möchte.<br />
Und das kurvige Sauerland eignet sich<br />
perfekt dafür.“ Ob er es wieder machen<br />
würde? „Jetzt würde ich sagen nein,<br />
aber in ein paar Monaten sieht das sicher<br />
schon wieder ganz anders aus“, sagt<br />
Peter und schmunzelt. Jetzt geht’s aber<br />
erstmal auf die Straße, unser schönes<br />
Sauerland erkunden. ■<br />
<strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021 - 33
34 - <strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021<br />
www.rose-handwerk.de<br />
www.esstisch-baumkante.de<br />
www.elisabeth-rose.de<br />
www.joachim-gerhard-collection.com
Der Kleinschnittger F125 beeindruckt auch heute noch in Form und Schnittigkeit.<br />
Der Kleinstwagen aus dem Sauerland<br />
KLEIN, SCHNITTIG, KLEINSCHNITTGER<br />
Petra Kleine<br />
sabrinity und privat<br />
Paul Kleinschnittger wurde 1909 in Hoppecke geboren. Er träumte, wie viele Deutsche seinerzeit, den Traum<br />
von bezahlbarer Mobilität auf vier Rädern. Bereits vor dem 2. Weltkrieg machte sich der als Ingenieur arbeitende,<br />
begeisterte Tüftler daran, selbst einen erschwinglichen, aber trotzdem modernen, schicken Kleinstwagen<br />
zu entwickeln.<br />
Paul Kleinschnittger lebte zwischenzeitlich in Norddeutschland,<br />
unweit eines ehemaligen Militärflughafens,<br />
auf dem gesprengte Flugzeugwracks lagen. Dort schaute er<br />
nach verwertbaren Teilen und es entstand dann bis nach<br />
Kriegsende ein erster Prototyp, der hauptsächlich aus<br />
Wrack- und Motorradteilen bestand. Im ersten Anlauf gab<br />
es noch keine Windschutzscheibe, später wurde eine aus<br />
der Junkers Ju eingesetzt. Schweinwerfer gab es nur einen<br />
mittig, Blinker (damals Winker) fehlten ganz.<br />
Alles wurde in extremer Leichtbauweise gefertigt, so dass<br />
der Wagen nur 150 kg wog und einen Verbrauch von unter<br />
drei Liter für 100 km hatte. Jedoch musste man für den<br />
Gegenwert eines Liters von dem Gemisch auch eine halbe<br />
Stunde arbeiten. „Der Zwei-Takter zog kleine blaue Wölkchen<br />
hinter sich her. Während die einen darüber die Nase<br />
rümpfen, ist es für den Fan das reinste Parfum,“ erklärt<br />
mir ein Oldtimerfreund. Da kein Rückwärtsgang verbaut<br />
war, musste man aussteigen, das Auto anheben, es in die<br />
andere Richtung drehen und weiter ging es. „Ein beliebter<br />
Scherz war es, das geparkte Auto anzuheben und mal eben<br />
ein paar Meter weiter neu zu parken, zur Überraschung des<br />
Besitzers“, erfahre ich weiterhin.<br />
Auch wenn nicht die gesamte Familie hineinpasst, der Kleinschnittger erfüllte<br />
den Traum von komfortabler Mobilität in den Nachkriegsjahren.<br />
<strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021 - 35
Georg Jakobys Herz schlägt für schöne Oldtimer!<br />
In diesem kleinen Heimwerker-Paradies versetzt Georg Jakoby<br />
seinen F125 wieder in perfekten Zustand.<br />
Der Kleinschnittger wurde ähnlich<br />
einem Handrasenmäher mit einem<br />
Seilzug gestartet. Er war sehr einfach<br />
in der Wartung und besaß günstige<br />
Ersatzteilpreise. Bei einem defekten<br />
Gummiring konnte man zur Not auf<br />
einen Gummiring vom Weck-Glas<br />
ausweichen. Alles sollte erschwinglich<br />
sein und trotzdem den Komfort eines<br />
Autos bieten.<br />
Kleinschnittger erregte mit seinen<br />
Plänen sofort mediale Aufmerksamkeit,<br />
aber es blieb ein weiter Weg vom<br />
ersten Prototyp bis zur Serienreife.<br />
Auch der TÜV musste erst überzeugt<br />
werden.<br />
Ein „Volkswagen aus<br />
dem Sauerland“?<br />
In seiner Überlegung, wo das Autowerk<br />
entstehen sollte, kam Kleinschnittger<br />
auf seine Heimat zurück, da<br />
hier bereits viele Automobilzulieferer<br />
ansässig waren. In Arnsberg bot man<br />
ihm dann die Gelegenheit, ein Werk zu<br />
errichten, in dem rund 50 Mitarbeiter<br />
mit viel Handarbeit ab 1950 die ersten<br />
Automobile bauten. Ein Geldgeber<br />
war jedoch vonnöten, um dies Projekt<br />
zu stemmen. Die Presse jubelte<br />
ob des „Volkswagens aus dem Sauerland“,<br />
aber es wurde sehr schwer, sich<br />
auf dem Markt durchzusetzen. Die<br />
Ansprüche der Menschen wuchsen in<br />
der Wirtschaftswunderzeit rasant und<br />
Konkurrenten wie Isetta, Goggomobil<br />
und Lloyd setzten frühzeitig auf mehr<br />
Komfort bei nahezu gleichem Preis.<br />
Ein Visionär und Sauerländer<br />
Kleinschnittger war ein Visionär mit<br />
großem Können, aber auch ein echter<br />
Sauerländer Dickschädel, der<br />
nicht unbedingt auf wohlgemeinte<br />
Kritik hörte. Als sein Geldgeber ausstieg<br />
und auch die Hausbank ihr Geld<br />
zurück verlangte, wurde es sehr eng<br />
für das junge Unternehmen. Nach<br />
rund 2.000 produzierten Wagen verschiedener<br />
Modelle musste Kleinschnittger<br />
1957 Insolvenz anmelden.<br />
Da er zumindest noch Ersatzteile<br />
aus der Konkursmasse kaufen konnte,<br />
gelang es ihm, sich noch zehn Jahre<br />
mit Ersatzteilgeschäften über Wasser<br />
zu halten.<br />
Paul Kleinschnittger starb 1989 in<br />
Bontkirchen, nur wenige Kilometer<br />
entfernt von seinem Geburtsort. Auf<br />
seinem Grabstein war ein stilisiertes<br />
Kleinschnittger-Mobil, das an sein<br />
Lebenswerk erinnern sollte.<br />
Einige Exemplare gibt<br />
es heute noch<br />
Viele Menschen hat sein Kleinstwagen<br />
begeistert, nicht nur in den 1950er<br />
Jahren. Einige liebevoll gepflegte Exemplare<br />
existieren heute noch. So<br />
bin ich mit Rudi Heppe (61) aus<br />
Radlinghausen zu seinem Oldtimerfreund<br />
Georg Jakoby (65) direkt über<br />
die Kreisgrenze nach Bad Wünnenberg-Fürstenberg<br />
gefahren. Dort steht<br />
ein originaler Kleinschnittger F125,<br />
den Jakoby kürzlich erstanden hat und<br />
der nun mit größter Sorgfalt wieder<br />
hergerichtet wird.<br />
Die Augen der Männer strahlen, wenn<br />
sie gemeinsam über das Auto fachsimpeln<br />
und das eine oder andere Anekdötchen<br />
erzählen von diesem kleinen<br />
Floh. „Ausfahrten machen wir nur<br />
kleine, gemütliche,“ verrät mit Jakoby.<br />
„Er kommt dann so auf Tempo<br />
50, es sein denn, man hat Gegenwind,<br />
fährt bergauf oder hat einen Passagier<br />
an Bord.“ „Die Menschen schauen<br />
begeistert hinter dem Wagen her“,<br />
schwärmt Heppe. „weicht er doch so<br />
stark in Form und Größe von dem ab,<br />
was aktuell gebaut wird!“ ■<br />
36 - <strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021
Anzeige<br />
Katharina Nübold kümmert sich<br />
gemeinsam mit ihren Kollegen<br />
intensiv um die Auszubildenden<br />
von HOPPECKE<br />
HOPPECKEs Nachwuchs darf<br />
relativ schnell viel Verantwortung<br />
im Tagesgeschäft übernehmen<br />
Elektrische Energie wird überall benötigt - dabei<br />
unterstützen die Batteriesysteme von HOPPECKE<br />
Der größte Hersteller von Industriebatterien in europäischer Hand bietet<br />
seinem Nachwuchs spannende Ausbildungsmöglichkeiten im Sauerland<br />
Inga Bremenkamp sabrinity<br />
„W<br />
ir machen Energie<br />
mit unseren Produkten<br />
und Lösungen in<br />
den unterschiedlichsten Bereichen<br />
und Branchen verfügbar“, sagt Katharina<br />
Nübold, die seit 2018 den<br />
Ausbildungsbereich von HOPPECKE<br />
in Brilon leitet. „Unsere Batterie kommen<br />
u.a. in Flurförderzeugen, z.B. in<br />
Gabelstaplern, zum Einsatz und bewegen<br />
Ware von A nach B. Sie sorgen<br />
für eine unterbrechungsfreie Stromversorgung<br />
und garantieren zum Beispiel<br />
in Falle eines Stromausfalls in<br />
einer U-Bahn, dass die Klimaanlage<br />
weiterhin funktioniert und sich die<br />
elektrischen Türen öffnen. Genauso<br />
wichtig sind unsere Systeme aber auch<br />
an Flughäfen, in Industrieberieben<br />
oder Krankenhäusern in denen eine<br />
gesicherte Stromversorgung Leben retten<br />
kann“, führt die Diplom-Pädagogin<br />
fort.<br />
HOPPECKE zählt mit über 2.000 Mitarbeitern<br />
weltweit und 800 Mitarbeitern<br />
vor Ort in Brilon innerhalb der Branche<br />
zu einem der stärksten Unternehmen in<br />
Europa. „Wir sind sehr familienorientiert<br />
und regional verbunden“, erklärt Katharina<br />
Nübold, die sich gemeinsam mit<br />
ihren Kollegen intensiv um die Auszubildenden<br />
von HOPPECKE kümmert.<br />
„Wir können sehr individuell auf die<br />
Fähigkeiten und Wünsche unserer Auszubildenden<br />
eingehen. Wir haben mit<br />
unseren 23 Tochtergesellschaften weltweit<br />
viele Möglichkeiten, unsere jungen<br />
Mitarbeiter zu fördern. Immer wieder<br />
sind unsere Auszubildenden weltweit<br />
unterwegs, um bestimmte Fachthemen<br />
vorzustellen und zu vertreten“, berichtet<br />
die 36-Jährige, die stolz darauf ist, dass<br />
HOPPECKEs Nachwuchs relativ schnell<br />
viel Verantwortung im Tagesgeschäft<br />
übernehmen darf. „Unsere Auszubildenden<br />
durchlaufen viele verschiedene<br />
Abteilungen und profitieren von flachen<br />
Hierarchien. Unsere Geschäftsführer<br />
sitzen nicht im Elfenbeinturm, sondern<br />
sind sehr nahbar. Das macht die ganze<br />
Atmosphäre sehr angenehm“, sagt Katharina<br />
Nübold.<br />
„Uns ist wichtig, dass wir keine Masse,<br />
sondern sehr gezielt ausbilden und immer<br />
das Ziel verfolgen, unsere Auszubildenden<br />
nach ihrem Abschluss zu übernehmen“,<br />
versichert Katharina Nübold,<br />
die jährlich etwa 13 neue Auszubildenden<br />
in Brilon begrüßen darf. ■<br />
Ausbildungsberufe<br />
von HOPPECKE<br />
• Industriemechaniker m/w/d<br />
• Elektroniker m/w/d<br />
• Industriekaufleute m/w/d<br />
• Werkzeugmechaniker m/w/d<br />
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Duale Studiengänge<br />
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Partner der Big Six<br />
HOPPECKE Batterien GmbH & Co. KG<br />
Bontkirchener Straße 1<br />
59929 Brilon-Hoppecke<br />
<strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021 - 37
Durch die tiefsten Schlaglöcher -<br />
und dann ab nach Mexiko<br />
Die Ruhrtaler Motorenwerke RMW Markus Weber privat<br />
H<br />
eute schon fast vergessen,<br />
spielten die „RMW-Motorradwerke<br />
GmbH Neheim-Hüsten“,<br />
so der vollständige<br />
Name, von 1926 bis 1957 eine<br />
wichtige Rolle in der auch im Sauerland<br />
immer weiter wachsenden<br />
Industrialisierung, verriet uns Peter<br />
Kleine vom Heimatbund Neheim-Hüsten.<br />
„Wer heute wie selbstverständlich im<br />
Internet surft, kann sich kaum vorstellen,<br />
welche Umwälzungen die reale<br />
Überwindung von Zeit und Raum<br />
durch Eisenbahn, Auto, Flugzeug und<br />
nicht zuletzt das Motorrad bedeutete“<br />
heißt es in der Einführung einer<br />
vor 20 Jahren herausgegebenen Arnsberger<br />
Publikation zu den Ruhrtaler<br />
Motorenwerken RMW. Während der<br />
Autoverkehr seit den 1920er Jahren<br />
unaufhörlich wuchs, fanden durch<br />
das Motorrad auch weniger begüterte,<br />
häufig junge Menschen so den Einstieg<br />
in die Motorisierung. Etwa um 1922<br />
entstand in Neheim - wie an vielen anderen<br />
Orten in Deutschland auch - aus<br />
einer Fahrrad produktion („BLEHA“)<br />
eine Motorradfertigung. Und zwar im<br />
Süden der Stadt, an der Langen Wende.<br />
Zunächst waren die Motorräder nichts<br />
anderes als Fahrräder mit Hilfsmotor,<br />
aber schon 1926 wurde damit begonnen,<br />
auf geschmiedete Rahmen<br />
umzusteigen und ein Dreiganggetriebe<br />
einzubauen. Die „RMW-B2“ von 1926<br />
mit Zweitaktmotor, 121 ccm und drei<br />
(!) PS war das erste von insgesamt fast<br />
50 Modellen, die die Neheimer Werke<br />
bis 1957 verließen.<br />
Der Einfahrer<br />
Aber wie fuhren solche Motorräder<br />
von anno dazumal eigentlich? Hierzu<br />
gibt es einige wunderbare Anekdoten;<br />
wir springen kurz in die 50er Jahre:<br />
Willi Bauerdick, Monteur und „Einfahrer“<br />
bei RMW 1950 -1953, berichtete<br />
im Jahr 1999: „Einfahren<br />
hieß, die Maschine lockermachen. Erst<br />
38 - <strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021
langsam (…), dann der vierte Gang<br />
mit Vollgas. Bis an den Klemmpunkt.<br />
Hier hörte man ein Klingeln. Motor<br />
abstellen, fünf Minuten warten und<br />
das Gleiche noch einmal, bis der Motor<br />
frei lief. Verpasste man den Klemmpunkt,<br />
blockierte der Motor und ein<br />
Sturz über die Lenkung war sicher - ich<br />
habe genug Stürze hinter mir! Bis dahin<br />
war die Maschine in der Federung<br />
noch kno chenhart. Jetzt ging es auf<br />
der Langen Wende durch die tiefsten<br />
Schlaglöcher. Immer wieder auf den<br />
Rasten stehend, bis die Federung weich<br />
wurde.“ Nach dieser Prozedur kam die<br />
Maschine in den Verpackungsraum,<br />
wurde geputzt und verpackt, danach<br />
per Hand zum Bahnhof geschoben.<br />
Manchmal aber auch - heimlich - gefahren,<br />
„mit Verpackung, so schnell<br />
wurde der Auspuff auch nicht heiß.“<br />
Angekommen sind wohl doch alle Motorräder<br />
- bis nach Mexiko und Uruguay<br />
wurde in der Blütezeit exportiert.<br />
Zurück zu den Anfängen<br />
Nachdem RMW Ende der 20er Jahre<br />
eigene Motoren baute und sich mit<br />
einfachen, aber robusten Maschinen<br />
zum günstigen Preis am Markt präsentieren<br />
wollte, musste preiswert in Serie<br />
produziert werden. Die riesigen Räumlichkeiten<br />
(ca. 3.000 qm Nutzfläche)<br />
an der Langen Wende wurden konsequent<br />
umgebaut, ein Lastenaufzug bis<br />
unters Dach und sogar ein Montageband<br />
eingebaut.<br />
Die Motorradproduktion stieg in<br />
den 20er Jahren in Deutschland<br />
explosions artig an, aus dem Luxusobjekt,<br />
das das Motorrad vor dem 1.<br />
Weltkrieg gewesen war, wurde langsam<br />
ein Gebrauchsgegenstand, für viele<br />
Menschen bezahlbar.<br />
Eine neues Label<br />
Die Weltwirtschaftskrise machte dann<br />
auch vor der Motorradproduktion<br />
in Deutschland nicht halt. Nach ca.<br />
195.000 produzierten Motorrädern im<br />
Jahr 1929 wurden im Jahr 1932 noch<br />
ganze 36.262 gebaut. Die RMW verkauften<br />
ihre Motorräder inzwischen<br />
unter einem neuen Label: “Phönix“.<br />
Nach der Machtübernahme durch die<br />
Nationalsozialisten werden Organisationen<br />
wie etwa das Nationalsozialistische<br />
Kraftfahrer-Korps (NSSK)<br />
geschaffen, die Rahmenbedingungen<br />
für die Produktion in Neheim ändern<br />
sich, wenn auch unter dunklen<br />
Vorzeichen, zunächst positiv.<br />
Ein weiterer Gebäudekomplex an<br />
der Langen Wende wird als „Werk<br />
II“ in die Firma eingebunden, und<br />
1936/1937 wird schließlich die insgesamt<br />
10.000te Maschine gefertigt<br />
- im Vergleich zu Marktführern wie<br />
Zündapp (200.000 Maschinen von<br />
1921 - 1938) waren die Sauerländer allerdings<br />
doch eher bescheidene „Player“<br />
auf dem Motorrad-Markt. Die<br />
Motorräder wurden teilweise direkt ab<br />
dem Neheimer Werk vertrieben, ansonsten<br />
setzt man auf Fachhändler. Aus<br />
heutiger Sicht sicher ungewöhnlich:<br />
Die Händler organisierten selbstständig<br />
Werbefahrten und nahmen sogar<br />
an Touren und Rennen teil, schalteten<br />
Anzeigen und klebten Plakate, um den<br />
Vertreib anzukurbeln. Vertriebspartner<br />
gab es unter anderem in Bielefeld,<br />
Siegen, Dortmund, Münster, Bremen,<br />
Mannheim und Dresden.<br />
<strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021 - 39
Massive Umwälzungen<br />
Aus Liebe zum Automobil.<br />
Waschpark | Fahrzeugaufbereitung | Detailing<br />
Nehdener Weg 9<br />
59929 Brilon<br />
Der 2. Weltkrieg und die Nachkriegs zeit bringen, wie für<br />
wohl alle Wirtschaftsunternehmen Deutschlands, auch<br />
für die RMW massive Umwälzungen mit sich. 1940 muss<br />
die Motoradproduktion eingestellt werden, stattdessen<br />
werden für die Wehrmacht Motorräder repariert, für andere<br />
Unternehmen Flugzeugteile gedreht. 1943-1945 diente<br />
das Werk II als Unterkunft für russische und polnische<br />
Zwangsarbeiter. Nach dem Krieg stellte sich heraus, dass<br />
für eine Fortführung der Motorrad produktion erhebliche<br />
Investitionen und technische Entwicklungen notwendig<br />
waren; dies scheiterte jedoch maßgeblich an Firmengründer<br />
Karl Haardt, der auch im hohen Alter alleine entscheiden<br />
möchte. Vorschläge seines Sohnes Karl, in die aufblühende<br />
Nehei mer Leuchtenindustrie zu investieren, werden abgelehnt.<br />
Ein Moped („Phönixchen“) wurde entworfen, eine<br />
Kooperation mit dem Arnsberger Kleinstwagenhersteller<br />
„Kleinschnittger“ angeleiert - es half nicht, 1952 bzw. 1953<br />
musste die Produktion eingestellt werden.<br />
Und das riesige Firmen-Gelände an der Langen Wende?<br />
Zunächst von einem Leuchtenhersteller und sogar einem<br />
Getränkemarkt genutzt, fällt der imposante Komplex in<br />
den Jahren 1982-1987 schließlich dem Neubau der Autobahn<br />
A 445 zum Opfer.<br />
Heute erinnert in der Langen Wende nichts mehr an die<br />
Ruhrtaler Motorenwerke, die im Rückblick betrachtet ein<br />
interessanter Teil der Sauerländer Industrie-Geschichte sind.<br />
Überlebt haben allerdings einige bis heute liebevoll gepflegte<br />
Prachtstücke aus der Motorrad-Produktion, einige davon<br />
sogar an ihrem “Geburtsort“ Neheim! ■<br />
Die Endmontage der Phönix<br />
erfolgte zeitweise auch in<br />
Eslohe-Wenholthausen.<br />
40 - <strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021
Mobil auch ohne Auto<br />
und Führerschein<br />
Mitfahrbänke in <strong>Rüthen</strong><br />
Christel Zidi<br />
E<br />
in Sonntagnachmittag auf dem Land – und der<br />
letzte Bus ist Ihnen gerade vor der Nase weggefahren.<br />
Haben Sie das auch schon mal erlebt? Nervig, wenn<br />
dann so einige Fahrzeuge aus Ihrem Wohnort vorbeifahren<br />
und sie doch eigentlich mitnehmen könnten. Die meisten<br />
dieser Fahrer werden aber denken, dass Sie auf jemanden<br />
warten – oder Ihr Bus gleich kommt … Angesichts dieses Szenarios<br />
fragt man sich, warum es „Mitfahrbänke“, wie sie im<br />
Frühjahr in <strong>Rüthen</strong> aufgestellt wurden, nicht schon viel länger<br />
gibt.<br />
Eine Gruppe engagierte Bürger aus dem Raum <strong>Rüthen</strong>-<strong>Warstein</strong><br />
hat sich den Klimaschutz auf ihre Fahnen geschrieben. Schon ihr<br />
Name sagt alles über ihr Anliegen: Klimaschutz – hier und jetzt.<br />
Eine Arbeitsgruppe dieses Bündnisses widmet sich der Mobilität.<br />
Dass es dabei nicht immer um Elektromobilität gehen muss,<br />
haben sie mit ihrem jüngsten Projekt bewiesen: zwei „Mitfahrerbänke“<br />
sorgen für Mobilität – auch ohne Führerschein und<br />
eigenes Auto.<br />
Hanna Hentschel ist eines der Mitglieder und hat uns den<br />
Grund für die Aufstellung dieser beiden Bänke genannt: „Mit<br />
unserer Klimagruppe haben wir überlegt, wie mehr Menschen<br />
auf ihr Auto verzichten können und wir die Erreichbarkeit<br />
der umliegenden Dörfer verbessern können.“ Vorbild<br />
für die Gruppe war ein Nachbarort, der bereits<br />
eine Mitfahrbank aufgestellt<br />
hatte. „Wir wollten zusätzlich zum öffentlichen Nahverkehr ein<br />
Angebot schaffen, vor allem für Jugendliche oder auch ältere<br />
Menschen, die kein Auto mehr fahren.“<br />
Im März wurden zwei Bänke aufgestellt, die mehrere Orte erreichen<br />
und mit einem Schild ausgewählt werden. Bezuschusst<br />
wurde die Aktion durch einen Heimatscheck der Stadt <strong>Rüthen</strong>.<br />
Mit dieser Maßnahme ist es jetzt möglich, die Erreichbarkeit<br />
zwischen den Ortschaften zu verbessern. Zum einen zu den angrenzenden<br />
Dörfern rund um <strong>Rüthen</strong> und zum anderen, um die<br />
Wege zu den nahegelegenen Städten <strong>Warstein</strong> und Lippstadt zu<br />
verkürzen.<br />
Mitfahrbänke sind vor allem da sinnvoll, wo das Bus- oder Bahnliniennetz<br />
nur unzureichend ist, also überwiegend in kleineren<br />
Ortschaften oder entlegen liegenden Städten. Die Kommunikation<br />
ist einfach: Die Bänke sind entsprechend gekennzeichnet<br />
und wer darauf Platz nimmt, signalisiert, dass er mitgenommen<br />
werden möchten. Die Beteiligten können<br />
anschließend selbst entscheiden, ob sie eine<br />
Mitfahrgemeinschaft bilden möchten.<br />
Mitfahrerbänke haben bereits auch in<br />
anderen Orten des Sauerlandes Schule<br />
gemacht, zum Beispiel in Arnsberg-Voßwinkel,<br />
in Niedermarsberg und in<br />
Willingen-Eimelrod. ■<br />
MITFAHRBANK<br />
<strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021 - 41
Zwei Vorreiter in Sachen Elektromobilität<br />
TESLA UND DIE<br />
STADT WARSTEIN<br />
Christel Zidi<br />
<strong>Warstein</strong> hat bundesweit<br />
die größte Ladepunktdichte<br />
pro Einwohner<br />
Manchmal reicht ja eine<br />
Überschrift, um ein<br />
Gerücht in die Welt zu<br />
setzen. Deshalb gleich vorweg: Nein,<br />
Tesla hat nicht vor, ein Werk in<br />
<strong>Warstein</strong> zu bauen. Trotzdem gibt es<br />
etwas, das beide gemein haben: Sie<br />
sind Vorreiter in Sachen Elektromobilität.<br />
Der eine weltweit, der andere<br />
– zumindest in einem Berei ch – sogar<br />
bundesweit.<br />
Die Elektromobilität ist weltweit auf<br />
dem Vormarsch. Auch im Sauerland<br />
steigt sie stetig an. Damit das so weitergehen<br />
kann, ist es wichtig, dass es<br />
genügend Ladepunkte und damit eine<br />
gut ausgeprägte Lade-Infrastruktur<br />
gibt. Eine Stadt sticht dabei besonders<br />
hervor, erfahren wir von <strong>Warstein</strong>s<br />
Wirtschaftsförderer Dirk Risse: „Gemessen<br />
an der Einwohnerzahl haben<br />
wir damit weiterhin die wohl größte<br />
Dichte an Ladepunkten bundesweit.<br />
Und weitere sind in Planung.” Genauer<br />
gesagt, sind das aktuell 28 Ladepunkte,<br />
also ein Ladepunkt pro 879 Einwohner<br />
(IT NRW vom 30.06.2020).<br />
Wenn der Wirtschaftsförderer Risse<br />
davon überzeugt ist, “dass die Stadt<br />
<strong>Warstein</strong> mit ihrem Ladesäulenkonzept<br />
auf dem richtigen Weg ist”,<br />
hat er sicherlich recht. Denn die Elektromobilität<br />
ist ganz klar auf dem Vormarsch.<br />
Schon in 2019 wurden z. B.<br />
in Norwegen bereits mehr Elektroautos<br />
als solche mit Verbrennungsmotor<br />
zugelassen. Auch im Sauerland steigen<br />
die Zahlen: Während im HSK mit<br />
Stand vom 31.12.2012 gerade mal<br />
19 reine Elektrofahrzeuge angemeldet<br />
wurden, waren es 2020 (Stand:<br />
31.10.2020) bereits 802. Bei den<br />
Hybridelek trofahrzeugen gab es mit<br />
Stand vom 31.12.2012 107 Anmeldungen,<br />
bis zum 31.10.2020 schon<br />
2.254 (Quelle: Pressestelle HSK).<br />
Apropos Tesla. Dieser Name wird<br />
zwangsläufig mit Elektroautos verbunden.<br />
Wer aber war der Namenspatron<br />
Tesla eigentlich? Werfen wir doch mal<br />
einen Blick auf sein Leben:<br />
Nikola Tesla: Ein Leben<br />
in Widersprüchen<br />
So manch einer, der einem Straßenarbeiter<br />
bei der Arbeit zusieht, fühlt<br />
sich gesellschaftlich überlegen. Mal<br />
abgesehen davon, dass jede ehrliche<br />
Arbeit Respekt verdient, sei es der<br />
Müllmann, die Reinigungsfrau oder<br />
Fließbandarbeiter, kennen wir nur<br />
selten die Geschichte der Menschen,<br />
42 - <strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021
Zufriedenheitsabfrage 2019 bei Kunden Freier Werkstätten.<br />
Durchgeführt von Mister A.T.Z. GmbH, 58313 Herdecke · www.werkstatt-des-vertrauens.de<br />
die dort am Straßenrand ihre Arbeit<br />
verrichten. Im Frühjahr 1887 war es<br />
Nikolas Tesla, der als Tagelöhner im<br />
Straßenbau in New Jersey arbeitete.<br />
Der Sohn eines serbisch-orthodoxen<br />
Priesters aus Kroatien studierte zunächst<br />
Maschinenbau. Im ersten Jahr<br />
an der Hochschule war er noch Feuer<br />
und Flamme für sein Studium, dann jedoch<br />
nahm sein Interesse ab. Nachdem<br />
er die Studiengebühren nicht mehr<br />
bezahlt hatte, wurde er exmatrikuliert.<br />
Später arbeitete er in Slowenien,<br />
Tchechien, Ungarn und Paris, bis es<br />
ihn, der zu diesem Zeitpunkt fast mittellos<br />
war, 1884 in die USA verschlug.<br />
Er musste noch einige Umwege gehen,<br />
bis seine Ideen zu einem rotierenden<br />
magnetischen Feld, einem<br />
soge nannten Drehfeld, und zum Mehrphasen-Wechselstrom<br />
Anerkennung<br />
fand. Teslas erstes Patent, das der<br />
drahtlosen Energieübertragung, gilt<br />
heute als erstes Patent der Funktechnik;<br />
eigentlich wollte er damit Energie<br />
zur Beleuchtung übertragen. Später<br />
wurden seine Arbeiten zunehmend<br />
skurriler, mit einem Hang zur Metaphysik<br />
und zum Transzendentalismus.<br />
Teslas Leben war ein ständiges Auf<br />
und Ab. Während er 1898 noch im<br />
Luxus-Hotel Waldorf-Astoria wohnte,<br />
konnte er auf dessen Namen 112 Patente<br />
angemeldet waren, 1930 seinen<br />
Unterhalt kaum noch bezahlen.<br />
Auf der einen Seite lebte Tesla, soweit<br />
bekannt, sehr keusch und<br />
galt als Humanist.<br />
Auf der anderen Seite ging er in seiner<br />
Freizeit Glücks- und Kartenspielen<br />
nach. Er hielt das weibliche Geschlecht<br />
für überlegen, hatte aber eine Ablehnung<br />
gegenüber „bestimmenden“<br />
Frauen. Der Vegetarier, 1,88 m groß<br />
und 64 Kilo schwer, zeigte auch ganz<br />
offen seine Ablehnung gegenüber<br />
übergewichtigen Menschen.<br />
Nikolas Tesla wurde als orthodoxer<br />
Christ erzogen; glaubte aber nicht an<br />
das Leben nach dem Tod. Wie dem<br />
auch sei, zumindest das, wofür sein<br />
Name heute steht, ist lebendig wie nie<br />
zuvor. ■<br />
Wir sind<br />
Auf‘m Brinke 20<br />
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<strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021 - 43
Nostalgische Zeitreise<br />
mit dem Rad<br />
TWEED<br />
RUN<br />
in Brilon<br />
Silvia Padberg<br />
Museum Haus Hövener /<br />
Heimatbund Semper Idem eV<br />
Beim Tweed Run geht es um<br />
das Radfahren. Nicht ums<br />
Biken mit hautenger Sportkleidung.<br />
Nicht um einen Run, bei<br />
dem möglichst schnell möglichst viele<br />
Kilometer gemacht werden. Es geht<br />
vielmehr um ein Event, für das man<br />
sich so richtig in Schale wirft. Und<br />
das heißt in diesem Fall: stylische,<br />
britische Kleidung aus den Zwanziger<br />
und Dreißigerjahren: Tweed, Tartan,<br />
Knickerbocker, Barbour-Jacke, Hut<br />
oder Kappe.<br />
Dieser Trend, der aus England zu<br />
uns gekommen ist, begeisterte auch<br />
die Mitglieder des Briloner Heimatbundes<br />
„Semper Idem“. 2019 organisierten<br />
Rudi Heppe und Winfried<br />
Dicke 2019 den ersten Briloner<br />
„Tweed Run“.<br />
Bei dem Radel-Event ging es 8,63<br />
Kilometer mit den unterschiedlichsten<br />
Vintage-Rädern durch Brilons<br />
Straßen. Ein stilechtes Picknick nach<br />
englischer Art gehörte selbstverständlich<br />
dazu.<br />
Der Tweed Run soll auch in diesem<br />
Jahr wieder stattfinden. ■<br />
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Anke Kemper<br />
Anmerkungen zur Mobilität im Sauerland<br />
Für das Ruhrtal finden sich Hinweise<br />
einer altsteinzeitlichen Besiedlung.<br />
Für die Mobilität vor ca.<br />
4.000 Jahren – da sind sich einmal alle<br />
Wissenschaftler einig – gab es damals<br />
schnelle oder langsame Füße und sonst<br />
gar nichts. Das änderte sich erst mit der<br />
Domestizierung des Pferdes. Pferde dienten<br />
dabei zunächst als Rohstoffquelle zu<br />
Nahrungszwecken und wurden später als<br />
Trag- und Zugtiere eingesetzt.<br />
Ab dem Mittelalter sind wir auf sichererem<br />
Terrain: Zu Zeiten der Hanse, an die Meschede<br />
über Arnsberg angeschlossen war,<br />
herrschte im 14. Jahrhundert im Sauerland<br />
eine rege Fernhandelstätigkeit, die ohne<br />
Pferdetransporte undenkbar gewesen sein<br />
dürfte. Allerdings waren die „Straßenverhältnisse“<br />
oder besser die Wegebeschaffenheit<br />
eine große Herausforderung für<br />
Pferd und Mensch. Da das Sauerland insgesamt<br />
keine gewinnversprechende Landwirtschaft<br />
oder sonstige Erwerbsmöglichkeiten<br />
bot, war die Infrastruktur in einem<br />
recht desolaten Zustand. Die Sauerländer<br />
Wanderhändler, die seit dem 16. Jahrhundert<br />
Holz- und Stahlwaren handelten,<br />
später besonders im Sensenhandel unterwegs<br />
waren, gingen überwiegend zu Fuß.<br />
Ein eigenes Fuhrwerk war zu kostspielig.<br />
Hinzu kam die schlechte Beschaffenheit<br />
der befahrbaren Wege. Insgesamt<br />
gilt wohl, dass sich reiche Unternehmer,<br />
Bauern und vor allem Adelige Pferde und<br />
Kutschen leisten konnten, von einer allgemein<br />
zugänglichen Mobilität sollte man<br />
aber erst nach der Einrichtung der Postkutschen<br />
sprechen. Die erste Postkutsche<br />
rumpelte 1686 von Nürnberg nach Hof,<br />
wo man Anschluss nach Leipzig mit der<br />
sächsischen Postkutschenlinie hatte. Eine<br />
Sensation für die damalige Zeit. Auch im<br />
Sauerland fand die Postkutsche ab dem<br />
18. Jahrhundert eine große Nachfrage.<br />
Postkutschen sollten bis zum Ende des<br />
19. Jahrhunderts das Überlandreisemittel<br />
schlechthin bleiben.<br />
Eine Reise in einer Kutsche können wir<br />
uns heute kaum noch vorstellen: Gefährlich,<br />
unbequem und anstrengend ist eher<br />
eine harmlose Beschreibung für solche<br />
Reisen. Das änderte sich im Sauerland<br />
Ende des 19. Jahrhunderts mit der ersten<br />
Eisenbahn, die 1871 von Schwerte durch<br />
das Hochsauerland bis Warburg fuhr. Zur<br />
Erinnerung: Die erste Eisenbahnstrecke<br />
in Deutschland wurde 1835 auf der Strecke<br />
Nürnberg-Fürth eröffnet, also nur 35<br />
Jahre, bevor Meschede bahntechnisch zu<br />
erreichen war.<br />
Busverkehr gab es hier im Hochsauerland<br />
erst ab den 1950er Jahren, wobei die großen<br />
Entfernungen und vielen kleinen Ansiedlungen<br />
nicht leicht zu bedienen waren.<br />
Mit dem heutigen Nahverkehr kann man<br />
das gewiss nicht vergleichen. In der Nachkriegszeit<br />
finden wir Fahrräder und Motorräder<br />
bis das Wirtschaftswunder auch<br />
im Sauerland einzog, nachdem Gottlieb<br />
Daimler eine für seine Frau Emma gedachte<br />
Kutsche 1886 motorisierte und<br />
damit das Zeitalter der Automobile einleitete.<br />
Wenn wir heute von Meschede nach<br />
Arnsberg fahren, dann dauert das knapp<br />
30 Minuten. Mal eben zum Shoppen<br />
nach Arnsberg wäre mir mit dem Pferd<br />
zu anstrengend, in der Kutsche hätte ich<br />
zum Einkaufen kaum noch Zeit, und<br />
zu Fuß taugt jetzt irgendwie nicht als<br />
Alternative. ■<br />
<strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021 - 45
Hey Nachbar,<br />
darf ich mal Dein Auto…?<br />
Sonja Funke<br />
Anke Kemper<br />
W<br />
ie outet sich die gemeine<br />
Sauerländerin als, Verzeihung,<br />
Öko-Sau? Auf die<br />
Frage: „Wie, ihr braucht ein eigenes<br />
Auto?“, antwortet sie: „Nee, nicht eins,<br />
sondern zwei!“ Welch Totalausfall in<br />
Sachen Klimabilanz. Aber leider unvermeidbar,<br />
wenn man nicht jeden<br />
Tag Dutzende Kilometer zu Fuß oder<br />
mit dem Rad hinlegen will. Zum Einkaufen,<br />
zum Job, zu den Hobbies der<br />
Kinder, in den Urlaub geht’s mit dem<br />
eigenen Kfz.<br />
Freunde aus Köln dagegen besuchen uns<br />
immer mit einem Car-Sharing-Auto. Ein<br />
Service, der in Großstädten längst etabliert<br />
ist. Sie wohnen in der Innenstadt<br />
und besitzen gar kein Auto mehr! Und<br />
Car-Sharing kommt für sie auch nur dann<br />
in Frage, wenn die Zugverbindungen so<br />
gar nicht zu ihren Reiseplänen passen.<br />
Also selten. Nur fast immer, wenn es ins<br />
Sauerland geht.<br />
Doch es tut sich was. In Winterberg<br />
können sich Touristen wie Einheimische<br />
unkompliziert einen von insgesamt zwei<br />
kleinen E-Ups (VW) bei der Touristik im<br />
Oversum mieten und ökologisch wertvoll<br />
bis zu 180 Kilometer in der Region erkunden.<br />
Nicht weit entfernt hat Elkeringhausen<br />
ein eigenes „Dorfauto“. Meschede<br />
bietet über die Mobilitätsstation der Deutschen<br />
Bahn „Flinkster Carsharing“ an.<br />
Und: Der Hochsauerlandkreis will über<br />
den Wettbewerb „Teil.Land.NRW“ ein<br />
Car-Sharing-Projekt in acht Modellkommunen<br />
initiieren.<br />
Diese Ansätze womöglich, Stichwort<br />
„smart city“, mit einer App zu verbinden,<br />
das wäre der Gipfel. Projekte dazu sind<br />
hinter den Kulissen bereits angestoßen!<br />
Wenn bald einer aus der Großstadt fragt:<br />
„Wie, ihr braucht ein eigenes Auto?“, sage<br />
ich: „Nö! Das regele ich über die Car-Sharing-App,<br />
woll. Sehe gerade, das Dorfauto<br />
ist heute von 15 bis 18 Uhr frei. Wo woll’n<br />
wer denn mal hinjuckeln?“ ■<br />
46 - <strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021
Daniel Thamm aus<br />
Wehrstapel ist Ballonfahrer<br />
voller Leidenschaft<br />
Up, up<br />
and away…<br />
Britta Melgert<br />
privat<br />
S<br />
auerländer mit Basiswissen<br />
über das Ballonfahren gibt es so<br />
einige. Da war wohl die <strong>Warstein</strong>er<br />
Montgolfiade prägend. In<br />
kaum einer anderen Region Deutschlands<br />
soll es so viele Ballon-Piloten<br />
geben wie hier. Einer von ihnen ist Daniel<br />
Thamm aus Wehrstapel. Er hat uns (gedanklich)<br />
mit auf eine Ballonfahrt genommen.<br />
„Es ist eines der wenigen Abenteuer des heutigen Lebens“, ist<br />
sich Daniel Thamm sicher. Drei Gäste dürfen ihn begleiten<br />
im Korb unter seinem Ballon. Eine Reise, die der Wind bestimmt.<br />
Das Ziel kann man nur erahnen. „Wenn es jedoch<br />
Wunschrouten gäbe, dann läge eine Fahrt über den Hennesee<br />
eindeutig auf Platz 1 der Liste.“<br />
Zwei Stunden –<br />
abhängig von der Sonne<br />
Daniel Thamm<br />
So in etwa zwei Stunden dauert eine Fahrt. „Die optimalen<br />
Bedingungen hängen von der Windstärke ab, und die ist direkt<br />
nach Sonnenaufgang oder vor<br />
Sonnenuntergang meist optimal für<br />
mein Hobby.“ Lächelnd ergänzt er:<br />
„Ich kann bei einer Ballon-Fahrt<br />
wunderbar vom Alltag abschalten.<br />
Der Korb hebt ab, und schon bald hört<br />
man bloß noch das Fauchen der Flamme<br />
– ansonsten pure Stille!“<br />
Sauerland von oben –<br />
immer wieder anders<br />
Und dann … „Natürlich liebe ich es, bekannte Orte von oben<br />
auf eine besondere Art kennenzulernen. Die Häuser meines<br />
Heimatdorfes, der Verlauf der Ruhr oder der Blick in den<br />
Schornstein des größten Unternehmens hier – schon klasse!<br />
Aber generell ist jede Fahrt über dem Sauerland ein echtes Erlebnis.<br />
1.000 Berge – und jeder sieht doch wieder anders aus“,<br />
lächelt Thamm. Wie gut, dass der Wind den Ballonfahrer immer<br />
wieder woanders hin weht… ■<br />
<strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021 - 47
Keine Angst vor 450 Pferdestärken<br />
Pauline Zacharias macht mit 21 Jahren ihren Busführerschein<br />
Pauline Zacharias<br />
Anke Kemper<br />
S. Droste<br />
13<br />
Meter lang, ca. 18 Tonnen<br />
schwer, 450 PS – Mit<br />
der Zusatzqualifikation<br />
zum Busführerschein machte sich die<br />
21-jährige Pauline Zacharias ihren<br />
Kindheitstraum möglich. Nun darf<br />
sie uneingeschränkt europaweit Bus<br />
fahren.<br />
Durchstarten und eine saubere<br />
Bremsung hinlegen<br />
„Normalerweise darf man mit 21 Jahren<br />
nur in einem Umkreis von 50 km<br />
fahren“, beginnt Pauline Zacharias. Zur<br />
beschleunigten Grundqualifikation<br />
hing sie noch die Regelprüfung dran<br />
und machte eine zusätzliche praktische<br />
Prüfung. Nun darf sie auch im Gelegenheitsverkehr<br />
uneingeschränkt fahren.<br />
„Auch die theoretische Prüfung war umfangreicher<br />
und der zwölfwöchige Vorbereitungskurs<br />
fiel weg. Ich musste mir<br />
das selbst beibringen“, erzählt sie weiter.<br />
Für ihre zusätzliche praktische Prüfung<br />
musste sie u. a. eine Route planen und<br />
abfahren. „Es wurde ein Viereck aufgestellt,<br />
dort musste ich reinfahren,<br />
wenden und an gleicher Stelle wieder<br />
rausfahren. Dann musste ich aus 15<br />
Meter Entfernung einschätzen, wie weit<br />
das „Tor“ zusammengeschoben werden<br />
durfte, damit ich mit dem Bus reinpasse<br />
und das so knapp wie möglich“, fügt sie<br />
hinzu. Pauline ist in ihrem Element. Begeistert<br />
berichtet sie noch über Pumpbremsung,<br />
also im Grunde „´ne saubere<br />
Bremsung hinzulegen“, nachdem man<br />
innerhalb 65 m auf 30 km/h beschleunigt,<br />
an der ersten Pylone anfängt zu<br />
bremsen, um dann bei der hinteren<br />
Pylone zum Stehen zu kommen. „Man<br />
stellt sich das Busfahren schlimmer vor,<br />
als es ist. Wenn man erst einmal raushat,<br />
wie man um die Kurve muss, ist es<br />
wie mit einem Riesen-Gokart.“<br />
Ausbildung zur Mechatronikerin<br />
für Nutzfahrzeuge<br />
Neben ihrer Busfahrprüfung sitzt sie<br />
gerade an der Abschlussprüfung zur<br />
Mechatronikerin. Für sie stand schon<br />
immer fest, dass sie irgendwann ins Fa<br />
48 - <strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021
Der neue<br />
ID.4 GTX*<br />
Ihre Ausbildung macht sie z. Zt. bei der<br />
Firma EvoBus in Dortmund. „Während<br />
meiner Ausbildung mache ich hauptsächlich<br />
Elektrik und diesen Part werde<br />
ich später auch hier zu Hause in der<br />
Werkstatt übernehmen. Aber erst mal<br />
bleibe ich noch bei EvoBus. Es gefällt<br />
mir dort sehr gut“, fügt sie hinzu. In<br />
ihrer Klasse ist sie die einzige weibliche<br />
Auszubildende. „Für den Bereich<br />
Nutzfahrzeuge gibt es sehr wenige<br />
Mechatronikerinnen.“<br />
milienunternehmen einsteigen würde.<br />
„Schon als Kindergartenkind bin ich<br />
mit Papa gerne Bus oder LKW gefahren“,<br />
erzählt sie. Irgendwann musste sie<br />
sich dann entscheiden: Will ich lieber in<br />
den kaufmännischen oder den technischen<br />
Bereich einsteigen. „Ich hatte eine<br />
Bewerbung als Industriekauffrau fertig<br />
geschrieben, merkte dann aber beim<br />
Durchlesen: nein, das möchte ich lieber<br />
nicht, so acht Stunden im Büro sitzen,<br />
ist nichts für mich.“<br />
Bei einer Panne unterwegs ist das nicht<br />
mehr so einfach wie früher. „Wenn es<br />
etwas Mechanisches ist, kann ich das<br />
selbst beheben, bei Elektronik wird es<br />
komplizierter, da braucht man dann<br />
ein Diagnosegerät“, weiß sie. Bei einer<br />
Reifenpanne könnte es auch schwierig<br />
werden, wenn man bedenkt, dass<br />
ein Busreifen mit Felge mindestens<br />
50 kg wiegt. „So ein Reifen wiegt ja<br />
mehr als ich“, lacht sie. „Aber dafür<br />
gibt es gute Hilfsmittel. Und wenn<br />
mir das an meinem Ausbildungsplatz<br />
mal nicht so gelingt, helfen auch die<br />
Kollegen.“<br />
Vernunft trifft Fahrspaß.<br />
Sportlich wie ein GTI, komfortabel wie ein SUV und<br />
nachhaltig wie ein ID. - der neue ID.4 GTX beweist<br />
mit seinem optionalen Allradantrieb eindrucksvoll,<br />
wie sich Effizienz und vollelektrische, lokal CO 2<br />
-freie<br />
Performance auf hohem Niveau verbinden lassen. Und<br />
auch optisch ist der neue ID.4 GTX bereit, in die Zukunft<br />
durchzustarten: mit den exklusiven, serienmäßigen<br />
20-Zoll-Leichtmetallfelgen, dem schwarzen Hochglanz-<br />
Lüftungsgitter und der prägnanten Lichtsignatur in den<br />
Air Curtains.<br />
* Stromverbrauch des neuen ID.4 GTX, kWh/100 km:<br />
kombiniert 16,3; CO 2<br />
-Emissionen, g/km: kombiniert 0.<br />
Fahrzeugabbildung zeigt Sonderausstattung<br />
gegen Mehrpreis.<br />
Bald ist Urlaub angesagt und die Zeit<br />
wird genutzt, um im Familienunternehmen<br />
Erfahrungen zu sammeln.<br />
„Ich soll bei sechs Bussen die Abbiegeassistenten<br />
nachrüsten.“ Wenn es um<br />
Elektrik geht, wird Pauline bereits mit<br />
eingebunden. „Die beiden angestellten<br />
Monteure im Betrieb kümmern<br />
sich mehr um das Mechanische.“<br />
Ihr Volkswagen Partner<br />
Friedrich Hoffmann GmbH & Co. KG<br />
Remmeswiese 24, 59955 Winterberg, Tel. 02981 9207-0<br />
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<strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021 - 49
Zukunft gesichert<br />
Die Vollblut-Busfahrerin und -Mechatronikerin<br />
hat noch weitere Ziele:<br />
„Nach meiner Ausbildung zur Mechatronikerin<br />
möchte ich den Fachwirt für<br />
Personenverkehr und Mobilität machen.<br />
Das wäre eine gute Vorbereitung auf<br />
das, was mich im Betrieb hier erwartet“,<br />
berichtet Pauline Zacharias. Ihr Plan ist<br />
es, später auch in die Disposition und<br />
Fahrplangestaltung einzusteigen. „Mein<br />
Bruder kümmert sich hier mehr um<br />
das Kaufmännische“, erzählt sie weiter.<br />
„2018 hatten wir 75-jähriges Betriebsjubiläum.<br />
Mein Bruder Fabio und ich sind<br />
jetzt die vierte Generation in unserem<br />
Betrieb und wir wollen mindestens die<br />
100 voll machen!“ Pauline interessiert<br />
sich auch für die Geschichte von Bussen.<br />
„Irgendwann baue ich mal mit Papa<br />
einen alten Setra S8 um, das war der<br />
erste Bus, den Setra auf den Markt gebracht<br />
hat. Und damit mache ich dann<br />
eine Tour durch Europa“, schwärmt sie.<br />
Hoffentlich geht es<br />
bald wieder los!<br />
Die Reisebusse stehen seit der Pandemie<br />
still. „Am liebsten würde ich Erfahrungen<br />
sammeln als zweite Fahrerbesetzung.<br />
Zum Beispiel in Richtung Toskana<br />
oder nach Meran, um mal zu sehen,<br />
wie das so abläuft“, berichtet sie. Auch<br />
hier im Sauerland übt sie momentan<br />
ihre Fahrpraxis. Regelmäßig bewegt sie<br />
die Busse. Die Gänge müssen durchge<br />
„Wenn man erst einmal<br />
raushat, wie man um die<br />
Kurve muss, ist es wie mit<br />
einem Riesen-Gokart.“<br />
- Pauline Zacharias<br />
schaltet, alle Komponenten ans Laufen<br />
und auf Temperatur gebracht werden<br />
und das Öl in Bewegung kommen, um<br />
die Standschäden so minimal wie möglich<br />
zu halten, erfahren wir. Auch jetzt,<br />
nachdem sie von einer Fahrt zurück ist,<br />
wechselt sie das Nummernschild an einen<br />
anderen Bus, um damit zusammen<br />
mit ihrer Schwester und einer Freundin<br />
eine Tour zu machen. Die Pflicht wird<br />
zum Spaß. „Es geht nach Velmede zum<br />
Eisessen“, sagt sie abschließend. Da<br />
kann man nur noch sagen: Sie haben Ihr<br />
Ziel erreicht! ■<br />
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Heimat<br />
Kallenhardter engagiert<br />
sich gegen das Vergessen<br />
Helmut Gaida<br />
Iris Böning<br />
Franz Josef Finger<br />
Der 73-jährige Kallenhardter Franz-Josef<br />
Finger hat sich eine Mammut-Aufgabe gestellt.<br />
Er möchte mit kleinen Lebensläufen<br />
der vielen Vermissten und Gefallenen in seinem Heimatort<br />
gedenken. „Es ist wichtig“, sagt Franz-Josef<br />
Finger, „dass wir den Gefallenen und Vermissten<br />
einen besonderen Platz in unserer Mitte geben.“<br />
„Wie hätte das Leben ausgesehen, wenn sie alle aus dem<br />
Krieg wiedergekommen wären?“ sinniert Franz-Josef<br />
Finger. „Sie waren in den Vereinen des Dorfes; der<br />
Jüngste war 19, der Älteste 57 Jahre alt. Wie hätte das<br />
unser Leben im Ort verändert? Wir wollen und dürfen<br />
unsere ehemaligen Bürger einfach nicht vergessen.“<br />
In den großen Weltkriegen gaben viele Millionen Soldaten<br />
ihr Leben für das Vaterland. Soldaten, die in ihren<br />
Heimatorten einen festen Platz in der Gesellschaft hatten,<br />
hofften auf ein Ende des Krieges und sehnten sich<br />
nicht nur inständig nach ihren Familien, sondern wollten<br />
wieder ihren Platz im Ort einnehmen. Leider sah die<br />
Realität oft anders aus… Er ist für viele Kallenhardter<br />
mehr als eine alte Tradition: der alljährliche Gang zum<br />
Das Ehrenmal in Kallenhardt<br />
<strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021 - 51
Ehrenmahl. Bis heute gedenken die Reservistenkameradschaft<br />
und die Schützenbruderschaft St.<br />
Sebastianus mit interessierten Bürgern regelmäßig<br />
am Kriegerdenkmahl der Gefallenen und Vermissten.<br />
Augenblicke der Stille, des Innehalten und des<br />
Gedenkens an die Dorfbewohner, die nicht mehr die<br />
Möglichkeit hatten, ihren geliebten Heimatort wiederzusehen.<br />
Die tiefgehenden Ansprachen der Reden<br />
unterstrichen den festen Willen gegen das Vergessen<br />
der Kameraden.<br />
Auch Franz-Josef Finger hat als langjähriger Schützenoberst<br />
mehrere Ansprachen am Ehrenmal gehalten, immer<br />
unter dem Motto, im Besonderen der Kallenhardter<br />
Gefallenen zu gedenken und der anwesenden Jugend<br />
klarzumachen, dass sich so etwas nie wiederholen darf.<br />
Es gibt auch von einem erfreulichen Ereignis zu berichten:<br />
Für einen „angeblich“ Gefallenen wurde bereits das<br />
Seelenamt gelesen, die Totenzettel waren gedruckt und<br />
verteilt, doch zum Kriegsende erschien er plötzlich wieder<br />
in der Heimat. Ein kurzer Schreck und eine große Freude<br />
für die Familie und den gesamten Ort. Von einem anderen<br />
berichtet Finger, der zwei Mal auf den Weltkriegs-Verlustlisten<br />
stand und von dem man annahm, dass er 1914<br />
ebenfalls gefallen ist. Sein Name ist am Ehrenmal eingraviert.<br />
Bei seinen Recherchen stellte Franz-Josef Finger fest,<br />
dass dieser Mann aber erst 1972 verstorben ist. Vermutlich<br />
war der von den Kallenhardtern Vermisste direkt zu seiner<br />
Familie ins Rheinland gegangen und man hatte deshalb nichts<br />
mehr von ihm gehört. Es wird wohl ein Rätsel bleiben.<br />
Aus den Erfahrungen seiner aktiven Arbeit im Standesamt berichtet<br />
Finger von einer Frau, die noch lange nach dem Krieg<br />
davon sprach, dass ihr Mann nicht gefallen sei: ‚Ich höre eines<br />
Tages noch mal etwas von meinem Mann‘. Tatsächlich bekam<br />
das Standesamt eines Tages die Nachricht über den Kriegssterbefall.<br />
Der Standesbeamte wusste, dass die Frau wartete. Genau<br />
an dem Tag, als die Nachricht von seinem Tod beim Standesamt<br />
ankam, verstarb die Frau. Sie hatte es nicht mehr erfahren.<br />
Franz-Josef Finger hat den Wunsch, nicht nur auf die Namen<br />
der Gefallenen und Vermissten am Kriegerdenkmahl zu blicken,<br />
sondern einen festen Bezug zu ihnen herzustellen. In Form<br />
eines kleinen Lebenslaufes dieser Menschen, der dann allen zugänglich<br />
gemacht wird. Beim Sammeln der ca. 70 „Totenzettel“<br />
reifte in ihm der Gedanke zur Katalogisierung. Totenzettel, das<br />
waren einfache oder gefaltete Zettel mit den wichtigsten Lebensdaten<br />
eines Verstorbenen, die meist im Rahmen des Requiems<br />
an die Trauergäste verteilt werden. Im weiteren Sinn versteht<br />
In einem kleinen olivgrünen Beutel erhielt<br />
die Mutter den Nachlass.<br />
man unter Totenzettel auch Todesnachrichten, die früher im<br />
Ort verteilt oder versandt wurden.<br />
Eine Mammut-Aufgabe<br />
Was als akribische Fleißarbeit begann, entwickelte sich für<br />
Franz-Josef Finger bald zur Mammut-Aufgabe. Schnell erkannte<br />
der ehemalige Standesbeamte aber notwendige Ausbaupotenziale<br />
über die Nutzung eines von ihm entwickelten Datenblatts.<br />
Neben den Personenstandsdaten (Familienstand, Kinder, Beruf)<br />
soll das Blatt auch ein Foto zeigen, sein Wohnhaus zum<br />
Zeitpunkt des Verlassens. Zusätzlich mit einer heutigen Ansicht<br />
zum Vergleich. Dazu die Namen der Eltern und den Beinamen<br />
Von früheren Kirchenbuchscheibern wurde nicht jeder<br />
Name akzeptiert. Aus einem „Josef“ wurde ein „Josephus“,<br />
aus einem Anton ein Antonius. Und manche<br />
„Maria“ wurde auch nachträglich angehängt.<br />
52 - <strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021
des Hauses, das oft nach dem ursprünglichen<br />
Besitzen benannt wurde.<br />
Dazu weitere Informationen zur<br />
Person.<br />
Fach-Kompetenz als<br />
Standesbeamter<br />
Dabei half nicht nur Kommissar Zufall,<br />
sondern auch seine Erfahrung als<br />
Standesbeamter. Finger weiß, wo er<br />
bei seinen Nachforschungen ansetzen<br />
kann. Bei früheren Nachforschungen<br />
gelangte man über die Akten der Geburts,-<br />
Heirats- und Sterbebüchern zu den gewünschten<br />
Informationen. Dass seit einigen<br />
Jahren die Standesämter ihre Urkunden nach<br />
einer gewissen Zeit in Archive geben müssen,<br />
machte die Sache nicht einfacher. Also<br />
Recherchen bei den zuständigen Archiven.<br />
Dazu gehören auch das Landesarchiv Detmold,<br />
das Militärarchiv Freiburg sowie die<br />
Preußischen Verlustlisten des 1. Weltkrieges und natürlich<br />
die Gräbersuche der Kriegsgräberfürsorge. In den 90er<br />
Jahren wurden nach der Glasnost-Bewegung in Russland<br />
die Archive mit den Unterlagen der in den Lagern verstorbenen<br />
Deutschen geöffnet und die Akten den deutschen<br />
Standesämtern zur Verfügung gestellt. Das waren dann<br />
die sogenannten „Kriegssterbefälle“.<br />
Alte Geschichten<br />
Grundsätzlich geht es Franz-Josef Finger darum,<br />
zunächst eine Grundlage zu schaffen. Er<br />
brennt darauf, noch viele Geschichten über „alte<br />
Bewohner“ hören. „Wir haben zum Glück noch<br />
viele Einwohner über 90 Jahre, die dabei helfen<br />
können.“ Im Hinblick auf die 950-Jahr-Feier<br />
im nächsten Jahr soll in Kürze eine Vorstellung<br />
seiner Heimatarbeit erfolgen. Auf die Resonanz<br />
der Kallenhardter ist Franz-Josef Finger bereits<br />
sehr gespannt. Vielleicht hat ja auch der ein oder<br />
andere noch alte Fotos aus den Kriegszeiten, um<br />
ihm die zur Verfügung zu stellen… ■<br />
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Mit dem Spirit einer<br />
jungen Generation<br />
Britta Melgert<br />
S. Droste<br />
FH3 in <strong>Warstein</strong> – einer von 26 „Dritten Orten“ in NRW<br />
Das gab es hier in <strong>Warstein</strong> früher nicht! Ein Ort,<br />
an dem man sich trifft, an dem man arbeitet<br />
und an dem man gut unterhalten wird. Die<br />
NRW-Landesinitiative nennt es „Dritte Orte“ und meint<br />
die Treffpunkte neben dem eigenen Zuhause und dem Arbeitsplatz.<br />
In <strong>Warstein</strong> heißt er „FH3“. Fördermittel machen<br />
es möglich – und junge <strong>Warstein</strong>er machen aus guten<br />
Ideen ein dickes PLUS für die Menschen ihrer Stadt.<br />
„Endlich haben wir für unser Projekt die optimalen Räumlichkeiten<br />
gefunden“, freut sich Günther Risse, 1. Vorsitzender<br />
im Projektteam, das sich für das FH3 engagiert.<br />
„Ganz zentral am Marktplatz gelegen wird nun auf 108 m²<br />
in einem aus dem 19. Jahrhundert stammenden Gebäude<br />
aktuellste Technik einziehen – und der Spirit einer jungen<br />
Generation.“<br />
Multifunktionale Räumlichkeiten mit kleiner Bühne<br />
Auch Sascha Clasen und Maximilian Spinnrath engagieren<br />
sich für das neue Begegnungszentrum. „Nach Anfangsversuchen<br />
in zwei kleineren Locations starten wir nun richtig<br />
durch“, freut sich Sascha Clasen. Maximilian Spinnrath ergänzt:<br />
„Hier wird es sowohl Treffen von Vereinen als auch<br />
Auftritte von Künstlern auf unserer kleinen Bühne geben.<br />
Und im Alltag wird das FH3 offen sein für Menschen, die<br />
reden, erleben oder arbeiten wollen.“<br />
Austausch mit Gleichgesinnten<br />
und leistungsfähiges Equipment<br />
Arbeiten? „Ja“, so Risse, „unter dem Überbegriff ‚Coworking<br />
Space‘ wird hier effektives Arbeiten am Computer möglich<br />
54 - <strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021
Aber selbst der, der beispielsweise bloß mal Bedarf für eine<br />
wirklich gute Video-Ausrüstung hat, wird hier fündig, denn<br />
die technische Ausstattung im FH3 lässt kaum Wünsche offen<br />
und ist mietbar. „Rund 260.000,00 Euro stellt das Land<br />
NRW für die gute Idee aus <strong>Warstein</strong> zur Verfügung“, verrät<br />
Günther Risse. „Damit sorgen wir natürlich auch selbst für<br />
Events in der Region. Ein schönes Beispiel dafür ist unser<br />
vielbeachtetes <strong>Sommer</strong>interview mit Bürgermeister Dr. Thomas<br />
Schöne, das samt Quizpart auf dem Lörmecke-Turm<br />
live in etliche <strong>Warstein</strong>er Gastronomie-Betrieben<br />
übertragen wurde und tagelang in aller Munde<br />
war.“ Günther Risse ergänzt: „Wir brauchen<br />
in <strong>Warstein</strong> mehr Leben – und wir schauen<br />
mit positivem Blick darauf, was man hier<br />
braucht.“<br />
Nebenberufliches Engagement<br />
von jungen <strong>Warstein</strong>ern<br />
Insgesamt 26 Projekte werden in NRW unter<br />
dem Motto „Dritte Orte“ gefördert. „Das<br />
herausstechende an unserem <strong>Warstein</strong>er FH3-Projekt ist,<br />
dass es von einem jungen Team gestemmt wird, und das sogar<br />
rein nebenberuflich“ so Sascha Clasen. „Wir investieren<br />
Zeit und Energie, weil uns die <strong>Warstein</strong>er und die Zukunft<br />
<strong>Warstein</strong>s wichtig sind.“ Nicht nur auf die in Kürze anstehende<br />
Eröffnung darf man sich freuen, sondern generell<br />
über diesen zukunftsweisenden (dritten) Ort in <strong>Warstein</strong>.<br />
Anm.: Namensgeber für das FH3 war der Standort der ersten<br />
Location: Franz-Hegemann-Straße 3. ■<br />
sein, im Idealfall inklusive des Austausches mit Gleichgesinnten.<br />
Leistungsfähiges Equipment, schnelles WLAN – so<br />
mancher der <strong>Warstein</strong>er Free-Lancer oder Start-up-Unternehmer<br />
wird zu schätzen wissen, was er hier künftig, auch<br />
ohne Investitionen in eigene Büroräume, nutzen kann.“<br />
260.000 Euro für <strong>Warstein</strong>s Zukunft<br />
<strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021 - 55
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gewinnen. Zum RVT-Verbund zählen seit Anfang des Jahres auch die Tankstellen der Karl-Heinz Büker Mineralöl GmbH aus Anröchte.<br />
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Helmut Gaida<br />
privat<br />
Bundesverband für Selbstschutz brachte<br />
den Fremdenverkehr zum Blühen<br />
Rückblick auf 40 Jahre Schulbetrieb im Schloss Körtlinghausen<br />
40<br />
Jahre Schulbetrieb im Schloss Körtlinghausen. Ein Glücksgriff<br />
für den „Bundesverband für den Selbstschutz“ mit seinen<br />
vielfältigen Aufgaben zur Schulung der Bürger über Selbstschutzmaßnahmen<br />
bei Krisen und Katastrophen. Dazu gehörten zum<br />
Beispiel Informationen über den Brandschutz, die Bergung und Rettung<br />
Betroffener. Hermann Klesper, ehemaliger Schulleiter, blickt 25 Jahre<br />
nach der Schließung der Schule des Bundesverbandes für den Selbstschutz<br />
auf eine bewegte Zeit im Ortsteil <strong>Rüthen</strong>-Kallenhardt zurück.<br />
Klesper-Kinder ließen<br />
sich als vermeintliche<br />
Opfer von Spürhunden<br />
erschnüffeln<br />
Als der damalige Bundes-Luftschutzverband<br />
NRW 1956 eine Ausbildungsstätte<br />
für den Bevölkerungsschutz suchte, fiel<br />
die Wahl auf Schloss Körtlinghausen,<br />
das zu dieser Zeit alle erforderlichen<br />
Rahmenbedingungen zur Ausbildung<br />
von Fachleuten im Katastrophenschutz<br />
abbildete.<br />
Im idyllisch gelegenen Schloss im Glennetal,<br />
zwischen <strong>Rüthen</strong> und <strong>Warstein</strong>,<br />
entstanden Unterkünfte für 60 Personen<br />
zum Internatsbetrieb. Später wurde<br />
auch die alte „Freiherr von Fürstenberg’sche<br />
Rentei“ an der Einfahrt zum<br />
Schloss angemietet und für Schulungszwecke<br />
umgebaut.<br />
Auch die notwendige Ausbildung von<br />
Rettungshunden erfolgte auf einem<br />
unmittelbaren Übungsgelände im sogenannten<br />
Bergungs- und Trümmerbereich.<br />
Um eine möglichst praxisgerechte<br />
Ausbildung zu realisieren, stellten sich<br />
die Kinder der Familie Klesper gerne als<br />
vermeintliche „Opfer“ zur Verfügung<br />
<strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021 - 57
und ließen sich dann von freudig wedelnden<br />
Spürhunden erschnuppern.<br />
Blüte des Fremdenverkehrs<br />
Am 1. Januar 1997 wurde der Bundesverband aufgelöst.<br />
Heute ist für den Zivilschutz das Bundes amt für den Bevölkerungsschutz<br />
und die Katastrophenhilfe (BBK) zuständig.<br />
Neu mit<br />
Die Schule, so erinnert sich der letzte<br />
aktive Schulleiter Hermann Klesper,<br />
war nicht nur für die Lehrgangsteilnehmer,<br />
sondern auch für die Bevölkerung<br />
ein absoluter Glücksgriff. Für viele Mitarbeiterinnen<br />
und Mitarbeiter aus Suttrop<br />
und Kallenhardt war die Schule für<br />
lange Zeit ein sicherer Arbeitsplatz und<br />
ein guter Arbeitgeber. Die gut funktionierende<br />
Infrastruktur stellte die täglich<br />
frische Tagesverpflegung durch Bäcker,<br />
Metzger, Händler sowie aus Bio-Land-<br />
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58 - <strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021
Übungseinsätze<br />
wirtschaftsbetrieben sicher. Eine logistische<br />
Herausforderung und gleichzeitige<br />
eine Meisterleitung aller Beteiligten.<br />
Mit der Erweiterung des Einzugsbereichs<br />
über die NRW-Grenzen hinaus<br />
besuchten auch Teilnehmer aus anderen<br />
Bundesländern, Sport-Delegationen<br />
und ranghohe Offiziere und selbst ausländische<br />
Teilnehmergruppen Schloss<br />
Körtlinghausen. Auf die Teilnehmer-<br />
Erweiterung reagierten die umliegenden<br />
Hotels umgehend und erlebten mit der<br />
Bevölkerung hautnah eine regionale<br />
Fremdenverkehrsblüte.<br />
Die alte Rentei<br />
Der Schulbetrieb endete 1995 nach einer<br />
knapp 40-jährigen Epoche mit ca.<br />
70 000 Teilnehmern aus dem In- und<br />
Ausland. ■<br />
<strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021 - 59
30 <strong>Warstein</strong>er<br />
sind „am Zug“<br />
Eisenbahnfreunde werkeln im alten Bahnhof<br />
Britta Melgert<br />
S. Droste<br />
Gelegentlich hält noch ein Güterzug.<br />
Die letzten Reisenden,<br />
die hier am Bahnhof ein- oder<br />
ausstiegen, hat man 1975 gesehen, als<br />
der Personenverkehr auf der <strong>Warstein</strong>er<br />
Strecke eingestellt wurde. Das<br />
Bahnhofsgebäude wurde seitdem nur<br />
sporadisch genutzt, doch in den letzten<br />
Jahren ist wieder Leben in die Räume<br />
gekommen. Jeden Mittwoch, 18 Uhr<br />
treffen sich hier Menschen mit einem<br />
besonderen Hobby. Es sind Eisenbahnfreunde,<br />
die sich um diverse Modelleisenbahnen<br />
kümmern.<br />
Michael „Michel“ Bauer, 1. Vorsitzender<br />
des Vereins, begrüßt uns am Eingang.<br />
„Wir sind mit einer kleinen Truppe hier“,<br />
verrät er. „Mehr lässt Corona aktuell nicht<br />
zu.“ Tatsächlich sind sie zu sechst heute,<br />
verteilt auf fünf Räume. Gleich rechts in<br />
einer großen Halle arbeiten Bernd Loer<br />
und Manfred Appelhoff am Aufbau<br />
einer Schienenlandschaft mit H0-Spur.<br />
Man erkennt schon den Rangierbahnhof<br />
und Teile der Umgebung. Bernd erzählt:<br />
„Diese Anlage stammt aus einem Nachlass.<br />
Wir haben ja ausreichend Platz und<br />
können somit Details verändern, Gleise<br />
erweitern und Landschaften ausbauen. Es<br />
wird gesägt, gelötet und geklebt, was das<br />
Zeug hält.<br />
Das ist das Schönste an unserm Hobby:<br />
Man schafft sich eine Welt nach der eigenen<br />
Vorstellung.“ Im Nebenraum treffen<br />
wir auf Jan Pierschalka und Christoph<br />
Pater. Wir hatten vor unserem Besuch<br />
erwartet, nur auf ältere Herren zu treffen,<br />
aber so ist es nicht. „Hier ist jedes Alter<br />
vertreten“, grinst Jan. “Wir und auch Michel<br />
sind 27 Jahre alt und unser jüngstes<br />
Vereinsmitglied ist sogar erst elf.“ Bernd<br />
ergänzt: „Sechs unserer rund 30 Mitglieder<br />
sind Frauen“.<br />
Kleine und große Lokomotiven<br />
Christoph erinnert sich: „Ich habe mich<br />
von meinem Vater vom Eisenbahn-Fieber<br />
„anstecken“ lassen“. Inzwischen ist er<br />
beruflich Elektroniker und damit prädestiniert<br />
für alles, was an den Anlagen mit<br />
dem Thema Elektrik zu tun hat. Interessanter<br />
Zufall: Bei seinem Arbeitgeber<br />
Infinion in Belecke werden u. a. Halbleiter<br />
für die „großen“ Lokomotiven gebaut.<br />
<strong>Warstein</strong>er Motive in einem<br />
Fantasiegelände<br />
Auch Jan nutzt seine Job-Erfahrungen.<br />
Als Sägewerker setzt er sein Holz-Wissen<br />
sowohl im Großen als auch im Filigranen<br />
ein, beispielsweise an der digitalen<br />
Hauptvereinsanlage.<br />
Hier sieht man ein Fantasiegelände in<br />
Kombination mit recht realistisch nachgebildeten<br />
<strong>Warstein</strong>er Motiven, beispielsweise<br />
der Verladeanlage von Westkalk<br />
oder auch der Umgebung des <strong>Warstein</strong>er<br />
Bahnhofs inklusive der Firma Jungeblodt<br />
und dem Haus Kupferhammer.<br />
60 - <strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021
<strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021 - 61
Bernd Loer, Manfred Appelhoff, Christoph Pater, Michel Bauer und Jan Pierschalka( v.l.)<br />
Ein kühles <strong>Warstein</strong>er glättet die Wogen<br />
„Da steckt viel Herzblut und jede Menge kniffelige Arbeit drin“,<br />
verrät uns Michel Bauer. Er erinnert sich schmunzelnd: „Gut,<br />
dass niemand weiß, welche bösen Wörter beim komplizierten<br />
Einbau gefallen sind. Zum Glück war aber anschließend nach<br />
einem kühlen <strong>Warstein</strong>er alles wieder gut.“<br />
Und so basteln, werkeln und optimieren sie immer weiter. Aus<br />
geschenkten oder vererbten Privatbeständen nutzen sie die Materialien,<br />
um diese in ihre großen Anlagen zu integrieren und<br />
zu neuem Leben zu erwecken. „Modelleisenbahnen und das<br />
Zubehör sind neu unglaublich teuer, daher sind wir für solche<br />
Spenden immer dankbar“, so der Vorstandsvorsitzende. „Aber<br />
auch interessierte Mitstreiter, auch aus anderen Orten, begrüßen<br />
wir gern in unserem Verein. Ob Elektriker, Schreiner, Klempner,<br />
Buchhalter oder Bahnbeamter, alle sind uns herzlich willkommen,<br />
solange sie Freude daran haben, mit uns ihre Traumwelt<br />
an den Gleisen zu erschaffen.“ ■<br />
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62 - <strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021
Impressum<br />
Deine<br />
Gedanken werden Zukunft<br />
Herausgeber:<br />
Redaktionsanschrift:<br />
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<strong>WOLL</strong> <strong>Magazin</strong><br />
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sich das Recht zur Kürzung oder Änderung von Artikeln vor.<br />
Urheberrecht: Nachdruck und/oder Verbreitung im Internet,<br />
auch auszugsweise, ist nur mit Genehmigung des Verlages<br />
gestattet.<br />
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erscheint September 2021<br />
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<strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021 - 63
HAUS WELSCHENBECK<br />
Heimatgeschichte, umgeben von purem Idyll Monika Loerchner S. Droste<br />
Ein riesiges, grünes Grundstück, darauf ein altes<br />
Ritterhaus. Eine Insel voller Bäume, ein Teich,<br />
in dem Enten schwimmen. Man mag kaum glauben,<br />
dass sich dieses Paradies nur wenige Meter neben der<br />
Hauptstraße zwischen Belecke und Mühlheim befindet.<br />
Leider wurde das Schloss Welschenbeck selbst während<br />
der Soester Fehde zerstört; von der umfangreichen Burganlage<br />
blieb nur das langgestreckte Wohngebäude mit<br />
Turm übrig.<br />
„Es ist wirklich idyllisch hier!“ Michael Sprenger, Ortsheimatpfleger<br />
von Belecke, erinnert sich auch gern an die Zeit,<br />
als in Haus Welschenbeck noch von der Familie Knippschild<br />
ein Restaurant betrieben wurde. Das war von 2002 bis 2012.<br />
„Allein das Public Viewing hier draußen zur Fußball-Weltmeisterschaft“,<br />
schwärmt er. Wie es hier im Mittelalter ausgesehen<br />
hat, können wir leider nur erahnen. Das über fünf<br />
Hektar große Grundstück war früher Landsitz verschiedener<br />
westfälischer Adelsgeschlechter.<br />
64 - <strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021
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Zerstörung und Aufbau<br />
Erstmals urkundlich erwähnt wurde Welschenbeck 1222.<br />
Damals befand es sich im Besitz des Erzbischofs Engelbert I.<br />
von Köln. Dessen Nichte, die Gräfin Walburg Kessel, brachte<br />
den Besitz in ihre Ehe mit Berthold von Büren ein. 1445 wurde<br />
das Schloss dann im Zuge der Soester Fehde (1444-1449)<br />
zerstört und alle Einwohner erschlagen. 1450 bis 1465 war<br />
Welschenbeck ein Lehen des Heidenreich von Plettenberg,<br />
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<strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021 - 65
anschließend wurde es an Dietrich von Erwitte verkauft.<br />
Um 1600 wurden einige Neubauten hinzugefügt, während<br />
des 30-jährigen Krieges (1618-1648) wurde wieder nahezu<br />
alles zerstört und erneut wieder aufgebaut. Elisabeth Maria<br />
Ursula von Erwitte brachte das Haus 1654 in die Ehe mit<br />
Gottfried Arnold von Doornik mit. Die Erbin des Hauses,<br />
Maria Elisabeth, heiratete 1765 Adolph von Nagel und begründete<br />
so die Familie Nagel-Doornik.<br />
Heute lebt Frank Schmidt-Matull mit seiner Frau Tanja und<br />
den beiden Kindern in Haus Welschenbeck.<br />
Idylle an der Möhne<br />
„Alles sagen immer, wie schön wir es hier haben“, erzählt<br />
Frank Schmidt-Matull. „Aber es ist auch sehr viel Arbeit.“<br />
So gibt es kaum ein Wochenende, an dem seine Frau und<br />
er sich nicht der Pflege des Anwesens widmen. Beobachtet<br />
werden sie dabei von dem freilaufenden Hahn mit seiner<br />
Hühnerschar. Oder auch dem ein oder anderen tierischen<br />
Patienten. „Wir hatten hier auch schon Pferde und sogar<br />
einen Strauß zu Gast.“<br />
Auch menschliche Besucher sind hier gern gesehen: zweimal<br />
die Woche üben die Bogenschützen auf dem Grundstück,<br />
der Teich wird oft von Anglern benutzt. „Da, wo jetzt<br />
die kleine Insel ist, stand früher das Schloss“, erzählt Herr<br />
Schmidt-Matull. „Den Teich und das alles hat der Baron<br />
dann 1950 anlegen lassen.“<br />
Weiter säumt die Möhne das Grundstück auf einer Gesamtlänge<br />
von zwei Kilometern. Denn Wasser spielt auf dem<br />
großen Anwesen eine wichtige Rolle. „Das Haus steht auf<br />
Pfählen und muss ständig bewässert werden“, weiß Michael<br />
Sprenger. Frank Schmidt-Matull ergänzt: „Das liegt an der<br />
damaligen Sandsteinkombinationsbauweise. Das Haus muss<br />
ständig nass gehalten werden. Würde es austrocknen, würde<br />
es Risse bekommen und einfach in sich zusammenfallen.“<br />
Woher der Name „Welschenbeck“ kommt, kann man übrigens<br />
nur raten. Vielleicht weist der Wortteil „-beck(e)“ wie so<br />
oft auch hier auf einen Bach hin. Und wenn man dort steht,<br />
das Ritterhaus zur Linken, Teich und Insel zur Rechten,<br />
und überall Bäume, Wiesen und das Plätschern des Wassers,<br />
dann erscheint der Klang des Namens gerade richtig für dieses<br />
idyllische Fleckchen Erde. ■<br />
66 - <strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021
NETZ-<br />
FUND-<br />
STÜCKE<br />
Fundstück 1:<br />
Elternratgeber<br />
Mit dem ersten, großen <strong>WOLL</strong> Elternratgeber<br />
zum Thema Ausbildung und Karriere,<br />
richten wir uns gezielt an Sie, liebe<br />
Eltern. Sie erhalten einen Einblick über<br />
die aktuellen Ausbildungs- und Karrierewege<br />
im Sauerland und am Hellweg. Alle<br />
Geschichten und Berichte sind von hier<br />
– und zwar zu 100 %. Echte Menschen,<br />
echte Unternehmen, echte Berufe und Erfahrungen.<br />
https://www.imsauerland.de/elternratgeber/<br />
Nutzen Sie diesen Elternratgeber, um sich<br />
selbst über die heutigen Ausbildungs- und<br />
Karrieremöglichkeiten zu informieren.<br />
Schauen Sie sich dabei auch die Geschichten,<br />
Portraits und Ausbildungsplatzangebote<br />
der beteiligten Firmen an.<br />
Fundstück 2:<br />
Ecosia, die ökologische<br />
Suchmaschine<br />
“Suche im Web und pflanze Bäume” ist<br />
der Slogan von Ecosia. Das Berliner Unternehmen<br />
verwendet die Einnahmen der<br />
Suchanfragen, um dort Bäume zu pflanzen,<br />
wo sie dringend benötigt werden.<br />
Wer die kostenlose Browser-Erweiterung<br />
installiert, kann die Welt damit ein bisschen<br />
grüner machen.<br />
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Ecosia-Suchergebnisse als auch die Suchanzeigen<br />
werden von Bing, der Microsofteigenen<br />
Suchmaschine geliefert. Schon<br />
jetzt steht Ecosia auf Platz 8 der weltweit<br />
meistgenutzten Suchmaschinen.<br />
Fundstück 3:<br />
Bevandert - Roadtrip<br />
durchs Heimatland<br />
Dass Mittelgebirge auch für junge, ambitionierte<br />
Sportler:innen lohnenswert sind,<br />
beweist ein Blick auf diesen Blog:<br />
https://www.bevandert.com/<br />
Hier gibt viele Tipps für lohnenswerte<br />
Wanderungen und schweißtreibende<br />
Biketouren. Die jungen Bloggerinnen<br />
zeigen, dass Sportler:innen nicht nur in<br />
Fitness-Studios und auf Sportplätzen zu<br />
finden sind, sondern jetzt auch die zu unrecht<br />
unterschätzten deutschen Mittelgebirge<br />
erobern. ■<br />
www.woll-magazin.de | www.imsauerland.de<br />
<strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021 - 67
DER ALTE<br />
WASSERTURM<br />
IN BESTWIG<br />
Martin Richter<br />
Im Inneren des Turms<br />
68 - <strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021
Kein Schmuckstück – aber trotzdem hatte man sich irgendwie an seinen<br />
Anblick gewöhnt…<br />
Ende Mai wurde der alte Wasserturm, der auf dem früheren Lokschuppengelände<br />
in Bestwig stand, gesprengt. Der einst dazugehörige Wasserkran<br />
des früheren Bahnbetriebswerks, der dazu gedient hatte, Dampflokomotiven<br />
mit Wasser zu befüllen, wurde bereits an den Ruhrtalradweg versetzt.<br />
Der entwidmete Turm war schon längere Zeit marode und für viele<br />
Anwohner ein Schandfleck. Schade eigentlich, dass er nicht restauriert<br />
und evtl. transloziert, also versetzt werden konnte. Denn zumindest<br />
illuminiert im Dämmerungslicht war das Industrierelikt<br />
- selbst in seiner Hässlichkeit - wunderschön anzusehen. (c.z.) ■<br />
<strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021 - 69
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den heutigen Produktionsstandards ausgestattet. Wir schreiben<br />
Erfolgsgeschichten in aller Welt und sind als Entwicklungszentrum extrem<br />
wichtig für das große Ganze. Brilon ist das Innovationszentrum für<br />
Trockentransformatoren der Hitachi ABB Power Grids, erklärt Kay Kruse,<br />
der Standortleiter des Transformatorenwerkes im Sauerland.<br />
Am Standort in Brilon arbeiten etwa<br />
170 Mitarbeiter der Hitachi ABB Power<br />
Grids. Immer mit dem Ziel, Innovationen<br />
in der Technik von Trockentransformatoren<br />
zu entwickeln. „Hier<br />
im Sauerland arbeiten wir intensiv an<br />
den Innovationen von morgen und<br />
schicken sie raus in die ganze Welt,<br />
sobald sie serienreif sind“, erklärt Kay<br />
Kruse, der für seine Stelle ins Sauerland<br />
gekommen ist und sich dort extrem<br />
wohlfühlt. „Für mich ist die<br />
Kombination einfach unschlagbar. Ich<br />
arbeite in einem international erfolgreichen<br />
Unternehmen, habe eine tolle<br />
Anbindung an größere Städte und lebe<br />
in einer unglaublich schönen Umgebung“,<br />
schwärmt der 43-Jährige, der in<br />
Thüringen aufgewachsen ist. Hitachi<br />
ABB Power Grids ist das größte Unternehmen<br />
in dieser schönen Umgebung,<br />
selbst über die Grenzen Südwestfalens<br />
hinaus.<br />
Hitachi ABB Power Grids beschäftigt<br />
36.000 Mitarbeiter in 90 Ländern.<br />
„Die Internationalität ist auch bei uns<br />
in Brilon spürbar. Wir arbeiten mit den<br />
Besten aus der ganzen Welt zusammen<br />
und sind mit unseren Mitarbeitern aus<br />
Brilon in einem globalen Netzwerk<br />
für Engineering, Produktion und Vertrieb“,<br />
betont Tobias Asshauer, der den<br />
Vertrieb in Brilon leitet.<br />
„Die sauerländische Bodenständigkeit<br />
plus ein global agierender Konzern, der<br />
aus Brilon heraus weltweit Erfolgsge-<br />
70 - <strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021
Neben Kay Kruse (r) und Marcus Varnhagen (l)<br />
arbeiten etwa 170 Mitarbeiter am Standort in Brilon<br />
Tobias Asshauer ist Teil des innovativen<br />
Nabels von Hitachi ABB Power Grids<br />
schichten schreibt – das ist schon ein<br />
Pfund“, sagt Kay Kruse, der weiß, dass<br />
für den Erfolg alle Beschäftigten gemeinsam<br />
verantwortlich sind. „Wir arbeiten<br />
in einer familiären Atmosphäre.<br />
Alle werden wertgeschätzt. Das spüren<br />
auch unsere Azubis, die von einer sehr<br />
großen Jobvielfalt profitieren. Bei uns<br />
steht keiner still, jeder will sich weiterentwickeln<br />
und jedem stehen Türen<br />
und Tore offen“, fährt der Wirtschaftsingenieur<br />
fort.<br />
Der Standort, der in diesem Jahr seinen<br />
100. Geburtstag feiert, entwickelt sein<br />
Produktportfolio stetig weiter. Während<br />
in Brilon zunächst Grupenlampen<br />
hergestellt wurden und in den 70er<br />
Jahren der erste RESIBLOC® Gießharz<br />
Transformator entwickelt wurde, werden<br />
heute unterschiedliche Bahn- und<br />
Industriesegmente sowie die größten<br />
Kreuzfahrtschiffe der Welt mit Energie,<br />
die auf hoher See einen so großen<br />
Energiebedarf haben wie die gesamte<br />
Stadt Brilon, beliefert. „Das macht uns<br />
alle extrem stolz, weil das nicht jeder<br />
kann“, sagt Tobias Asshauer, der Teil<br />
des innovativen Zentrums von Hitachi<br />
ABB Power Grids in Brilon ist, das<br />
Dank der Zuverlässigkeit seiner Produkte<br />
auch das höchste Gebäude Dubais<br />
mit 78 Transformatoren – made in<br />
Sauerland – hat ausstatten dürfen. ■<br />
Hier geht’s zum Video:<br />
Partner der Big Six<br />
ABB Power Grids Germany AG<br />
Keffelker Str. 66<br />
59929 Brilon<br />
<strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021 - 71
DIE ERFOLGREICHEN<br />
13<br />
„Mondraker Rockets“<br />
fahren internationale<br />
Erfolge ein<br />
Julius Kolossa<br />
Marc Niemeyer<br />
72 - <strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021<br />
N<br />
icht verstecken müssen (und<br />
können) sich die „Mondraker<br />
Rockets“ mit ihren auffälligen<br />
Trikots auf ihren Mountainbikes<br />
der Marke Mondraker. Das Team der<br />
Arnsberger Daniel Waldorf und Fabian<br />
Kilpert hat in den fünf Jahren<br />
seines Bestehens zahlreiche sportliche<br />
Erfolge in Cross-Country und MTB-<br />
Marathon-Wettbewerben einfahren<br />
können. Die beiden Arnsberger hatten<br />
2016 die Idee, ein eigenes nationales<br />
Mountainbike-Team zu gründen. Mit<br />
sechs Mann wurde seinerzeit die erste<br />
Saison bestritten. Heute besteht das<br />
Team aus 13 Mitgliedern, von denen<br />
acht aus dem Sauerland kommen.<br />
„Einmal dabei, immer dabei“, sagt dazu<br />
Sean Feldhaus. Der 24-Jährige aus Wuppertal<br />
ist von Anfang an mit dabei, und<br />
zugleich der jüngste „Rockets Fahrer“.<br />
„Ich bin seit neun Jahren Biker, und war<br />
damals auf der Suche nach dem richtigen<br />
Team.“ Im Sauerland wurde er dank der<br />
sozialen Medien fündig und fühlt sich<br />
hier wohl: „Eine familiäre Truppe, in der<br />
man Spaß haben kann.“ Dass Sean Feldhaus<br />
dabei nach eigenen Angaben nicht<br />
nur „zu den Schnelleren“ gehört, erwähnt<br />
er fast beiläufig. Auf Nachfrage erfährt<br />
man dann, dass der amtierende Landesverbandsmeister<br />
Nordrhein-Westfalens<br />
und zugleich NRW-Cup-Gesamtsieger<br />
neben einem fährt.<br />
Weiter geht es auf Seite 74
SO WÜRDE DEIN FEIERABEND-<br />
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Foto: Sauerland-Tourismus/Wipp Art<br />
Projekt gefördert durch:<br />
<strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021 - 73
Die Mondraker-<br />
Rockets-Mitglieder:<br />
Achim Scholz - <strong>Warstein</strong><br />
Alex Gläser – Wuppertal<br />
Daniel Oehler – Arnsberg<br />
Daniel Waldorf – Arnsberg<br />
Dominik Schulte - <strong>Warstein</strong><br />
Fabian Kilpert – Arnsberg<br />
Florian Kortüm – Bochum<br />
Frank Osterhaus – Dortmund<br />
Jan Salm – Plettenberg<br />
Kai Exner – Arnsberg<br />
Marcus Wegner – Meschede<br />
Pascal Müller – Hirschberg<br />
Sean Feldhaus -. Wuppertal<br />
Der Saisonauftakt führt die Mondraker<br />
Rockets in diesem Jahr 70 Kilometer<br />
durch das Sauerland. Doch ob bei dieser<br />
oder anderen Touren – gefahren wird nur<br />
auf vorhandenen Wegen. Dass sie dabei<br />
Wert auf Sicherheit für sich und andere<br />
legen, das ist selbstverständlich.<br />
Daniel Waldorf weiß an seiner Seite eine<br />
hochmotivierte Biker-Gemeinschaft, die<br />
aus ganz NRW kommt. „Durch Teilnahmen<br />
am XC Weltcup, mehrtägigen<br />
Marathons in Italien, Österreich, Polen<br />
und Belgiens, war die Mannschaft auch<br />
über die Grenzen des Sauerlands stets<br />
präsent und erfolgreich. P-Weg, Megasports,<br />
der MTB Marathon in Arnsberg<br />
Neheim und das MTB Festival in Willigen<br />
sind natürlich absolut feste Bestandteile<br />
unseres Rennkalenders“, zählt er auf.<br />
„Besonders hervorzuheben sind aber die<br />
Teilnahmen an diversen 24-Stunden-<br />
Rennen auf dem Mountainbike. So gewann<br />
das Team allein im Jahr 2017 und<br />
2018 die Gesamtwertung des 24-Stunden-Rennens<br />
am Nürburgring und in<br />
Duisburg, welches zu den legendärsten<br />
und bekanntesten in der Szene gehört.<br />
2019 folgte noch ein zweiter Platz.“<br />
2020 fanden wegen der Corona-Pandemie<br />
keine Wettkämpfe statt. Als Alternative<br />
zum fehlenden Rennbetrieb haben<br />
einige der Fahrer an E-Sports Veranstaltungen<br />
und Wettkämpfen über die Trainingsplattform<br />
ZWIFT teilgenommen.<br />
„Alle zusammen hoffen wir jedoch 2021<br />
auf wenigstens ein paar vereinzelte Marathons<br />
im normalen Rennbetrieb“. ■<br />
74 - <strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021
Wilhelmine Lübke, die<br />
First Lady aus Ramsbeck<br />
„Heini, wir gehen<br />
jetzt zu Bett!“<br />
Christel Zidi<br />
W<br />
er sich das Foto einmal<br />
genau ansieht, dem wird<br />
schnell klar, wer in dieser<br />
Beziehung die Hosen anhatte. Natürlich<br />
nur im übertragenen Sinne, denn<br />
im Jahre 1929 trugen die wenigsten<br />
Frauen Beinkleider. Eine Ausnahme:<br />
Marlene Dietrich. Auf dem Bild<br />
hakt sich Heinrich Lübke bei seiner<br />
Frau Wilhelmine unter. Nur leicht<br />
und mit einem zarten Streichen ihres<br />
Unterarms. Ein weiteres Indiz, das<br />
einen Rückschluss auf diese Rollenverteilung<br />
bestätigt: die Bekleidung<br />
des Paares. Ihr schlichtes, beinahe<br />
maskulines Kostüm und sein leicht<br />
dandyhafter Aufzug unterstreichen<br />
das Bild. Der Gesamteindruck: ein<br />
beschwingtes (s. Heinrichs rechtes<br />
Bein) und glückliches Paar.<br />
Als Wilhelmine Keuthen wurde die spätere<br />
Bundespräsidentengattin 1885 in<br />
Ramsbeck geboren. Ihr Vater war Büroimago<br />
/ teutopress<br />
Worin hat sich Heinrich Lübke wohl<br />
zuerst verliebt? In ihr schönes, offenes<br />
Gesicht, in ihre Reife oder in ihre Klugheit<br />
und Stärke? Wahrscheinlich war´s<br />
die Mischung aus all dem. Der Vermessungsingenieur<br />
aus Sundern-Enkhausen<br />
und die Studienrätin aus Ramsbeck<br />
lernten sich 1929 in der Reichshauptstadt<br />
Berlin kennen, bei einem Heimattreffen<br />
des Sauerländer Gebirgsvereins.<br />
1930 heirateten sie. Die neun Jahre Altersunterschied<br />
ließ Wilhelmine in ihrer<br />
Geburtsurkunde „korrigieren“, nahm die<br />
Änderung aber später wieder zurück. Ein<br />
bisschen Eitelkeit steckte wohl auch in<br />
der strengen Studienrätin.<br />
Eine Frau von hoher Bildung<br />
<strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021 - 75
„Wer sich um andere kümmert, hat keine<br />
Zeit, alt zu sein.“ - Wilhelmine Lübke<br />
leiter in der Ramsbecker Grube. Anders als ihre drei Brüder,<br />
die das Gymnasium absolvierten, durfte sie nur die Volksschule<br />
besuchen. Sie belegte mit 16 Jahren das Paderborner<br />
Lehrerinnen-Seminar und war um 1906 in der Westschule in<br />
Hamm als Lehrerin tätig. 1908 besteht sie die Ergänzungsprüfung<br />
für den höheren Schuldienst mit der höchsten Auszeichnung.<br />
Sie schreibt sich daraufhin an der Uni Münster<br />
ein, studiert Mathematik, Germanistik und Philosophie und<br />
geht später nach Berlin. Dort ist sie zehn Jahre lang als Studienrätin<br />
tätig.<br />
Heinrich Lübke schätzte die Klugheit und Stärke seiner Ehefrau.<br />
Besonders bei Staatsbesuchen war Wilhelmine, die sich<br />
fließend in Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch und<br />
Russisch unterhalten konnte, eine würdige Begleitung an der<br />
Seite des Bundespräsidenten. Auch später, in der zweiten Amtszeit,<br />
als Heinrich zunehmend rhetorische Missgriffe unterliefen<br />
- die natürlich gern von Kabarettisten verwendet wurden<br />
- war sie stützend an seiner Seite, ertrug den Hohn und Spott.<br />
Wohlwissend, dass ihr Ehemann an einer Zerebralsklerose litt,<br />
schweren Durchblutungsstörungen des Gehirns. Es war nicht<br />
die Zeit, dass man persönliches Leid öffentlich machte... Ein<br />
Amtsrücktritt aus gesundheitlichen Gründen hätte seinem damaligen<br />
Ansehen allerdings mehr gedient.<br />
Eine Frau mit sozialem<br />
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Wilhelmine Lübke prägte ihre Zeit als First Lady vor allem<br />
durch ihr soziales Engagement. Gemeinsam mit ihrem Mann<br />
gründete sie das Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA), die<br />
spätere „Wilhelmine-Lübke-Stiftung, sie entwickelte u. a. die<br />
Idee vom „Essen auf Rädern“ und die Kurzzeit- und Tagespflege<br />
für alte Menschen. Damit schaffte sie die Grundlage für<br />
moderne Altenpflege.<br />
Wilhelmine war Vorsitzende des Muttergenesungswerkes,<br />
wirkte in der Aktion Gemeinsinn und bei der Unicef mit. Mit<br />
Mildred Scheel war sie befreundet und unterstützte diese bei<br />
der Idee, die Deutsche Krebshilfe zu gründen. Wilhelmine<br />
Lübke arbeitet auch im hohen Alter noch mehrere Stunden<br />
wöchentlich in der Kinderabteilung der Bonner Uniklinik.
Mit ihrem Mann teilte sie die Wertschätzung<br />
für Menschen in der sogenannten<br />
Dritten Welt und warb für den Einsatz<br />
deutscher Entwicklungshilfe.<br />
Eine Frau, über die man staunt<br />
Heinrich Lübke starb 1973, Wilhelmine 1981 in Bonn. Die<br />
Heimatverbundenheit des Sauerländer Paares zeigt sich wohl am<br />
besten darin, dass beide in Sauerländer Erde ruhen, in Heinrichs<br />
Geburtsort Sundern-Enkhausen.<br />
Als Präsidentengattin lernte sie viele<br />
hochrangige Persönlichkeiten kennen:<br />
Die Queen, bei ihrem ersten Staatsbesuch<br />
nach dem Krieg. Den letzten<br />
äthiopischen Kaiser Haile Selassie, den<br />
„Löwen von Juda“, den persischen Kaiser<br />
Reza Pahlavi mit seiner eleganten Frau<br />
Farah Diba, den thailändischen König<br />
Bhumibol mit seiner wunderschönen<br />
Frau Sirikit, John F. Kennedy und<br />
viele andere. Wilhelmine bezauberte<br />
die Gäste mit Eleganz, Intelligenz und<br />
Würde. Und mit ihren hervorragenden<br />
Sprachkenntnissen, über die selbst Konrad<br />
Adenauer sagte: „Da kann man nur<br />
staunen.“<br />
„Hinter jedem erfolgreichen Mann<br />
steckt eine starke Frau“ – dieses Sprichwort<br />
trat wohl ganz besonders auf das<br />
Ehepaar Lübke zu. Wilhelmine war<br />
ihrem Heinrich, dem Bundespräsidenten,<br />
eine kluge Ratgeberin, hat ihn u.<br />
auch in seinem Eintreten für eine Große<br />
Koalition bestärkt. Wenn es darauf<br />
ankam, wusste Heinrich Lübke sich<br />
gegenüber seiner Frau aber auch durchzusetzen.<br />
So gab sie ihren heißgeliebten<br />
Beruf als Studienrätin nur auf seinen<br />
Druck hin auf.<br />
Wilhelmine drängte sich in der Öffentlichkeit<br />
nicht in den Vordergrund. Trotzdem<br />
galt ihre Zeit als Präsidentengattin<br />
als „Wilhelminische Ära“. In diesem Zusammenhang<br />
sei noch an einen Spruch<br />
Wilhelmine Lübkes erinnert, der das<br />
Tagesende nach langen Veranstaltungen<br />
einläutete: „Heini, wir gehen jetzt<br />
zu Bett!“. Energisch und keinen Widerspruch<br />
duldend. So war sie eben auch,<br />
Wilhelmine Lübke, eine starke Sauerländer<br />
Frau. ■<br />
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<strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021 - 77
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Gute Geschichten aus Südwestfalen<br />
Coworking in Südwestfalen boomt!<br />
Positiv, dynamisch, echt...<br />
Foto: OFFICE & FRIENDS GmbH & Co KG<br />
Das Arbeiten im Home Office ist für<br />
viele in den letzten Monaten zur neuen<br />
Normalität geworden. Doch immer nur<br />
alleine im stillen Kämmerlein zu sitzen<br />
macht auf Dauer nicht allen Freude. So<br />
manchem fällt schon nach kurzer Zeit<br />
die Decke auf den Kopf und ein Tapetenwechsel<br />
wäre nicht schlecht. Genau<br />
den kann man in Südwestfalen an gleich<br />
mehreren Orten in sogenannten Coworking-Spaces<br />
finden. Die offenen Bürogemeinschaften<br />
liegen voll im Trend und<br />
boomen auch hier in der Region!<br />
Zum Beispiel der Coworking-Space<br />
„Office & Friends“ in Olpe. Der bietet<br />
Platz zum Arbeiten in einer angenehmen<br />
Atmosphäre und zum Vernetzen<br />
mit Gleichgesinnten. Ein echtes Erfolgskonzept!<br />
Das Angebot an der Olper<br />
Hütte wird mittlerweile so gut angenommen,<br />
dass nun sogar angebaut<br />
wird. Im Gebäude direkt nebenan werden<br />
15 weitere Arbeitsplätze geschaffen.<br />
Die können schon bald von Selbstständigen,<br />
Start-Ups, Unternehmer*innen<br />
oder auch ganz normalen Angestellten,<br />
die sonst von zuhause arbeiten, angemietet<br />
werden.<br />
Im neuen Coworking-Space gibt es aber<br />
nicht nur weitere Team- und Einzelbüros.<br />
Hier findet man auch größere<br />
Meetingräume, in denen es die Option<br />
gibt, Catering hinzuzubuchen und eine<br />
Küche, in der zu jeder Zeit Wasser, Kaffee<br />
und frisches Obst bereitstehen. Als<br />
Highlight ist zudem ein Podcast-Studio<br />
mit Telefon- und Aufnahmebox geplant.<br />
Foto: Michael Bahr<br />
Foto: TRILUX GmbH & Co. KG<br />
Foto: Richard Siongco<br />
So geht interaktiver Matheunterricht<br />
in Südwestfalen<br />
Was Wahrscheinlichkeitsrechnung<br />
mit 3D-Druckern zu tun hat? Sehr<br />
viel, wenn es nach dem Projekt “DigiMath4Edu”<br />
geht, das die Universität<br />
Siegen gerade im Rahmen der<br />
REGIONALE 2025 umsetzt. Durch<br />
das Projekt soll der Mathe-Unterricht<br />
an Schulen in Südwestfalen digitaler<br />
und interaktiver werden!<br />
Cool: Wie Leuchten aus Arnsberg die<br />
Luftqualität überprüfen<br />
Wow, dieses clevere Produkt kommt<br />
aus Südwestfalen! Das Beleuchtungssystem<br />
“OpendoLED” der TRILUX<br />
GmbH & Co. KG hat viele praktische<br />
und smarte Funktionen. Eine<br />
Besonderheit ist die CO2-Sensorik.<br />
Sie misst die Luftqualität im Klassenraum<br />
und schlägt Alarm, wenn die<br />
“Luft zu dick wird“.<br />
Spitzenklasse: Arnsberger Barista zaubert<br />
Kunst in den Kaffee<br />
Im Restaurant “BEI GRAEFS” in<br />
Arnsberg wird Kaffee zur Kunst!<br />
Denn hier kreiert der Barista Richard<br />
Siongco mit seiner „Latte Art“ immer<br />
neue und kunstvolle Motive – und<br />
das sehr zur Freude seiner Gäste. Die<br />
dürfen sich über einmalige Kreationen,<br />
wie Hunde, Elefanten oder Bären<br />
im Milchschaum freuen. Cool!
Wow! Diese Unternehmen aus<br />
Südwestfalen solltest du kennen…<br />
Junge Macher setzen auf „Adventure Golf“ mit Sauerland-Bahnen<br />
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Logistikdienstleister, zu Land,<br />
zu Wasser und in der Luft.<br />
Sie sagen wohin – wir<br />
übernehmen den Rest.<br />
Diese und weitere gute Geschichten<br />
“Junge Macher*innen aus Südwestfalen -<br />
Monique Schloßmann und Robin Homrighausen”<br />
Foto: Südwestfalen Agentur, Patrick Bonzel<br />
Südwestfalen ist ein echter “Hier geht<br />
was!”-Raum! Genau das zeigt die Reihe<br />
“Junge Macher*innen”. 59 junge Menschen<br />
stellen sich selbst und ihr Herzensprojekt<br />
hier in der Region vor. So<br />
auch Monique Schloßmann und Robin<br />
Homrighausen. Mit nur 23 und 24 Jahren<br />
erfüllten sich die beiden hier in der<br />
Region den Traum von der Selbständigkeit.<br />
Und das mit einem eher ungewöhnlichen<br />
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<strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021 - 79
Oliver Schäfer<br />
und die<br />
„Furchtlosen<br />
Frauen“<br />
Monika Loerchner<br />
S. Droste<br />
Junger <strong>Warstein</strong>er Künstler stellt im Gruga-Park aus<br />
Pünktlich zum Weltfrauentag am 08.03. wurde<br />
die Ausstellung von Oliver Schäfer im Gruga-Park<br />
Essen eröffnet. Zwischen farbprächtigen Blumenbeeten<br />
leuchten die nicht minder knalligen Bilder seiner<br />
„Fearless Women“. Mit ihnen erzählt der <strong>Warstein</strong>er<br />
Künstler Geschichten, die berühren, traurig machen, aber<br />
auch Hoffnung schenken.<br />
<strong>WOLL</strong>: Herr Schäfer, schön, dass Sie Zeit für uns haben!<br />
Sie sind 27 Jahre alt und studieren in Essen Kunst. Was<br />
bedeutet Kunst für Sie?<br />
Oliver Schäfer: Durch sie kann ich mich visuell ausdrücken.<br />
In jedem Bild steckt viel von mir, auch wenn ich darauf nicht<br />
zu sehen bin.<br />
80 - <strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021
„Ich sehe meine Kunst als Dialogöffner.<br />
Ich möchte, dass sich die Menschen mit der<br />
Geschichte dieser Frauen beschäftigen“<br />
– Oliver Schäfer<br />
<strong>WOLL</strong>: Wieso zeigt Ihre Bilderserie der „Furchtlosen“<br />
nur Frauen?<br />
Oliver Schäfer: Ständig wird über „große Männer“ geredet,<br />
in Städten werden sie als Statuen verewigt. Eine berühmte<br />
Frau habe ich da noch nicht gesehen, keine deutsche Universität<br />
wurde je nach einer benannt. Dann kam Trump und ich<br />
hatte es satt.<br />
<strong>WOLL</strong>: 17 Ihrer „Fearless Women“ sind derzeit im Gruga-Park<br />
in Essen als wetterfeste Drucke zu bewundern,<br />
inzwischen arbeiten Sie an dem 19. Bild. Wie viele sollen<br />
es noch werden und wie entscheiden Sie, wen Sie portraitieren?<br />
Oliver Schäfer: Es wäre schön, die 100 voll zu bekommen.<br />
Das sind alles Frauen, deren Geschichte mich berührt hat, die<br />
etwas Tolles für die Allgemeinheit getan haben. Ich würde<br />
zum Beispiel nie Leni Riefenstahl oder Coco Chanel malen.<br />
<strong>WOLL</strong>: Einige Namen Ihrer Fearless Women sagen mir<br />
etwas – Catharina Cramer ist ja auch mit dabei – andere<br />
musste ich vor unserem Termin erstmal recherchieren …<br />
Oliver Schäfer: Genau! Ich sehe meine Kunst als Dialogöff-<br />
ner. Ich möchte, dass sich die Menschen mit der Geschichte<br />
dieser Frauen beschäftigen.<br />
<strong>WOLL</strong>: Dabei tauchten viele schwierige Themen auf wie<br />
Klimawandel, Atomunfälle, Mobbing und Gewalt gegen<br />
Frauen.<br />
Oliver Schäfer: Ein Freund hat mal zu mir gesagt, dass ich<br />
mit den Bildern zeige, wie schlecht unsere Welt ist. Aber mir<br />
machen diese Frauen auch Hoffnung. Sie haben in ihrem Bereich<br />
etwas bewegt – wo kann ich etwas machen?<br />
<strong>WOLL</strong>: Sie verstecken ja immer ein Zitat der Frau auf dem<br />
Bild, von dem dann nur einzelne Buchstaben durchschimmern.<br />
Wieso das Ganze?<br />
Oliver Schäfer: Die Menschen sollen darüber nachdenken,<br />
was da stehen könnte. Es soll zeigen, dass Frauen mehr sind<br />
als nur Hüllen, dass hinter jeder mehr steckt, dass sie Subjekte<br />
sind und keine Objekte, als die sie leider immer noch oft behandelt<br />
werden.<br />
<strong>WOLL</strong>: Die Kameras unserer Fotografen arbeiten<br />
mit Gesichtserken-nung und haben die der Frau-<br />
<strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021 - 81
„Kunst fördert das kreative<br />
Denken und das ist ja auch<br />
in der Wirtschaft wichtig”<br />
- Oliver Schäfer<br />
en eben automatisch fokussiert, so<br />
realistisch malen sie die Damen!<br />
Oliver Schäfer: Naturalistisch ist das<br />
natürlich nicht, aber wenn Sie sagen, dass<br />
das realistisch gemalt ist, dann ist das so<br />
für Sie.<br />
<strong>WOLL</strong>: Wie würden Sie denn Ihre<br />
Stilrichtung nennen?<br />
Oliver Schäfer: Das ist mir egal. Es ist<br />
nicht meine Aufgabe als Künstler, das zu<br />
betiteln.<br />
<strong>WOLL</strong>: Ich finde auch die Farben<br />
klasse. Wie entschieden Sie, welche Sie<br />
nehmen?<br />
Oliver Schäfer: Das ist unterschiedlich.<br />
Bei Frau Thunberg habe ich zum Beispiel<br />
die Farben Arktis, Aquamarin und Karminrot<br />
als Sinnbild für den Klimawandel<br />
benutzt. Bei Frau Apfel habe ich die Farben<br />
ihres Lieblingsbildes „Die Schnecke“<br />
von Henri Matisse übernommen. Meist<br />
entscheide ich das aber spontan.<br />
<strong>WOLL</strong>: Wie sind Sie eigentlich zum<br />
Malen gekommen?<br />
Oliver Schäfer: Mit acht Jahren hatte<br />
ich in <strong>Rüthen</strong> bei dem Ehepaar Macdonald<br />
meine ersten Zeichenkurse. Meine<br />
Unimappe habe ich dann später bei Ute<br />
Pluntke in <strong>Warstein</strong> gemacht.<br />
<strong>WOLL</strong>: Was denken Sie: Ist Kunst etwas,<br />
wofür man Talent braucht, oder<br />
ein Handwerk, das jeder erlernen<br />
kann?<br />
Oliver Schäfer: Wenn du dich über<br />
Kunst ausdrücken möchtest, gibt es<br />
nichts zu lernen, dann sage ich: „Hey,<br />
Oliver Schäfers<br />
(bisherige) „Furchtlose<br />
Frauen“ zum Selbstrecherchieren:<br />
Anne Frank, Barbra Streisand, Breonna Taylor, Catharina Cramer,<br />
Queen Elisabeth II, Greta Thunberg, Helen Caldicott, Iris Apfel,<br />
Jane Goodall, Lady Gaga, Malala Yousafzai, Marlene Dietrich,<br />
Marzieh Ebrahimi, Meryl Streep, Michelle Obama, Mona Lisa,<br />
Rosa Luxemburg, Ruth Bader Ginsburg, Sofie Scholl<br />
mach´s einfach!“ Wenn du machst, was<br />
du liebst, wirst du darin auch irgendwann<br />
immer besser.<br />
<strong>WOLL</strong>: Wie ist das bei Ihnen? Wollen<br />
Sie immer besser werden?<br />
Oliver Schäfer: Ja, aber nicht im Sinne<br />
eines Strebens nach Perfektion, sondern<br />
dass man den Prozess schätzen lernt.<br />
Weiterentwicklung finde ich – gerade<br />
auch bei Kindern – wichtig und toll!<br />
<strong>WOLL</strong>: Eine sympathische Aussage<br />
für einen angehenden Kunstlehrer!<br />
Oliver Schäfer: Kunst ist leider so ein<br />
Freitag-sechste-Stunde-Fach. Das finde<br />
ich sehr schade, weil sie das kreative<br />
Denken fördert, und das ist ja auch in<br />
der Wirtschaft wichtig. Der Fokus liegt<br />
in unserem Bildungssystem aber eher auf<br />
den MINT-Fächern.<br />
<strong>WOLL</strong>: Hat sich eigentlich schon mal<br />
eine der gemalten Damen bei Ihnen<br />
gemeldet?<br />
Oliver Schäfer: Greta Thunberg hat mir<br />
in den sozialen Medien ein „Wow“ hinterlassen,<br />
Iris Apfel hat mir geschrieben.<br />
Mit Frau Cramer stand ich vorher schon<br />
in Kontakt, mit der Iranerin Marzieh<br />
Ebrahimi schreibe ich mich immer noch.<br />
Nachdem sie das Bild geteilt hat, haben<br />
sich viele Iraner bei mir gemeldet, haben<br />
sich bedankt und mir spannende Einblicke<br />
in ihre Kultur gewährt.<br />
<strong>WOLL</strong>: Haben Sie ein Lieblingsbild?<br />
Oliver Schäfer: Nicht direkt. Mein<br />
letztes Bild, das von Frau Cramer, zeigt<br />
meine Fähigkeiten im Moment, ist also<br />
mehr „Ich“ als die anderen. Frau Thunberg<br />
zum Beispiel würde ich heute ganz<br />
anders malen. Aber das gehört dazu, dass<br />
man akzeptiert, dass man damals so war.<br />
<strong>WOLL</strong>: Was ist das Schönste am Malen?<br />
Oliver Schäfer: Wenn man seine Signatur<br />
unter das Bild setzt und fertig ist. Das<br />
ist wie eine Erlösung.<br />
<strong>WOLL</strong>: Wie geht es mit der Ausstellung<br />
weiter?<br />
Oliver Schäfer: Die wurde bis Oktober<br />
verlängert. Jeder ist herzlich eingeladen<br />
nach Essen zu kommen und sich meine<br />
Bilder anzuschauen.<br />
<strong>WOLL</strong>: Sind Sie auch ab und an vor<br />
Ort?<br />
Oliver Schäfer: Ja. Tatsächlich habe ich<br />
dort schon viele Besucher aus dem Sauerland<br />
getroffen. ■<br />
82 - <strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021
Es ist ein<br />
wunderbares<br />
Gefühl, wenn<br />
Menschen offen<br />
aufeinander<br />
zugehen<br />
Ein Gespräch mit<br />
Hongxia Zheng<br />
Sabrina Butz<br />
S. Droste<br />
Seit 30 Jahren lebt Hongxia Zheng jetzt schon<br />
im Sauerland und setzt sich unermüdlich für<br />
die deutsch-chinesische Verständigung ein. Mehr<br />
noch: Sie erklärt deutschen Mitbürger/innen, die<br />
geschäftlich oder privat mit China zu tun haben, was es<br />
im „Land der Mitte“ zu beachten gilt. Auch umgekehrt,<br />
also wenn Chinesen private oder berufliche Kontakte in<br />
Deutschland suchen, bekommen sie gern Unterstützung<br />
von Frau Zheng.<br />
Geboren wurde Hongxia Zheng in Zentralchina, in der<br />
Nähe der alten Kaiserstadt Xi’an mit der weltweit berühmten<br />
Terrakotta-Armee. Sie studierte Germanistik, gewann eine<br />
Kurzgeschichten-Ausschreibung und wurde deshalb 1989<br />
nach Arnsberg eingeladen. Vier Wochen wollte sie ursprünglich<br />
bleiben. Es kam anders: Die Studentenunruhen<br />
in Beijing ließen eine Rückreise nicht zu. Hongxia Zheng<br />
blieb, sie absolvierte eine Ausbildung zur Hotelkauffrau, arbeitete<br />
im Im- und Exportbereich. Nach der Geburt Ihres<br />
ersten Kindes machte sie sich Anfang 2000 selbstständig<br />
als Beraterin und Dolmetscherin für Firmen, die in China<br />
investieren oder produzieren wollen. Sie arbeitet als Dozentin<br />
an mehreren Volkshochschulen und Gymnasien und als<br />
Lehrbeauftragte für Chinesisch an der FH-SWF Meschede.<br />
Jahr für Jahr führt sie Reisegruppen der VHS, der FH oder<br />
Gymnasien durch China.<br />
Ihr Deutsch ist perfekt, ihre Aussprache akzentfrei, was<br />
sie beides gern herunterspielt mit der Bemerkung: „Na ja,<br />
<strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021 - 83
nach so langer Zeit in Deutschland,<br />
ist das doch nichts Besonderes.“<br />
Darüber ließe sich vortrefflich streiten,<br />
aber wir wollen mehr von und<br />
über Hongxia Zheng erfahren:<br />
Was bedeutet Ihr Name?<br />
In China kann jedes beliebige Schriftzeichen<br />
als Vorname verwendet werden. Mein Vorname<br />
bedeutet hong = rot und xia = Wolkenfarbe in der<br />
Dämmerung. Die adäquate deutsche Übersetzung wäre<br />
Morgen- oder Abendrot. Den Nachnamen Zheng könnte<br />
man mit Müller, Meier, Schulze in Deutschland vergleichen,<br />
er zählt zu den verbreitetsten chinesischen Nachnamen. Nomen<br />
est omen stimmt bei mir: Ich bemühe mich von morgens<br />
bis abends gut gelaunt, zuversichtlich und fröhlich zu<br />
sein.<br />
Wie lange haben Sie gebraucht, um so gut<br />
Deutsch zu sprechen?<br />
Ich habe in China vier Jahre Germanistik studiert. Als ich<br />
1989 nach Deutschland kam, musste ich mich am Anfang<br />
doch sehr an die Alltagssprache gewöhnen. Denn das, was<br />
ich an der Universität gelernt habe, war eher förmlich. Allerdings<br />
hat mir die gründliche Ausbildung in der deutschen<br />
Grammatik sehr gute Dienste erwiesen. Dazu muss man<br />
wissen, dass die chinesische Grundgrammatik im Vergleich<br />
zur deutschen recht einfach ist: Es gibt keine Konjugationen<br />
der Verben, bei Hauptwörtern fast keine Ein- oder Mehrzahl<br />
und keine Fälle. Die deutsche Grammatik ist für Chinesen,<br />
die Deutsch lernen wollen, eine große Herausforderung.<br />
Der Vorteil in meinem Fall war, zu meiner Anfangszeit im<br />
Sauerland, dass ich die einzige Chinesin weit und breit war,<br />
so dass ich immer Deutsch sprechen musste. Dadurch lernte<br />
ich sehr schnell.<br />
Umgekehrt unterrichte ich sehr gerne Chinesisch für<br />
Deutsche. Wie gesagt, ist die chinesische Grammatik im<br />
Hongxia Zheng, geb. 1966 ist verheiratet mit Dr. Gerhard<br />
Brüser, dem früheren VHS-Leiter in Arnsberg. Sie<br />
haben zwei erwachsene Kinder. Frau Zheng dolmetscht<br />
für Behörden und Firmen und berät deutsche und chinesische<br />
Unternehmen in Kontakt- und Kommunikationsfragen.<br />
Vergleich zur<br />
deutschen sehr überschaubar.<br />
Chinesische Schriftzeichen zu lernen, ist dagegen<br />
für die Deutschen eine erhebliche Hürde: Ein gebildeter<br />
Chinese beherrscht 3.000 bis 5.000 Schriftzeichen. Um<br />
sich im Alltag zurecht zu finden, braucht man ca. 1.500<br />
Schriftzeichen. Deutsche Schüler/innen lernen im Grundkurs<br />
ca. 200. Für die Stufe I der Chinesisch-Sprachprüfung<br />
braucht man ca. 300 Schriftzeichen. Eine exotische Sprache,<br />
wie Chinesisch, ist sicherlich nicht einfach zu lernen, weil<br />
dafür die Gelegenheit zum Üben fehlt. Deswegen ermutige<br />
ich meine Schüler und Studenten immer, eine Reise nach<br />
China zu machen oder dort ein Auslandssemester zu absolvieren.<br />
Auch wenn es unzählige Dialekte in China gibt,<br />
sprechen die meisten Chinesen Hochchinesisch: Mandarin.<br />
Was war für Sie zunächst fremd<br />
und ungewohnt in Deutschland?<br />
Es mag komisch klingen: Aber als Erstes ist mir der deutsche<br />
Terminkalender aufgefallen: Jeder, den ich traf, führte<br />
diesen Zeitplaner, der mir völlig unbekannt war. In China<br />
verabredet man sich auch heute noch privat meistens<br />
spontan. In Deutschland wird der Kalender gezückt und<br />
ein Termin vereinbart. Dieses Organisieren, Strukturieren<br />
und minutiöse Planen waren mir fremd, aber es hat mich<br />
auch beeindruckt, obwohl ich die chinesische Spontaneität<br />
teilweise vermisst habe. Fremd war mir auch, dass sich in<br />
Deutschland Männer und Frauen bei der Begrüßung umarmen.<br />
Aber damit habe ich von Anfang an kein Problem gehabt,<br />
weil es ja meinem Naturell entspricht.<br />
84 - <strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021
Wie reagieren die<br />
Mitmenschen auf Sie?<br />
Wenn mir jemand einzureden versucht,<br />
die Sauerländer seien stur, kann ich nur vehement<br />
widersprechen: Vor 30 Jahren war ich<br />
sicherlich für die meisten Sauerländer die erste<br />
leibhaftige Chinesin, die sie zu Gesicht bekamen.<br />
Ich kann mich ausschließlich an herzliche, fröhliche<br />
und wissbegierige Reaktionen erinnern. Da kam mir<br />
echtes Interesse entgegen. Es ist ein wunderbares Gefühl,<br />
wenn Menschen offen aufeinander zugehen. Ähnlich reagieren<br />
auch die chinesischen Landsleute, wenn ich auf meinen<br />
jährlichen Fahrten mit deutschen Touristen ein chinesisches<br />
Dorf besuche. Alle wollen die „exotisch“ hellen,<br />
blonden Haare der Europäer so gern einmal anfassen und<br />
staunen über die Blässe ihrer Haut. Es ist ein wunderbares<br />
Gefühl, wenn Menschen offen aufeinander zugehen. Die<br />
Sauerländer gehören für mich eindeutig zu diesen offenen<br />
Menschen.<br />
Sind Sie eher eine Deutsche mit<br />
chinesischen Wurzeln oder eine Chinesin,<br />
die in Deutschland lebt?<br />
Beides stimmt. Ich schätze mich als sehr privilegiert ein.<br />
Ich habe das Glück, in zwei so reichhaltigen Kulturen aufgewachsen<br />
zu sein und leben zu dürfen. Das ist etwas Wunderbares!<br />
Beruflich liegt mein<br />
Wo liegen heute Ihre beruflichen<br />
Beraten und privaten Schwerpunkte? für deutsch<br />
ist, freue ich mich w<br />
Beruflich liegt mein Schwerpunkt auf dem Chinesisch-Unterricht,<br />
Dolmetschen und Beraten für deutsche und chinesische<br />
Unternehmen. Sobald Corona endlich besiegt ist,<br />
freue ich mich wieder auf meine Reisen mit interessier ten<br />
Menschen nach China.<br />
Zum Abschluss möchte Abschluss ich gern den berühmten Konfuzius m<br />
zitieren: Wenn drei Menschen zusammen sind, ist bestimmt<br />
einer dabei, von dem ich etwas lernen kann. Mit altchinesi-<br />
Menschen Schriftzeichen sieht das Zitat dann<br />
zusamm<br />
so aus:<br />
( 三 人 行 , 必 有 我 师 )<br />
So ist es auch bei den Menschen weltweit: Wenn du offen<br />
bist, werden sich die Mitmenschen dir gegenüber auch öffnen.<br />
Es gibt so viele Gemeinsamkeiten, die wir alle weltweit<br />
und werthaltig nutzen können und sollten. ■<br />
So ist es auch bei<br />
Mitmenschen dir ge<br />
alle weltweit und we<br />
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Hongxia Zheng,<br />
früheren VHS-Le<br />
<strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021 - 85
,,Erfolg kommt,<br />
wenn du tust, was du liebst.‘‘<br />
86 - <strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021
Almer Reiterin Kim Brinkmöller liefert den Beweis<br />
Leidenschaft kann man<br />
nicht vortäuschen<br />
Nele Ramspott<br />
S. Droste<br />
Sich mit gerade mal 15 Jahren im Mittelfeld der<br />
westfälischen Meisterschaften zu platzieren, das allein<br />
beweist großes Talent. Leidenschaft und Hingabe,<br />
gekoppelt mit etwas Glück ließen die Reiterin Kim<br />
Brinkmöller aus Brilon-Alme immer weiter wachsen.<br />
Wir haben Sie in ihrem Reitstall in Altenbüren<br />
besucht.<br />
Schon früh verfiel die mittlerweile<br />
20-jährige Reiterin aus Alme den großen<br />
Vierbeinern mit den treuen Augen.<br />
Mit gerade dreieinhalb Jahren durfte sie<br />
erstmals auf einem Pony Platz nehmen,<br />
dem ihrer Cousine. “Da<br />
hat mich auch so schnell<br />
keiner mehr runter<br />
bekommen‘‘,<br />
erinnert<br />
sie sich<br />
u n d<br />
lächelt. Und so mussten ihre Eltern sie von da an regelmäßig<br />
zu den Pferden fahren und bald darauf bekam Kim ihre ersten<br />
Reitstunden. Sieben Jahre alt war sie, als sie Morena bekam,<br />
ihr erstes Pony. Und dasjenige, das sie sehr weit vorangebracht<br />
hat.<br />
“Nie ohne mein Team”<br />
Zwei Pferde, eine Ausbildung zur Steuerfachangestellten,<br />
gleichzeitig die Bedürfnisse von Familie und Freunden - das<br />
alles unter einen Hut zu bekommen, schafft sie nur durch<br />
einen straffen Zeitplan. “Auch wenn der Reitsport im Vordergrund<br />
ein Einzelsport ist, steht doch eine ganze Mannschaft<br />
dahinter. Jeden Tag helfen wir uns im Stall untereinander,<br />
unterstützen uns in allen Lagen und fiebern immer für die<br />
anderen mit.‘‘ erklärt sie mit Nachdruck. ‚,Ohne diese Unterstützung<br />
ist es fast unmöglich‘‘. Für die Unterstützung ihrer<br />
Eltern ist Kim besonders dankbar. So fuhr ihre Mutter sie<br />
früher regelmäßig zum Stall und half ihr beim Putzen und<br />
Satteln. Auch ihre Reitlehrerin stand ihr nicht nur im Unterricht,<br />
sondern auch bei allgemeinen Fragen rund um die Versorgung<br />
der Pferde stets mit Rat und Tat zur Seite.<br />
<strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021 - 87
Kim mit Sunbeam (li) und Donna (re)<br />
Partner fürs Leben<br />
Die Almerin berichtet, dass ihre beiden Pferde zwar etwas speziell<br />
seien, jedoch genau die Charaktereigenschaften hätten,<br />
die sie für sie besonders machen. “Die Stute ist ein richtiges<br />
Mädchen‘‘, stellt Kim ihre neunjährige Stute Donna vor. Momentan<br />
bildet sie sie noch selber aus und möchte sie nächste<br />
Saison in weiteren M-Dressuren vorstellen. Trotz zwischenzeitlicher<br />
„Zickereien“ kann sich Kim immer auf die braune<br />
Stute verlassen und weiß sie im Ernstfall auf ihrer Seite.<br />
Neben Donna ist sie seit rund einem Jahr im Besitz des elfjährigen<br />
Wallachs Sunbeam, von dem sie dank seiner guten<br />
Ausbildung viel lernen kann. Gemeinsam konnten sie 2020 in<br />
Brilon eine M-Dressur gewinnen. Kim freut sich, ihn in der<br />
kommenden Saison in Prüfungen der Klasse S vorstellen zu<br />
können: “Dieser Wallach, der macht einfach alles mit“. Kim<br />
lacht und schmiegt sich dann an seinen Hals.<br />
Neben den vielen schönen, einzigartigen Momenten, die Kim<br />
bereits erleben durfte, gab es aber auch schwierige Zeiten.<br />
2019 musste ihr damaliger Wallach Bos nach längerer Krankheit<br />
von seinen Schmerzen erlöst werden. Eine schwere Entscheidung,<br />
die Kim gemeinsam mit ihrer Familie traf. Man<br />
spürt, dass die Erinnerung an dieses Erleben die junge Frau<br />
noch heute aufwühlt …<br />
Die Gemeinschaft mit den anderen Reitern und die Vielfältigkeit<br />
in der Arbeit mit den Tieren macht für Kim den Reitsport<br />
so besonders. Er ist zu einem Teil ihres Lebens geworden, auf<br />
den sie nicht mehr verzichten möchte. Wenn Kim über die<br />
Pferde spricht, spürt man sofort auch wieder ihre Leidenschaft:<br />
“Was die Tiere einem geben, bringt einfach so viel<br />
Liebe mit‘‘. Deshalb hofft sie auch, “dass beide einfach nur<br />
gesund bleiben‘‘. ■<br />
88 - <strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021
Anzeige<br />
Danny durchläuft seit 2020 eine Ausbildung<br />
zum Verfahrensmechaniker für<br />
Kunststoff- und Kautschuktechnik.<br />
Marie hat im <strong>Sommer</strong> 2018 ihre Ausbildung zur<br />
Industriefkauffrau bei Centrotherm in Brilon<br />
begonnen und fühlt sich von Beginn an pudelwohl.<br />
VON EINEM GUTEN<br />
BEWERBER-GEFÜHL ZU SPANNENDEN<br />
EINKAUFSPROJEKTEN<br />
Die Azubis von Centrotherm profitieren von einer familiären Atmosphäre<br />
und den Vorteilen der Internationalität rund um den Globus<br />
Inga Bremenkamp<br />
Centrotherm<br />
bei meinem Vorstellungsgespräch habe<br />
ich mich sehr wohl gefühlt und dieses Gefühl<br />
„Schon<br />
hat sich auch während meiner Ausbildung bestätigt“,<br />
berichtet Marie, die im <strong>Sommer</strong> 2018 ihre Ausbildung<br />
zur Industriefkauffrau bei Centrotherm in Brilon begonnen<br />
hat und mittlerweile im Strategischen Einkauf des<br />
führenden Anbieters von Kunststoff- und Abgassystemen<br />
für Heizungsanlagen in der Brennwerttechnik arbeitet.<br />
Die Centrotherm Systemtechnik GmbH aus Brilon ist in der<br />
gesamten Welt zu Hause. Rund 200 Mitarbeiter am Standort<br />
Brilon bringen sich täglich mit hohem Engagement ein. Dazu<br />
kommen eigene Tochtergesellschaften in fast allen EU-Kernländern<br />
sowie den USA und China. Neben der Ausbildung in<br />
kaufmännischen und gewerblichen Berufen legt Centrotherm<br />
auch viel Wert auf ergänzende Entwicklungsangebote, die die<br />
Azubis in ihrer fachlichen und auch persönlichen Entwicklung<br />
unterstützen. „Die Kollegen helfen uns Azubis extrem gut. Wir<br />
profitieren von flachen Hierarchien und den Angeboten, die<br />
extra für uns Azubis organisiert werden“, erklärt Marie, die von<br />
regelmäßigen Azubi-Nachmittagen spricht, bei denen sich der<br />
Nachwuchs austauscht, gemeinsame Projekte plant und diese<br />
auch umsetzt. „Ich wurde von Beginn an sehr gut in das Team<br />
integriert und freue mich über die Möglichkeit, in der Zukunft<br />
auch ein Schwesterunternehmen im Ausland kennenlernen zu<br />
können“, ergänzt Danny, der seit 2020 eine Ausbildung zum<br />
Verfahrensmechaniker für Kunststoff- und Kautschuktechnik<br />
absolviert.<br />
Neben der eigenen Ausbildung von Nachwuchskräften, setzt<br />
Centrotherm auch mit der Erweiterung des Produktions- und<br />
Logistikbereichs ein positives Signal für eine mittel- und langfristige<br />
Zukunft des Standortes. Flache Hierarchien und ein<br />
modernes, internationales Arbeitsumfeld machen Centrotherm<br />
zu einem attraktiven Arbeitgeber der Region. ■<br />
Hier geht’s zum Video:<br />
Partner der Big Six<br />
Centrotherm Systemtechnik GmbH<br />
Am Patbergschen Dorn 9<br />
59929 Brilon<br />
+49 (0) 2961 96 700<br />
info@centrotherm.com<br />
<strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021 - 89
Mit Schäferblut<br />
in den Adern<br />
Bachumer baut sich seinen<br />
Schäferwagen selbst<br />
Christel Zidi<br />
Marc Niemeyer<br />
90 - <strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021
Schäferkarren zählen zu den ältesten Fahrzeugen<br />
der Menschheit. Sie wurden gebaut, damit die<br />
Hirten auch in der Nacht in der Nähe ihrer Herde<br />
bleiben konnten. In Bachum hat Stefan Kemper einen<br />
Schäferwagen nachgebaut. Ohne Planskizze, aber mit viel<br />
Herzblut. Sein Urgroßvater Heinerich war Schäfer. Da<br />
fließt wohl immer noch Schäferblut durch seine Adern...<br />
Im Garten von Stefan Kemper steht ein Schäferkarren. Ein<br />
schmuckes Teil. Der Einachser hat das typische Rundbogendach.<br />
Über ein Zwei-Stufen-Treppchen gelangt man ins Innere.<br />
Und das ist genauso gemütlich, wie es das Äußere verspricht.<br />
Zwei Seitenbänke, eine Querbank,<br />
überall kuschelige Schaffelle. Ein kleiner,<br />
schwarzer Gussofen sorgt auch im Winter<br />
für angenehme Wärme. „Man muss<br />
die Temperatur natürlich immer wieder<br />
regulieren und stochern, sonst wird es<br />
zu warm im Schäferkarren“, erzählt<br />
Stefan Kemper, der das letzte Silvesterfest<br />
hier mit seiner Familie und den<br />
Ex-Nachbarn verbracht hat. Stilechter<br />
kann man als Urenkel eines Schäfers<br />
kaum feiern.<br />
Ja, Stefan Kemper‘s Urgroßvater war<br />
Schäfer. Zunächst auf dem Hof Ebel<br />
in Vosswinkel. Später errichtete er<br />
das Haus, das seit 1848 auf der gegenüberliegenden<br />
Straßenseite liegt. Er kaufte nach und nach<br />
Land und Tiere hinzu - Kühe und Schweine – und aus der<br />
Schäferei wurde ein Bauernhof. Auf diesem Bauernhof wurde<br />
Stefan Kemper mit seinen Geschwistern groß.<br />
Aus Langeweile erwächst Kreativität<br />
Heute ist der 60-Jährige, der zwölf Jahre lang Schützenoberst<br />
der St. Isidor-Schützenbruderschaft war, Maschinenbau-<br />
Schlosser. Einer, der eigentlich immer gut beschäftigt ist, aber<br />
im letzten Winter – wie viele andere auch – sehr viel Zeit hatte.<br />
Zu viel Zeit – wie er fand, deshalb wurde ihm langweilig.<br />
Dann kam ein Gedanke wieder in ihm hoch, den er schon<br />
länger in sich trug: „ So ein Schäferwagen ist ja auch etwas<br />
Schönes. Man könnte sich oben am Wald hinstellen und dann<br />
einen Rundgang machen, mal ein Bier trinken...“<br />
Gedacht, getan. Schließlich hat Stefan Kemper ausreichend<br />
Platz in seiner Scheune, eine gutausgestattete Werkstatt ebenfalls.<br />
Ein altes Fahrgestell hatte er geerbt.<br />
„Und dann habe ich mir überlegt, wie mache ich das denn am<br />
besten.“ Und so ging er ans Werk: „Zunächst mit U-Eisen,<br />
ein Rahmen wurde untendrunter geschraubt und dann kamen<br />
die Bretter für den Fußboden.“ Eine Zeichnung für den<br />
Bau gab es nicht: „Ich hatte alles nur Kopf.“ Und der ließ ihm<br />
meist nur noch wenig Ruhe: „Kurz vor dem Einschlafen habe<br />
ich dann immer überlegt: Wie mache ich es denn am besten?“<br />
Schäferkarren<br />
Bis ins 19. Jahrhundert hinein waren<br />
Schäferkarren (Schlupfkarren) so niedrig,<br />
dass sie nur auf Knien begangen werden<br />
konnten. Erst ab dem 19. Jahrhundert<br />
konnte man darin auch stehen. Aus den<br />
Schäferwagen entstanden die Wagen der<br />
Schausteller und Zirkusleute.<br />
<strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021 - 91
„Ganz einfach nach dem<br />
Kopf gebaut“<br />
Die beiden Seitenteile<br />
ließen sich noch relativ<br />
leicht bauen, ein paar<br />
alte Fenster holte er<br />
sich vom Fensterbauer.<br />
Dann kam<br />
das Schwierigste,<br />
denn seine Frau<br />
Andrea meinte, ein<br />
Schäferwagen müsse<br />
auch ein Rundbogendach<br />
haben. „Wie<br />
kriegst du das denn hin?“<br />
überlegt er. „Denn ich bin ja<br />
eigentlich Maschinenbau-Elektriker<br />
und kein Schreiner.“<br />
Er begann also eine Dachlatte in vier<br />
dünne Streifen aufzuschneiden, leimte sie als Paket<br />
zusammen. Anschließend baute er sich eine Schablone und<br />
bog die Bretter mit einer Schraubzwinge drumherum. Jeden<br />
Nachmittag ein Rundbogen. „Ja und so bekommt man auch<br />
ein Rundbogendach hin“, erklärt er.<br />
Und wie er das hingekriegt hat. Kempers Schäferwagen ist<br />
zum Schmuckstück geworden – von innen und außen. Mit<br />
einfachen Brettern, die er „natürlich ein bisschen gehobelt<br />
Im Inneren des Schäferwagens<br />
hat“. Mit Liebe zum Detail – „Jede<br />
Loipe außen ist mit einer Heckleiste<br />
versehen und immer in<br />
der Mitte geschraubt, damit<br />
das nicht reißt.“ Und<br />
mit dem Tipp an Nachahmer:<br />
„ Man muss nur<br />
Stück für Stück überlegen,<br />
wie machst du es<br />
denn am besten.“<br />
Der Schäferwagen<br />
wird ab und an mal<br />
mit dem Trecker an<br />
den Waldrand gefahren.<br />
Ansonsten steht er für gemütliche<br />
Stunden und auch<br />
für Kindergeburtstage auf der<br />
Wiese hinterm Haus.<br />
Vom 2,30 x 1,90 m großen Wagen aus hat<br />
man einen herrlichen Blick auf Bachum und auf die<br />
Pferde, die auf der Wiese vorm Haus grasen. Was die Idylle<br />
perfekt machen würde, wären nur noch … Schafe. Daran hat<br />
Stefan Kemper auch schon gedacht. Platz ist da, eine Scheune<br />
ebenfalls. Nicht zuletzt schwärmt auch seine Frau von Schafen.<br />
Sicherlich werden die schon bald auf Kempers Wiese stehen.<br />
Stefan Kemper, da fließt wohl immer noch Schäferblut<br />
durch seine Adern. ■<br />
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92 - <strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021
Carl Ferdinand Freiherr von Lüninck<br />
Ein (fast) ganz<br />
normaler Ostwiger<br />
Sauerländer LEUTE –<br />
Der MENSCH dahinter<br />
Britta Melgert<br />
Tom Linke<br />
Die von Lünincks – ein niederrheinisches Adelsgeschlecht, das urkundlich zuerst im 15. Jahrhundert erwähnt<br />
wird. Ein Zweig der Familie ist seit 1777 im sauerländischen Ostwig ansässig. Wir haben den heutigen Freiherrn<br />
Carl Ferdinand von Lüninck besucht.<br />
<strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021 - 93
Haus Ostwig<br />
Der Wald ist seine Welt – und die<br />
schönste Freizeitgestaltung<br />
Er öffnet selbst die Eingangstür und führt uns ins große, mit<br />
antiken Möbeln bestückte Zimmer. Den Tag hat Carl Ferdinand<br />
von Lüninck im Wald verbracht. Holz ist seine Welt.<br />
Der Forstwirt bewirtschaftet nicht nur Wälder auf Bestwiger<br />
Territorium, sondern auch in Brandenburg. Seine Augen<br />
leuchten, wenn er versichert, dass seine berufliche Tätigkeit<br />
für ihn gleichbedeutend mit Freizeitgestaltung ist. „Die Natur<br />
zu bewahren, trotz Augenmerk auf wirtschaftliche Erfordernisse<br />
– für mich ist das eine lohnende Aufgabe. Ich<br />
tüftle gern, probiere neue Baumarten aus und bin mir auch<br />
nicht zu schade, gute Ideen von befreundeten Fortwirten<br />
einzuholen.“<br />
Erzogen als der Erbe- mit Ostwiger Wurzeln<br />
Der Weg als Titelträger und Unternehmer wurde ihm in<br />
die Wiege gelegt. Als ältester Sohn war es seinerzeit entschiedene<br />
Sache, dass er seinem Vater und den Vorfahren<br />
folgen würde, also wurde er als der Erbe erzogen. Mit 12<br />
gings von zuhause fort ins Internat. Bundeswehrzeit und<br />
Studium folgten, dann der Aufbau des ostdeutschen Betriebszweiges.<br />
„Natürlich hatte ich währenddessen immer auch Kontakte<br />
nach Ostwig“, erinnert er sich. Kleine Besuche gab<br />
es beispielsweise zum Schützenfest. „Im Jahr 1997 habe ich<br />
sogar den Vogel abgeschossen. Da ich seinerzeit noch keine<br />
Freundin hatte, die ich zur Königin hätte machen können,<br />
wählte ich dafür mein früheres Kindermädchen Hildegard“,<br />
lächelt er, und er verrät: „Die liebe Hildegard, die auch in<br />
Ostwig lebt, ist immer noch bei uns im Haus Ostwig tätig.<br />
Sie kümmert sich tageweise um unseren Haushalt und darum,<br />
dass es uns gut geht.“ Mit ‚uns‘ sind neben ihm selbst<br />
seine Ehefrau Sophie, die vier Kinder Carl-Anton (18),<br />
Anna (16) Marie-Theres (14) und Otto (13), seine Tante<br />
Tia sowie deren Pflegerin gemeint.<br />
„Für uns ist das Umfeld wichtig“<br />
„Als ich im Jahr 2008 mit meiner Familie zurück nach Ostwig<br />
kam, um mich in die Geschäfte meines Vaters einzuarbeiten,<br />
wollten wir uns einen Ankerpunkt schaffen, weil uns<br />
unser Umfeld wichtig ist“, erinnert sich der Freiherr. „Dieses<br />
Fleckchen Erde und seine herzlichen Bewohner haben uns<br />
definitiv gefallen. Ist doch klar, dass wir uns engagieren.“<br />
‚Kumm rin‘ – eine Erfolgsstory<br />
Nach der 30-jährigen Abwesenheit fiel Carl Ferdinand allerdings<br />
auch auf, was sich hier verändert hatte: „Es gab keine<br />
Treffpunkte mehr für die Menschen - eine große Gefahr für<br />
das Gemeinschaftsgefühl. Dem wollte ich unbedingt entgegenwirken.<br />
Direkt auf unserem Gelände, gleich gegenüber<br />
der Kirche, stand ein Viehstall seit Jahren leer. Mit viel Holz<br />
aus meinen eigenen Wäldern und der fleißigen Unterstützung<br />
der Helfer aus dem Ort haben wir ihn zur Ehrenamtskneipe<br />
‚Kumm rin‘ umgebaut.”<br />
Die feierliche Eröffnung am zweiten Weihnachtstag 2011<br />
wurde legendär. “Ich erinnere mich daran, dass ich am nächsten<br />
Morgen aus meinen Schlafzimmerfenster blickte und<br />
dort Menschen sah. ‚Die machen ja schon sehr früh sauber’,<br />
wunderte ich mich. Aber nein, die Ostwiger waren immer<br />
94 - <strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021
noch am Feiern. Da wusste ich, dass<br />
eine Erfolgsstory begonnen hatte. Ich<br />
freu mich über jeden Euro Gewinn,<br />
der dem Ort und dessen Vereinen zufließt.“<br />
Wirklichen Dank dafür will er<br />
nicht. „Seien wir ehrlich, ich war in<br />
der glücklichen finanziellen Lage, es<br />
mir für meinen Ort leisten zu können.<br />
Und ich mag halt Bier!“, sagt er<br />
und lacht.<br />
Familienleben und<br />
gesellschaftliche Verpflichtungen<br />
Und wie lebt ein Sauerländer Adeliger<br />
sonst so? „Wir haben im Prinzip<br />
den gleichen Tagesablauf wie andere<br />
Fami-lien auch“, versichert der<br />
Freiherr. „Der Wecker klingelt um<br />
05:30 Uhr, damit die Kinder Frühstück<br />
bekommen und es rechtzeitig<br />
zum Schulbus schaffen. Das ist meine<br />
erste Aufgabe des Tages, damit sich<br />
meine Frau auf Ihren Arbeitstag als<br />
Direktorin im Amtsgericht <strong>Warstein</strong><br />
vorbereiten kann. Aber dann … ja, ja<br />
… die schönste Freizeitgestaltung im<br />
Wald!<br />
„Natürlich haben wir auch gesellschaftliche<br />
Verpflichtungen. Treffen<br />
mit der Familie oder mit Mitgliedern<br />
von befreundeten Adelshäusern<br />
sind obligatorisch. So habe ich seinerzeit<br />
meine Frau, die als Baroness<br />
von Mirbach aufgewachsen ist, kennengelernt,<br />
was nicht nur für mich<br />
selbst ein Glücksfall war, sondern<br />
auch meine Eltern sehr gefreut hat“,<br />
berichtet. „Für meine Frau und mich<br />
wäre es aber in Ordnung, wenn sich<br />
unsere Kinder einmal für bürgerliche<br />
Partnerinnen oder Partner entscheiden<br />
sollten. Es muss halt passen.“<br />
Und wenn wir schon über unsere<br />
Kinder sprechen – deren Wohlergehen<br />
und ihre Entwicklung sind uns<br />
als Eltern sehr wichtig. Unser Großer<br />
wird wohl mal mein Nachfolger<br />
werden, doch falls er lieber einen anderen<br />
Weg ergreifen möchte, dann<br />
hätten wir auch kein Problem damit,<br />
wenn eine der Töchter oder der jüngere<br />
Sohn einspringt. Da ticken wir<br />
doch moderner als die Generationen<br />
vor uns“, lacht er.<br />
Hohe Akzeptanz im eigenen Dorf<br />
Modern und in die Zeit passend - so<br />
scheint das auch die Ostwiger Bevölkerung<br />
zu sehen. Man spricht mit<br />
Hochachtung über ihn, ist aber auch<br />
voller Dankbarkeit hinsichtlich des<br />
‚‘Kumm rin‘. Sympathisch, natürlich,<br />
freundlich und humorvoll – das sind<br />
die anerkennenden Attribute, die ihm<br />
die Dorfbewohner zuschreiben - und<br />
dass er „irgendwie mittendrin“ ist. Ein<br />
(fast) ganz normaler Ostwiger halt. ■<br />
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96 - <strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021<br />
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„Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, einen<br />
gepäppelten Vogel wieder in seine Freiheit<br />
zurücklassen zu können“<br />
- Nina Karpinski<br />
Nina Karpinski<br />
Silvia Padberg<br />
W<br />
ildvogelnotfall was tun? Nina Karpinski, 38<br />
Jahre alt, aus Messinghausen widmet sich in ihrer<br />
freien Zeit der Pflege von verletzten und kranken<br />
Wildvögeln. Wann immer es an der Haustür klingelt<br />
oder das Telefon bimmelt, lässt sie alles stehen und liegen,<br />
da sie bereits ahnt, dass ihr ein verletzter Vogel<br />
gebracht wird.<br />
<strong>WOLL</strong>: Frau Karpinski, woher kommt Ihr Engagement<br />
für verletzte Vögel?<br />
Nina Karpinski: Das Fundament, Interesse an Tieren<br />
und Natur, war schon lange gelegt. Über das Hobby<br />
der Fotografie bin ich immer aufmerksamer gegenüber<br />
unseren Wildvögeln geworden. Ein paar Jahre habe ich<br />
mich belesen und mich mit anderen Wildvogelpäpplern<br />
ausgetauscht. Ein gewisses Grundwissen sowie gute Kontakte,<br />
u.a. zu vogelkundigen Tierärzten, müssen gewährleistet<br />
sein.<br />
Es ist ein unbeschreibliches Gefühl einen gepäppelten Vogel wieder<br />
in seine Freiheit zurücklassen zu können oder aber eine Aufzucht<br />
auf den Weg in sein eigenes Leben begleiten zu können. Aber wir können<br />
leider nicht jedes Leben retten, auch damit muss man umgehen können,<br />
auch das gehört dazu.<br />
<strong>WOLL</strong>: Seit wann helfen Sie Wildvögel in Not?<br />
Nina Karpinski: Dass ich tatsächlich Wildvögel<br />
päppeln würde, stand für mich<br />
bereits vor ein paar Jahren fest,<br />
jedoch sah der zeitliche Plan<br />
etwas anders aus. Nach dem<br />
Umzug nach Brilon sollte<br />
zunächst das Haus fertig<br />
renoviert werden und<br />
<strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021 - 97
dann wollte<br />
ich beginnen.<br />
Mein erster<br />
Patient ließ jedoch<br />
nicht lange<br />
auf sich warten.<br />
Ich fand ihn<br />
im Frühjahr 2020<br />
vor meiner eigenen Tür.<br />
Das war im Grunde der<br />
Start in die eigenständige Wildvogelpflege.<br />
Denn ich fand heraus, dass<br />
es im größeren Umkreis keinerlei Anlaufstellen für gefundene<br />
Wildvögel gab, die Nachfrage aber durchaus groß ist.<br />
<strong>WOLL</strong>: Wie finanzieren Sie ihre Projekte?<br />
Nina Karpinski: Das ist eine sehr kostenintensive Angelegenheit.<br />
Es sind die Unterbringungsmöglichkeiten, hier werden<br />
keine Käfige genommen, da sie dem Gefieder schaden,<br />
sondern z. B. Flexarien, Softboxen und Moskitozelte. Die Futter-,<br />
Tierarzt-, und Spritkosten. Es können auch immer mal<br />
Sonderfälle sein, die in einer Tierklinik versorgt werden müssen<br />
oder längerfristige Spezialbehandlungen benötigen. Wir,<br />
ich nutze das „wir“, weil es allen Wildtierpäpplern so ergeht,<br />
finanzieren das aus den eigenen Portemonnaies und sind daher<br />
natürlich auch auf Spenden angewiesen. Wir haben häufig<br />
Kosten von mehreren hundert Euro im Monat, wobei ich hier<br />
von der Hauptsaison, im <strong>Sommer</strong>, spreche. Ja, so ein junger<br />
und kleiner Pieps hat einen gesunden Hunger auf dem Weg in<br />
sein eigenes Leben in Freiheit.<br />
<strong>WOLL</strong>: Was ist zu tun, wenn man einen hilflosen oder<br />
verletzten Vogel findet?<br />
Nina Karpinski: Das Allerwichtigste ist: Ruhe bewahren!<br />
Dann ist zu klären, ob das gefundene Tier tatsächlich hilfebedürftig<br />
ist - und schon hier helfen die richtigen Anlaufstellen<br />
weiter. Ganz wichtig, gar überlebenswichtig für das Fundtier:<br />
Keineswegs Futter oder Wasser geben!<br />
<strong>WOLL</strong>: Wie bringe ich einen Fundvogel unter?<br />
Nina Karpinski: Einen ausgewachsenen Wildvogel gibt man<br />
in einem Karton, der mit Luftlöchern versehen ist und stellt<br />
ihn an einen ruhigen Ort. Bei jungen Vögeln sind Wärme<br />
und ein Nest wichtige Faktoren. Wenn das Vögelchen noch<br />
nicht sein vollständiges Federkleid hat, sollte dieser warm gehalten<br />
werden. Für das Nest nimmt man eine Schale oder<br />
Schüssel, legt diese mit Küchenpapier, einer wärmenden Socke<br />
oder einem Fleecelappen aus. Dieses Nest platziert man<br />
in einer Box, Wanne oder Schale, darunter eine Wärmequelle<br />
z. B. eine Wärmflasche. Zusätzlich legt man einen feuchten<br />
Waschlappen in die Box/Schale, neben das Nest, da auch die<br />
Luftfeuchtigkeit eine wichtige Rolle spielt. Ist alles gerade<br />
nicht umsetzbar, wärmt man den kleinen Pieps mit der eigenen<br />
Hand.<br />
An dieser Stelle möchte ich erneut betonen, dass es extrem<br />
wichtig ist, dem Fundtier weder Wasser noch Futter zu geben.<br />
Was viele nicht wissen, die Luftröhre liegt direkt unter der<br />
Zunge. Gerade Jungvögel können dies nicht steuern, daher<br />
trinken sie auch nicht. Wird Wasser verabreicht, gelangt dieses<br />
sofort in die Lunge – Lebensgefahr!<br />
<strong>WOLL</strong>: Worauf ist zu achten bei einem noch nicht voll<br />
befiedertem Jungvogel?<br />
Nina Karpinski: Wir Vogler unterscheiden zwischen einem<br />
Nestling und einem Ästling. Ein Nestling sitzt noch komplett<br />
auf seinen Beinen und besitzt noch kein vollständiges Federkleid.<br />
Ein Ästling ist voll befiedert und kann sich schon auf<br />
seinen Füßen halten und ist mindestens hüpfend unterwegs.<br />
Ein Nestling ist außerhalb seines Nestes schutzlos gegenüber<br />
Feinden und wird von seinen Eltern nicht mehr versorgt, hier<br />
ist Hilfe gefragt. Bei einem Ästling gilt zu beobachten, ob dieser<br />
versorgt wird. Die Elterntiere halten sich in der Regel in<br />
unmittelbarer Nähe auf.<br />
<strong>WOLL</strong>: Man sagt, wenn man einen Jungvogel in der Hand<br />
gehalten hat, dass Vogeleltern die Kleinen nicht mehr versorgen,<br />
stimmt diese Aussagen?<br />
Nina Karpinski: Es ist grundsätzlich ein lange überholter<br />
98 - <strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021
Irrglaube. Findet man einen jungen Pieps an einer Gefahrenstelle,<br />
wie an einer Straße, kann man diesen umsetzen. Man<br />
kann ihn in unmittelbarer Nähe zum Beispiel an eine Hecke<br />
oder unter einen Strauch absetzen, so dass er geschützter sitzt.<br />
Ist man der Ansicht dass der Pieps aber noch in ein Nest gehört,<br />
sollte man ohne Anleitung, die die beratenden Fachleute<br />
gerne geben, keine eigenständige Rückführung unternehmen,<br />
auch nicht wenn man sich sicher ist, um welches Nest es sich<br />
handelt.<br />
<strong>WOLL</strong>: Suchen Vogeleltern ihre Sprösslinge, wenn sie verloren<br />
gegangen sind?<br />
Nina Karpinski: Ja. Sie suchen, und zwar rund 24 Stunden<br />
lang. Diese Zeit hat natürlich nicht jeder Jungvogel, je kleiner<br />
er ist, desto schneller sollte er von seinen Elterntieren gefunden<br />
werden. Bei Jungvögeln, die von den Eltern gefüttert<br />
werden, sollte man gute zwei Stunden beobachten, ob sich die<br />
Elterntiere kümmern. Ist dies nicht der Fall sollte man helfend<br />
einschreiten oder sich, schon vorab, an eine fachkundige Stelle<br />
wenden.<br />
<strong>WOLL</strong>: Gibt es Sonderfälle?<br />
Nina Karpinski: Schwalben sowie Alpen- und Mauersegler<br />
sind Ausnahmefälle. Findet man eine Schwalbe oder einen<br />
Segler am Boden, egal wie alt, braucht dieser Vogel immer<br />
Hilfe!<br />
<strong>WOLL</strong>: Auf einem Ihrer Fotos erkennt man den wunderschönen<br />
farbenprächtigen Eisvogel, bei welcher Verletzung<br />
haben sie ihn wieder aufgepäppelt?<br />
Nina Karpinski: Dieses wunderschöne Prachtexemplar wurde<br />
mir von einer engagierten Finderin aus Hallenberg gebracht.<br />
Er war mit einem Auto kollidiert. Er hatte recht viel<br />
Glück gehabt und sich nichts gebrochen. Eine ordentliche<br />
Prellung legte sein Flugvermögen jedoch für ein paar Tage<br />
lahm. Nach etwas mehr als 14 Tagen konnte er aber wieder in<br />
sein Revier zurückkehren.<br />
<strong>WOLL</strong>: Werden Sie vom Naturschutzbund NABU in irgendeiner<br />
Form unterstützt?<br />
Nina Karpinski: Wir arbeiten nicht direkt zusammen, stehen<br />
allerdings regelmäßig in Kontakt. Der NABU wird durch uns<br />
Päppler informiert, wenn wir gewisse Krankheitsbilder bei<br />
Wildvögeln feststellen, so dass der NABU Meldungen herausgeben<br />
kann. ■<br />
Ehrenamtliche Wildvogelpäppler im HSK<br />
Nina Karpinski 0152 - 34031282<br />
Wildvogelhilfe Sundern, Esther Rossa<br />
0152 - 54231461<br />
BUND Greifvogelhilfe HSK in<br />
Sundern, Falknerin Claudia<br />
Haardt, 0171 – 6430249.<br />
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Wildvogelhilfe-Notfälle<br />
Nina Karpinski<br />
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<strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021 - 99
Anzeige<br />
“...ein Strandkorb von Nordoder<br />
Ostsee, der passt nicht<br />
wirklich hierher” Manuel<br />
Müller, Tischlermeister<br />
Strandkorb war gestern<br />
GÖNNEN SIE SICH DOCH MAL<br />
EINE PAUSE(N-BUTZE)<br />
Christel Zidi<br />
sabrinity<br />
Ein Strandkorb – der Inbegriff<br />
vom Urlaub an der See. Wind,<br />
Sonne, Wellen – wunderbare<br />
Stunden der Muße, gut geschützt<br />
vor Wind, Hitze und Regen. Allein<br />
mit einem guten Schmöker oder in<br />
lieber Gesellschaft. Runterkommen,<br />
entspannen. Sich am Rauschen des<br />
Meeres, dem Anblick der untergehenden<br />
Sonne erfreuen – das ist Erholung<br />
pur.<br />
Einmal erlebt, reicht das Wort Strandkorb<br />
aus, um sekündlich in Urlaubsstimmung<br />
zu fallen. Aber das Meer<br />
ist weit weg … Stimmt. Wäre es nicht<br />
trotzdem möglich, zumindest dieses<br />
ganz bestimmte Strandkorb-Urlaubsfeeling<br />
ins Sauerland holen?<br />
„Auf jeden Fall“, dachte sich Manuel<br />
Müller aus Brilon-Radlinghausen „Wir<br />
haben hier eine völlig andere, aber nicht<br />
weniger schöne Landschaft. Doch ein<br />
Strandkorb von Nord- oder Ostsee, der<br />
passt nicht wirklich hierher.“ Der Radlinghauser<br />
Tischlermeister hatte schon<br />
bald die passende Idee für einen „Sauerländer<br />
Strandkorb“. Strand und Korb –<br />
beide Begriffe passten natürlich nicht so<br />
ganz. Also benannte er sein Werk nach<br />
dem Äußeren (Butze – kleine Bude)<br />
und nach der Verwendung: Pausenbutze.<br />
Und das hat er sich sogar als Marke<br />
schützen lassen.<br />
Manuel Müller verwendet ausschließlich<br />
hochwertige Materialien. Die<br />
Pausenbutze besteht überwiegend aus<br />
22mm Fichten-Massivholz, nordische<br />
Fichte. Das Dach fertigt der Tischlermeister<br />
aus Sibirischer Lärche. Während<br />
das Grundteil komplett in einem<br />
Stück geliefert wird, besteht das Dach<br />
aus zwei Teilen, die ganz einfach mit<br />
zwei mal vier Schrauben befestigt werden.<br />
“Wir verwenden das gleiche Material<br />
wie für Holzfassaden – das hält<br />
quasi ewig dicht”, erzählt Müller begeistert.<br />
Alle Kanten sind abgerundet,<br />
auch das spricht für die hochwertige<br />
Verarbeitung. Rustikal-gemütlich wird<br />
die Pausenbutze durch zwei Sprossenfenster,<br />
Blumenkästen und Sitzpolster<br />
mit Bezügen aus hochwertigem Outdoorstoff.<br />
Wer seine Pausenbutze ganz individuell<br />
ausstatten möchte, bestellt Gardinen,<br />
Anstecktisch oder Fußstützen.<br />
Natürlich kann man die Pausenbutze<br />
in Holz-Natur belassen, sie gegen Verwitterung<br />
ölen oder auch anstreichen<br />
lassen. Zum Beispiel in der Trendfarbe<br />
100 - <strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021
Manuel Müller<br />
Tischlermeister<br />
Am Ruhberg 26<br />
59929 Brilon<br />
www.pausenbutze.de<br />
Grau. Auch die Gardinen gibt es in mehreren<br />
Varianten: im modischen Anthrazit,<br />
kariert in rot-weiß oder grün-weiß. Auf<br />
Wunsch aber auch noch in vielen anderen<br />
Farben und Mustern.<br />
Ganz ausgefallen war diese Ausstattung:<br />
„Eine Kunde wollte ihren Mann zum 50.<br />
Geburtstag mit einer Pausenbutze überraschen“,<br />
berichtet uns Manuel Müller.<br />
„Deshalb ließ sie die Butze in Rot-Weiß<br />
streichen, die Gardinen in den gleichen<br />
Farbtönen. Ihr Mann ist erklärter FCK-<br />
Fan“, erzählt uns Manuel Müller.<br />
In der Pausenbutze kann man jederzeit<br />
ganz schnell Entspannung finden. Wie der<br />
Name schon sagt: in den Pausen, nach Feierabend.<br />
Mal kurz, mal länger. Urlaubsstimmung<br />
aus dem Sauerland. ■<br />
<strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021 - 101
Robert geht wandern:<br />
Südlich von Velmede und Bestwig<br />
Robert Hinkel<br />
1Ausgangspunkt ist ein kleiner Parkplatz an der Spielund<br />
Freizeitanlage Halbeswiger Straße am südlichen<br />
Ortsausgang von Velmede. Dieser ist 500 m entfernt<br />
von der Bushaltestelle Veledastraße. Wem 14 km zu weit<br />
sind, der kann die Tour um bis zu 7 km verkürzen (siehe<br />
Anmerkungen im Text).<br />
2Erst einmal geht es links von der<br />
Halbeswiger Straße recht ordentlich<br />
bergauf. Nach 900 m Strecke kommt<br />
man an der Veledahöhle vorbei. Wer im<br />
<strong>Sommer</strong> eine Abkühlung benötigt, der buche<br />
eine Führung.<br />
3Noch weitere 50 Höhenmeter bergauf, dann habt ihr es vorerst<br />
geschafft und umrundet den Ostenberg, bevor ihr über den<br />
Bestwiger Panoramaweg wieder absteigt. Allerdings empfehle<br />
ich, an der folgenden Weggabelung nach knapp 3 km nochmal links<br />
leicht bergauf zu gehen (rechts wäre 1,4 km kürzer).<br />
4Links kommt man nämlich erst durch ein nettes Waldstück und hat später<br />
eine schöne Aussicht auf Heringhausen und die 700er Berge dahinter.<br />
102 - <strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021
5Beide Varianten führen an einem Taubenhaus vorbei,<br />
in dessen Nähe eine Bank steht (am rechten Bildrand).<br />
6Unten in Heringhausen an der Gevelinghauser<br />
Straße bietet sich wieder eine Abkürzungsmöglichkeit:<br />
Einfach links über den Radweg bzw. den<br />
Wanderweg X14 durchs Valmetal gehen, und keine 2<br />
km weiter ist man in Bestwig. Die hier vorgestellte<br />
14-km-Wanderung führt aber nochmal rechts Richtung<br />
Gevelinghausen, über den Weg H6.<br />
71 km weiter biegt ihr aber doch links ab, überquert<br />
die Gevelinghauser Straße und umrundet<br />
den Breberg über seine Ost- und Nordseite. Allen<br />
Widrigkeiten zum Trotz, geradeaus geht’s weiter.<br />
Keine Sorge, bei näherem Hinsehen ist das ein gepflegter<br />
markierter Wanderweg.<br />
8Diese Streckenführung hat den Vorteil, dass man<br />
an einer Bank am Ortsrand von Bestwig wieder<br />
Aussicht ins Valmetal hat.<br />
<strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021 - 103
9<br />
Jetzt geht’s runter zum Bestwiger Bahnhof, wo man<br />
in den Bus steigen und an der Veledastraße aussteigen<br />
kann. Wer möchte kann sich hier im Ort mit einem Imbiss<br />
stärken. Danach gibt es noch einen einzigen Anstieg links<br />
rauf durchs Wohngebiet bis zum Wanderweg V3.<br />
Diese Strecke wandere ich am 14.8.2021 um<br />
10 Uhr. Weitere Geschichten mit ~5 Minuten<br />
Lesezeit gibt’s auf www.sauerland-wandernund-wetter.blogspot.com<br />
letzten 500 m führen bergab über den V1<br />
und den Bestwiger Panoramaweg.<br />
10Die<br />
104 - <strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021
Alte<br />
Christel Zidi<br />
S. Droste<br />
Bahnhöfe<br />
Oeventrop<br />
Seit 1870 gibt es einen Bahnhof an der Oberen Ruhrtalbahn. Für Oeventrop ist er von besonderer Bedeutung, denn<br />
von hier aus bestehen Verbindungen nach Hagen, Dortmund, Winterberg, Warburg und Kassel. Diese Anbindung ist<br />
sowohl für Pendler, Schüler und auch für den Freizeit- und Tourismusverkehr wichtig.<br />
<strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021 - 105
Brilon-Alme<br />
Am 1. April 1901 erreicht der erste Zug den Bahnhof Alme. Hier entlang führte die Almetalbahn, eben jene Eisenbahnstrecke,<br />
die von Paderborn über Büren nach Brilon führte. Der Personenverkehr auf der Strecke wurde 1981<br />
eingestellt. Güterzüge kamen noch bis 1991 an.<br />
Eslohe<br />
Eröffnet wurde der Güterbahnhof Eslohe 1911. Nach der Einstellung des durchgehenden Güterverkehrs 1965 wurde<br />
Eslohe nur noch aus Richtung Wennemen bedient. Der Personenverkehr endete 1966, letztmalig fuhr 1972 ein<br />
Sonderzug von Finnentrop den Bahnhof an. 1998 erfolgt die Gesamtstilllegung.<br />
106 - <strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021
<strong>Rüthen</strong><br />
Die Bahnstrecke Möhnetalbahn war eine überwiegend eingleisige Bahnstrecke, die 1898 eröffnet wurde. Von Soest<br />
über den Haarstrang, hielt sie an den Bahnhöfen in Wamel, Allagen, Belecke und <strong>Rüthen</strong> und fuhr weiter bis nach<br />
Brilon. 1960 wurde der planmäßige Personenverkehr eingestellt.<br />
<strong>Warstein</strong><br />
Der <strong>Warstein</strong>er Bahnhof wird nur noch für den Güterverkehr genutzt. Die Bahnverbindung <strong>Warstein</strong>–Lippstadt<br />
wurde 1883 eröffnet, als Teil des Streckennetzes der Westfälischen Landeseisenbahn. Der Personenverkehr auf dieser<br />
Strecke wurde 1975 eingestellt. Vom Bahnhof <strong>Warstein</strong> werden einige der <strong>Warstein</strong>er Kalksteinbrüche sowie, seit<br />
Frühjahr 2005, auch die <strong>Warstein</strong>er Brauerei erschlossen.
Sundern<br />
1900 wurde die Eröffnung der Röhrtalbahn mit den Endbahnhof Sundern gefeiert. Hier gab es auch ein kleines Bahnbetriebswerk<br />
zur Versorgung und Reparatur der hier eingesetzten Lokomotiven und Triebwagen. Später errichtete man für<br />
die Triebwagen eine Halle, wo sich auch die Dieseltankstelle befand. Neben dem starken Stückgutverkehr liefen bis zum<br />
Mai 1966 auch eine ganze Reihe Personenzüge auf der Röhrtalbahn.<br />
108 - <strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021
Wennemen<br />
1911 fuhr zum ersten Mal ein Zug durch Wennemen. Der dortige Bahnhof bildete den Endpunkt der Nebenstrecken<br />
von Finnentrop und Altenhundem ausgehend und damit auch den der Querverbindungen von der Ruhr-Sieg-Strecke<br />
zur Oberen Ruhrtalbahn. Der Personenverkehr wurde 1966, der Güterverkehr 1996 eingestellt. ■<br />
Grillsaison<br />
Ran an die Grillzange!<br />
Rauf auf den Rost!<br />
Ausgerechnet beim Grillen an der<br />
Qualität sparen, wo man Frische<br />
doch so gut herausschmecken<br />
kann? Nicht bei uns! In unserer<br />
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süßlich-rauchiger Note<br />
• Honey BBQ- oder<br />
Pfeffer-Nackensteaks<br />
• Spicy Lemon-Hähnchenbrust<br />
• Putensteaks »Las Vegas«<br />
• Bärlauch- und Geflügelwürstchen<br />
oder feurig-käsige »Brandstifter«<br />
• den Madfelder „Grobian“<br />
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Schön sind nun die Abendstunden...<br />
<strong>Sommer</strong>zeit<br />
Robert Dröge<br />
Ein jeder liebt wohl ohne Frage<br />
warme helle <strong>Sommer</strong>tage.<br />
Dicke Pullover, Mantel, Anorak<br />
sind wohlverwahrt und weggepackt.<br />
Luftig ist die Kleidung jetzt,<br />
der Fuchs trägt <strong>Sommer</strong>pelz zuletzt.<br />
Vögel zwitschern, jubilieren,<br />
keiner muss mehr draußen frieren.<br />
Freibäder laden zum Schwimmen ein.<br />
Corona muss ja bald mal am Ende sein.<br />
Schön sind nun die Abendstunden,<br />
allein und in geselligen Runden,<br />
am Gartenteich, am Grill mit feuriger Glut,<br />
Ruhe und Stille, sie bedeuten uns viel, sie tun uns gut.<br />
Wir genießen die Stunden beim Bier, beim Wein,<br />
wünschen, es könnte immer so sein.<br />
Doch die Zeit, sie bleibt leider nicht stehen<br />
Herbst und Winter sind bald schon zu sehen.<br />
Aber seien wir fröhlich, seien wir Optimist,<br />
für den heute heute und nicht schon morgen ist.<br />
110 - <strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021
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Partner für die <strong>WOLL</strong> Abos. Hier arbeiten rund 400 Menschen, die sich in ihren<br />
Wünschen und Fähigkeiten weiterentwickeln können.<br />
Im Josefsheim fi ndet sowohl die Abo-Verwaltung, Abrechnung wie auch der<br />
Versand der <strong>Magazin</strong>e statt. Wir von axo.media fi nanzieren das <strong>WOLL</strong> <strong>Magazin</strong><br />
über unsere Werbepartner. Der Preis für das Abo geht daher zu 100 %<br />
an das Josefsheim. Schließlich möchten auch wir ein kleines Stück für eine<br />
inkludierte Gesellschaft beitragen.<br />
Online bestellen: http://www.axo.media/abo-shop<br />
Telefonisch bestellen: 02904/711 80-00<br />
<strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021 - 111
Sophie Kroll-Fiedler<br />
Monika Loerchner<br />
S. Droste<br />
Das<br />
Schicksal der<br />
Geschwisterkälber<br />
Von Kälbern und Kühen auf einem Belecker Hof<br />
N<br />
ormalerweise werden die männlichen Kälber<br />
eines Milchviehbetriebes mit zwei Wochen verkauft<br />
und mit 22 Wochen geschlachtet. Wie sie<br />
während der 20 Wochen in einem Kälbermastbetrieb leben,<br />
ist oft leider ungewiss. Um das zu ändern, hat Sophie<br />
Kroll-Fiedler auf ihrem Bioland-Milchviehbetrieb das<br />
Projekt „Geschwisterkälber“ ins Leben gerufen.<br />
Pferde, zahlreiche Katzen und Border-Collie-Hündin Levi leben<br />
mit Familie Kroll-Fiedler auf dem zehn Hektar großen<br />
Biolandhof am Südhang des Haarstrangs. Herzstück des Betriebes<br />
in <strong>Warstein</strong>-Belecke aber sind die Milchkühe. „Wenn<br />
das Wetter mitspielt, sind sie am liebsten draußen“, erzählt<br />
Sophie Kroll-Fiedler. Abends können wir vom Wohnzimmerfenster<br />
aus sehen, wie die Kälber noch mal rausgehen und<br />
toben.“<br />
Ohne Kälbchen keine Milch<br />
„Alle Menschen, die Fleisch essen, auch die, die sich vegetarisch<br />
ernähren, sollten über Tierwohl nachdenken“, sagt die<br />
28-Jährige. „Für jedes Milchprodukt, jede Scheibe Käse, muss<br />
es auch immer ein Kälbchen gegeben haben.“ Die weiblichen<br />
Kälber in der Milchviehhaltung werden großgezogen und<br />
nach gut zwei Jahren in die Milchviehherde integriert. Für die<br />
männlichen Kälber sieht die Sache ganz anders aus.<br />
„Bullenkälber unserer einseitigen Milchviehrassen verkommen<br />
immer mehr zum Abfallprodukt“, erzählt Sophie Kroll-<br />
Fiedler traurig. Um die Bullenkälber groß zu ziehen, geht den<br />
Bauern die Milch verloren, die die Tiere trinken und es fehlt<br />
an Platz, sie aufzuziehen. Daher werden sie meist im Alter von<br />
zwei Wochen für einen Preis von nur 0 bis 80 € an eine spe-<br />
112 - <strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021
BIO-KALBFLEISCH<br />
NUDELN, MEHL, HAFERFLOCKEN<br />
UND KROLLIS HANFÖL<br />
Ab-Hof-Verkauf<br />
Wir vermarkten unsere regionalen Bioland-Produkte<br />
fair und direkt, bei unserem Ab-Hof-Verkauf.<br />
Zum Beispiel am 19.06. von 10:00 bis 18:00 Uhr.<br />
Weitere Termine werden auf unserer Website<br />
bekannt gegeben.<br />
Wir bieten folgende Produkte an:<br />
Bestes Kalbfleisch (auch toll<br />
für den Grill) von Kälbern aus<br />
unserem Aufzuchtprojekt<br />
„Geschwisterkälber“.<br />
Dazu Hanföl, Dinkelmehl, Dinkelnudeln<br />
und Haferflocken in Bioland-Qualität aus<br />
eigenem Anbau.<br />
Biolandhof Kroll-Fiedler<br />
Haarweg 42 | <strong>Warstein</strong>-Belecke<br />
02902 76706<br />
/ 0151 17238348<br />
Bitte<br />
telefonisch vorbestellen.<br />
Lieferservice auf<br />
Anfrage im Umkreis<br />
von 30 km.<br />
<strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021 - 113<br />
www.biolandhof-kroll-fiedler.de
zialisierte Kälbermast verkauft. Dort treffen die Tiere zahlreiche<br />
Artgenossen und somit auch auf Krankheitserreger, die oft<br />
nur durch prophylaktische Antibiotikagaben im Griff gehalten<br />
werden können. „Diese Form der Kälberhaltung mit dem<br />
begrenzten Platzangebot und der Fütterung mit Milchersatzprodukten<br />
konnte ich für unsere Kälber nicht mehr ertragen“,<br />
erzählt Sophie Kroll-Fiedler. „Ich habe meine Eltern davon<br />
überzeugt, dass wir auch die männlichen Kälber aufziehen.“<br />
Das war Anfang 2020. Mittlerweile hat sich das Projekt „Geschwisterkälber“<br />
auf dem Hof fest etabliert; die männlichen<br />
Kälber leben auf dem Biohof nun länger als in der Kälbermast.<br />
Nach sieben Monaten werden sie geschlachtet. Bis dahin<br />
haben sie schon ordentlich an Gewicht und Größe zugelegt.<br />
Dem Nutzvieh mit<br />
Wertschätzung begegnen<br />
„Es ist immer schwierig, den Leuten zu erklären, dass das keine<br />
kleinen Kälbchen sind, die wir schlachten, sondern schon<br />
richtig große Tiere“, erzählt die Landwirtin. „Wenn die Leute<br />
ihre Bestellung abholen, führen wir sie auch gern hier herum.<br />
Jeder ist herzlich eingeladen, sich unseren Hof und die Tiere<br />
anzusehen.“<br />
Dennoch bleiben die Rinder Nutzvieh, ihr Schicksal ist vorherbestimmt.<br />
Eine Tatsache, mit der die Hofnachfolgerin<br />
noch immer zu kämpfen hat. „Am Anfang habe ich die Kälber<br />
noch gezähmt. Das ging aber nicht mehr, das ging mir<br />
dann zu nahe.“ Wenn es für die Tiere heißt, zum Schlachter<br />
gebracht zu werden, tröstet sich die Landwirtin mit dem Gedanken,<br />
alles für das Tierwohl getan, sie freundlich und mit<br />
Achtung behandelt zu haben. „Die Konsequenz der Veganer,<br />
ganz auf die Tierhaltung zu verzichten, bedeutet auch den<br />
Verzicht auf artgerechte Tierhaltung und auf den so wichtigen<br />
Nährstoffkreislauf für den Biopflanzenbau. Wenn wir die<br />
Tiere nicht irgendwann essen, gibt es sie auch nicht mehr; das<br />
wäre zu schade.“<br />
„Mit Hilfe von Freunden bieten wir hier eine schöne Möglichkeit,<br />
auch beim Fleischessen aufs Tierwohl zu achten.“ Ein<br />
Angebot, das bei den Verbrauchern gut ankommt. Dennoch<br />
ist die Aufzucht der männlichen Kälber kein lukratives Unterfangen.<br />
Sophie Kroll-Fiedler und ihre Familie nehmen dieses<br />
Risiko jedoch gern in Kauf. „Wir wünschen uns, dass die Verbraucher<br />
uns weiterhin so gut unterstützen“, so die Landwirtin.<br />
„Es ist viel Arbeit, die sich lohnt.“ ■<br />
„Für jedes Milch produkt, jede Scheibe<br />
Käse, muss es auch immer ein<br />
Kälbchen gegeben haben.“<br />
- Sophie Kroll-Fiedler<br />
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114 - <strong>WOLL</strong> <strong>Sommer</strong> 2021
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