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STADTBLATT Juni 2021

Das STADTBLATT ist die führende und verkaufsstärkste Stadtillustrierte für Osnabrück und Umgebung. Sie ist seit über 30 Jahren am Markt als das monatliche Programmheft für aufgeschlossene Städter. www.stadtblatt-osnabrueck.de

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kunst<br />

Hohe Hürden<br />

Die Mettinger „Draiflessen Collection“ zeigt in „Made Realities“ Fotografien von<br />

Thomas Demand, Philip-Lorca diCorcia, Andreas Gursky und Jeff Wall. Schade nur,<br />

dass der Katalog so verschwurbelt ist.<br />

es ist das Zauberwort unserer<br />

Zeit, in vielen Kulturinstitutionen:<br />

Closed but open.<br />

Auch im Draiflessen ist das so. Wer<br />

die Website ansteuert, sieht diese Verheißung<br />

vor sich, natürlich in hippem<br />

Englisch. „Made Realities“ ist also closed,<br />

klar. Aber zugleich open: Ein Rahmenprogramm<br />

aus Kurzvideo-Führungen<br />

bietet sich an.<br />

Gehen wir also zuhause ins Museum.<br />

Eine Begegnung mit den Fotos<br />

von Thomas Demand, Philip-Lorca di-<br />

Corcia, Andreas Gursky und Jeff Wall<br />

belohnt uns fürs Anklicken – durch<br />

vier „Sichtweisen auf die Wirklichkeit“.<br />

Obwohl: „Fotos“ greift eigentlich zu<br />

kurz. Zumindest bei Demand, der uns<br />

oft ziemlich monumental entge -<br />

gentritt. Erst erschafft er ein Abbild<br />

der Realität aus Papier, lebensgroß.<br />

Dann fotografiert er es. Er ist also eher<br />

ein Modellbauer als ein Fotograf. Auch<br />

Szenen der Zeitgeschichte entstehen<br />

so neu, seltsam clean. „Büro“ etwa,<br />

gebaut nach einem Pressefoto, das<br />

Anfang 1990 entstand, am Tag nach<br />

der Erstürmung und Verwüstung der<br />

Stasi-Zentrale in Ostberlin.<br />

Auch Jeff Wall liebt es monumental.<br />

Seine zutiefst irritierende Szene<br />

„Listener“ hat beklemmende Wucht:<br />

Fünf Typen umringen einen Wehrlosen,<br />

der halbnackt zwischen ihnen<br />

kniet. Gewalt strahlen sie aus, Dominanz.<br />

Einer von ihnen schaut den Betrachter<br />

an, als wolle er sagen: Na,<br />

und was willst Du jetzt tun?<br />

Monumental wird es auch bei Andreas<br />

Gursky. Nicht zuletzt in „Nha<br />

Trang“, einem bewusst distanzierten<br />

Blick auf eine Fabrikhalle, bei der die<br />

Arbeiterinnen, die der Betrachter von<br />

hoch oben sieht, wie entpersönlicht<br />

wirken. Sie sitzen, flechten Körbe und<br />

Stühle – und wirken, in ihrer Ameisenhaftigkeit,<br />

wie eine Aufforderung<br />

zum Protest.<br />

Und dann ist da noch Philip-Lorca<br />

diCorcia mit den 76 Fotografien von<br />

„A Storybook Life“, kleinen Alltagsszenen<br />

aus Städten von Paris bis Teheran,<br />

die nur auf den ersten Blick alltäglich<br />

sind, zufällig zusammengestellt<br />

erscheinen. Sie weigern sich, eine<br />

Serie zu sein: Wer genau hinsieht,<br />

bemerkt zwar, dass manche der Protagonisten<br />

mehrfach zu sehen sind,<br />

aber die Genres, von der Landschaft<br />

bis zum Stilleben, sind höchst divers.<br />

Besonders berührend ist die teils hohe<br />

Intimität des Gezeigten.<br />

Solange man sich nur die Fotos ansieht,<br />

ist alles gut. Das ist herausfordernd,<br />

blickschärfend, produktiv verstörend.<br />

Aber wer sich auf die Katalogtexte<br />

einlässt, winkt schnell ab. „In<br />

der Literatur ist die Sprache selbst<br />

zum einen ästhetisch und semantisch<br />

Gegenstand der Wirklichkeit“, versteigt<br />

sich Julia Franck in ihrem Aufsatz<br />

„Universelle Wirklichkeit“. „Zum<br />

anderen sind jene durch sie induzierten<br />

Gedanken und Assoziationen, Bilder<br />

und Szenen, in der Wahrnehmung<br />

und kreativen Interaktion des Lesenden<br />

mit dem Gelesenen an der Wirklichkeitsbildung<br />

eines Textes beteiligt.“<br />

Und so geht es weiter. Text um Text<br />

hochintellektuelles Gewaber und Geschwurbel,<br />

das sich darin gefällt, Begriffe<br />

wie „hermeneutisch“ zu droppen,<br />

wie „Immersion“ und „Dichotomie“.<br />

Wer das verstehen will, muss<br />

Jandl und Wittgenstein kennen, die<br />

Präraffaeliten und die sumerische Kultur<br />

des 23. Jahrhunderts vor Christus.<br />

Furchtbar. Die Texte eröffnen, angeblich,<br />

in Wechselwirkung mit den Fotos<br />

„überraschende Bezüge“, was immer<br />

das heißt. Aber das Wortgeklingel ist<br />

wenig hilfreich.<br />

Eine Ausstellung also, die hohe Hürden<br />

aufbaut. Hemmschwellen, wie es<br />

sie bei keiner der 1.400 C&A-Filialen<br />

gibt, die den größten Teil des Milliardenreichtums<br />

der Brenninkmeijer-Dynastie<br />

ausmachen, die sich mit dem<br />

„Draiflessen“ in Mettingen seit 2009<br />

selbst ein Denkmal setzt.<br />

Eine Schau, die Sinn für Bizarrerie<br />

und Skurrilität erfordert, die Doppelbödigkeiten<br />

bietet. Eine Schau, die<br />

uns lehrt: Sichtweisen auf die Wirklichkeit<br />

haben wir alle, jeder von uns.<br />

Wortgewaber braucht es dazu nicht.<br />

HARFF-PETER SCHÖNHERR<br />

P bis 25.7.<strong>2021</strong>, Mettingen<br />

www.draiflessen.com<br />

Ziemlich monumental und seltsam clean: „Terrasse“ von Thomas Demand, 1998<br />

© THOMAS DEMAND, VG BILD-KUNST, BONN <strong>2021</strong><br />

kunst und<br />

ausstellungen<br />

Das Gebot der Stunde lautet: sichtbar bleiben! Ausstellungsmacher*innen<br />

und Galerist*innen wollen trotz Corona-Pandemie<br />

Kunst zeigen. Vor Ort (mit Voranmeldung<br />

und unter Einhaltung der bekannten AHA-<br />

Regeln!), im Netz oder im Schaufenster. Eine Übersicht.<br />

Osnabrück<br />

BBK-Kunstquartier. #Tanzband, Arbeiten<br />

von Sybille Hertel, bis 26.6.<strong>2021</strong><br />

Erich Maria Remarque-Friedenszentrum.<br />

„Weltweit worldwide Remarque/WWR“ (online);<br />

bis 22.7.<strong>2021</strong><br />

Innenstadt Osnabrück/Arkaden an der<br />

Dielinger Straße. „Druck machen für die<br />

gesellschaftliche Entwicklung“ Druckwerke<br />

von Manfred Blieffert<br />

ONE ZERO ZERO<br />

Rudolf Englert zum 100. Geburtstag<br />

Museumsquartier Osnabrück (MQ4)<br />

Kunsthalle Osnabrück. Sabrina Röthlisberger,<br />

„Sabbatum Fever“, 26.6.-3.10.<strong>2021</strong><br />

Kunstraum hase29. „Eh, What's up Doc?“<br />

Performance und Filmprojekt von Daniel<br />

Hopp, bis 23.7.<strong>2021</strong>; 10 m³ KunstDialoge –<br />

hase29, bis 21.7.<strong>2021</strong><br />

Museum am Schölerberg für Natur und<br />

Umwelt. „Mission 2030 – Globale Ziele erleben“;<br />

verlängert bis Sommer <strong>2021</strong><br />

Museum Industriekultur. „Über Wasser“,<br />

bis 31.10.<strong>2021</strong><br />

Museumsquartier Osnabrück (MQ4).<br />

ONE ZERO ZERO – Rudolf Englert zum<br />

100. Geburtstag, 11.6.-5.9.<strong>2021</strong>; „Taubes<br />

Geäst“ – Arbeiten von Johanna Diehl, bis<br />

Dezember <strong>2021</strong>; „Connecting Arts“ und<br />

andere Formate im „Viralen Museum“<br />

(Homepage)<br />

Piesberger Gesellschaftshaus. Fotoausstellung<br />

„Freiräume“, bis Ende <strong>2021</strong><br />

Skulptur-Galerie. Sigrun Jakubascke „ad<br />

absurdum“, bis 27.6.<strong>2021</strong><br />

Umland<br />

BRAMSCHE<br />

Varusschlacht im Osnabrücker Land.<br />

„Spot an! Szenen einer römischen Stadt“,<br />

bis 14.11.<strong>2021</strong><br />

GM-HÜTTE<br />

Villa Stahmer. Katrin Lazaruk „caд Garten<br />

– Die Sehnsucht nach Einfachheit in der<br />

komplexen Welt“, bis 13.6.<strong>2021</strong><br />

HASBERGEN-OHRBECK<br />

Gedenkstätte Augustaschacht. „Polizei -<br />

arbeit und Zwangsarbeit“; Dauerausstellung<br />

METTINGEN<br />

Draiflessen. „Made Realities“, bis 25.7.<strong>2021</strong><br />

FOTO: LUDGER AUNDRUP FOTOGRAFIE<br />

©NACHLASS RUDOLF ENGLERT<br />

<strong>STADTBLATT</strong> 6.<strong>2021</strong> 23

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