hinnerk August / September 2021
- Keine Tags gefunden...
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
18 KULTUR<br />
INTERVIEW<br />
FOTO: CHRISTINA KOERTE<br />
CORNY LITTMANN:<br />
„Es ist möglich, das Leben stillzulegen.“<br />
Am 1.9. jährt sich die Eröffnung des<br />
Schmidts Tivoli das 30. Mal. Und<br />
Dank Impfungen, Abstandsregeln und<br />
Hygienekonzepten sieht es so aus, als<br />
könne das mit der Wiederaufnahme der<br />
Erfolgsproduktion „Heiße Ecke“ mit dem<br />
Publikum gefeiert werden.<br />
Schon warmgelaufen hat sich Gründer und<br />
Ikone des Theaters Corny Littmann, denn<br />
er steht seit Juli und noch bis Oktober<br />
in „Die Schmidtparade“ auf der Bühne.<br />
<strong>hinnerk</strong> zoomte mit einem erleichtert und<br />
fröhlich wirkenden Corny über 30 Jahre<br />
Tivoli und etwas ernster die Folgend er<br />
Pandemie und die Zukunft der queeren<br />
Emanzipationsbewegung.<br />
Wie habt ihr die Zwangspause erlebt<br />
und überlebt?<br />
Also über die ganze Zeit betrachtet, war es<br />
ein Horror. Nicht nur für uns, sondern für alle<br />
Künstlerinnen und Künstler. Wem die Bühne<br />
verwehrt ist, der hat nichts anderes. Der hat<br />
kein Homeoffice. Streaming ist überhaupt<br />
kein Ersatz für Bühne und Publikum. Wir sind<br />
also ausgehungert gewesen, überhaupt mal<br />
wieder auftreten zu dürfen. Vor Menschen<br />
auftreten zu dürfen.<br />
Es gab bei uns im Theater drei Phasen.<br />
Die erste Phase war „na ja, das wird schon<br />
wieder schnell vorbeigehen“. Das war so<br />
März, April, Mai, als es losging mit dem ersten<br />
Lockdown. Dann haben wir tatsächlich als<br />
erstes deutsches Theater am 2. Juli das<br />
Tivoli wieder eröffnet und auch bis in den<br />
Herbst hinein gespielt, im <strong>September</strong> auch<br />
das Schmidt Theater geöffnet und dann<br />
kam im Oktober der erneute Lockdown.<br />
In der ersten Zeit der Pandemie haben wir<br />
wochenweise die Spielpläne nach hinten<br />
verschoben. Wir haben gesagt, wenn das<br />
jetzt nicht im April stattfinden kann, dann<br />
findet es im Mai statt. Mit fortschreitender<br />
Dauer haben wir es aufgegeben, konkrete<br />
Pläne zu machen. Wir haben eigentlich nur<br />
noch einen Rahmen definiert, ohne große<br />
organisatorische Anstrengung.<br />
Obwohl mich natürlich die Theater persönlich<br />
betreffen, ist das eigentlich Absurdeste<br />
für mich das, was sich außerhalb des<br />
Theaters abgespielt hat. Jeden Freitag- und<br />
Samstagabend – und ich wohne ja hier im<br />
Viertel – die Reeperbahn menschenleer zu<br />
sehen. Du gehst um 23 Uhr an Wochenendabenden<br />
über die Reeperbahn und begegnest<br />
keinem Menschen. Zu einem Zeitpunkt,<br />
wenn normalerweise Tausende flanieren.<br />
Das waren fast schockierende Erlebnisse:<br />
Es ist möglich, das Leben stillzulegen. Das<br />
hat mich fast noch mehr berührt, als die<br />
geschlossenen Theater, wenn auch beides<br />
eng miteinander zusammenhängt. Am<br />
Anfang hatte man ja den Begriff Lockdown<br />
noch so ein bisschen belächelt und hat sich<br />
gesagt, „Ja gut. Ein paar Tage halt mal drin<br />
bleiben, ist auch okay.“ Aber das ...<br />
Glaubst Du, Minderheiten hatten es<br />
schwerer?<br />
Die Community, also die Szene war ja mit<br />
einem Schlag nicht mehr vorhanden. Das ist<br />
FOTO: IGO BOELTER