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Österreichische Post AG; PZ 18Z041372 P; Biber Verlagsgesellschaft mbH, Museumsplatz 1, E 1.4, 1070 Wien
www.dasbiber.at
MIT SCHARF
SEPTEMBER
2021
+
„SERBEN
STERBEN
LANGSAM“
+
MEINE ERSTE
WOHNUNG
+
WERDET
JÜNGER
SCHWANGER!
+
TALIBAN,
DAS GERINGERE ÜBEL?
WARUM AUSTRO-AFGHANEN DIE GOTTESKRIEGER UNTERSTÜTZEN
Bezahlte Anzeige
3
minuten
mit
Malarina
Die Austro-Serbin und Neo-Kabarettistin
Marina Laković geht nach
gezwungener Coronapause mit
ihrem Solo-Stück „Serben sterben
langsam“ auf die Bühne. Warum
Politkabarett wie Milch ist, und wie
wichtig Selbstreflexion innerhalb
von migrantischen Communitys ist.
Von Jelena Čolić, Foto: Vanja Pandurevic
Foto: Getty Images
Wohnbeihilfe:
Jetzt beantragen!
Mit der Wohnbeihilfe unterstützt die Stadt Wien Personen mit
geringem Einkommen bei der Finanzierung ihrer Wohnkosten.
Für immer mehr Menschen wird es aufgrund steigender Mieten schwieriger, sich Wohnen leisten zu
können. In diesen Fällen hilft die Wohnbeihilfe der Stadt Wien. Diese wird sowohl für gefördert errichtete
bzw. sanierte Wohnungen als auch für nicht geförderte (private) Mietwohnungen ausbezahlt. Auch
für Wohngemeinschaften und geförderte Eigentumswohnungen – unter bestimmten Voraussetzungen
– gibt es Wohnbeihilfe. Die Höhe der Wohnbeihilfe ist generell abhängig von der Haushaltsgröße, dem
Haushaltseinkommen und den Wohnkosten. Mit dem Online-Wohnbeihilfe-Checker lässt sich rasch
und unkompliziert klären, ob Sie die Voraussetzungen erfüllen. Ein Antrag auf Wohnbeihilfe kann auch
einfach und schnell online gestellt werden.
BIBER: Was ist das Geheimnis hinter
dem Namen Malarina?
MALARINA: Ich wollte, dass es nur ein
Wort ist. Was gut genug für Cher ist, ist
auch gut genug für mich. Es ist die erste
Silbe meines Nachnamens zusammengefügt
mit meinem Vornamen. So
mysteriös ist es doch nicht. (lacht)
Dein neues Solo heißt „Serben sterben
langsam“. Woher nimmst du die Inspiration
dafür?
Ich fange im 1. Weltkrieg an, bis hin
zum 2. Weltkrieg und der Tito-Ära.
Es ist relativ chronologisch und dann
kommen die Gastarbeiter dran. Es ist
wie eine Geschichtsstunde - was eben
bei den Schwabos und was bei uns
passiert ist. In der zweiten Hälfte des
Stücks geht’s viel um die Tatsache,
dass Serben rechts gewählt haben,
Stichwort Haider und HC. Ich bin in
meinem Stück eine rechtsradikale Frau,
die sehr traurig ist, dass Strache weg
ist. Dafür habe ich mich von der ikonischen
serbischen Dame am Brunnenmarkt
aus Spiras „Alltagsgeschichten“,
die gegen Ausländer schimpft, inspirieren
lassen – was würde sie tun?
Du hast es geschafft, dass der Falter
in einer Kritik über dein Stück „pička“
erwähnt. Versteht das das autochthone
Publikum? Wen möchtest du mit deinen
Stücken eigentlich abholen?
Ich nenne meine Künstlerfigur und
Haider „pička“. Jene Leute, die nicht
B/K/S (Bosnisch/Kroatisch/Serbisch)
sprechen, schließen die Bedeutung
dann schon aus dem Kontext. Generell
aber ist es mir wichtig, ein Stück zu
spielen, dass auch Leute außerhalb der
Ex-YU-Community verstehen. In der
zweiten Hälfte des Stückes spreche
ich über aktuelles politisches Zeitgeschehen
und aktualisiere es vor den
Auftritten immer, damit es frisch bleibt.
Politisches Kabarett ist wie Milch, das
kann über Nacht schlecht werden.
Dein Stück handelt von dem geschichtlichen
Tango zwischen Serbien und
Österreich. Beide kriegen ihr Fett weg.
Warum ist das so wichtig?
Ich finde nicht, dass jeder der Migrationshintergrund
hat eine Ethno-Comedy
schreiben muss, die ein Safe-Space für
die eigene Community ist.
Kabarett ist in Österreich sehr männerdominiert.
Als Frau, Mitglied der
LGBTQ+-Community und Migrantin
mischt du die sehr homogene Gruppe
auf. Wie waren deine ersten Schritte in
der Branche?
Ich wollte ja ursprünglich nie ins Kabarett.
Ich dachte, ich werde bestimmt
einen wichtigen Roman schreiben
und die Leute werden mir eines Tages
Kugelschreiber auf mein Grab legen.
Was man halt so denkt mit Anfang
20. Ansonsten hatte ich schon sehr
Glück. Man steht sich eher selbst mit
dem Hochstapler-Syndrom im Weg,
vor allem Frauen. Männer haben ganz
selten schlechten Selbstwert, warum
auch (lacht)?
Wer ist sie?
Alter: 31
Geburtsort: Petrovac (schaut laut
Marina bisschen aus wie in „Chroniken
von Narnia“)
Besonderes: Spricht Deutsch, Englisch,
B/K/S, Rumänisch und Italienisch
Malarina ist am 28. September live im Kabarett Niedermair zu sehen!
Weitere Informationen: wien.gv.at/wohnbeihilfe
/ 3 MINUTEN / 3
PR_08_MA50_Wohnbeihilfe_207x270.indd 1 03.09.21 08:49
3 3 MINUTEN MIT
MALARINA
Die austro-serbische Kabarettistin im
Schnellinterview.
8 HÖRT,HÖRT!
Der biber Empowerment Podcast und warum
ihr ihn unbedingt hören müsst.
10 IVANAS WELT
Sej maj nejm. Kolumnistin Ivana gibt
Österreichern Nachhilfe im Jugo-Namen
aussprechen.
POLITIKA
12 TALIBAN, DAS BESTE FÜR
AFGHANISTAN?
Austro-Afghanen darüber, warum sie die
Taliban als „geringeres Übel sehen“.
18 2 IMPFVERWEIGERER,
30 STUNDEN DAUERDIENST.
Der österreichische „Ärzte ohne Grenzen“
Präsident Leo Ho im Interview in Zahlen.
20 MÄNNER MÜSSEN
DRAUSSEN BLEIBEN.
Ein Kommentar zu feministischen
Badeveranstaltungen - von einem Mann.
22 KAZIM YILMAZ
Droht Austrotürken neues Ungemach?
24 SCHÄMEN SIE SICH?
Delna Antia-Tatić über Macht ohne
Menschlichkeit.
RAMBAZAMBA
26 WOHN-GUIDE
Tipps&Tricks rund um deine erste
eigene Wohnung!
32 OLYMPIA WAR NUR
DER ANFANG
Olympia-Bronze-Medaillenträger Shamil
Borchasvili über Training, Tschetschenien und
Khabib.
18
12
FRIEDEN,
EGAL WIE
Taliban-Affine
Austro-Afghanen
argumentieren:
Alles ist besser als
Krieg und Chaos
HERR HO, WIE VIELE IMPFLEUGNER
KENNEN SIE?
Der österreichische Ärzte Ohne Grenzen
Chef Leo Ho in Zahlen.
IN HALT SEPTEMBER
2021
32
BRONZE FÜR ÖSTERREICH
Austro-Tschetschene und Olympia-
Medaillen träger Shamil Borchasvili
im Interview.
26
WO IST MEIN
STROMZÄHLER?
Der große Wohn-Guide
rund um die erste
eigene Wohnung.
© Zoe Opratko, Aliaa Abou Khaddour, Cover: © Aliaa Abou Khaddour
LIFE&STYLE
34 DIE ROBOTER WERDEN
UNS ÜBERROLLEN
Über Robo-Staubsauger, Rapper-Tee
und Emos.
36 SIE WOLLEN NICHT HÖREN!
Chefredakteurin Delna Antia-Tatić appelliert
an junge Frauen: Vertröstet das Kinderkriegen
nicht auf später.
TECHNIK
40 KÜHE, DIE LÖSUNG FÜR DAS
PLASTIK-PROBLEM?
Kolumnist Adam Bezeczky über präsentiert das
Neueste aus der Welt der Technik.
KARRIERE
42 UNI OHNE CORONA?
Anna Jandrisevits wünscht allen StudentInnen
ein coronafreies Semester.
46 ISLAMIC FINANCE
Wie legt man Geld halal an? Das erklärt FinTech
INAIA-Gründer Emre Akyel
50 ERZÄHL MIR DEINE
GESCHICHTE
Das Leben junger Asylwerber in Wien.
KULTUR
54 WEDER MOSKAU,
NOCH BOSKAU!
Kultura-News von Nada El-Azar –
und ihrem Vater.
58 „ICH MAG DIE GRAUZONEN
AM BALKAN“
Künstler Rade Petrasević über sein
Malereistudium mit Rich Kids und Arbeit
am Bau
62 „WAS HABEN DIE EUROPÄER
MIT DIR GEMACHT?“
Unser syrischer Kolumnist Jad Turjman über
seine neue Vorliebe: Das Wandern.
IMPRESSUM
Liebe Leserinnen und Leser,
MEDIENINHABER:
Biber Verlagsgesellschaft mbH, Quartier 21, Museumsplatz 1, E-1.4,
1070 Wien
HERAUSGEBER
Simon Kravagna
„Ich mag die Taliban. Sie sind besser als die alte Regierung.“ Hat er das wirklich
gesagt, fragt sich der Autor unserer Cover-Geschichte. Nazari Mohibullah hat
sich unter seinen afghanischen Landsleuten in Wien umgehört und gefragt:
CHEFREDAKTEURIN:
Delna Antia-Tatić
STV. CHEFREDAKTEUR:
Amar Rajković
CHEFiN VOM DIENST:
Aleksandra Tulej
Fotos: shutterstock
Wie kann es sein, dass jene „Barbaren“, vor denen er geflohen ist, in Wien
als Zukunft Afghanistans angesehen werden – und zwar von integrierten
Afghanen? Werden die Gotteskrieger etwa salonfähig? Nazari begibt sich
auf die Spuren der Talibananhänger in Wien und versucht ihre Gründe zu
verstehen. Seite 12
CHEFREPORTERIN:
Aleksandra Tulej
FOTOCHEFIN:
Zoe Opratko
ART DIRECTOR: Dieter Auracher
KOLUMNIST/IN:
Ivana Cucujkić-Panić, Jad Turjman
Afghanistan ist aber nicht nur durch die Machtübernahme der Taliban
bedroht, auch die zunehmende Hungersnot und Versorgungsengpässe lassen
schlimme Entwicklungen erahnen. Ratet mal, wie viel ein „Arzt ohne Grenzen“
unter Einsatz seines Lebens für seinen Job dort verdient? Im Interview in
Zahlen mit Leo Ho, Präsident von Ärzte ohne Grenzen Österreich, erfahrt
LEKTORAT: Florian Haderer
REDAKTION & FOTOGRAFIE:
Adam Bezeczky, Nada El-Azar, Nazari Mohibullah, Gracia
Ndona, Anna Jandrisevits
VERLAGSLEITUNG
Aida Durić
REDAKTIONSHUND:
Casper
„
Ich bin dann mal weg und sage
Ciao mit Bauch. Ich werde
Euch biber-Leser:innen und
die schärfste Redaktion des
Landes vermissen. Daher habe
ich ganz Mama-mäßig vorgesorgt.
In meinem neuen Podcast
lasse ich auch während
meiner Karenz von mir hören:
„Du bestimmst. Punkt.“ heißt
dieses Baby. Ich freu mich,
wenn ihr reinhört. Seite 8.
Delna Antia-Tatić “
Chefredakteurin
ihr es: 1485€ brutto. Außerdem reicht der Spaltenplatz kaum aus, um die
schreckliche Anzahl der Kinder hinzuschreiben, die täglich an Hunger sterben:
8500. Mehr „Unsummen“ auf Seite 18.
Im Vergleich dazu erscheinen Probleme hierzulande als belanglose
Luxusprobleme – etwa die der jungen Menschen in ihrer ersten eigenen
Wohnung. Wir widmen uns trotzdem den Herausforderungen und Gefahren,
die ihnen im ersten Eigenheim begegnen können, samt Service-Teil und
Erfahrungsgeschichten. Wusstet ihr etwa, dass das benützte Geschirr auf der
Spüle nicht von selbst verschwindet – sondern für immer dort steht, wenn
Mama nicht da ist und es wegräumt? Mehr davon im großen biber Wohn-
Guide. You can do it! Ab Seite 26.
Apropos Mama: Wie ihr seht, links im Bild, unsere Chefredakteurin wird
Mama. Und zwar zum zweiten Mal. Bevor sie Ende September in Mutterschutz
geht, hinterlässt sie in ihrer „Altersweisheit“ noch eine dringende Botschaft
an jüngere Frauen: Wenn ihr Kinder wollt, dann wartet nicht zu lang – sonst
ist es zu spät. Warum das nicht nur dramatisch klingt, sondern tatsächlich
dramatisch ist, berichtet sie eindringlich aus Sicht der Generation 35 Plus:
BUSINESS DEVELOPMENT:
Andreas Wiesmüller
GESCHÄFTSFÜHRUNG:
Wilfried Wiesinger
KONTAKT: biber Verlagsgesellschaft mbH Quartier 21,
Museumsplatz 1, E-1.4, 1070 Wien
Tel: +43/1/ 9577528 redaktion@dasbiber.at marketing@
dasbiber.at abo@dasbiber.at
WEBSITE: www.dasbiber.at
ÖAK GEPRÜFT laut Bericht über die Jahresprüfung im 2. HJ
2020:
Druckauflage 78.856 Stück
Verbreitete Auflage 73.741 Stück
Die Offenlegung gemäß §25 MedG ist unter www.dasbiber.at/
impressum abrufbar.
DRUCK: Mediaprint
Zeit für
Erfolgserlebnisse
Was Sie schon immer sagen wollten, lernen Sie
bei uns in rund 50 Sprachen. Für Beruf oder Urlaub
bieten wir Kurse in Französisch, Russisch, Spanisch,
Hindi und viele mehr!
Über Frust, In-Vitro und Sex nach Wochenplan. Seite 36.
Wir wünschen euch scharfe Lektüre!
Bussi,
eure Biber-Redaktion
Erklärung zu gendergerechter Sprache:
In welcher Form bei den Texten gegendert wird, entscheiden
die jeweiligen Autoren und Autorinnen selbst: Somit bleibt die
Authentizität der Texte erhalten - wie immer „mit scharf“.
© Zoe Opratko
#meinerfolgserlebnis
www.vhs.at
6 / MIT SCHARF /
Bildung
und Jugend
MIT SCHARF
DU
BESTIMMST.
PUNKT.
BIBER ZUM HÖREN:
„Liebe Ladys da draußen, Ihr bestimmt. Punkt!“ Der biber Empowerment Podcast
startet im September – zu hören auf Spotify, iTunes und überall, wo es Podcasts gibt.
© Vanja Pandurevic
beantwortet und ob Sex vor der Ehe für
sie ein Tabu ist, das erfahrt ihr, wenn ihr
einschaltet!
Delna lädt alle zwei Wochen Frauen
zu sich ins Studio. Meist junge Österreicherinnen
mit Migrationsbackground, die
für scheinbar Selbstverständliches hart
kämpfen mussten. Wie etwa auch Naz
Kücüktekin, die mit 19 Jahren aus der
türkischen Elternwohnung im Gemeindebau
auszog und statt finanzieller
Unterstützung von ihren Eltern emotionale
Drohungen erhielt: „Wenn du das
tust, bist du für uns gestorben.“ Naz tat
es und zog in ihre eigene Wohnung. Für
ihre Freiheit hat sie sich nicht erpressen
v.l.n.r.: Šemsa Salioski, Delna Antia-Tatić
und Naz Kücüktekin
lassen. Und siehe da – wer half beim
Umzug? Papa. – Solche Revolutionsgeschichten
wollen Delnas Gästinnen
bewusst teilen, weil sie wissen: Als Mädchen,
Teenagerin und junge Frau hätten
sie sich selbst danach gesehnt. Nach
Vorbildern und Stimmen, die ihnen Mut
machen. Dafür steht der biber Empowerment-Podcast
und dreht extra laut auf
– wenn es ab September heißt: „Liebe
Ladys da draußen, Ihr bestimmt. Punkt.
Ich freue mich auf Euch, Eure Delna.“
Also sofort einschalten, jetzt Channel
abonnieren und von nun an keine Folge
mehr verpassen! ●
Der biber Empowerment Podcast wird in
Kooperation mit dem Österreichischen
Integrationsfonds produziert. Er basiert auf
der erfolgreichen Print-Serie „Ich bestimme.
Punkt.“ und will besonders Mädchen und
junge Frauen in Österreich, die aus konservativen
Verhältnissen kommen, in ihrem
Selbstwert und ihrer Selbstbestimmung
fördern. Die redaktionelle Verantwortung
liegt bei biber. Die Produktion haben wir „Oh
WOW“ zu verdanken.
DU
BESTIMMST.
PUNKT.
DER PODCAST MIT DELNA ANTIA-TATIĆ
EINSCHALTEN UND OHREN AUF:
9. September 2021 / Start
Auf Spotify, iTunes und überall, wo es
Podcasts gibt.
Neue Folgen erscheinen alle zwei
Wochen donnerstags.
Tipp: Am besten gleich den Channel
abonnieren und so nie eine Folge
verpassen!
Mein Körper, mein Leben, meine
Entscheidung. Ich bin eine
Frau und ich bestimme über
mich selbst.“ Mit diesen Worten begrüßt
biber-Chefredakteurin Delna Antia-Tatic´
ihre Zuhörerinnen und Zuhörer beim
neusten biber-Format mit scharf: dem
biber Empowerment-Podcast. Hostin Delna
spricht ab September regelmäßig mit
ihren Gästinnen aus den migrantischen
Communitys über Selbstbestimmung.
Zum Beispiel darüber, selbst zu entscheiden,
ob man ein Tampon benützt, Sex
vor der Ehe hat, ob man bei den Eltern
auszieht oder nicht die Hausfrau-to-go
ist, nur weil man die Tochter daheim ist.
Die jungen Frauen verstehen sich selbst
als „role model“ in der Mission Empowerment.
Sie schildern ungewohnt intim, wie
sie ihre „Revolution“ gewagt haben – ob
gegen Papa, den Bruder, die eigene Mutter
oder gleich die ganze Gemeinschaft.
Und so unterschiedlich ihre Herkunft
und Geschichten auch sind, eines zieht
sich durch: Meist ist ihr Kampf keiner
gegen ihre Familie, gegen ihre Tradition
und Religion, nein, es ist andersherum:
Es ist ein Kampf für sich selbst. Für ihre
Freiheit als Frau.
„EINEN KATHOLISCHEN
ÖSTERREICHER DÜRFTE
ICH NIEMALS HEIRATEN!“
Die erste Folge startet gleich brisant! Im
Studio begrüßt Delna eine junge Wienerin
aus der konservativ-tschetschenischen
Community. Eine Besonderheit,
denn Milana plaudert nicht nur frei und
persönlich über ihre Angst als Teenagerin
vor ihrem strengen Vater, sondern
auch über ihre Erfahrungen mit jenen
sogenannten tschetschenischen „Sittenwächtern“.
Milana erzählt davon anonym,
ihre Stimme und ihren Namen haben wir
verändert. Heute genießt die junge Frau,
mit Mitte zwanzig, Freiheiten, die sie
anderen jungen Frauen aus ihrer Community
lieber nicht unter die Nase reibt.
Etwa, dass sie die Erlaubnis hat, fürs Studium
auszuziehen oder dass sie anziehen
darf, was sie möchte – sogar „Hosen“.
Doch für ihren größten Sieg musste sie
jahrelang kämpfen: Sie hat das Kopftuch
verwehrt, das ihr aufgezwungen worden
war. Einen katholischen Österreicher
dürfte sie trotz allem niemals heiraten.
Warum? Hört ihr selber zu!
„TAMPONS SIND NUR
ETWAS FÜR SCHLECHTE
FRAUEN“
In einer weiteren Folge ist biber-Journalistin
Nada El-Azar im Studio zu Gast und
spricht ganz persönlich über das „Tabu
Tampon“ in ihrer arabisch-palästinensischen
Familie. Nada erzählt, wie sie als
Teenagerin ihre Tampons versteckt hat
und sich nichts sehnlicher gewünscht
hatte, als mehr über das sagenumwobene
Jungfernhäutchen zu erfahren.
Das Konzept der „Jungfräulichkeit bis
zur Ehe“ steht für Nada als Sinnbild des
Patriarchats und allein deswegen werde
die Sexualität von Mädchen ständig
kontrolliert. Dabei braucht es dringend
Aufklärung: „Entjungfern“ kann weder
ein Tampon, ein Finger noch ein Penis.
Wie Nada für sich die Gretchenfrage
© Niko Havranek
,
GOT WHAT S HOT
J U K . A T
8 / MIT SCHARF /
/ MIT SCHARF / 9
In Ivanas WELT berichtet die biber-Redakteurin
Ivana Cucujkić über ihr daily life.
IVANAS WELT
Ivan Minić
NEMA PROBLEMA
FOTONOVELA
BEZAHLTE ANZEIGE
Im Hause Pravdović geht das Drama weiter: Mama Senada hat
Fieber und liegt flach, ihr Chef will ihr aufgrund der Krankheit
nicht ihre Überstunden sowie Zulagen auszahlen. Mama Senada
verzweifelt, aber Sohn Nenad weiß schon, was zu tun ist.
NEUES AUS DEM LEBEN
DER FAMILIE PRAVDOVIĆ
SEJ MAJ NEJM, SEJ MAJ NEJM!
Meinen Namen muss man nicht auf Anhieb fehlerfrei aussprechen können.
Oh Sine!
Ich kann das nicht
glauben. Seit Jahren
arbeite ich so hart, bin
immer loyal und dann
sowas…
Habe ich mit meiner
Flucht denn nicht genug
mitgemacht? Warum muss
sowas immer mir passieren,
lieber Gott …
Mama, ich hab
die AK eh schon
dran, die hat fix eine
Lösung für dich!
Aber der Versuch muss verdammt noch mal echt drin sein.
Es ist September 1994. Die kleine Ivana kommt
in die AHS. Das neue Rüschenkleid sitzt, die stolzen
Eltern warten aufgeregt im vollen Festsaal.
Der Schuldirektor teilt die Klassen ein: „In die 1 C
kommen: Phillip Gartner, Marlice Hüttinger, IvAAna
Tsuu..kuj..Ja, das ist jetzt etwas schwierig, Tsukujitsch,
Lisa Wallner,…“ Die kleine Ivana fühlte
sich nun winzig klein. Sie erhob sich vom goldenen
Samtstuhl aus der fünfzehnten Reihe und schlich
sich beschämt zu ihren neuen Klassenkameraden.
Mein Name wurde verstümmelt. Fünf Sekunden
lang. Alle Lisas und Phillips blickten nun auf mich.
Und ich auf den Boden. Es sollte ein denkwürdiger
Augenblick fürs Familienalbum sein. Der Schuldirektor
hat ihn versaut. Er konnte meinen Namen
nicht aussprechen.
IM PHONETISCHEN MÜLLEIMER
ENTSORGEN
Möglich, dass er noch nicht so viele ausländische
SchülerInnen-Namen ausrufen musste. Und
‚Cucujkić ‘ ist, Hand auf’s Herz, next Level Artikulation.
Ich poche da gewiss nicht auf Perfektion.
Selbst für Jugos ist mein Familienname ein Zungenbrecher.
Ich spreche auch nicht alles richtig
aus. Aber ich frage nach. Jedes Mal. Weil es den
Namensträgern wichtig ist. Weil sie sich wertgeschätzt
fühlen. Es ist schon nett, wenn die eigene
Identität nicht gleich im phonetischen Mülleimer
landet.
Aber auch Magistratsmitarbeiter oder die Ordinationshilfe
dürfen ruhig ein gängiges Güngör oder
Stefanović korrekt über die Lippen bringen. Denn
Rosen, Rakija & Kritik an: cucujkic@dasbiber.at, Instagram: @ivanaswelt
10 / MIT SCHARF /
meistens darf dann ‚Frau Cukujikitsch‘ als nächstes
zur Ärztin rein. Da bekommt ‚eine Frau Kujkujkovik‘
das Paket überstellt. Ich reklamiere meist vorauseilend:
„Cäsar, Ulrich, Cäsar, Ulrich, Johann, Konrad,
Ida, Cäsar. Und das Stricherl von links unten nach
rechts oben, Haček. Genau. Tsutsuikitsch.“
DAMIT ES DIE ÖSTERREICHER
AUSSPRECHEN KÖNNEN!
Selbst meinem, wie ich finde, simplen Vornamen,
wird die Betonung auf dem „i“ oft verwehrt. Also
habe ich bei der Geburt meiner beiden Söhne überlegt,
deren Namen nach Österreichtauglichkeit
auszuwählen, wo akzentuierungstechnisch nichts
schief gehen kann. Tim. Jan. Oder Hans. Und dann
hab‘ ich mich selbst gefragt, ob ich eigentlich ganz
deppert bin. Nein, das machst du nicht, Ivana! Die
werden hier alle die Namen deiner Kinder korrekt
aussprechen lernen. Ansonsten kannst du dich
auch gleich in Stephanie oder Susi umetiquettieren
lassen.
So ist es meiner vermeintlichen Tante ‚Ana‘ passiert.
Ihre erste Arbeitgeberin in Österreich tat sich
schwer mit ihrem richtigen Namen. „Frau Chefin“
konnte ‚Aurika‘ nicht aussprechen. Eine kurze, einfache,
deutsche Alternative sollte es sein.
Muss wohl etwas mit den Ursprungsländern der
Namensträger zu tun haben. Bei ‚François’ und
‘Anouk’ wird der Kiefer zum besten Touristen-Französisch
verrenkt, da kommt jedes accent an die
richtige Stelle.
Darf man das bitte für die Ivanas, Damirs, Menervas
und Amirs der Schulklasse 2021 auch erwarten?
Fotos: Zoe Opratko
Hallo?
Ja, was, wirklich?
Ist das so? Sind Sie
sich da sicher?
Die AK zählt Mama Senada ihre Rechte und
Pflichten zum Thema Krankenstand auf. Dabei
ist ganz klar: Der Arbeitgeber muss auch bei
Krankenstand Entgelt auszahlen. Darunter
fallen Lohn, Zulagen sowie regelmäßige Überstunden.
Mama Senada muss sich also keine
Sorgen machen!
Alo, was
jammerst du so?
Dein Chefe kann das
eh nicht machen!
Na, siehst du!
Gut, dass wir die
AK haben.
Oh Sine,
du bist mein
Held! Ich muss mir
um mein Geld keine
Sorgen machen.
TIPP Arbeiterkammer:
Du hast Fragen zum Thema Krankenstand und weißt
auch nicht, welche Pflichten du hast? Hier kannst du
dir das Video der AK zum Thema anschauen →
TALIBAN,
DAS BESTE FÜR AFGHANISTAN?
Die Taliban sind auf dem Vormarsch – auch in Wien. Unser
afghanischer Praktikant Nazari Mohibullah stellt schockiert
fest, dass einige seiner Landsleute kein Problem mit den
Gotteskriegern haben. Wie konnte es soweit kommen?
Von Nazari Mohibullah und Amar Rajković, Illustrationen: Aliaa Abou Khaddour
Gedankenkarussell: Die afghanische Diaspora müsste eigentlich die Taliban hassen
– schließlich waren es die Gotteskrieger, die das Land in den letzten Jahren
durch Terror destabilisiert haben. Der Einsatz der Amerikaner verdiente sich
aber auch kein Ruhmesblatt und brachte keinen dauerhaften Frieden.
12 / POLITIKA /
Ich mag die Taliban. Sie sind besser als die alte Regierung.
Unter ihnen wird es zumindest keine Anschläge
geben.“ Hat er das wirklich gesagt? Der junge Mann mit
Bart und gegeltem Haar, den ich zufällig am Brunnenmarkt
begegnet bin, unterstützt die Taliban? Diese ehrenlosen
Verbrecher, die mein Heimatland ins Mittelalter stürzen
wollen? Die T a l i b a n ?
Noch immer verdutzt darüber, wie ein in Freiheit lebender
Mensch so denken kann, verliere ich die Kontrolle über
meine Emotionen. Ich brülle ihn auf Farsi nieder und fordere
ihn in Herbert-Kickl-Manier auf, doch zu den Taliban zurückzukehren,
wenn sie angeblich so super sind. Was macht er
noch in Österreich? Ich merke, dass er sieht, dass die Aussage
über das Ziel hinausgeschossen ist. Er versucht, mich zu
beruhigen: „Die Taliban haben versprochen, unseren Frauen
alle Rechte zu gewähren. Das ist doch gut.“
„Ja, bestimmt“, winke ich ab und ziehe von Dannen,
bevor ich noch etwas Unüberlegtes mache.
In Österreich leben laut der Statistik Austria rund 46.000
AfghanInnen. Fast die Hälfte von ihnen
wohnen in Wien. Einer davon bin ich. Nachdem
ich meine Familie in Herat zurücklassen
musste, legte ich zu Fuß, auf der
Tragfläche eines Pick-ups, im Schlauchboot
und im Kofferraum mehr als 5000 Kilometer
auf dem Weg nach Österreich zurück. Ich
war zwei Monate ohne Grund im türkischen
Gefängnis, hatte Todesangst bei der
Überfahrt von der Türkei nach Griechenland
„
Ich muss mir von einem
Landsmann anhören,
es sei ja nicht alles so
schlecht unter den
Taliban.
“
und ernährte mich von gestohlenem Mais in Mazedonien.
Das alles, um in Frieden zu leben und dem täglichen Terror
der Taliban zu entfliehen. Und dann muss ich mir von einem
Landsmann anhören, es sei ja nicht alles so schlecht unter
den neuen Machthabern Afghanistans. Was ich zu diesem
Zeitpunkt noch nicht gewusst habe: Seine Meinung wird von
Tag zu Tag beliebter.
WARUM KEHRST DU NICHT ZURÜCK
NACH AFGHANISTAN?
Zwei Wochen später in Wien. Die Taliban feiern den Abzug
der internationalen Streitkräfte, ich befinde mich auf einer
der zahlreichen Demonstrationen gegen die neuen Herrscher
in meiner alten Heimat. Wir leben zum Glück in einem
freien Land und können auf der Straße politische Forderungen
stellen, ohne um unser Leben fürchten zu müssen.
Zusammen mit ein paar Hundert Landsleuten und einigen
AktivistInnen fordern wir am Karlsplatz die Welt auf, unschuldige
Menschen aus Kabul zu retten. Dort treffe ich Narges * .
Ich spreche sie an, weil die junge Frau im
weißen Sommerkleid kurz davor eine mitreißende
Rede auf dem Podest gehalten hatte.
Sie trägt ihr gelocktes Haar offen, ihre
Augenbrauen sind präzise gezupft. Der rote
Lippenstift und ein Nasenring runden das
Outfit der eloquenten Studentin ab. Wem
sie für die Misere in unserem Heimatland
die Schuld gibt, möchte ich von ihr wissen.
Narges zögert: „Aschraf Ghanis Regierung
/ POLITIKA / 13
„
Aus meiner Heimatstadt bekomme ich fast
täglich Videos zugeschickt. Der Inhalt:
Männer werden ausgepeitscht, weil sie
Namen von fremden Frauen in ihrem Handy
gespeichert haben. Mädchen ab der siebenten
Schulstufe wird der Weg in die Schule
blockiert und es wird ihnen mit Steinigung
gedroht, sollten sie sich widersetzen.
“
© AAMIR QURESHI / AFP / picturedesk.com
war korrupt“, entgegnet sie nüchtern. Die
Taliban erwähnt sie nicht.
Tatsächlich flossen die meisten Hilfsgelder
aus Amerika direkt in die Taschen
des Ex-Regierungschefs und seiner Gefolgschaft.
In den sozialen Medien, wie TikTok
oder Telegram, ist es ein offenes Geheimnis.
Dort machten Gerüchte die Runde, Ghani
wäre mit einem Hubschrauber voller Geld
außer Landes geflohen. Wahrscheinlich
wollte der „Verräter“, wie Ghani hämisch
von vielen Afghanen genannt wird, dem Schicksal des 1996
von den Taliban geköpften Ex-Präsidenten Nadschibullah
entkommen. Den Leichnam des letzten kommunistischen
Machthabers des Landes hängten die Gotteskrieger an einer
Betonplattform für Verkehrspolizisten vor dem Präsidentenpalast
auf. Zur Abschreckung, wie im Mittelalter.
„IHR HABT KEINE AHNUNG, WELCHE
MONSTER IHR KLEINREDET!“
Das war 1996. „Warum sollten die Taliban 2021 anders
ticken?“, frage ich Narges. Vor allem zu Frauen sei das
Regime streng, sagt sie mir. Aber: „Wenigstens ist die Situation
ruhiger als in den letzten Jahren. Vor zwei Tagen sind
170 Menschen ums Leben gekommen (Anm. d. Red.: Bei
einem IS-Anschlag in der Nähe des Kabuler Flughafens). Zu
Ghanis Zeit starben 170 fast jeden Tag“, so Narges.
Ich bin erstaunt. Und schockiert. Eine in Wien geborene
Frau sieht die Taliban als das geringere Übel für unser
Land. Ich staune, wie schnell sich das Narrativ der Taliban
als abscheuliche Gotteskrieger und Menschenfeinde zu
dem der „Retter Afghanistans“ oder in das „Geringere Übel“
abgeschwächt hat. Tatsächlich verhandelte Deutschland mit
der politischen Führung der Taliban, um ihre Staatsbürger
und AfghanInnen, die im Dienst der Deutschen Bundeswehr
gearbeitet hatte, zu retten. Auch die USA machen nun
gemeinsame Sache mit den Taliban, da sie einen gemeinsamen
Feind haben: den afghanischen IS-Ableger „Khorasan“.
Es kann doch nicht sein, dass diese Barbaren plötzlich
salonfähig werden? In den letzten Jahren habe ich kaum
einen Tag verbracht, ohne mir um
meine Familie in Herat Gedanken
zu machen. Mein Vater war ein
Gefängniswärter, mein großer
Bruder kämpfte bis zuletzt an
der Front. Sie leben seither im
Untergrund in meiner Heimatstadt,
aus der ich fast täglich
Videos zugeschickt bekomme.
Der Inhalt: Männer werden ausgepeitscht,
weil sie Namen von
fremden Frauen in ihrem Handy
gespeichert haben. Mädchen ab
der siebenten Schulstufe wird
„
Ich bin erstaunt. Und
schockiert. Eine in
Wien geborene Frau
sieht die Taliban als
das geringere Übel für
unser Land.
“
Sieht so die neue Ordnung in Afghanistan aus? Ein
Taliban-Kämpfer hält Wache an einem Kabuler Bazar.
der Weg in die Schule blockiert
und es wird ihnen mit Steinigung
gedroht, sollten sie sich widersetzen.
Leute, ihr habt keine Ahnung, welches
Monster ihr kleinzureden versucht.
„OHNE AMERIKA WÜRDE ES
DIE TALIBAN NICHT GEBEN“
Hussein * , ein Mittzwanziger mit starker
Leidenschaft für Musik und Filme, ist
hazarischer Herkunft. Wie viele andere
Hazara hat er den Großteil seines Lebens im
Iran verbracht. Dort ging er in die Schule,
bevor er sich 2015 entschied, sein Glück in
Europa zu suchen. Es verschlug ihn nach Wien. Als ich ihn
über Facetime um 9 Uhr früh im Bett antreffe, zieht er sich
noch schnell ein Unterhemd über und setzt sich auf. Hussein
erzählt mir, dass er vorgehabt hatte, die afghanischen Regierungstruppen
im Kampf gegen die Taliban zu unterstützen.
Das sei vor rund zwei Monaten gewesen. Er hatte schon die
Koffer gepackt, bevor die Mutter aus dem Iran seinen Plänen
den Riegel vorschob.
Auf die Taliban angesprochen weicht Hussein aus. Er
spricht von einer Verschwörung gegen das afghanische Volk,
die dem Land über 40 Jahre Krieg und Terror gebracht habe.
Er sieht vor allem die Amerikaner als die Hauptschuldigen an
der Misere, die Taliban als eine unerfreuliche Begleiterscheinung.
Ohne Amerika würde es die Taliban nicht geben, sagt
er mit lauter Stimme. Ich halte kurz still. Er hat geschichtlich
nicht ganz unrecht, da die Taliban vor allem von den USA
in den 80ern gepusht wurden, um gegen die Russen zu
kämpfen. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass die
Männer mit Turban, Sandalen und Kalaschnikow eine große
Bedrohung für das freie Afghanistan sind. Ihr Weg an die
Macht ist mit Blut und Terror überzogen.
MÄNNER NEIGEN DAZU, DIE TALIBAN
ZU VERHARMLOSEN
„Viele afghanische Männer in der Diaspora unterschätzen, im
Gegensatz zu Frauen, die Gefahr der Taliban“, erklärt Emran
Feroz, der als freier Journalist u.a. für Die Zeit, taz und Al
Jazeera schreibt. (siehe Interview S. 16) Der in Innsbruck
geborene Feroz sieht eine starke Geschlechterparität in der
Talibanfrage: „Vielleicht spielt das
männliche Ego dabei eine Rolle,
nach dem Motto : „Diese Männer
haben das Land zurückerobert
und die USA rausgekickt.“ Feroz
ortet eine gewisse Kriegsmüdigkeit,
die die Menschen zur
Akzeptanz der Taliban drängt. Sie
sehnen sich nach einer starken
Hand, die Korruption und Krieg
endgültig beendet, so Feroz.
Ich verstehe jetzt etwas
besser, warum selbst Hussein,
der als Hazara zum Todfeind der
Taliban gehört, die Gotteskrieger
und neuen Herrscher Afghanistans
nicht mehr gänzlich ablehnt.
14 / POLITIKA /
/ POLITIKA / 15
Auch Narges, die junge, moderne Frau, die ich auf
der Demo in Wien kennenlernte, argumentierte mit
dem Sicherheitsaspekt. Genauso wie der Mann vom
Brunnenmarkt. Dieser Unwissende - wenn ich an ihn
denke, steigt mein Blutdruck. Tut mir leid, ich kann
die Emotionen nicht zurückhalten. Diese mittelalterlichen
Delinquenten werden mein Heimatland
doch nicht nach 40 Jahren endlich in ruhige Gefilde
führen?
WÖLFE IM SCHAFSPELZ
Es ist mittlerweile Mitte September. Ich sehe Videos
der Taliban, die Musik und Partys per Flyer verbieten
wollen. Meine Mutter erzählt mir von Minderjährigen
in gekaperten High-Tech-Helikoptern der amerikanischen
Streitkräfte und wie kurze Zeit später der
Hubschrauber wie betrunken über den Dächern
Herats torkelt. In einem anderen Video sehe ich die
Gotteskrieger in Vollmontur, wie sie Sportgeräte in
einem Fitnesscenter auf ihre ganz eigene Art und
Weise benutzen. Wäre das alles nicht so traurig, würde
ich vor Lachen auf dem Boden liegen. Ich erzähle
meiner Mutter vom Sympathieaufwind der Taliban
in Wien. „Schau, mein Sohn“, sagt sie mit ruhiger
Stimme in die Kamera und fängt zu erzählen an: über
die positive Entwicklung von Herat, über die Parks,
Spielplätze, Denkmäler, die neu gebaut wurden;
über die wieder lebendigen Restaurants und Straßen.
Frauen mussten in den letzten Jahren keinen
Tschador tragen und durften die Schule besuchen.
Manche Einwohner fühlten sich an wohlhabendere
Städte jenseits der iranischen Grenze erinnert. Es gab
zwar auch Anschläge, Plünderungen und Entführungen
– ein kleiner Lichtblick gab den Menschen aber
Hoffnung für die Zukunft, so meine Mama.
Unter den Taliban wurden jene errichteten Denkmäler
in den letzten Wochen zerstört. Frauen dürfen
nur mehr vollverhüllt auf die Straße. Versammlungen
mit Musik und Tanz sind untersagt. „Das kannst du
ruhig den jungen Menschen sagen. Sie sollen sich
selbst ein Bild von den angeblich geläuterten Taliban
machen“, wird meine Mutter plötzlich laut. Sie kriegt
sich schnell wieder ein, weil sie aufpassen muss,
nicht von den Nachbarn gehört zu werden, die sie
für wenige Afghani an die Taliban verpfeifen. Damit
spricht sie mir aus der Seele. Den Wölfen im Schafspelz
glaubt man nicht, sie sind noch immer Wölfe.
Und wenn ihr wirklich so überzeugt von ihnen seid,
geht nach Hause und baut mit ihnen Afghanistan
auf. ●
* Namen von der Redaktion geändert
Taliban-Kämpfer in Kandahar nach dem Abzug der US-
Truppen
BIBER: Warum sagen viele
AfghanInnen in Wien, das
Taliban-Regime sei ihnen lieber
als das Chaos im Krieg?
EMRAN FEROZ: Ich habe die
Erfahrung gemacht, dass junge
Männer in der Diaspora oft eine
andere Meinung als Frauen
haben. Frauen wissen, dass ihre
Rechte in Afghanistan seitens
der Taliban mit Füßen getreten
werden. Männer haben da eine
andere Position. Da spielt das
männliche Ego auch eine Rolle –
nach dem Motto: „Diese Männer
haben das Land erobert, und die
USA rausgekickt!“ Respekt also
für den langen Atem und die
Stärke, die Übermacht USA in die
Schranken verwiesen zu haben.
Was sehr auffällt, ist dieser
Sicherheitsaspekt, nach dem die
Lage beurteilt wird. Sie sagen
dann: Wir wollen den Krieg und
die Korruption nicht mehr, eine
Ordnungsmacht muss her. Die
Sehnsucht nach Sicherheit und
Ruhe ist sehr groß.
Hängen die Einstellungen der
EXPERTEN-INTERVIEW
„Das männliche Ego spielt auch
eine Rolle.“
Emran Feroz ist freier Journalist und hat
Ende August das Buch „Der längste Krieg.
20 Jahre War on Terror“ herausgebracht.
Interview: Aleksandra Tulej
jungen Afghanen in Wien mit der
korrupten Regierung Afghanistans
zusammen?
Wenn man 15-20 Minuten aus
Kabul hinausfährt, dann sieht
man, dass nichts von irgendwelchen
Geldern in den Dörfern
angekommen ist. In den größeren
Städten vielleicht eher, aber am
Land sieht man nichts davon, dort
leben die Leute in bitterer Armut.
Man muss auch sagen, dass vor
allem die jungen Afghanen ihre
Informationen oft aus Facebook,
Instagram oder TikTok beziehen,
wo diese Korruptionsvideos die
Runde machen. Das ist ja ein
offenes Geheimnis dort.
Welche Volksgruppen aus der
Region sind in Wien eher den
Taliban zugeneigt?
Dazu müsste man sich anschauen,
wie lange die Menschen, von
denen wir hier sprechen, schon
hier leben. Wenn wir von jenen
sprechen, die in den 80ern oder
90ern hergekommen sind, dann
war das eher die gebildetere
Schicht. Die hatten einen anderen
© JAVED TANVEER / AFP / picturedesk.com, © privat
Bezug zum Land – da wurde
mehr auf dieses Einheitsgefühl
geschaut, trotz der ethnischen
Unterschiede. Das ist bei den
Afghanen, die in den letzten
Jahren hergekommen sind,
aber schon anders. Da bleibt
man eher unter sich. Oft wird
gesagt, dass Hazara gebildeter
und weltoffener sind. Das
kann schon sein. Paschtunen
leben eher nach einem eher
konservativen, traditionellen
Weltbild. Aber dazu muss
ich auch sagen: Die von den
Taliban kontrollierten Gebiete
waren oft ländliche paschtunische
Regionen, da wurde der
War on Terror heftig geführt.
Wir sprechen hier von einem
dauerhaften Kriegszustand. Die
Menschen wurden links liegen
gelassen, aus Kabul kam keine
Hilfe an. Also war Schulbildung
dort auch nicht so möglich, und
somit auch die Gefahr, sich zu
radikalisieren, größer. Deshalb
sympathisieren mehr Pasch-
tunen auch mit den Taliban.
Übrigens: Die Taliban machen
jetzt auf „inklusiv“ und wollen
nicht mehr differenzieren, wer
woher kommt – aber in den
Führungspositionen bei ihnen
hast du fast nur Paschtunen.
Was sagen Sie als Experte
dazu, wenn ein junger Afghane
in Wien meint, die Taliban seien
das Beste für Afghanistan?
Dem sage ich: Du würdest
keinen Tag dort (über)leben
bzw. es dort aushalten. Solche
Aussagen kommen oft von
jungen Burschen, die selbst nie
unter den Taliban gelebt haben,
und die dann dazu tendieren,
das alles zu romantisieren
und da irgendeine Nostalgie
hineininterpretieren. Ich verstehe
natürlich die Kritik an der
Regierung, aber ich bin nicht
dafür, dass man die Taliban so
verharmlost, wie es jetzt auch
einige westliche Journalisten
tun.
VÖLKER AFGHANISTANS
SOLIDARITÄT
#FÜRDICH
DIE AK FORDERT EINEN GERECHTEN
SOZIALSTAAT, DER FÜR ALLE DA IST.
Laut Statista lebten 2020 In Afghanistan rund
33 Millionen Menschen. Das Land ist ein Vielvölkerstaat,
den größten Bevölkerungsanteil haben
Paschtunen (40%), Tadschiken (25%), Usbeken und
Hazara (beide rund 9%). Die meisten der Paschtunen
stammen aus dem pakistanischen Grenzland und
gehören zu muslimischen Sunniten. Ihre Sprache ist
Paschtu, die zweitgrößte Sprache des Landes neben
Dari. Die Hazara sind ein ehemaliges Nomadenvolk
aus der Mongolei, die sich in der Tradition von
Dschinghis Khan sehen. Sie sind Schiiten und sind
deswegen sowohl dem Taliban als auch dem IS ein
Dorn im Auge. Sie gelten als liberal und stellen einen
Großteil der 0,8 Millionen afghanischer Flüchtlinge
im Iran dar. Tadschiken gehören vor allem der Stadtbevölkerung
an und sind im Handel tätig. Genauere
Zahlen über die Zusammensetzung und Anzahl der
Bevölkerung sind extrem schwer zu zufinden. Die
Völker sind in viele Stämme unterteilt, das zerklüftete
und in weiten Teilen schwer erreichbare Bergland
Afghanistans und der 40jahre lange Kriegszustand
verunmöglichten bis jetzt eine Volkszählung. Die
erste und einzige Volkszählung wurde im Jahr
1979 durchgeführt, dem Jahr des Einmarsches der
Sowjetunion.
AK.AT/FÜRDICH
16 / POLITIKA /
Herr Ho, wie
viele tote Kinder
haben Sie schon
gesehen?
Wie viele
Auslandseinsätze
haben
Sie als Arzt
absolviert?
Wie viele
Menschen
kennen Sie,
die an Corona
erkrankt sind?
Wie viele
Menschen
kennen Sie,
die sich nicht
impfen lassen
möchten?
Welche Schulnote
geben
Sie der österreichischen
Regierung in
der Pandemiebekämpfung?
Wie oft haben
Sie als asiatischstämmiger
Arzt
in den USA
monatlich Rassismuserfahrungen
gemacht?
Wie viele
tote Kinder
haben Sie in
Ihrem Leben
gesehen?
Wie oft haben
Sie während
eines Einsatzes
geweint?
Wie viele Stunden
dauerte
Ihr längster
Dienst?
Interview in Zahlen: In der Politik
wird genug geredet. Biber fragt
in Worten, der Präsident von
„Ärzte ohne Grenzen“(ÄOG), Leo
Ho, antwortet mit einer Zahl.
7
12
2
3
1
400
0
30
Von: Amar Rajković und Gracia Ndona,
Fotos: Zoe Opratko
Der Kinderarzt Leo Ho hat bei keinem seiner Einsätze geweint.
Leo Ho kennt zwei Personen, die eine Corona-Impfung
verweigern.
Mindestens ein Mal im Monat hat Ho als Facharzt in den USA
Rassismuserfahrungen gemacht.
Die österreichische Regierung verdient sich laut Ho ein
„Befriedigend“ für die Bewältigung der Corona-Pandemie.
Wie viele
Kinder sterben
täglich an
Malaria?
(2019)
Wie viele Malaria
Behandlungen
hat ÄOG
im vergangenen
Jahr durchgeführt?
Wie viele
Kinder sterben
täglich
aufgrund
von Mangelernährung?
Wie viele Menschen
haben
weltweit keinen
regelmäßigen
Zugang
zu sauberem
Wasser?
Wie viel €
verdient ein
ÄOG-Arzt in
Afghanistan bei
seinem ersten
Einsatz monatlich
(brutto)?
Wie viele Menschen
sind 2015 bei dem
Luftangriff der
USA auf das von
Ihnen unterstützte
Krankenhaus in
Kunduz, Afghanistan,
gestorben?
In wie vielen
Ländern
ist ÄOG im
Einsatz?
Wie viel kostete
ihr Medizinstudium
in den
USA (in $)?
Bis zu welchem
Jahr wird es
spätestens eine
Malaria-Impfung
geben?
Wie viele Mio.
Spendengelder
erhielt ÄOG
Österreich
im Jahr 2021
(in €)?
750
2.690.600
8.500
2.200.000.000
1.485
42
Über
80
100.000
2026
14
18 / POLITIKA /
/ POLITIKA / 19
MEINUNG
TALIBAD
Sind feministische Badeveranstaltungen ohne Männer ein
Gefallen an die Taliban oder einfach nur zeitgemäß?
Kommentar von Amar Rajković
Ende August verkündete die Influencerin und
Unternehmerin Madeleine Alizadeh alias „Dariadaria“
eine Veranstaltung, die für erheblichen
Wellengang sorgen sollte. Alizadeh informierte ihre
330.000 FollowerInnen über einen Badenachmittag im
Thermalbad Vöslau, der ganz ohne Männer auskommen
muss. „Schönheitsstandards, Körpernormen und Male
Gaze (dt.: männlicher Blick)“ müssen draußen bleiben. Es
gehe darum, weiblichen Personen einen Platz in einem Bad
zu schaffen, der ihnen im Alltag oft verwehrt bleibt. Eine
feministische Forderung, die ja nicht ganz neu ist.
Ganz neu ist die Deutung des Events und der vermeintlichen
Folgen auf unsere Gesellschaft. Zumindest, wenn
man dem Mann aus dem neoliberalen, bürgerlichen Milieu
Glauben schenken möchte. Der Homos Libertas sieht in der
Initiative einen Gefallen und Kniefall gegenüber den Taliban,
die ihre feuchte Freude an der Geschlechter-Apartheid
in Bad Vöslau hätten – so der Tenor. Manche von ihnen
wollen sich gar nicht erst auf eine Diskussion einlassen,
weil Geschlechtertrennung „nicht schmackhaft“ verpackt
werden kann. „Educate your sons, do not protect your
daughters“, twitterten wiederum andere altklug, während
sie vor einer mittelalterlichen Scharia-Gesellschaft warnten.
IN DEN SPIEGEL SCHAUEN
Ja, natürlich kann man auf der Oberfläche bleiben und per
se alles, was mit Geschlechtertrennung zu tun hat, mit den
Taliban vergleichen. Damit ertränkt man jede ernsthafte
Diskussion und spricht vielen – auch nicht muslimischen –
Frauen ihre traumatisierenden Erfahrungen in öffentlichen
Bädern ab. Ich denke, wir – und damit meine ich privilegierte
Männer mit Interesse an einer gleichberechtigten
Gesellschaft – sollten uns erstens in den Spiegel schauen
und zweitens einfach mal zuhören, anstatt wie getrieben
anderen Frauen erklären zu wollen, wie die Welt funktioniert.
rajkovic@dasbiber.at
20 / MIT SCHARF /
Bei beiden Punkten nehme ich mich in die
Kritik ganz explizit mit hinein. Ich muss mir als
40-jähriger Familienvater eingestehen, dass ich in
meiner Studentenzeit, im Rudel mit anderen testosterongesteuerten
Alphamännchen, laut und respektlos um
die Häuser gezogen bin. Eine wildfremde Frau von hinten
antanzen? Kein Problem, sie will ja erobert werden. Sie
sagt dir, du sollst dich verpissen oder sie in Ruhe lassen?
Sehr gut, sie zeigt mir die kalte Schulter, weil sie auf mich
steht. Die Welt von vielen Männern ist einfach gestrickt
und sie steht immer im Mittelpunkt. Ich spreche hier von
zukünftigen Ärzten und Anwälten, vorwiegend autochthoner
Abstammung – weil das Argument des importierten
Frauenhasses immer als Erstes kommt.
WIDERLICHER WEINSTEIN BRINGT WENDE
Spätestens Weinstein, dieser widerliche Filmproduzent
aus den USA, hat mir die Augen geöffnet. Plötzlich erzählt
dir deine Freundin, dass ihr mindestens einmal im Monat
irgendein merkwürdiger Typ bis zur Haustür folgt. Oder
deine Mutter, die von einem Creep am helllichten Tag
verfolgt wird, während dieser in seiner Hose herumspielt.
In meiner Selbstverliebtheit und Naivität hätte ich es nie
im Leben für möglich gehalten, dass sich wildfremde
Männer an Frauen im Wasser heranpirschen, um mit ihrem
erigierten Glied auf Tuchfühlung zu gehen. Ich hätte mir
niemals albträumen lassen, dass Frauen beim Duschen
von Männern ungefragt fotografiert werden. Auch Sprüche
von der Seite wie „Hey, willst du ficken?“ hielt ich nicht
für möglich. Sie sind aber real und passieren jeden Tag in
Badeanstalten dieses Landes. Die Möglichkeit, zumindest
ein paar Stunden sorglos und unbeobachtet im Wasser
zu planschen, ohne deppert angemacht zu werden, ist
keine talibanesque Vision. Es ist der Ausdruck einer freien
Gesellschaft.
Zoe Opratko
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„Nicht im
Interesse
unseres
Landes.“
Der Anwalt Kazim Yilmaz
kümmerte sich 2018
darum, dass 66.382
AustrotürkInnen ihren
österreichischen Pass nicht
verloren. Drei Jahre später
sorgt ein ähnlicher Fall für
mediales Aufsehen. Was ist
passiert?
Von Gracia Ndona , Foto: Zoe Opratko
BIBER: Herr Yilmaz, was ist seit ihrer erfolgreichen Beschwerde
beim Verfassungsgerichtshof am 17.12.2018 passiert?
KAZIM YILMAZ: Die meisten Mandanten, die ihre österreichische
Staatsbürgerschaft behalten durften, haben sich bei mir
telefonisch oder per E-Mail bedankt. Ich habe gespürt, dass die
Menschen sehr erleichtert waren, und war sehr glücklich, dass
abstruse Beweismittel in unserem Land, einem funktionierenden
Rechtsstaat, nicht relevant sind.
Nun gibt es einen zweiten Fall, der für Schlagzeilen sorgt.
Die Wiener Staatsbürgerschaftsbehörde (MA35) behauptet,
im Zuge der Wahlen, die 2018 in der Türkei stattgefunden
haben, eine Abfrage auf einer angeblichen Internetseite der
hohen türkischen Wahlkommission getätigt zu haben. Ca. 450
Personen sollen dort als Wähler und Wählerinnen aufscheinen.
Jetzt glaubt die Behörde, dass diese Menschen nach Verleihung
der österreichischen Staatsbürgerschaft die türkische
wieder angenommen haben. Das würde dazu führen, dass sie
die österreichische ex lege – also vom Gesetz her automatisch
– verlieren würden.
Warum tauchen solche Wahllisten, auf denen austrotürkische
Staatsbürger stehen, immer wieder auf?
Das ist eine gute Frage. Das Ganze hat 2017 als eine Art Wahlkampfkampagne
gestartet, wie auf diversen Youtube-Videos
nachgesehen werden kann. Der damalige Parteiobmann der
Freiheitlichen H.C. Strache und deren damaliger Klubobmann
Johann Gudenus haben die ominöse Liste an die jeweiligen
Staatsbürgerschaftsbehörden übermittelt.
Welche Konsequenzen kann diese als Screenshot existierende
Wahlliste des türkischen Außenministeriums für ihre Mandanten
haben?
Da die Behörde die Abfrage 2018 gemacht hat, würden die
Menschen mit 2018 ihre österreichische Staatsbürgerschaft
und somit die Grundlage für den Aufenthalt verlieren. Hier
könnten bestens integrierte Menschen und Steuerzahler zu
Sozialhilfeempfängern gemacht werden.
Wann wird ein Urteil gefällt?
Nachdem die MA35 per Bescheid entschieden hat, besteht die
Möglichkeit, Beschwerde an das Verwaltungsgericht Wien zu
erstatten. Von dieser Möglichkeit haben wir für unsere betroffenen
Mandanten Gebrauch gemacht. Die ersten Entscheidungen
des Verwaltungsgerichtes werden dann vermutlich in den
nächsten ein bis drei Monaten kommen. Ich vermute, dass
diese Sache wieder bis zu den Höchstgerichten, sprich dem
Verfassungsgericht und/oder den Verwaltungsgerichten, gehen
wird. Das wird wieder einige Monate in Anspruch nehmen.
Wie hoch schätzen Sie die Chancen ihrer Mandanten in diesem
Fall ein?
Ich bin davon überzeugt, dass Österreich ein Rechtsstaat ist,
in dem ominöse und nicht überprüfbare Internetabfragen nicht
dazu führen können, dass Österreicherinnen und Österreicher
ihre Staatsbürgerschaft und somit ihre Existenzgrundlage
verlieren.
NACHGEFRAGT
Was sagt die türkische Botschaft?
Nach Rücksprache gab uns die türkische Botschaft
in Wien bekannt, erst aus der Presse von der vermeintlichen
Wählerliste erfahren zu haben. "Von der
offiziellen österreichischen Seite haben wir weder
Informationen noch Anfragen diesbezüglich erhalten",
wurde uns seitens der Botschaft verkündet.
Was sagt Vize-Bürgermeister
Christoph Wiederkehr?
Aktuell liegt gegen 450 Personen in Wien der
Verdacht auf eine unzulässige Doppelstaatsbürgerschaft
vor. Bisher gibt es 60 erledigte Verfahren,
wobei 24 endgültig rechtskräftig erledigt sind.
Anlass für die Einleitung der Verfahren ist eine
Online-Liste der türkischen Wählerevidenz, die im
März 2020 vom VwGH als rechtmäßige Grundlage
bestätigt wurde. Die MA 35 ist daher auch dazu verpflichtet,
diesen Verdachtsfällen nachzugehen.
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Bewerbungsfrist: 26. September 2021, online im
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22 / POLITIKA /
Entgeltliche Einschaltung
MEINUNG
SCHÄMEN SIE SICH?
Wenn Politiker nur Machterhalt im Sinn haben, sind sie ihrer Macht nicht würdig, findet
Chefredakteurin Delna Antia-Tatić im Zuge der hiesigen Afghanistan-Politik.
D A M I T D U S C H N E L L
D E I N E E R S T E N E I G E N E N
V I E R W Ä N D E F I N D E S T
Dieser Tage habe ich schon wieder diese Vorstellung.
Obwohl „Bedürfnis“ wohl das bessere Wort ist.
Ich hatte es schon einmal, im Winter 2020. Stichwort
Moria. Dabei stelle ich mir vor, wie ich am Ballhausplatz
all die mächtigen Minister, Männer und Hintergrundstrippenzieher
auftreffe und meine Wut persönlich adressiere: Es reicht!
Gibt es denn gar keine Grenzen in eurer Politik voller Grenzziehungen?
Wer die besondere Macht innehat, Menschen in akuter
Lebensbedrohung zu helfen, wer Kinder in Not retten kann,
es aber aus Karrieregründen nicht tut, ist nicht zu verstehen.
Kein diplomatisches Gerede, keine politstrategischen Floskeln,
kein noch so einstudiertes Mansplaining der Welt kann mir das
erläutern. Ich will kein „Nehammern“ oder „Schallenbergen“,
wie Presse-Chefredakteur Rainer Nowak den neuen ÖVP-Politstil
tragisch-komisch beschreibt. Wahrlich, ich will keine harten
Männer, die die Taliban zur Räson rufen und der Flüchtlingskonvention
den Kampf erklären. Nein, ich will das Gegenteil.
Ich will, dass die, die oben stehen und eine große Handlungsmacht
besitzen, in entscheidenden Situationen „richtig“ von
„falsch“ unterscheiden können – und auch danach handeln.
Es war falsch, kein einziges Kind aus den griechischen Flüchtlingslagern
vor dem Winter 20/21 nach Österreich zu holen.
Es ist falsch, nach Afghanistan abzuschieben. Es ist schmerzlich
falsch, von „Abschieben so lange es geht“ zu sprechen,
ja Charterflüge zu organisieren, während die Taliban das Land
einnehmen und es darum geht, Menschen außer Landes
zu bringen – und nicht hinein. Jenseits von Gut und Böse
erscheint es, Menschen in purer Lebensangst zu verhöhnen,
die sich aus Verzweiflung an abhebende Flugzeuge klammern.
Denn nichts anderes als Hohn war der Sager des Innenministers:
„Es gibt keinen Grund, warum ein Afghane jetzt nach
Österreich kommen sollte.“
SELBSTBEZOGENER INNENPOLITISCHER
MACHTERHALT
Natürlich ist es berechtigt zu betonen, dass Österreich „nicht
alle retten kann“ und bereits überproportional viele Menschen
in der Vergangenheit aufgenommen hat. Aber hey, das war
richtig. Gut gemacht! Wenn jetzt Gemeinden melden, sie
antia@dasbiber.at
haben Platz, warum nicht weiter so – warum nicht
drüber reden? Statt als Hardliner jegliche Diskussion
im Keim wegen der „Signalpolitik“ zu ersticken.
Wer Macht zum Handeln besitzt, sie aber nicht nutzt
aus Angst, sie zu verlieren, ist für mich ohnmächtig. Wer
nur Machterhalt im Sinn hat, ist getrieben und seiner Macht
nicht würdig. Das gilt für Türkis und ja, auch für Grün – denn
Unterlassung ist auch eine Handlung. Manch ein Türkiser mag
ja wahrlich inhaltlich überzeugt sein, von dem was er sagt
und tut. Das kann ich dann wahlweise hässlich, rassistisch,
fremdenfeindlich und/oder dumm finden, aber bei manchen
bezweifle ich es. Da erscheinen die Mantras von „Balkanroute
schließen“ oder „nach Afghanistan abschieben“ bloß als
berechnetes Kalkül, das unter Druck der politischen Seilschaften
roboterhaft wiederholt wird. Selbstbezogener innenpolitischer
Machterhalt. Und die Grünen? Nun, ob Birgit Hebeins
Austritt aus der grünen Partei ein individueller Einzelfall bleibt,
weil deren Politik „nicht mehr ihr Herz erreiche“, bleibt fraglich.
„ES IST NICHT GEIL, HERZLOS ZU SEIN!“
Diese politische Entwicklung mag im journalistischen Fachjargon
„besorgniserregend“ sein. Im echten Leben sieht meine
erregte Besorgnis so aus, dass ich den Beteiligten meine
menschliche Enttäuschung vor die Füße kippen möchte: Ist es
fürs Ego wirklich so erstrebenswert, von ausländerfeindlichen
und provinziellen Rechten gewählt zu werden? Warum nicht
eine Politik verfolgen, zu der man aufschaut, statt sich eine
anzueignen, die auf andere herabsieht? Wer so viel Macht und
auch Begabung besitzt, warum nicht die konservative Anhängerschaft
mal Merkel-mäßig mit Offenheit und Mitmenschlichkeit
inspirieren – statt um die Stammtischler mit den braunen
Hirnen zu wetteifern? Es ist nicht geil, herzlos zu sein. Es ist
beschämend. Ich fand es toll, dass die deutsche ZDF-Moderatorin
Marietta Slomka den deutschen Außenminister gerade
heraus gefragt hat: „Schämen Sie sich?“ Und das gleiche
möchte ich am Ballhausplatz auch fragen. Denn von Politikern
erwarte ich mir, was ich von anderen Menschen auch erwarte:
Ein Gewissen, ein Herz und das Urteilsvermögen über „richtig“
und „falsch“, wenn es um Menschen in erschreckender
Lebensnot geht – wie jetzt in Afghanistan.
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Bei meiner ersten Wohnungsbesichtigung
war ich genauso
nervös, wie bei meinem
ersten Bewerbungsgespräch.
Die Maklerin im schwarz-weißen Kostüm
erklärte mir routiniert, was alles in
dieser Einzimmerwohnung passierte und
passieren soll, bevor ein neuer Mieter –
vielleicht ja ich? - der leeren Bude Leben
einhauchen würde. Die Wohnung befand
sich in meiner absoluten Traumgegend
beim Wiener Augarten – Provision, Kaution
und Mietzins waren erschwinglich. Ich
erinnere mich, wie ich versuchte, mich
in der Wohnung vorzustellen, mit dem
Gedanken, dass dies mein neuer Lebensmittelpunkt
werden könnte. Es war gar
nicht so einfach, innerhalb von 20 Minuten
nachzuvollziehen, ob ich mich dort
einleben könnte, in diesen mir bis dahin
fremden, leeren Räumlichkeiten. „So
eine Wohnung, zu diesem Preis, in dieser
Gegend - ist schnell vergriffen“, erklärte
mir die resolute Frau mit dem Klemmbrett
unterm Arm. Ich verstand das als
Zeichen, mir mit meiner Entscheidung
nicht zu lange Zeit zu lassen. Gesagt,
getan. Es vergingen keine zwei Tage,
bis ich das Angebot annahm. Es war der
Beginn eines neuen Lebensabschnittes,
in einer Zeit, die durch die Pandemie
ohnehin aus den Fugen geraten war.
Das ist alles nun genau ein Jahr her, im
September 2020 wurde ich zum ersten
Mal Hauptmieterin und wohnte fortan
ganz allein.
DIE WÄNDE
SCHWIEGEN LAUT
Tage- oder wochenlanges Durchforsten
von Anzeigenportalen, Wohnungsbesichtigungen,
viel Papierkram, große
Möbel-Schleppaktionen, die Verzweiflung
beim Zusammenbau von Schränken,
reichlich Pizza und Döner essen in den
ersten Wochen – der Einzug in die erste
eigene Wohnung ist kein Kinderspiel.
Diesen großen Schritt ins Erwachsenenleben
vergisst man nie. Meine Vorfreude
auf die eigenen vier Wände wurde
damals von großen Ängsten begleitet.
Hatte ich etwas übersehen? Was ist,
wenn ich plötzlich eine riesengroße
Rechnung bekomme? Was, wenn mir das
Leben alleine gar nicht gefällt? Ich kam
schließlich aus einer Langzeitbeziehung,
inklusive einer geteilten Wohnung. Der
Lockdown hatte diese Wohnung jedoch
zum Käfig zusammengestaucht – die
eigene Privatsphäre war mehr als nötig.
Ich durchlebte einen Abnabelungsprozess,
in Phasen. Mal liebte ich es,
einfach laut Musik zu hören und herumzutanzen
wie eine Verrückte, mal fühlte
ich mich schrecklich einsam und konnte
förmlich hören, wie laut meine eigenen
vier Wände schwiegen.
Auch Tamara ging es ähnlich. Die
Sozialarbeiterin entschloss sich ebenfalls
vergangenes Jahr dazu, alleine zu leben.
Sie hatte weniger Glück und erwischte
den Lockdown in voller Härte. Die Möbelbestellungen
bei IKEA ließen aufgrund
der vielen Onlinebestellungen lange auf
sich warten, die Wohnung wurde nur
langsam bewohnbar. „Ich hätte auch
gerne einen besseren Überblick darüber
gehabt, welche Strom- und Gasanbieter
es überhaupt gibt und wie schnell
ich mich für einen davon entscheiden
muss“, erinnert sie sich. „Außerdem
schimmelte mein Vorraum in der Wohnung
und die Hausverwaltung reagierte
erst auf meine Anfragen, als ich mit einer
Klage drohte!“, so die 26-Jährige. Tamara
kam aus einer noch längeren Beziehung
und meinte, es hätte ganze drei bis
vier Monate gedauert, bis sie sich daran
gewöhnte, das Bett ganz für sich alleine
zu haben. „Mittlerweile finde ich es aber
so besser und bereue gar nichts“, fügt
sie hinzu.
„WIR HATTEN
ABSICHTLICH BESONDERS
LAUTEN SEX.“
Anders ging es Marija. Sie zog vor vier
Jahren als Studentin in eine Wohnung im
Haus ihrer serbischen Oma. Zwar lag das
Haus im 14. Bezirk am Rande von Wien,
weit abwärts von Hütteldorf, dafür musste
sie dort keine Miete zahlen, sondern
nur die Betriebskosten. Und einen großen
Garten für ihren Hund gab es auch
noch – also eigentlich ein guter Deal.
Doch nach wenigen Monaten stellte sich
das als eine Fehleinschätzung heraus.
Marijas Oma freute sich nämlich ein
wenig zu sehr über Gesellschaft im abge-
26 / RAMBAZAMBA /
/ RAMBAZAMBA / 27
Endlich alleine! Und jetzt: Wie melde ich Strom an? Wieviel kostet eine
Haushaltsversicherung? Keine Sorge, wir haben alle Antworten parat!
legenen Haus. „Ich schwöre! Manchmal
stand die Frau einfach mitten in meiner
Wohnung. Das war schon sehr unangenehm,
besonders als mein damaliger
Freund immer wieder zu Besuch war. Um
zu verhindern, dass sie an der Tür stehen
bleibt, hatten wir absichtlich besonders
lauten Sex“, erinnert sich die 29-Jährige.
Ständig klopfte ihre Oma an die Tür,
und wenn es nur um übrig gebliebene
Salami im Kühlschrank ging. Im Sommer
schätzte Marija die Nähe zum Grünen
und machte gerne ausgiebige Spaziergänge
mit ihrem Hund im Wienerwald.
Im Winter verwandelte sich ihre Straße
jedoch in eine graue und trostlose, kalte
„Enklave für alte Menschen“, wie sie
beschreibt.
„Meine Freundinnen wollten irgendwann
nicht mehr zu mir nach Hause
kommen. Eine von ihnen wohnte am
anderen Ende von Wien in Favoriten, die
Fahrt allein dauerte schon anderthalb
Stunden. In den Ferien kam der Bus zur
nächsten U-Bahnstation in Hütteldorf
auch nur alle 30 Minuten! Es war eine
Odyssee.“ Bis sich Marija ihre ersten
eigenen vier Wände in der Stadt leistete,
verging einige Zeit. „Es war schon verrückt
damals bei meiner Oma. Ich konnte
mir ja zu Beginn nicht mal die Betriebskosten
leisten und daher wohnte auch
meine beste Freundin mit mir auf diesen
lächerlichen 40 Quadratmetern, und die
Freundin musste sogar im Wohnzimmer
schlafen, das ein Durchgangszimmer
war“, lacht sie. Da der Kühlschrank sich
nicht in der Wohnung, sondern im Keller
des Hauses befand, verhandelten Marija
und ihre Freundin jeden Tag aufs Neue,
wer denn in der Früh die Milch für den
Kaffee holen und so eine Begegnung mit
ihrer Oma riskieren würde. „Das wurde
aber zu einer Art Spiel, und wir nahmen
es mit Humor“, so die Wienerin mit serbischen
Wurzeln.
INTERNET:
EIN ONE-STOP-SHOP?
Mit dem Einzug in die Wohnung ist es
aber niemals getan. Auch das richtige
Haushalten will gelernt sein. Aziz, der ein
Wiener mit libanesischen Wurzeln ist,
und in einer größeren Familie aufwuchs,
unterschätzte nach seinem Umzug, wie
viel Zeit das Putzen und Wegräumen
in Anspruch nehmen würde. „Ich habe
mich total geirrt, wie viel Zeit das Ganze
mit dem Haushalt eigentlich in Anspruch
nimmt. Als ich noch bei meinen Eltern
gewohnt habe, konnte ich ein Glas in die
Küche stellen und es verschwand irgendwann
einfach. Wenn ich aber heute in
meiner Wohnung ein Glas irgendwo lasse
– Bruder, steht es für immer dort, wenn
ich es nicht wegräume“, winkt er ab.
„Man muss dieses Verständnis ablegen,
dass sich alles von alleine regelt, und
Verantwortung übernehmen“, so der
28-Jährige.
Katarzyna kommt ursprünglich aus
Polen und kam zu Studienzwecken vor
fünf Jahren nach Wien. Zuvor wohnte sie
schon in diversen WGs. Für sie war der
Schritt zur eigenen Wohnung auch eine
Kostenfrage. „Also ich hätte wirklich gerne
gewusst, wie teuer Putzzeug eigentlich
ist!“, verrät die 25-Jährige. „Aber
eine Freundin von mir hatte wirklich
überhaupt keine Ahnung, was zu tun war
nach dem Umzug. Sie ging tatsächlich
einfach zum Media Markt, um sich dort
Internet zu kaufen. Wirklich, sie dachte,
dass man mit dem einmaligen Kauf eines
Routers einfach Internet zuhause hätte“,
schüttelt sie den Kopf.
MÄNNER WIE SCHRÄNKE
Letztlich gilt beim Einleben in der ersten
eigenen Wohnung, wie so oft, das Motto:
Learning by doing. Ich wusste, dass man
einen Internetvertrag abzuschließen
hatte, und eine Haushaltsversicherung,
und so weiter. Nach etwa zwei Monaten
hatte ich die Wohnung gemütlich eingerichtet,
von der Küchenzeile bis zum
Orientteppich war endlich alles da. An
© unsplash.com/ Candice Picard / Beazy / Erda Estremera / Liuba Bilyk / Redd / Kam Idris / Maria Ziegler / Annie Spratt / The Creative Exchange / Ryan Christodoulou / Samuel Foster, Alp Duran, cleanpng.com
einem herbstlichen Samstagabend ging
ich allerlei Snacks für einen gemütlichen
Filmabend mit einem Freund einkaufen.
Zu Hause vernahm ich ein merkwürdiges,
plätscherndes Geräusch. Und ich
fand schnell die Ursache: In meinem
Badezimmer tropfte es von der Decke
und der Fliesenboden war komplett nass.
Wie durch ein Wunder verpassten die
dicken Tropfen die Steckdose meiner
Therme und ich klopfte an die Haustür
meiner Nachbarn auf der Etage über mir
– vergeblich. Es war schließlich Samstag,
und auch meine unmittelbaren Nachbarn
waren nicht zu Hause.
Das darf doch nicht wahr sein,
dachte ich mir und versuchte verzweifelt
meine Maklerin zu erreichen, weil
ich nicht wusste, was ich tun sollte. Sie
erklärte mir am Telefon, dass ich die
Feuerwehr alarmieren sollte. Und wieder:
Gesagt, getan. Eine Stunde später standen
fünf Feuerwehrmänner, jeder von
ihnen gebaut wie mein Kleiderschrank, in
meinem kleinen Flur. Die Frage war nun:
Sollten sie die Wohnung über mir aufbrechen,
oder nicht? Der „Anführer“ der
Einsatztruppe wehrte sich dagegen. „Es
muss in Bächen von Ihrer Decke fließen,
damit ich eine Wohnung aufbreche! Ich
habe schon ganz andere Dinge gesehen,
glauben Sie mir“, beschwichtigte er
mich. Schlussendlich konnte ich das Herz
eines seiner Kollegen erweichen, indem
ich auf die letzten, unausgepackten Kisten
im Wohnzimmer zeigte und erzählte,
dass ich doch gerade erst in diese
Wohnung gezogen war – meine erste
eigene Wohnung! Das führte dazu, dass
die Männer in Uniform sich doch darauf
einigen konnten, mit großem Krach das
Türschloss der Nachbarn über mir zu zerschmettern,
um dort, zu meiner großen
Erleichterung, einen schlimmen Wasserschaden
festzustellen.
Ich lernte an diesem Abend, dass das
eigene Bauchgefühl immer der beste
Wegweiser ist, und wie wichtig es ist,
aus seiner Komfortzone herausgehen zu
können und Verantwortung zu übernehmen.
Mein Bauchgefühl half mir dabei,
überhaupt abzuschätzen, ob meine Wohnung
die richtige für mich war. Und nun
will ich sie um nichts aufgeben. ●
DAS ABC ZUR ERSTEN
EIGENEN WOHNUNG
Du mietest deine ersten eigenen vier Wände und versinkst
im Begriffschaos? Hier einige Tipps, von A bis Z:
A
B
C
D
E
wie Aussperren
Du hast deinen Schlüssel verloren
oder zu Hause vergessen?
Einen Schlüsseldienst zu rufen
kann richtig teuer werden –
zwischen 49 und 84 Euro kann
ein Schlosser dir während der
Betriebszeiten (08:00 – 17:00)
verrechnen. An Wochenenden,
nachts oder an Feiertagen kann
eine Öffnung deiner Tür sogar
über 170 Euro kosten!
wie Beihilfe
Für alle, die ein geringes
Einkommen haben, kann die
Wohnbeihilfe Wunder wirken.
Mit dem Wohnbeihilfe-Checker
der Stadt Wien kannst du online
nachsehen, ob du die Voraussetzungen
für die Wohnbeihilfe
erfüllst und den Antrag sogar
bequem online ausfüllen!
wie Chaos
Miste deine Sachen aus, bevor
du umziehst! Marie Kondo wäre
stolz auf dich. Kombiniere das
Aufräumen mit Dingen, die du
liebst: Musik, Podcast-Hören
oder Telefonieren.
wie Dauerauftrag
Habe ich in diesem Monat
schon die Miete überwiesen?
Damit du dir diese Frage nicht
mehr stellen musst, richte im
Onlinebanking einfach einen
Dauerauftrag an deine Hausverwaltung
oder VermieterIn ein! In
der Regel sollte die Miete stets
am 1. des Monats einlangen,
das wird im Mietvertrag festgehalten.
wie Erstbezug
In vielen Wohnungsanzeigen
F
G
H
steht der Begriff „Erstbezug“.
Dabei handelt es sich um
den ersten Bezug einer neu
gebauten oder eben sanierten
Wohnung.
wie Fixkosten
Bevor du überlegst, deine erste
eigene Wohnung zu nehmen,
musst du einen Überblick über
deine Fixkosten haben. Diese
sind neben der Miete: Strom
bzw. Gas, Versicherungen, Handy-
und Internetrechnung und
Lebenserhaltungskosten.
wie GIS
Sobald du ein empfangsfähiges
Fernseh- oder Radiogerät zu
Hause stehen hast, musst du
das der GIS melden, unabhängig
davon, ob das Gerät
angeschlossen ist oder nicht!
Klopft ein GIS-Mitarbeiter bei dir
an die Tür, musst du ihn zwar
nicht reinlassen, das Gespräch
suchen solltest du aber trotzdem.
Eine Verweigerung der
Auskunft ist nämlich eine sogenannte
Verwaltungsübertretung
und kann mit bis zu 2.180 Euro
geahndet werden!
wie Hausverwaltung
Es gibt keine gesetzliche
Verankerung der Rechte und
Pflichten der Hausverwaltung
bei Mietwohnungen. Grundsätzlich
kommt die Hausverwaltung
bzw. der Vermieter für alle
Schäden auf, die die Gesundheit
der Mieter*innen gefährdet, z.
B.: Schimmel, Wasserrohrbrüche,
sowie undichte Fenster
und Leitungen. Achtung: Seit
28 / RAMBAZAMBA /
/ RAMBAZAMBA / 29
I
J
K
L
2015 müssen Mieter*innen für die
Wartung der Therme sorgen!
wie Installateur
Installateure sind für den Einbau
von Wasser-, Gas-, Wärme- und
Frischluftanlagen zuständig. Die
Preisspanne für ihre Arbeiten kann
in Wien sehr hoch sein. Allein für
die Anfahrt können sich die Kosten
schon zwischen 40 und 100 Euro
bewegen.
wie Jahresabrechnung
Die jährliche Betriebskostenabrechnung
kann zum Geldfresser
mutieren! Informiere dich deshalb
am besten auf der Webseite der
Mietervereinigung oder bei Mietguru
über Tipps und Tricks zur Jahresabrechnung.
wie Kaution
Die Kaution für eine Wohnung
beträgt in der Regel drei Monats-
Kaltmieten. Eine nicht eingezahlte
Miete kann von der Kaution
abgezogen werden. Für normale
Gebrauchsspuren in der Wohnung
(z. B.: Löcher in der Wand, Kratzer
auf dem Boden) darf die Kaution
nicht einbehalten werden.
wie Lohnzettel
Wenn du eine Wohnung mieten
willst, musst du beweisen, dass du in
der Lage bist, die Miete zu bezahlen.
Deshalb werden von der Hausverwaltung
oder den Vermieter*innen
oft die Lohnzettel der letzten drei
Monate verlangt.
wie Mietvertrag
M Ohne Mietvertrag geht nix – lass
ihn, bevor du ihn unterschreibst,
noch von jemandem gegenlesen:
Ob Eltern, einem Freund oder einer
Arbeitskollegin – damit keine zwielichtigen
Vereinbarungen übersehen
werden!
N
wie Nebenkosten
Das sind Kosten, die neben der Miete
anfallen: Darunter fallen Wasser,
O
P
Q
R
S
Müllabfuhr und so weiter. Rechne
dir vor dem Unterschreiben des
Mietvertrags am besten aus, wie viel
diese betragen werden. Dazu gibt es
Nebenkosten-Rechner im Internet.
wie Oh, nein! Unerwartete
Ausgaben
Der Geschirrspüler wird hin, das
Fenster klemmt, die Tür im Bad geht
nicht mehr zu – ob diese Probleme
von der Haushaltsversicherung oder
durch die Vermieter*innen gedeckt
sind, hängt vom Mietvertrag ab.
wie Provision
Die Wahrheit ist: Die richtig guten
Wohnungen findet man oft über
einen Makler. Dem muss man aber
eine saftige Provision zahlen. Tipp:
Bei fast allen Wohnungs-Suchseiten
kannst du den Filter „provisionsfrei“
eingeben.
wie Quadratmeter
Schau dir vor dem Einzug an, wie du
die Quadratmeter deiner Wohnung
am besten verwertest: Achte auf
Dachschrägen und Lichtverhältnisse!
wie Rauchfangkehrer
Meist hängt im Stiegenhaus ein
Zettel mit allen Infos zu Rauchfangkehrer-Terminen.
Wenn du an
besagtem Tag nicht zu Hause sein
wirst, informiere deine Hausverwaltung
darüber!
wie Stromnachzahlung
Um eine fiese Stromnachzahlung am
Jahresende zu vermeiden, mach dir
einen Pauschalbetrag aus, der etwas
höher als dein Verbrauch ist. Dann
bekommst du bestenfalls am Ende
des Jahres Geld zurück und dich
erwartet keine böse Überraschung!
Oder eben: Du musst nix mehr
draufzahlen, auch gut.
30 / RAMBAZAMBA /
T
U
V
W
X
Y
Z
wie Thermenwartung
Bitte nicht verschlafen: Die Therme
muss jährlich gewartet werden,
frag dazu am besten deine
Vermieter*innen.
wie Umleitung der Post
Du kannst deine Post in der nächsten
Postfiliale umleiten lassen, so
gelangen deine Briefe auch an dich
und nicht an deine alte Adresse!
wie Versicherung
Schließ eine Haushaltsversicherung
ab. Glaub uns, tu es einfach. Jetzt.
Dein späteres Ich wird dir danken.
wie Wohnungsanlage
In Wien entstehen gerade in
den Außenbezirken ständig neue
Wohnhausanlagen und Wohnprojekte
– schau dich dort um, an Vielfalt
mangelt es dort nicht!
wie X-Mal Stress mit den
Nachbarn
Das will jede*r vermeiden. Freunde
dich am besten schon am Anfang
mit deinen Nachbar*innen an: Dann
werden sie dir die ein oder andere
laute Party auch verzeihen – oder du
lädst sie einfach auch ein!
wie Yes, endlich alleine!
Denk daran – jetzt bist du und nur du
für deine Wohnung zuständig. Lass
deinen Wohnungsschlüssel nachmachen,
und lasse ihn bei einer Person
deines Vertrauens – im Notfall sehr
brauchbar, wie im Falle des Aussperrens.
wie Zentrales Melderegister
Wenn du umziehst, musst du dich
beim Magistrat ummelden – sprich:
Von der alten Adresse abmelden
und bei der neuen anmelden. Für die
Ummeldung hast du drei Tage Zeit.
Deshalb sollte das Meldeamt beim
Umzug ganz oben auf der To-do-
Liste stehen.
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T +43 664 609 28-1213 E eva.fleberger@buwog.com
haller.buwog.at
HWB 32,2-33,30 fGEE 0,75-0,76 Unverbindliche Visualisierungen. Kein Rechtsanspruch ableitbar.
Name: Shamil Borchasvili
Alter: 26
Wir haben Shamil in der
Roßauer Kaserne in Wien
getroffen – er wollte unbedingt
in seiner Uniform
fotografiert werden.
„Olympia
war
erst der
Anfang“
Shamil Borchasvili hat bei den Olympischen
Spielen diesen Sommer für Österreich die
Bronze-Medaille in Judo geholt. Der Welser
Tschetschene erzählt uns im Interview, warum
er im Olympischen Dorf niemanden getroffen
hat, warum er Floyd Mayweather lieber als
Khabib Nurmagomedov hat, und warum die
Bronze-Medaille erst der Anfang war.
Von Aleksandra Tulej, Foto: Zoe Opratko
BIBER: Shamil, du hast für Österreich die
Bronze-Medaille in Judo geholt, die erste
Judo-Medaille seit den 80ern. Wie haben
deine Eltern reagiert?
SHAMIL BORCHASVILI: Ich habe
meine Mama kurz vor der Siegerehrung
angerufen, das Telefonat hat aber nicht
lang gedauert, weil sie voller Tränen
war(lacht).
Du bist ja in Tschetschenien geboren.
Nach deinem Gewinn titelten alle möglichen
Medien „der Österreicher Shamil
Borchashvili gewinnt die Bronze-Medaille“
– wenn tschetschenischstämmige
Österreicher mit negativen Schlagzeilen
in den Medien sind, heißt es dann „der
Tschetschene“. Siehst du dich als Österreicher
oder als Tschetschene?
Ich bin in Österreich aufgewachsen, habe
hier die HTL Maschinenbau abgeschlossen
und meine Judo-Karriere habe ich
auch in Österreich angefangen. Meinen
Eltern war von Anfang an wichtig, dass
wir die Sprache lernen und uns gut integrieren.
Ja, ich bin Tschetschene aber
ich war seit 18 Jahren nicht mehr dort.
Wir haben drüben gar nichts: kein Haus,
kein Grundstück, gar nichts. Ich bin stolz,
dass ich für Österreich die Medaille holen
konnte – vor allem als Person mit Migrationshintergrund.
Du bist 2004 nach Österreich gekommen.
Wann hast du die Staatsbürgerschaft
bekommen? War das kompliziert?
Das weiß ich gar nicht mehr, Wir waren
zuerst in Traiskirchen, dann beim roten
Kreuz und dann an verschiedenen anderen
Orten in Oberösterreich, bis wir dann
nach Wels gezogen sind.
Wie schafft man es, so ein guter Judoka
zu werden? Was braucht man dafür?
Wenn man so gut wie ich werden will,
muss man Shamil heißen (lacht) Spaß!
Jetzt im Ernst: Ich habe vieles meinem
jüngeren Bruder zu verdanken, der will
immer trainieren und motiviert mich zum
Sport machen. Meinen Eltern war wichtig,
dass mein Bruder und ich irgendeinen
Sport machen, und es ist dann auf
Judo gefallen. Ich habe 2004, gleich
nachdem ich nach Österreich gekommen
bin, begonnen, zu trainieren. Aber dass
ich die Olympia-Medaille gewinne, war
damals nicht geplant (lacht) Ich habe
nach meiner Bundesheer-Grundausbildung
begonnen, als Heeressportler zu
trainieren, und für diese Möglichkeit bin
ich sehr dankbar. Auch meine Cheftrainerin
Yvonne Böhnisch hat mich extrem
gut vorbereitet.
Wie war die Stimmung im Olympischen
Dorf? Du warst zehn Tage dort, hast du
dort jemanden berühmten getroffen?
Ich habe mir dort gar nichts angeschaut.
Alles, was ich gemacht habe war: Essen,
Training und dann ab ins Zimmer. Ich
habe mich mit keinem getroffen. Ich
habe einfach für mich alle Gegner und
ihre Schwächen analysiert. Das erste,
das ich gemacht habe, als ich in Tokio
angekommen bin, war alle meine Social
Medias zu löschen: kein Instagram kein
Facebook, kein Whatsapp. Ich wollte
keine „Viel Glück“-Nachrichten und keine
Anrufe. Ich hatte mit keinem Kontakt,
ich wollte mich nur auf den Wettkampf
konzentrieren.
Das hat ja gut funktioniert. Du hast jetzt
die Medaille in der Tasche. Was sind deine
Pläne für die nächsten Monate?
Das ist erst der Anfang meiner Karriere.
Ich mache ja erst seit drei Jahren Profisport.
Vielleicht hole ich beim nächsten
Mal ja Gold. Ich werde schauen, dass an
meinen Schwachstellen arbeite.
Und was sind deine Schwachstellen?
Das werde ich dir nicht verraten, sonst
wissen es die Gegner (lacht).
Aber das wirst du uns bestimmt verraten
können: Wer ist dein Vorbild?
Floyd Mayweather. Ich feiere diesen
Typen.
Nicht Khabib Nurmagomedov?
Nein, nicht Khabib. MMA ist für mich keine
Sportart. Mayweather ist ein Boxer, er
ist mental, technisch und koordinativ so
stark, er ist mein absolutes Vorbild.
A propos Khabib - das österreichische
Medium exxpress.at hat ein Video veröffentlicht,
auf dem du dich angeblich
bei dem tschetschenischen Landesoberhaupt
Ramzan Kaydrow bedankst. Was
hat es damit auf sich?
Mich hat das sehr traurig gemacht, dass
da so aufgegriffen wurde. Ich war an
dem Wettkampf-Tag sehr emotional.
Ich habe mich bei dem Verein Edelweiß
(anm. d. Red.: ein Judo-Club in Tschetschenien)
bedankt, dafür dass sie für
mich mitgefiebert haben. Das war kein
politscher Gruß, ich wollte mich einfach
bedanken.
Was machst du eigentlich, wenn du
gerade nicht trainierst?
Mein großes Hobby sind Maschinen,
also vor allem Kawasaki. Meine Mutter
hasst es (lacht). Ich musste leider meine
Yamaha verkaufen, weil die Verletzungsgefahr
zu groß war. Aber ich liebe es, mit
meinen Freunden an deren Maschinen
herumzubasteln.
Was wünscht du dir von Österreichs
Nachwuchssportlern?
Mit meiner Medaille möchte ich den
Nachwuchs motivieren. Wir haben in
Österreich so viele talentierte Sportler,
nur fehlt ihnen einfach der Glaube
an sich selbst. Ich bin einer, der groß
träumt. Ich schaffe alles, was ich mir vornehme,
es ist nur eine Frage der Zeit. Es
ist möglich, in Österreich, wo Judo nicht
so populär ist, wie in Japan oder Korea,
etwas in der Disziplin zu erreichen. Ich
hoffe, dass wir bei der nächsten Olympia
dann mehr sind!
32 / RAMBAZAMBA /
/ RAMBAZAMBA / 33
LIFE & STYLE
Mache mir die Welt,
wie sie mir gefällt
Von Aleksandra Tulej
PANIC AT THE
BURGGARTEN: EMOS,
WO SEID IHR?
MEINUNG
Frau Lehrerin, mein
Staubsauger hat die
Kopfhörer gefressen!
Was schafft sich der Millennial von
heute an, wenn er das Pflanzensterben
in seiner Wohnung einigermaßen
in den Griff bekommen hat? Richtig:
einen Roboter-Staubsauger. Eine dieser
erwachsenen Investitionen, die das
Leben erleichtern (sollten). Alles, was
ich dafür tun muss, ist eine Fernbedienung
zu betätigen, und der Roboter
fährt und saugt von selbst. Wie chillig.
Denkste. Der gute Kumpane schaltet
sich nämlich jeden Morgen um Punkt
5:30 Uhr an und piepst fröhlich und
übermotiviert durch die Wohnung,
rattert an meiner Schlafzimmertüre,
weil er nicht hineinkommt. Ich muss
irgendwas programmiert haben, das ich
jetzt partout nicht mehr wegbekomme.
Also heißt es: Aufstehen, abdrehen
und wieder ab ins Bett. Ich habe ein
Haustier, ohne ein Haustier zu haben.
Und letztens hat er meine brandneuen
iPhone-Kopfhörer zerfleddert. Ich muss
dem Staubsauger diese traurige Pacman-Melodie
beibringen, damit er sich
ankündigen kann, bevor er wieder mein
Leben zerstören will. Und der Boomer
in mir schreit innerlich: „Die Maschinen
werden uns überrollen!“ Die Kopfhörer
waren erst der Anfang.
tulej@dasbiber.at
DER SOMMER-
ALLROUNDER
Mein Liebling des
Sommers: das
Cupuacu-Trockenöl
von Ziaja. Es besteht
aus Cupuacu, Sheabutter,
Macadamia-Öl
und Paranüssen. Man
kann es für die Haare,
das Gesicht und
den Körper verwenden.
Es riecht gut,
spendet Feuchtigkeit
und hinterlässt ein
angenehmes Gefühl
auf der Haut. Ich
würde am liebsten
darin baden. ZIAJA,
ca. 6 €
Trinktipp
BRATEE
BALLERT
Definitiv mein Must-have-Getränk des
Sommers 2021: BraTee Wassermelone.
Zugegeben, ich wollte ihn probieren,
da ich ein Packaging
und Marketing-Opfer
bin – und weil er von
Deutschrapper Capital
Bra herausgebracht wurde.
Und nun bin ich darauf
hängengeblieben. Er
schmeckt einfach nach
Sommer: fruchtig, aber
nicht zu süß. BraTee gibt
es in den Sorten Wassermelone,
Pfirsich, Granatapfel,
Zitrone und die
Bali-Edition mit Lychee-
Geschmack. Gibt’s bei
SPAR um 1,49 €.
34 / LIFESTYLE /
Bald hat die Generation Z alle,
wirklich alle Trends der 00-er
Jahre durch. Doch die Wiederauferstehung
einer Gruppierung
suche ich vergeblich: die Emos.
Sie regierten einst MySpace,
Netlog, den Burggarten und die
MaHü, hörten Fall Out Boy und
Panic at the Disco - sie waren
aus der Wiener Jugendkultur
einfach nicht wegzudenken.
Mit ihrem schwarzen Eyeliner,
den aufgebauschten Haaren mit
Seitenscheitel, den Pulswärmern
von Kingpin, den Nietengürteln
von Rattlesnake, Vans und den
Candy-Skull-Mäschchen erkannte
man sie schon aus 30 Metern
Entfernung. Doch seit gut zehn
Jahren scheint diese Subkultur
wie vom Erdboden verschluckt zu
sein. Ihre alten Spots scheinen
nun von selbsternannten Wiener
TikTok-Stars gentrifiziert worden
zu sein. Minus Myspace natürlich.
© Zoe Opratko, BraTee, Ziaja, Pixabay.com
echt. gut.
Der österreichische Serienmontag
Ab 20. September jeden Montag:
Walking on Sunshine | Neue Folgen | 20:15
Familiensache | Neue Serie | 21:05
X_207x270.indd 1 27.08.21 09:07
INSIDE: FRAU MIT VIERZIG
„BEKOMMT DIE
KINDER JETZT, BEVOR
ES ZU SPÄT IST!“
In fortgeschrittener Altersweisheit hinterlässt
Delna Antia-Tatić kurz vor ihrem Mutterschutz
eine dringende Empfehlung für junge Frauen.
Kann man ernst nehmen, muss man aber nicht.
© Zoe Opratko
Macht nicht denselben Fehler wie ich, wie
meine Freundinnen, wie meine Bekannten
und deren Freundinnen – wie tendenziell alle
Frauen meiner Generation in meiner Bubble,“
predige ich seit Jahren in der biber-Redaktion – bekanntlich
ein Magnet für sehr viele junge Frauen aller Art. Zum
Glück fürs Unternehmen verhalten sie sich jedoch stur und
uneinsichtig. Denn was tun sie? Nichts. Womit wir beim Kern
des Fehlers sind: In der entscheidenden Zeit ihres Frauseins
machen sie genau das, was ich auch tat: Sie lassen einfach
lässig laufen, werden Mitte 30 und älter, konzentrieren sich
in besorgniserregender Naivität auf ihre Karriere, ihr Ego und
ihre Verwirklichung und stehen dann irgendwann da: mit Kinderwunsch
und ohne Kind. Als ob sie keiner gewarnt hätte.
Nun, dieser Text übernimmt das hiermit.
Ich werde 38 Jahre alt. Das ist fast vierzig. Biologisch
eine fortschreitende Katastrophe, psychologisch die eingeläutete
Blütezeit. Ich werde grau, aber weise. Und im
Gegensatz zu einem knackigen Hintern oder rosigen Wangen
nützt diese Alterserscheinung nicht nur mir: Meine Weisheit
bringt allen etwas. Vorausgesetzt die Menschen würden auf
mich hören. Doch sie (!) tun es nicht. Dabei erkenne ich in
meiner Weisheit völlig an, dass Frauen in den Zwanzigern mir
in vielen Dingen weit voraus sind. Ich, als Vertreterin einer
bequemen Generation, die irgendwie immer so dazwischen
ist, schaue bewundernd auf alle jungen Frauen, die politisch
engagiert, klug und uneingeschüchtert die Welt verändern
wollen. Chapeau! Ich finde Euch toll und lerne gern von
Euch. Weiter so! Aber bitte, in dieser einen Sache hört mir
zu. Ich spreche aus Lebenserfahrung, wenn ich Euch dringend
empfehle: Wenn ihr Kinder wollt, bekommt sie JETZT –
bevor es zu spät ist. Klingt dramatisch, ist es leider auch.
Mit 26 Jahren hat frau ständig Panik,
ungewollt schwanger zu werden.
Denn das, was man sich als Zwanzigjährige nicht erträumen
kann, wird als Dreißigjährige zum Albtraum. Nicht immer.
Aber öfter, als ihr glaubt – viel öfter. Ich weiß, mit 26 Jahren
hat frau ständig Panik, ungewollt schwanger zu werden. Nun,
mit 36 Jahren passiert das Gegenteil: Frau will schwanger
werden, will Kinder haben, aber kann nicht. Es gehört leider
zu einer unverhandelbaren biologischen Tatsache, dass mit
zunehmendem Alter die Fruchtbarkeit abnimmt, von der
erhöhten Gefahr einer Risikoschwangerschaft oder davon ein
„nicht-gesundes“ Kind zu bekommen mal ganz abgesehen.
Ich zitiere das österreichische Gesundheitsportal: „Derzeit
wird bereits jedes siebente Baby von einer Frau über 35
Jahren geboren. Allerdings beginnt die Fruchtbarkeit schon
bei jungen Frauen ab einem Alter von etwa 26 Jahren langsam
zu sinken. So liegen die Schwangerschaftschancen pro
Lebensjahr beispielsweise bei Frauen unter 25 Jahren bei
90 Prozent, bei 24- bis 35-Jährigen bei 70 Prozent und bei
35- bis 40-Jährigen nur mehr bei 20 Prozent. Mit zunehmendem
Alter wird es also immer schwieriger, ein Baby zu
bekommen, und zwar sowohl auf natürlichem Wege als auch
bei künstlicher Befruchtung.“ Zusätzlich wird betont, dass
dies „unabhängig von körperlicher Fitness“ passiert. Sprich,
dagegen hilft weder Pilates noch Kickboxen. „Diese Tatsache
sollte bei der Familienplanung mitbedacht werden.“ Sag ich
ja. Es muss ja nicht panisch beim nächsten Tinderflirt die Pille
abgesetzt werden, aber ein bisschen Weitsichtigkeit erspart
frau einiges. Etwa Folgendes:
Nichts trennt Freundschaften so sehr,
wie der Kinderstatus.
Der unerfüllte Kinderwunsch wird in den Dreißigern schnell
so zentral, dass er zur psychischen wie zur sozialen Belastung
wird. Wer monatlich frustriert seine Regel bekommt
und bei dem „scheitert“, was stets als Naturgesetz galt
(„Sex ohne Verhütung beschert Kinder“), fühlt sich verraten.
Warum klappt es nicht – bei mir, bei uns? Immerhin können
„ältere“ Hollywoodstars das ja auch und bei der 40-jährigen
Nachbarin hat es letzten Monat auch geklappt. Was die
selbstzweifelnde Frau nicht weiß: Meist ist dieser Kinder-
36 / RAMBAZAMBA /
/ RAMBAZAMBA / 37
erfolg kein Zufall – doch dazu später. Es wird sich daher in
scheinheiliger Geduld geübt, nebenbei dem Partner eine
grüne Ernährungsumstellung verpasst, es wird mit Akupunkturnadeln
von TCM-Ärzten nachgeholfen und Sex strikt nach
Wochenplan geturnt. Das Projektmanagement hält Einzug
ins Schlafzimmer, bye bye unbekümmerte Leidenschaft. Die
Partnerschaft leidet – und Freundschaften haben es schwer.
Wer einmal in dieser Performancespirale steckt, geht weder
gern auf Babyshowers, noch will sie den Kinderrotz vom
Freundeskreis ständig unter die Nase gerieben bekommen.
In meinem Alter kann ich sagen: Nichts trennt Freundschaften
so sehr, wie der Kinderstatus. Denn das Konzept von
„Mutter-Vater-Kind“, einst die scheinbar normalste und
spießigste Angelegenheit auf der Welt, wird plötzlich zum
kostbaren Gut. Der 40-jährige Mann einer Freundin sagte mir
letztens: „Dass wir unsere drei Kinder natürlich und komplikationslos
bekommen haben, ist in unserem Freundeskreis
die Ausnahme.“ Nicht nur in seinem. Auch in meinem
Umkreis ist es das zentrale Thema: Es verbindet oder trennt.
Manche Freundschaften leiden, andere schaffen es mit viel
Fingerspitzengefühl. Dabei sind die Gründe so vielfältig.
Mit zunehmendem Alter tickt die
biologische Uhr dröhnender und
drängender. Und immer stärker rückt
die Möglichkeit ins Auge, dass die
Kinderlosigkeit bleibt – für immer.
Der Klassiker: Das ehrgeizige Paar ist inzwischen Ende
dreißig, Anfang vierzig, mit grauen Schläfen, teuren Sonnenbrillen,
ersten Falten und viel Druck in der Arbeit. Weil
kein natürlicher Trick geholfen hat, entscheidet es sich für
„in vitro“ – die künstliche Befruchtung im „Glas“. Das ist
zwar schweineteuer und verlangt der Frau eine ordentliche
Hormonprozedur ab, aber Happy-Endings sind nicht unwahrscheinlich.
Bei „in vitro“ liegt die Quote bei drei Versuchen
immerhin bei 50 Prozent. Und hey, oft wird das Paar gleich
doppelt beglückt: Hallo Zwillinge! Leider klappt es aber auch
oft gar nicht. Ein Schlüsselfaktor ist das Alter der Mutter. Und
das schmerzt. Wer so viel „investiert“ – Geld, Hormonprozeduren,
Leid und Hoffnung – für die wird es mit jeder Niederlage
enger. Mit zunehmendem Alter tickt die biologische
Uhr dröhnender und drängender. Und immer stärker rückt
die Möglichkeit ins Auge, dass die Kinderlosigkeit bleibt – für
immer. Manche Paare zerbricht das, andere wechseln die
Strategie drastisch, setzen auf noch künstlichere Formen der
Fortpflanzung: etwa die Leihmutterschaft. Doch auch diese
Variante birgt viele biologische und medizinische Herausforderungen.
Zudem ist diese „Ersatzgebärmutterschaft“
nur im Ausland möglich und es stecken Jahre der Planung,
Organisation und Prozeduren dahinter. Und viel Geld. Andere
Paare verabschieden sich von der Idee, ihr „eigenes“ Kind
zu bekommen. Sie adoptieren. Doch auch hier kann ein
38 / RAMBAZAMBA /
biologisches Zeitfenster versäumt werden. Wer sich zu spät
entscheidet, ein Kind zu adoptieren, kann zu alt dran sein.
Eltern sollten maximal 45 Jahre älter als das adoptierte Kind
sein. Und die „Nachfrage“ ist größer als das „Angebot“.
All diese Szenarien sind in meinem Bekanntenkreis passiert
– und die Hindernisliste ist längst nicht vollständig. Das
„hohe“ Alter macht ja zusätzlich noch aus anderer Richtung
Druck. Quasi bei der Grundvoraussetzung zur Fortpflanzung:
Die Frau braucht einen Partner! Männer können theoretisch
ein Leben lang Vater werden, mit der freundlichen Unterstützung
einer jüngeren Frau zum Beispiel. Umgekehrt können
Frauen das nicht, egal welchen Jüngling sie ergattern. Bei
Frauen geht es ums Timing, das wird in den Dreißigern klar:
Es braucht nicht irgendeinen zum Verlieben, es braucht den
Richtigen zur Familiengründung. Zur Veranschaulichung ein
paar Einblicke: Sie, Mitte 30, hat eine innige Beziehung zu
einem jüngeren Mann, Mitte 20. Sie wünscht sich Kinder, er
nicht – tja und die Jahre vergehen, bis es letztlich an diesem
Punkt scheitert. Jetzt heißt es mit 35 für sie nicht nur, einen
neuen Mann zu finden und zu lieben. Es gilt gleich, beim
nächsten Versuch aufs richtige Pferd zu setzen. Bloß wissen
wir alle: Wem das Ticken der biologischen Uhr aus den
Augen pulsiert, wirkt oft abschreckend am Paarungsmarkt.
– Umgekehrt: Die anderen Frau ist 39, in glücklicher Beziehung
mit einem älteren Mann, Anfang 50. Sie möchte Kinder,
er nicht – denn er hat schon welche. Beide verstehen die
Situation des anderen, sie lieben sich. Aber verzichten oder
nachgeben? Die Frau wird nächstes Jahr 40, ihre Uhr läuft.
Weitsichtig wie sie schon als junge Frau war, hat sie mit
Anfang 30 ein paar Eizellen auf eine Eizellenbank gelegt, der
Frische wegen. Zuletzt hat sie sich sogar nach alternativen
Familienmodellen umgesehen, etwa jener, sich das Kind mit
einem schwulen Pärchen zu teilen. Und noch eine Frau fällt
mir ein: Eine Top-Verdienerin Mitte 40, die mir gestand, die
Zeit in ihren Dreißigern mit einem Mann verbracht zu haben,
der keine Kinder wollte. Sie eigentlich schon. Die Beziehung
ist mit Anfang 40 gescheitert und mit ihr die Erfüllung ihres
Kinderwunsches. Jetzt sei es zu spät, sagt sie und zuckt die
Schultern.
Wem das Ticken der biologischen Uhr
aus den Pupillen pulsiert, wirkt oft
abschreckend auf dem Paarungsmarkt.
Ich könnte die Depressionskurve dieses Textes noch zuspitzen,
indem ich jetzt auf das gewünschte, aber nicht gelingende
zweite Kind einginge. Auch habe ich den Faktor der
männlichen Spermienqualität komplett außen vor gelassen.
Ich könnte die total unterschätzte Großeltern-Gleichung
vorrechnen: Je älter du bist, umso älter sind deine Eltern und
umso beschwerlicher tun sie sich, hinter Trotzbengeln auf
Woom-Bikes hinterherzurasen, während du zurück im Job
die Doppelbelastung wuppst. Aber lassen wir das. Vielmehr
möchte ich abschließend auf einen scheinbar banalen Punkt
hinweisen. Selbst wenn das späte Kinderkriegen geklappt
hat, ob natürlich oder künstlich, selbst dann macht sich
der Nachteil unserer Altersklasse ab Mitte 30 aufwärts
täglich bemerkbar. Ich spreche aus Erfahrung und aus der
meines grau-melierten Mannes mit dem übernächtigten
Pandagesicht. Kein Mensch ist mit 40+ so fit wie mit 20+.
Eltern am allerwenigsten. Doch den Babys und Kleinkindern
ist das egal, sie verlangen permanente Hochleistung
unter erbarmungslosen Bedingungen (um jahrelangen
Schlafentzug und die völlige Umstellung von „Me-Time“ zu
„Me-Maschine“ zu umschreiben). Mein Orientierungstipp
für junge Frauen: Verlagert das Kinderkriegen UND das
Kinderhaben am besten in die Altersperiode von Profi-Fußballern.
Die Natur scheint sich bei ihrer Fruchtbarkeitskurve
etwas gedacht zu haben. Nur weil Hollywood-Starlets
mit Mitte 40 Mütter werden, eure 40-jährige Bekannte
Zwillinge schiebt und ja auch ich erst mit Mitte 30 angefangen
habe, nehmt das weder als selbstverständlich noch
als Vorbild. Kriegt die Kinder lieber JETZT, bevor es zu spät
ist.
(Das gilt natürlich nicht für die jungen Frauen in der
biber-Redaktion. Die hatten ihre Chance. Jetzt müssen sie
arbeiten, denn ich gehe in Karenz. Alt, müde und dankbar
für das Kinderglück.) ●
Wer weiß,
wie ich im Job
am Ball bleibe
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Selbst bei künstlicher Befruchtung ist
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MEINUNG
Realität vs.
Fiktion
Vor vielen Monden, im Jahre 1997,
erschien der Film „Das fünfte Element“.
Es zeigte eine abgedrehte
Zukunft, die damals für unmöglich
gehalten wurde. Jetzt, ein paar Jahre
später, komme ich drauf, dass viele
Szenen näher an der Wirklichkeit
sind, als wir es je erwartet hätten.
Grelle Influcener die dabei eigentlich
wandelnde Plakatwände für Produkte
sind, Wahnsinnige im Straßenverkehr
und der vielzitierte Multipass, heute in
Form des Impfnachweises, in Zukunft
schon bald als Führerschein und PKW-
Zulassung. Film und Fernsehen und
Forschung stehen ja in Wechselwirkung:
tausende Ideen, die zunächst in
der Phantasie von AutorInnen entstehen,
werden mit der Zeit in der Wirklichkeit
gebaut und eingesetzt. Jetzt
fehlen nur noch die Gemini-Kroketten.
bezeczky@dasbiber.at
TECHNIK & MOBIL
Alt+F4 und der Tag gehört dir.
Von Adam Bezeczky
144 METER HOCH
SPACESHIP
Space X hat die ambitionierte, zukünftige
Mondrakete Starship zusammengefügt.
Eindrucksvoll ragt sie mit 122 Metern in Boca
Chica in Texas in die Höhe. Damit ist die Rakete,
die bald zu ihrem ersten Flug starten soll,
fast so hoch wie der Stephansdom.
Kühe, die
Lösung für
Plastikproblem?
Die armen Kühe weltweit
werden häufig für
die Klimaerwärmung
verantwortlich gemacht.
In ihren Mägen könnte
aber auch die Lösung
des weltweiten Plastikproblems
liegen. Dr.
Doris Ribitsch, Forscherin
an der BOKU Wien
und ihr Team konnten
im Labor nachweisen,
dass Kuh-Verdauungssaft
und die darin
enthaltenen Mikroorganismen
Plastik abbauen
können. Sobald der Vorgang
auf industrieller
Ebene genutzt werden
kann, wäre ein großes
Problem der Menschheit
gelöst.
Der Mensch als Batterie
Neue Entwicklung auf dem Gebiet der tragbaren Elektronik. Dank
einem thermoelektrischen Generator (TEG) wird jene Wärme, die
unser Körper produziert, zu elektrischem Strom umgewandelt.
Bald schon könnten tragbare Gadgets einfach dadurch aufgeladen
warden, dass wir sie tragen. Besonders im medizinischen Bereich
wäre dies ein Durchbruch.
© Marko Mestrovic, pixabay.com/Ulrike Leone, youtube /Sony Pictures, SpaceX
Foto: Christian Fürthner
„Warum brauchen wir
eigentlich die Stadtstraße?“
Weil die Stadtstraße die Seestadt
Aspern mit der Südosttangente
verbindet. Sie bündelt den Verkehr
und entlastet die Wohngebiete.
Allein in Hirschstetten fahren
künftig pro Tag 6.000 Autos
weniger durch die Wohngebiete.
Weil ein neuer Stadtteil neben
Öffis auch eine Straßenanbindung
braucht.
Tangente
Weil die Stadtstraße Aspern
behördliche Auflage in der sogenannten
Umweltverträglichkeitsprüfung
für die Seestadt Nord ist.
Weil dadurch in den neuen
Stadtentwicklungs gebieten
Wohnungen für 60.000 Menschen
gebaut werden können.
Hirschstetten
Tunnel
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Spange S 1
(ASFINAG)
40 / TECHNIK /
stadtstrasse.at
KARRIERE & KOHLE
Para gut, alles gut
Von Anna Jandrisevits
JOBS MIT AUSSICHTEN
FOMO („FEAR OF MISSING OUT“) WAR GESTERN!
Give it a try!
Schnuppern lautet die Devise für diesen Herbst an der VHS! Mit zahlreichen
Kursen bieten die Wiener Volkshochschulen für alle Vorlieben
und Talente ein breites Angebot für jede*n. Bevor am 4. Oktober das
Herbstsemester losgeht, können bei rund 400 Schnupperterminen
während der Woche der Wiener Volksbildung vom 20. bis 25. September
kostenlos und unverbindlich Kurse ausprobiert werden.
Egal ob Fitness-, Kunst-, Sprach- oder Kreativkurse - Infos wann welche
Schnuppertermine stattfinden, gibt’s auf
www.vhs.at/woche-der-wiener-volksbildung
MEINUNG
Alles ist normal
Der Sommer ist vorbei und ja, es ist wie
immer ein Schlag ins Gesicht. Die Panik, dass
der nächste Lockdown inklusive Distance
Learning vor der Tür steht mischt sich jetzt
mit weniger Tageslicht und mehr Verantwortung.
Ein neues Semester steht an und ich
glaube, die Motivation hält sich bei vielen
Studierenden in Grenzen. Verständlich, denn
zur körperlichen und psychischen Erholung
des letzten Jahres hätten wir eigentlich
gute zehn Monate Sommer gebraucht. Jetzt
stehen Stress und Zukunftsängste wieder an
der Tagesordnung. Aber auf eine komische
Art und Weise ist es ja auch schön, mit was
für Problemen Studierende sich jetzt wieder
rumschlagen müssen. Weil sie normal sind
im Studium und Normalität gerade etwas
Gutes bedeutet. Ich würde gerne wieder
eine Prüfung im Audimax machen, umgeben
von hundert anderen ahnungslosen Menschen
mit Augenringen. Ich würde gerne
wieder bei der ersten Frage wissen, dass es
ein Fetzen wird und trotzdem bis zur letzten
Sekunde versuchen, einen Vierer rauszuholen.
Ich würde gerne wieder nach der Uni mit
Studienkolleg*innen was trinken gehen und
darüber rätseln, was, wo und wie wir danach
für den Rest unseres Lebens arbeiten sollen.
Als baldige Absolventin kann ich das aber
nicht mehr. Deshalb, an alle Studierenden da
draußen: versucht den Vierer aus der Prüfung
rauszuholen, geht was trinken, spricht über
eure Zukunftsängste und schlaft aus, so lange
ihr könnt. Das ist normal und das ist gut so.
jandrisevits@dasbiber.at
WARUM
KINDER ARMUT IN
ÖSTERREICH KEIN
NISCHENTHEMA
IST
Österreich ist ein reiches
Land, wir haben einen
starken Sozialstaat – da sollte
das Thema Kinderarmut
eigentlich keines sein, oder?
Leider schon: In Österreich
leben 362.000 Kinder in
Haushalten, die armutsgefährdet
sind. Das heißt, diese
Familien können sich keine
unerwarteten Ausgaben leisten.
Aber man bekommt doch
Sozialleistungen?
Aber Sozial- und Notstandshilfe
sind zu gering. Das Arbeitslosengeld
ist viel zu niedrig,
Arbeitslosigkeit macht arm.
Was genau fordert die
Arbeiterkammer?
Lösungen für MieterInnen in
finanzieller Not. Besonders
wichtig ist es Kinderarmut zu
bekämpfen und Chancengerechtigkeit
im Bildungssystem
herzustellen.
Mehr Infos findet ihr unter:
www.arbeierkammer.at/
AktionArmutAbschaffen
Verlierer des
Monats:
KINDER VON IMPF
GEGNER*INNEN
Zu Schulbeginn sind manche Klassen
heuer kleiner als sonst. Denn Schulabmeldungen
sind in Österreich zuletzt
stark angestiegen. Es gibt Eltern, die
ihre Kinder aus Angst vor fehlenden
Covid-Maßnahmen aus der Schule
nehmen. Häuslicher Unterricht scheint
für viele weiterhin die bessere und
vor allem sichere Option zu sein. Fair
enough. Aber machen wir uns nichts
vor: die steigenden Schulabmeldungen
liegen vor allem an „Corona-
Skeptikern“, die bei Tests, Masken und
Impfungen nicht mitmachen wollen.
Dadurch verlieren Kinder ihr Recht
auf Bildung und Sozialisation. Warum
ist das erlaubt? Weil das Recht auf
häuslichen Unterricht verfassungsrechtlich
abgesichert ist. Im Gegensatz
zu Deutschland gibt es hierzulande
keine Schulpflicht, sondern nur eine
Unterrichtspflicht. Es wäre wohl Zeit
für eine Gesetzesänderung.
© Zoe Opratko, pixabay.com/Juraj Varga
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42 / KARRIERE /
Stand: 04/2021
Selbermacher
Traditionelle armenische
Küche mit einem
modernen Touch findet
man nun erstmals in der
Josefstadt. Das „Lavash“
ist österreichweit das
erste Restaurant seiner
Art.
Text: Nada El-Azar, Fotos: Vanja Pandurevic
W
er authentische, armenische
Gerichte genießen möchte,
muss ab jetzt nicht mehr in
den Flieger steigen. Denn seit Juni hat das
„Lavash“ seine Tore am Hammerlingplatz
geöffnet. Lavash ist der Name des traditionellen,
armenischen Fladenbrotes, das bei
keinem Essen fehlen darf. Geschäftsführer
Harutyun Hakobyan hat mit dem Restaurant
einen langersehnten Traum seiner Mutter
Narine Manukyan erfüllt. Denn seit ihrer
Ankunft in Österreich vor 20 Jahren wollte
die gelernte Köchin ein Stück Armenien in
ihre neue Heimat holen. „Armenien ist wie
eine Brücke zwischen dem Orient und dem
Westen. Ich wusste, dass in Österreich der
Geschmack unserer Küche gut ankommen
würde – es ist nämlich gesund und nicht zu
exotisch“, so die dreifache Mutter.
© Randy Faris/Corbis
© Randy Faris/Corbis
einem armenischen Supermarkt einkauft,
verleihen ihren Gerichten ihren authentischen
Geschmack. Die Kombination aus heißer
Sonne und luftigen Höhen der Berge lassen
Kräuter wie Minze, Oregano, Rosenpaprika
und roten Basilikum (auch Reyhan genannt)
besonders aromatisch werden. „Die armenische
Küche ist eine der ältesten in der
transkaukasischen Region, und auch weltweit.
Das Besondere an ihr ist, das heute noch so
gekocht wird wie vor hundert oder tausend
Jahren. Getreide, Hülsenfrüchte, Gemüse,
und Gewürze, sowie frischer Joghurt und das
traditionelle Lavash machen aus ihr eine vergleichsweise
gesunde Küche“, erklärt Harut.
LAVASH ALS ALLESKÖNNER
Täglich gibt es im Restaurant einen neuen,
kräftigen Eintopf mit Fleisch oder Fisch, zu
dem selbstverständlich auch Lavash gereicht
wird. Das namensgebende Fladenbrot wird
alle zwei Tage eigenhändig von Narine
zubereitet und ist ein wahrer Allrounder:
Frisch und fluffig nimmt es die köstlichen
Saucen auf, und ist als Begleiter zu den feinen
Gemüsetartars perfekt. Eingerollt als „Brutj“
hält das Brot alle Köstlichkeiten in Zaum.
Und knusprig gebraten entfaltet das Lavash
einen nussigen Geschmack, der einfach Lust
auf mehr macht. Geschäftsführer Harutyun
isst persönlich am liebsten die gefüllten
Weintraubenblätter, auch „Tolma“ genannt,
deren Geschmack er aus frühester Kindheit
schätzt. Neben gängigen Getränken findet
sich auch eine Auswahl armenischer Weine
und Cognac auf der Karte. Und, schon Lust
auf einen neuen kulinarischen Trip?
Richtig gutes Essen aus Armenien:
Lavash
Hammerlingplatz 2, 1080 Wien
WKO-WIEN HILFT
Im Gründerservice der
WKO-Wien kann man bei
einem Beratungsgespräch
alle Fragen stellen, die die
Gründung eines Unternehmens
betreffen. Im Vorhinein
kann man sich auch
schon eigenständig online
informieren. Ob generelle
Tipps zur Selbstständigkeit,
rechtliche Voraussetzungen,
Amtswege oder
Finanzierungs- und Förderungsmöglichkeiten:
Auf
der Website kommt man
mit wenigen Klicks zu allen
wichtigen Informationen.
wko.at/wien
www.gruenderservice.at
Die Selbermacher-Serie ist
eine redaktionelle Kooperation
von das biber mit der
Wirtschaftskammer Wien.
Online informieren!
W W www.gruenderservice.at
Ein Stück
Jerewan
in Wien
„WIR GEBEN IMMER
TAUSEND PROZENT.“
Und sie hatte recht. Der Großteil der Kundschaft
sind ÖsterreicherInnen. Und auch
einige armenische Familien waren bereits
zu Gast und tief überzeugt von Narines
Kochkünsten. „Ich liebe meine Kundschaft!
Für sie muss immer alles perfekt sein, vom
Essen bis zum polierten Besteck. Wer nicht
zufrieden ist, kommt nämlich nie wieder.
Und das will ich verhindern“, so die Köchin.
„Wir geben immer tausend Prozent“,
ergänzt Sohn Harutyun, der von ihr liebevoll
Harut genannt wird. Mit seiner eigenen
Mutter zu arbeiten genießt der 35-Jährige.
„Aber manchmal kann es auch anstrengend
sein“, grinst er.
Die Kundenzufriedenheit als Kredo von
Lavash spiegelt sich auch in der Küche
wider, wo Mama Narine schaltet und waltet.
Besonders die Wildkräuter, die Narine in
VON DER IDEE
BIS ZUR GRÜNDUNG
» GRUENDERSERVICE.AT
Basis-Informationen und und Tools Tools zur zur Gründung
finden finden Sie Sie auf auf unserer Webseite.
44 / KARRIERE /
„Gläubig zu sein heißt nicht,
asketisch leben zu müssen“
INAIA – Geschäftsführer Emre Akyel
Islamic Finance boomt. Etwa 2,5 Billionen US-Dollar
sind weltweit bereits halal angelegt. Mittendrin: das
deutsche FinTech INAIA. Im Interview erklärt Gründer
und Geschäftsführer Emre Akyel, wer entscheidet,
ob Finanzprodukte dem Islam entsprechen, und
wie sein Unternehmen ohne Zinsen Geld verdient.
Interview: Susan Djahangard
© INAIA
Herr Akyel, im Jahr 2007 haben Sie ein
islamkonformes Finanzunternehmen
gegründet. Was hat Sie dazu motiviert?
2007, das war das Jahr der Subprime-
Krise in den USA: Der dortige Immobilienmarkt
brach zusammen, und der Crash
löste eine weltweite Finanzkrise aus. Ich
habe damals im zweiten Semester International
Finance Management studiert
und nebenbei versucht, mit Börsenspekulationen
Geld zu verdienen. Plötzlich
schlug die Krise direkt in meiner Familie
auf: Zuerst verlor meine Mutter ihren
Job, dann auch mein Vater. Ich wollte
verstehen, wie diese Krise entstanden ist
und habe zwei Ursachen ausgemacht:
Zum einen die wilden Spekulationen an
der Börse, zum anderen die Gier der
beteiligten Menschen. Das hat mich dazu
gebracht, nach Alternativen zu suchen,
die zu meinen moralischen Werten
passen. So bin ich auf Islamic Finance
gestoßen. Mit meinem türkischen, muslimischen
Hintergrund hat mich das natürlich
angesprochen. Also habe ich dann
das Unternehmen gegründet. Von 2007
bis 2011 haben wir erst einmal Kunden
beraten, die islamkonforme Finanzprodukte
von anderen Finanzinstituten kaufen
wollten. Seit zehn Jahren kann man
sein Geld auch direkt bei uns anlegen.
Was bieten Sie also heute Ihren
Kund:innen an?
Bei uns gibt es Sparund Investmentprodukte
und bald auch ein Konto mit
Mastercard. Unser beliebtestes Produkt
ist ein Goldsparplan: Unsere Kundinnen
und Kunden investieren monatlich einen
Betrag, und wir kaufen in ihrem Namen
Goldbarren.
Warum Gold?
Gold hat für Menschen unterschiedlicher
Kulturen eine besondere Bedeutung.
Diese Tradition wollen wir erhalten. Aber
Gold ist auch eine sichere Anlage, weil
es einen physischen Gegenwert hat.
Weil Gold oft unter schlimmen Arbeitsbedingungen
abgebaut wird, haben wir
Kriterien festgelegt: Wir kaufen nur Gold,
von dem wir wissen, dass es ohne Kinderarbeit
und andere Menschenrechtsverletzungen
abgebaut wurde.
Wer entscheidet, ob Ihre Produkte halal
sind?
Gold ist und bleibt
eine der beliebtesten
Anlagen in
vielen Kulturen.
Jedoch wird es oft
unter schlimmern
Arbeitsbedingungen
abgebaut - darauf
muss geachtet
werden.
In Bahrain sitzt die Dachorganisation
AAOIFI, die Accounting and Auditing
Organization for Islamic Financial Institutions.
Sie publiziert Standards, die
für islamkonforme Finanzprodukte und
Versicherungen gelten. Darin ist natürlich
das Zinsverbot festgehalten, das
der Koran vorgibt. Aber auch, dass man
nicht in Unternehmen investieren darf,
die mit Waffen, Glücksspiel, Alkohol oder
Schweinefleisch zu tun haben. Mein
Kollege in der Geschäftsführung und ich
sind durch die AAOIFI zertifizierte Berater
und Auditoren. Das heißt, wir können
in einem ersten Schritt selbst bewerten,
ob unsere Produkte den Kriterien
entsprechen. Zusätzlich arbeiten wir mit
einem Beratungsunternehmen in Dubai
zusammen. Dort gibt es ein Gremium
von Gelehrten, das nach den AAOIFI-
Standards unsere Produkte endgültig
zertifiziert. Manchmal ist das gar nicht
so einfach: Für die Gelehrten sind viele
Technologien, die erst in den letzten
Jahren entwickelt wurden, auch nur
schwer verständlich und einzuordnen.
Welche meinen Sie da?
Wir überlegen zurzeit zum Beispiel, ob
unsere Kund:innen in Kryptowährungen
investieren können. Im Islam ist der Handel
mit Währungen grundsätzlich erlaubt.
Aber ist eine Kryptowährung wie Bitcoin
wirklich eine Währung oder nur ein Spekulationsobjekt?
Darüber sind sich die
Gelehrten bisher nicht einig.
2015 hat auch der damalige deutsche
Finanzminister Wolfgang Schäuble
öffentlich auf die wachsende Bedeutung
von Islamic Finance hingewiesen. Im
selben Jahr eröffnete die türkische KT
Bank, spezialisiert auf Islamic Finance, in
Deutschland ihre ersten Filialen. Ist das
Ihr größter Konkurrent?
Teilweise bieten wir ähnliche Produkte
an, das stimmt. Aber unsere größten
Konkurrenten sind keine Anbieter im
Bereich Islamic Finance, sondern die
Sparkassen. Die meisten unserer Kundinnen
und Kunden haben den Großteil
ihres Geldes dort oder bei anderen konventionellen
Banken. Bei uns sparen sie
nur einen Teil.
Bleiben wir bei Ihren Kund:innen. Wissen
Sie, warum sie bei Ihnen anlegen?
Unsere Kundinnen und Kunden sind im
Durchschnitt 34 Jahre alt. Wir bedienen
also eine sehr junge Kundschaft.
Natürlich sind viele davon Musliminnen
und Muslime – aber auch in der Bibel gibt
es ja ein Zinsverbot. Deshalb sind auch
einige strenggläubige Katholikinnen und
Katholiken bei uns. Genauso haben wir
auch jüdische, hinduistische und atheistische
Kund:innen. Wir führen aber über
die Religionszugehörigkeit keine Statistik,
deshalb kann ich hier keine genauen Prozentsätze
angeben. Grob geschätzt sind
zwei Drittel Musliminnen und Muslime,
überwiegend mit Migrationshintergrund.
Aber das ändert sich zurzeit – immer
mehr Nichtmuslim:innen kommen zu uns.
Sie werben mit dem Slogan „Ethisch.
Moralisch. Ertragsorientiert“. Wie passt
„ertragsorientiert“ zu einem Islamic-
Finance-Unternehmen?
Das ist überhaupt kein Widerspruch.
46 / KARRIERE / / KARRIERE / 47
Verzicht hat im Islam zwar eine hohe
Bedeutung, das sieht man im Ramadan.
Aber gläubig zu sein heißt nicht, asketisch
leben zu müssen. Allah hat Zinsen
verboten, aber Handel erlaubt. Musliminnen
und Muslime dürfen und sollen sogar
Unternehmen gründen, Waren produzieren,
Geld verdienen – weil sie so der
Gesellschaft einen Mehrwert bieten, weil
sie so Arbeitsplätze schaffen. Außerdem
sind wir als Musliminnen und Muslime
alle verpflichtet, die Zakāt zu zahlen. Also
ist es ja toll, wenn wir vielen Kundinnen
und Kunden dabei helfen können, Vermögen
aufzubauen, weil davon am Ende
viele profitieren, auch arme Menschen.
Welche Rückmeldungen bekommen Sie
auf Ihre Arbeit, etwa auch von anderen
deutschen Banken?
Das ist sehr gemischt. Viele Menschen
finden spannend, was wir machen,
weil es ihnen ähnlich geht wie mir am
Anfang: Sie haben ein Problem mit der
Gier im kapitalistischen Finanzsystem.
Aber wir begegnen ab und an auch groben
Vorurteilen, bis hin zur Islamfeindlichkeit
seitens deutscher Unternehmen.
Ich glaube trotzdem, dass wir mit
unserem Unternehmen Brücken bauen
können. Wir haben am Anfang überlegt,
ob wir uns Islamic Finance überhaupt auf
die Fahnen schreiben sollen. Ob wir nicht
einfach ein ganz allgemein „ethisches“
FinTech [Finanztechnologie-Unternehmen,
Anm.] sein wollen. Wir haben
uns dann bewusst für das Branding
als islamkonform entschieden, weil wir
hoffen, damit Dialog und Verständnis zu
fördern. Wenn Menschen sehen, dass
wir gute Arbeit leisten, dann assoziieren
sie in Zukunft vielleicht auch uns mit
„dem Islam“ und nicht nur die negativen
Vorstellungen, die sich in den letzten
zwanzig Jahren breitgemacht haben.
48 / KARRIERE /
Spekulationsgeschäfte
mit
Wertpapieren
wären nicht islamkonform,
da hinter
diesen Produkten
kein physischer
Wert steht. Beteiligungen
an Unternemen
sind aber
durchaus möglich.
Eine konventionelle Bank verdient ihr
Geld mit Kontogebühren und Zinsen. Wie
machen Sie Gewinn?
Wenn wir für jemanden Gold kaufen,
dann nehmen wir für diese Dienstleistung
ein Entgelt, eine sogenannte Wakala-Gebühr.
Das ist islamkonform: Für
unseren Service haben wir eine Gegenleistung
verdient, die Kosten dürfen nur
nicht exzessiv sein. Bald werden wir auch
eine Immobilienfinanzierung anbieten.
Dafür gibt es verschiedene Modelle, wir
setzen auf das Prinzip, das Diminishing
Musharaka genannt wird. Das heißt: Eine
Kund:in und wir kaufen gemeinsam ein
Objekt. Die Kund:in nutzt die Immobilie
und zahlt uns für unseren Anteil Miete.
Darüber hinaus kauft die Kund:in Monat
für Monat Anteile am Haus dazu. Somit
reduziert sich unser Mietanteil, bis das
Eigentum vollständig auf die Kund:in
übergeht. Wir berechnen in den Mietanteilen
einen Aufschlag, der uns als Profit
zusteht.
Aber ist das dann nicht das Gleiche wie
ein Darlehen, das eine Kund:in monatlich
tilgt, mit einem Aufpreis, den man
normalerweise Zinsen nennt?
Nein, wir sind gemeinsam
Eigentümer:innen eines Objekts. Somit
gibt es keine Geldleihe, sondern beide
Parteien beteiligen sich aktiv am
Geschäft. Des Weiteren kalkulieren wir
auf einer ganz anderen Basis, die losgelöst
vom Marktzins ist.
Neben dem Goldsparplan bieten Sie
auch ETF-Sparpläne an, also Sparpläne
mit Aktienfonds, die einen Börsenindex
abbilden. Damit ist INAIA dann doch im
klassischen kapitalistischen Börsenhandel
unterwegs. Wie passt das zu dem,
was Sie am Anfang gesagt haben – dass
Sie mit Zockerei und Spekulation nichts
zu tun haben wollen?
Hier muss man sich bewusst machen:
An der Börse werden unterschiedliche
Produkte gehandelt. Sehr spekulative,
wie Wertpapiere, die nur Kursschwankungen
abbilden, ohne dass dahinter
ein tatsächlicher, physischer Wert steht.
Damit zu handeln wäre nicht islamkonform.
Mit Aktienfonds hingegen erwirbt
man Beteiligungen an Unternehmen. Die
Aktien haben einen echten Gegenwert,
daher ist das in Ordnung. Wir bieten
über verschiedene Depotbanken unterschiedliche
Aktienfonds an, so können
unsere Kundinnen und Kunden selbst
entscheiden, in welche Unternehmen
sie investieren möchten und in welche
nicht. Abgesehen davon muss man auch
die eigene Intention hinterfragen, denn
auch in der Finanzwelt gilt die islamische
Überlieferung: Die Taten entsprechen
den Absichten. Ist meine Absicht, an der
Börse zu zocken, so ist das nicht halal.
Will ich aber mittel- oder langfristig mit
Aktien in ein Unternehmen investieren,
ist das mit den Vorschriften des Islam
vereinbar.
Dieser Text ist in der Sommer- Ausgabe des QAMAR
Magazin erschienen. QAMAR ist das erste muslimische
Magazin in Österreich, der Artikel erscheint im Rahmen
einer Kooperation.
Entgeltliche Einschaltung
GLOSSAR:
ISLAMIC FINANCE
Amanah
Treuhänderschaft
Gharar
Verträge mit hoher Unsicherheit, sprich Spekulation
Ijara
Leasingvertrag
Kafala
Garantie bzw. Bürgschaft
Mudaraba
islamkonformes Modell der Investition in Unternehmen,
vergleichbar mit einer stillen Gesellschaft
Musharaka
eine Art Joint Venture, bei dem beide Vertragspartner Kapital
einbringen und am Gewinn/Verlust beteiligt sind
Diminishing Musharaka
Vertragspartnerschaft mit sukzessivem Eigentumsübergang
von einem Partner auf den anderen
Shape your
future
Kevin Jaindl, Europameister Maurer, 2014 / Lisa Janisch, Europameisterin
Maler & Beschichtungstechnikerin, 2016 / Melanie Seidl, Europameisterin
Steinmetz, 2012 / Birgit Haberschrick, Europameisterin Floristik, 2014 /
Manfred Zink, Weltmeister Möbeltischler, 2015
Permanent Musharaka
Vertragspartnerschaft mit gleichbleibenden Eigentumsanteilen
beider Partner
Quard Hassan
wohltätiges Darlehen ohne Gewinnaufschlag
Ribā
Zinsen
Sukuk
Anleihe, bei der keine Zinsen auf das angelegte Kapital
gezahlt werden
Takaful
Versicherung mit Solidaritätsprinzip
Ujra
Gebühr für Dienstleistungen
Wakala
Vermittlungs- oder Vertretungsvertrag
Waqf
Stiftung
Zakāt
im Islam verpflichtende Abgabe eines Einzelnen für das
Gemeinwohl
Erlebe Innovation & neue Trends in deinem Wunschberuf!
Die Zukunft braucht Menschen mit Kompetenz und
Weitblick – die Lehre vermittelt die Skills von morgen
in einem von mehr als 200 Lehrberufen in Österreich.
Informationen findest du auf www.euroskills2021.com,
www.bic.at oder in der TryASkill APP (iOS/Android).
„Erzähl mir deine Geschichte“
Asylwerber und ihr Leben in Wien
Von Hannah Jutz. (Fotos: Lisa Leutner und Zoe Opratko)
Zuhören, diskutieren und mitfühlen: BIBER begrüßte im Rahmen
der diesjährigen Summer-School drei Asylwerber, die mit den
insgesamt rund dreißig Schüler*innen über Flucht, das Leben in
der alten und der neuen Heimat sprachen.
50 / KARRIERE /
Mittwoch Vormittag, zehn Uhr:
Ein Dutzend junger Journalismus-Talente
lauschen in der
BIBER Redaktion gespannt der Geschichte
von Omid. In einem kurzen Video
erzählt der Asylwerber von seinen Erlebnissen
auf der Flucht und dem Leben in
Wien. Omid ist 25 Jahre, verheiratet und
lebt seit fünf Jahren hier. Bereits vier Mal
hat er schon einen negativen Asylbescheid
bekommen. Was die Lage noch
bitterer für ihn macht: Seine Frau, mit
der er zusammen in Wien lebt, hat einen
positiven Bescheid erhalten.
Das Video mit Omid ist eines von
insgesamt fünf Videos, das die Summer-
School Teilnehmer und Teilnehmerinnen
an diesem Vormittag ansehen. Sie wurden
von biber mit freundlicher Unterstützung
des „Fonds Soziales Wien“ gedreht.
In den Videos erzählen Asylwerber vom
Krieg, lassen ihre Flucht Revue passieren
und gewähren den Jugendlichen einen
privaten Einblick in ihr Leben in Österreich
und die Hoffnungen und Ängste,
die daraus resultieren.
Omid wartet seit 5 Jahren auf einen
positiven Asylbescheid. Seine Ehefrau
hat ihn schon.
Soza Jan (rechts) und Omid Sadeghi (kniend davor) erzählten über ihre Flucht und das
Leben in Österreich.
OMIDS BRIEFE AN KURZ
UND VAN DER BELLEN
Wenn Omids Asylverfahren mit einem
negativen Bescheid endet, muss er
Österreich verlassen und nach Afghanistan
zurückkehren, obwohl er dort
nur fünf Jahre seines Lebens gelebt
hat. Aufgewachsen ist er im Iran, wo er
als Mensch zweiter Klasse behandelt
wird. Omids Wunsch ist es, eine Heimat
zu finden, in der er in Freiheit leben
kann. Um diesen Wunsch zu erfüllen,
hat er schon Mails an Bundespräsident
Alexander Van der Bellen und Bundeskanzler
Sebastian Kurz geschrieben.
Seine emotionale Geschichte löst bei
den Teilnehmer*innen Überraschung
und Unverständnis aus: „Ich dachte,
dass Asylverfahren gerechter ablaufen
und es nicht normal ist, sein Recht auf
Asyl vor Gericht erstreiten zu müssen“,
so eine anwesende Jungjournalistin.
Eine andere Jugendliche ist derselben
Meinung: „Ich hätte mir nie erwartet,
dass man als Flüchtling so schlecht lebt.“
Andere Teilnehmer*innen der Summer
School fühlen sich in ihren Erfahrungen
bestätigt: „Die Videos bestätigen nur,
wie ungerecht die Justiz mit Geflüchteten
umgeht.“ Unvorstellbar ist für viele
dieses Gefühl der Ohnmacht und die
Tatsache, nichts an der eigenen Situation
ändern zu können.
Die Videos lassen die Beteiligten
tief betroffen zurück und sorgen auch
für Aufklärung: „Es wurden Vorurteile,
die ich mir bisher nicht eingestehen
wollte, aufgebrochen“, so eine Teilnehmerin.
Nach den Videos diskutieren die
Teilnehmer*innen der biber-Summer-
School mit Kamerafrau und Videoproduzentin
Soza Jan und den anwesenden
Asylwerbern über die gezeigten Videos,
stellen Fragen und räumen Vorurteile aus
dem Weg.
Soza Jan ist syrische Kurdin und
kennt die Lebenswelten der Asylwerber.
Gemeinsam mit ihnen hat sie die Videos
aufgenommen, geschnitten, bearbeitet.
Die Porträt-Videos gewähren private Einblicke
und geben den Zuseher*innen die
Möglichkeit, die Lebenswelt der Geflüchteten
zu verstehen. Das kommt gut an:
„Nach diesen Einblicken ist es ein wenig
leichter, sich in die Lage der Betroffenen
zu versetzen. Ich persönlich konnte mir
davor schlecht vorstellen, wie das Leben
einer geflüchteten Person aussieht und
wie man sich dabei fühlt. Aber nun habe
ich ein gewisses Feingefühl dafür und für
die Menschen vermittelt bekommen“, so
eine betroffene Zuseherin.
„
Ich hätte mir nie
erwartet, dass man
als Flüchtling so
schlecht lebt.
“
/ KARRIERE / 51
BEZAHLTE ANZEIGE
Mohib hat in Afghanistan als Apotheker
gearbeitet. Seine große Leidenschaft ist
aber Musik.
„
Das Singen mit
Mohib ist mir besonders
in Erinnerung
geblieben.
“
MOHIBS TRAURIGE
MELODIE
Im zweiten Video wird Mohibs Geschichte
präsentiert. Nazari Mohibullah,
genannt Mohib, kommt 2016 aus
Afghanistan nach Österreich. Damals
ist er gerade einmal 17 Jahre alt. Fünf
Jahre wartet er auf seinen Asylbescheid,
darf nicht arbeiten oder eine Ausbildung
beginnen. In Afghanistan arbeitete er
als Apotheker, auch hier würde er gerne
eine Apotheker-Lehre machen oder
Musiker werden. Während seiner Zeit
in Österreich hat er nämlich begonnen,
Gitarre zu spielen. Gemeinsam mit den
Summer-School-Teilnehmer*innen diskutiert
er, beantwortet Fragen, spielt einige
Lieder auf seiner Gitarre vor und singt
gemeinsam mit ihnen. „Das Singen mit
Mohib ist mir besonders in Erinnerung
geblieben“, sagt eine Teilnehmerin. Viele
finden es mutig, dass Geflüchtete wie
Mohib so offen über ihre Erlebnisse sprechen:
„Respekt an die Menschen, dass
sie sich das getraut haben.“ Mittlerweile
macht Mohib ein zweimonatiges Praktikum
in der biber-Redaktion. Aufgrund
der sich überschlagenden Ereignisse in
Afghanistan wurde er vielen Menschen in
Österreich bekannt. Seine Blogs erfahren
große Beliebtheit und er gab Interviews
für heimische TV-Sender.
Soroosh flüchtete aus dem Iran und hat in
Österreich einen kleinen Sohn.
SOROOSH SCHREIBT EIN
BUCH
In der letzten Woche der Summer-School
kommt Soroosh zu den Jugendlichen.
Soroosh flüchtete vor der repressiven
islamischen Republik Iran und ihren
Todesschergen. Sein Wunsch ist es, in
einer Demokratie und in Sicherheit zu
leben. Inzwischen ist Soroosh verlobt
und hat einen Sohn, der in Österreich
geboren ist. Er möchte seine Familie
gerne selbst versorgen, darf aber
nicht arbeiten – so wie übrigens alle
Asylwerber*innen! Deswegen hat
Soroosh begonnen, ein Buch zu schreiben.
Auch er beantwortet die Fragen
der Jugendlichen und spricht offen
über seine Erfahrungen. „Ich habe
mich bisher nicht wirklich mit geflüchteten
Personen beschäftigt, weil ich
mich davor gesträubt habe. Die Videos
und das Gespräch mit Soroosh waren
kurze, aber richtig gute Einblicke in ihre
Realität“, erzählt eine Teilnehmerin. Viele
„
Die Videos und
das Gespräch mit
Soroosh waren richtig
gute Einblicke in
ihre Realität.
“
sind von den Geschichten berührt:
„Mich macht es traurig, dass viele
Flüchtlinge arbeiten möchten und
dass es ihnen nicht leicht gemacht
wird.“ Besonders in Erinnerung
blieben nicht nur die Gespräche mit
den Geflüchteten, sondern auch
die Videos selbst: „Man sieht den
Schmerz in den Augen der Interviewten.
Vor allem die Geschichte
von Soroosh, der seinem Sohn
aufgrund unserer Gesetze finanziell
nichts bieten kann, hat mich
berührt.“
Die Summer-School-Teilnehmer*
innen hoffen, dass die Videos noch
mehr Menschen gezeigt werden:
„Diese Videos brauchen unbedingt
mehr Zuseher*innen. Sie geben
einen unglaublichen Einblick in
ein sehr belastendes Thema. Das
Anschauen hat sehr geschmerzt.“
Andere Jugendliche stimmen zu:
„Ich finde es so wichtig, dass diesen
Personen Raum gegeben wird. Kein
Mensch ist illegal!“ Sie glauben, dass
es wichtig ist, die Fluchtgeschichten
nachempfindbar zu machen, die
Personen in diesen Geschichten
kennenzulernen. „Sobald man ein
Gesicht zu der Geschichte hat, sieht
man das Problem mit neuen und
offeneren Augen.“ ●
Die Teilnehmer*innen der biber Summer School hörten interessiert der
Geschichte der syrischen Kurdin Soza Jan, die in Wien als Kamerafrau und
Videoproduzentin arbeitet.
ZUM PROJEKT:
Im Rahmen des Video-Projekts „Erzähl‘ mir deine Geschichte“
kommen Schüler*innen aus Wiener Schulen in Kontakt mit der
medial ausgegrenzten Gruppe der Asylwerber*innen. Nach Sichtung
von mehreren Videos, die eigens im Rahmen des Projekts
gedreht wurden und die den Alltag von Asylwerber*nnen zeigen,
kommt es zu einem Gespräch auf Augenhöhe. Dadurch sollen die
Schüler*innen mehr über Asylwerber*nnen und ihr Leben in Österreich
erfahren. Das Projekt wurde mit der freundlichen Unterstützung
des „Fonds Soziales Wien“ durchgeführt. Alle Videos können
Sie auf www.dasbiber.at oder www.asyl.at nachschauen.
Aleks Jobicić
Job?
Fix!
DIE BERUFSLEBENSKOLUMNE
DES AMS WIEN
Ein Erlebnis von diesem Sommer lässt mich
nicht los. Im Mai lerne ich am Donaukanal
Marija kennen. Marija, 26 Jahre, Wuschelhaare,
Nostril-Piercing. Zufallsbekanntschaft. Wir
reden eine Weile, tauschen Handy-Nummer,
verlieren uns aus den Augen.
Szenenwechsel. Vor drei Wochen. Im Urlaubsdusel
steh ich mit meinem Rucksack am
Bahnsteig, der Zug schiebt sich heran, und als
sie GENAU vor mir ist, pfeift die Lok aus vollem
Rohr. Ich springe drei Meter in die Luft, Marija
grinst aus der Lok.
Marija ist Lokführerin. Marija brettert mit 200
über Weichen, dass man trocken schluckt.
Sie fährt im Blindflug durch Tunnel, in denen
man nur Schwärze sieht. Sie hat Signale im
Blick, Befehle der Verkehrsleitung im Ohr, ihre
Verantwortung im Kopf.
Marija liebt ihren Job. Kein Wunder. Sie verdient
auch ziemlich gut für ihr Alter, ihr Arbeitgeber
unterstützt sie. Als Frau, sagt Marija zu
mir im Führerstand, bist du in so einem Beruf
genau richtig. Warum? Weil du, sagt Marija,
in einem technischen Beruf verdienst wie ein
Mann, Karriere machst wie ein Mann.
Ich denke darüber nach. Dein Job, sage ich.
Ich weiß nicht, ob ich das könnte. Aleks, sagt
Marija jetzt ein bisschen sauer. Kein Mann hat
das je zu mir gesagt. Was ich kann, können
andere Frauen auch.
Tipp: Es ist nun mal so: Typische „Männerberufe“
bieten oft bessere Chancen.
Das AMS unterstützt Frauen, die sich für
handwerkliche oder technische Berufe wie
Lokführerin interessieren, mit Infos, Praktika
und Ausbildungen. ams.at/fit
52 / / MIT KARRIERE SCHARF / /
MEINUNG
„Balla Moskow, balla
Boskow!”
Ich bedauere ja mittlerweile, dass ich
meine zweite Muttersprache Arabisch
niemals ordentlich lesen und schreiben
gelernt habe. Nun gut, vielleicht lag es
eher an der samstäglichen Koranschule
im Jugendalter und dem phonetischen
Auswendiglernen von Suren, deren Sinn
ich nicht verstand, die letztlich dazu führten,
dass ich mit der Sprache nichts zu
tun haben wollte. Bis ich 16 Jahre alt war,
weigerte ich mich gar, mit meinen Eltern
Arabisch zu sprechen! Stattdessen antwortete
ich immer auf Deutsch, auch um
möglichst „normal“ zu sein. Dabei gibt es
so viele Sprachspiele, die im Deutschen
gar nicht möglich wären. Wie etwa das
Erfinden von Fake-Wörtern, die sich auf
bestehende reimen, um auszudrücken,
dass irgendetwas partout nicht in die Tüte
kommt. Als ich beispielsweise meine Mutter
mit 18 fragte, ob ich auf ein Auslandssemester
nach Moskau könne, meinte sie:
„Weder Moskau noch Boskau!“ Das klingt
doch großartig, oder nicht? Das dachte
ich jedenfalls, bis ich meinen Vater, der
übrigens rohen Fisch hasst, fragte, ob wir
mal Sushi essen gehen könnten. „Weder
Sushi, noch Mushi!“, war seine Antwort…
Okay, genug Sprachspiele für heute.
el-azar@dasbiber.at
KULTURA NEWS
Klappe zu und Vorhang auf!
Von Nada El-Azar
Podcast-Tipp:
Ein Herz und ein Habibi
Der Psychologe, Extremismusexperte und Autor
Ahmad Mansour ist normalerweise für seine
starken Beiträge zu knallharten Themen wie
Ehrenmord, islamistische Radikalisierung und dem
Konflikt im Nahen Osten bekannt. Gemeinsam mit
seiner Frau Beatrice hat er aber nun den Podcast
„Ein Herz und ein Habibi“ gestartet, in dem sich
alles um ihre bikulturelle Ehe dreht. Er ist als
palästinensischer Muslim in Israel aufgewachsen,
sie in einer
christlichen Familie im
deutschen Odenwald.
Was das konkret
für ihre Beziehung
bedeutet, besprechen
Ahmad und Beatrice
Mansour ganz offen
und ehrlich.
Ausstellungstipp
RE:PRESENT
Wie (ver-)lernt man Rassismus? Um diese Frage
dreht sich die Ausstellung „Re:Present“ im Wiener
Weltmuseum, die in Kooperation mit dem
Street Art Festival Calle Libre entstanden ist. Das
interventionistische Ausstellungskonzept vereint
Wandmalereien, Skulpturen, Video- und Fotoarbeiten,
Live-Performances, Workshops und vieles
mehr. Rassismus und Xenophobie, und antirassistische
Bewegungen werden aus verschiedenen
Blickwinkeln betrachtet.
Während der
Dauer der Sonderausstellung
kann man
jeden Sonntag um 15
Uhr an einer Führung
im Weltmuseum
teilnehmen.
Bis 22. Jänner 2021
im Weltmuseum
zu sehen.
Buch-Tipp:
Judith Sevinç Basad:
„Schäm dich!
Wie Ideologinnen
und Ideologen
bestimmen, was
gut und böse ist.“
Die Journalistin Judith
Sevinç Basad publizierte
schon ihre Masterarbeit
über totalitäre Tendenzen
in der queerfeministischen
Bewegung und
arbeitete in der Ibn-
Rushd-Goethe-Moschee,
die von Seyran Ateş
gegründet wurde. In
ihrem Sachbuch „Schäm
Dich!“ seziert sie fein,
wie Anhänger von
antirassistischen und
antisexistischen Strömungen
Menschen nach
Hautfarbe, Religion und
Geschlecht einteilen und
dabei selbst ihre vermeintlich
progressiven
Haltungen nicht einlösen.
Erschienen beim Westend
Verlag.
© Christoph Liebentritt, Welt, privat, Navot Miller, Mahir Jamal, Westend Verlag
3 FRAGEN AN…
NAVOT MILLER
Navot Miller wurde in dem kleinen israelischen Dorf
Shadmot Mehola geboren und lebt und arbeitet heute als
Künstler in Berlin. Mit seiner Solo-Ausstellung „Everyone
I’ve ever known“ begeisterte er zuletzt in der Salzburger
Elektrohalle Rhomberg. Seine Bilder zeigen häufig die
kleinen Momente des Alltags und werfen einen besonderen
Blick auf Zärtlichkeit und Zusammenleben.
Interview: Nada El-Azar
Was sind die Momente im Alltag, die dich
am meisten inspirieren?
Menschen, nicht Momente inspirieren
mich. Meine Freunde, Liebhaber, Familie,
Menschen, mit denen ich mich befasse,
jene, an die ich denke und solche, die
ich vermisse. Oftmals werden jene, mit
denen ich Zeit verbringe, zu meinen
Musen. Als jüngstes Beispiel dient eine
Serie von Gemälden, die ich anfertigte,
nachdem ich Riccardo in Italien 2 Monate
zuvor getroffen hatte. Die Zeit, die wir
gemeinsam verbrachten und die Momente,
die wir teilten, inspirierten die meisten
Bilder, die ich malte, als ich heimkam.
Hat die Isolation im Lockdown dich
kreativer gemacht, oder mehr gelähmt?
Für eine soziale Person wie mich ist
Isolation etwas Ungewöhnliches. Es ist
gerade mein Sozialleben, das mir als
Künstler wichtig ist. Reisen sehe ich als
Teil meiner Praxis, denn wenn ich neue
Orte besuche, werden sie zur Quelle für
Inspiration. Wenn ich jedoch im Ate-
lier arbeite, ziehe ich es vor, sorgsam
und zügig zu malen, und das passiert
meist, wenn ich dort alleine bin. Vielleicht
ist deshalb die Isolation während
des eigentlichen Prozesses des Malens
schlussendlich doch ein wichtiger Teil
von mir.
Welche Bedeutung haben die jüdischen
Schläfenlocken in deinen Gemälden und
für deinen persönlichen Style?
Sie sind eine Anspielung auf meinen
religiösen Hintergrund. Wenn ich Worte,
Gegenstände, Szenen aus meiner Kindheit
abbilde, versuche ich ihnen stets
einen queeren Touch zu geben. Es ist
eine Befreiung, eine weltoffene Annäherung
an sonst tabuisierte Themen. Meine
Schläfenlocken sind mir ein Paradox;
ihnen wohnt eine schwere religiöse Symbolik
inne, und indem ich sie blondierte,
habe ich ihnen eben diese Queerness
verpasst. Irgendwo ähnelte es dem Prozess,
den ich durchlief, als ich mich als
schwuler Mann geoutet habe.
Neuerscheinung:
„Der Geruch
der Seele“
Damaskus, im Jahre 2010.
Der Sunnit Tarek und die
alewitische Sanaa werden
trotz großer Widerstände
ein Liebespaar in der
vibrierenden Stadt, bevor
sie im Chaos des syrischen
Bürgerkriegs versinkt. Ihre
zärttliche und heimliche
Beziehung findet ein vorschnelles
Ende, als Tarek
in den Militärdienst eingezogen
wird, und Sanaa in
den Fängen des IS landet.
Jad Turjman spürt den
beiden Protagonisten mit
viel Feingefühl nach, die
Handlung auf Messers
Scheide zwischen Fakt und
Fiktion.
Autor, Spoken-Word-Artist
und biber-Kolumnist Jad
Turjman hat mit „Der
Geruch der Seele“ seinen
zweiten Roman herausgebracht.
Erschienen im
Residenz Verlag.
54 / KULTURA /
Keine Frage!
STIMMUNG
UND
SOUND
100% Rindfleisch
aus Österreich.
Singer-
Songwriter
im Wiener
Konzerthaus
Porträtkünstlerin Mira Lu Kovacs
© Wolfgang Bohusch
Lass dir unser Rindfleisch schmecken! Denn unser ‚patty‘, wie das
Fleischlaberl in der Fachsprache heißt, garantiert Genuss, der zu
100% aus Österreich stammt. Frei von Farb- und Konservierungsstoffen
sowie Geschmacksverstärkern wird es ohne Zugabe von
Fett bei uns im Restaurant gegrillt und danach nur noch mit einer
Prise Salz und Pfeffer gewürzt.
Das wird nicht nur dir schmecken, das gefällt auch mehr als 12.000
österreichischen Bäuerinnen und Bauern, die dieses köstlichsaftige
Fleisch liefern. In bester heimischer Qualität.
Wir machen’s und nennen das die McDonald’s Machhaltigkeit.
www.machhaltigkeit.at
Was macht einen guten
Song aus? Die Antwort auf
diese Frage findet man im
September auf den Bühnen
des Wiener Konzerthauses!
Mynth
© Patricia Narbon
Im Zyklus „Singer-Songwriter“ sind mit Porträtkünstlerin
Mira Lu Kovacs und Violetta Parisini
gleich zwei Gigantinnen der heimischen Musikszene
hautnah zu erleben. Gefühlvolle Texte,
fesselnde Melodien und starke Stimmung
erwarten die Besucher auch bei Anna Mabo
und Martin Klein, die erstmals im Konzerthaus
auftreten werden. Mit der Französin Pomme
und der Schweizerin Sophie Hunger kommt
internationales Flair auf die Bühne.
Darüber hinaus lässt es sich mit den
melancholisch-leichten Songs von Oehl und
dem verträumten Elektronik-Duo Mynth am
besten musikalisch in den Herbst treiben.
MUSIKINTERESSIERTE UNTER
27 JAHREN AUFGEPASST!
Mit der Jugendmitgliedschaft bekommt ihr von
Jazz über Klassik, bis hin zu Pop und World die
besten Konzerttickets zum vergünstigten Preis.
Jetzt neu ab dieser Saison: Mit eurem einmaligen
Mitgliedsbeitrag von 20 Euro können auch
eure Begleitpersonen preiswerte Restkarten an
der Abendkasse ergattern! Mehr Informationen
gibt es unter: www.konzerthaus.at/jugendmitglied
Singer-Songwriter
Termine:
VIOLETTA PARISINI
Mi, 29. September
2021, 19:30 Uhr,
Berio-Saal
MIRA LU KOVACS
Mi, 10. November
2021, 21:00 Uhr,
Mozart-Saal
SOPHIE HUNGER
Di, 21. Dezember
2021, 19:30, Großer
Saal
ANNA MABO
Di, 1. März 2022,
21:00 Uhr, Berio-Saal
POMME
Di, 3. Mai 2022, 19:30
Uhr, Mozart-Saal
MARTIN KLEIN
Mi, 18. Mai 2022,
21:00 Uhr, Berio-Saal
56 / KULTURA /
Das verwendete Rindfleisch ist mit dem AMA-Gütesiegel ausgezeichnet.
Produkte mit Schmelzkäsezubereitung. Mehr Informationen auf www.mcdonalds.at
mcd_dasBiber_20210911_S4G_Anz_Fleisch_207x270_ISOnewspaper26v4.indd 1 06.09.21 18:17
„Was ich am Balkan mag,
sind diese Grauzonen.“
Rade Petrašević ist einer der gefragtesten Künstler Wiens. Bei einem
Besuch in seinem Atelier in Ottakring erzählt er vom Teppichschleppen
Zu Gast in Rade Petraševićs
Atelier: Ein geordnetes Chaos.
mit zwölf und dem Coming-out, das er nie hatte. Von Nada El-Azar, Fotos: Mafalda Rakoš
Rado, Radu, Radek – so viele Leute haben nie meinen
Namen richtig aussprechen können. Deswegen habe
ich mir einfach Rade auf den Arm tätowieren lassen.
Wann immer mich jemand nach meinem Namen fragt, zeige
ich einfach auf das Tattoo. Es vereinfacht viele Dinge“, grinst
Künstler Rade Petrašević. Wir befinden uns in seinem Atelierkeller
in Wien-Ottakring, der Boden trocknet wegen der starken
Regenfälle der letzten Wochen an manchen Stellen immer noch
nicht. Zwischen einigen seiner Gemälde liegen Tuben, Pinsel,
Zettel, Zigarettenstummel, Getränkekisten, CDs, Holzboxen und
allerlei sonderbare Artefakte. Seit 2018 bezieht der Wiener mit
bosnisch-serbischen Wurzeln das Atelier – so richtig gemalt hat
er aber seit April dort nicht mehr. „Andere würden das wahrscheinlich
als Krise bezeichnen. Pausen sind aber manchmal
gut. Ich brauche eben einmal Abstand von der Arbeit. Passiert
öfter“, zuckt er mit den Schultern und zieht an seiner Zigarette.
„DER TRAUM MEINES VATERS WAR
IMMER MIT MIR ZUSAMMEN AM BAU ZU
ARBEITEN.“
Rade lehnt an einem dicken Stapel großformatiger Bilder, die
er noch zu fotografieren hat. Am meisten hasst er an seiner
Arbeit das Erstellen von Portfolios. „Sonst gibt’s eigentlich
nichts, das mich nervt. Ich bin eh froh, dass ich Geld verdienen
kann, mit dem, was mir Spaß macht“, so der 38-Jährige. Geboren
und aufgewachsen ist er im 5. Bezirk, Nähe Eichenstraße,
wo er auch heute noch wohnt. „Eigentlich ist die Gegend beim
Gürtel dort geil, weil ich Lärm brauche. Ich
weiß noch, als ich klein war, gab es immer ein
Gürtelfest für Kinder und es gab überhaupt
keine Zebrastreifen. Schon krass, wie wir mit
acht Jahren da rumgespielt haben, während
die Autos über den Gürtel fetzten.“ Sein
Vater, ein Bosnier aus Banja Luka, hat auf
dem Bau gearbeitet. Er kam bereits in den
70er-Jahren nach Wien, wo er auch Rades
„
Damals war es
noch nicht cool,
Kunst zu
studieren.
“
serbische Mutter kennenlernte. Die künstlerischen Ambitionen
ihres Sohnes haben die beiden anfangs kaum unterstützt. „Der
Traum meines Vaters war immer, mit mir zusammen am Bau zu
arbeiten. Wir haben das eh lange gemacht, als ich noch Malerei
studiert habe. Manchmal kam ich um vier Uhr nach Hause
und eine Stunde später hämmerte er gegen meine Tür, weil
um halb sechs Dienstbeginn war. Er wohnte ja lustigerweise
nur eine Straße weiter als ich“, erinnert sich Rade. Bereits mit
15 zog er gemeinsam mit seiner zwei Jahre älteren Schwester
aus. In das Malereistudium sei er hineingerutscht, wie er
beschreibt. Bewerben konnte man sich dort einfach ohne
Matura. Die Schule hatte er abgebrochen, genauso wie die
Spenglerlehre.
MALEREISTUDIUM MIT RICH KIDS,
NEBENJOB AM BAU
2004 wurde er an der Akademie der Bildenden Künste aufgenommen,
studiert hat er zunächst bei Franz Graf, später wurde
seine Klasse von Daniel Richter übernommen. „Damals war es
noch nicht cool, Kunst zu studieren. Es war mehr ein Akt der
Rebellion. Heute sind alle so karriereorientiert und wissen ganz
genau, was sie machen wollen. Als Student hab‘ ich mir die
Haare immer selbst geschnitten, hab gestunken und zu Beginn
gar nicht gecheckt, dass ich mit so vielen Rich Kids studiere.
Erst später hab‘ ich mich gefragt, wie die das eigentlich alle
machen. Irgendwo muss ja die Kohle herkommen. Ich habe
immer gehackelt, schon mit zwölf habe ich die Teppiche im
Geschäft der Vermieterin geschleppt. Und
dann eben am Bau gearbeitet mit meinem
Vater, damit ich Geld für Farben bekomme“,
so der Maler. Abgebrochen hat er übrigens
auch das Malereistudium. Was hätte er davon
gehabt, fragt er sich. „Wenn man sich schon
mit Bildern dort bewirbt, ist man eh schon in
der Sache drin. Der Professor an der Bildenden
ist auch nicht hierarchisch über dir, son-
58 / KULTURA /
/ KULTURA / 59
Tanzende Skelette tauchen in Rades jüngeren Arbeiten sehr häufig auf.
Rades erstes Tattoo war übrigens ein
Chanel-Logo auf dem Arm.
dern, wenn man es korrekt nimmt, ein Kollege und wird auch
als solcher angesprochen.“
Erfolgreich ist Rade Petrašević mit seiner Arbeit trotzdem
geworden. Erst in diesem Jahr gestaltete er eine große Installation
an der Außenwand der Kunsthalle Wien am Karlsplatz.
Vertreten ist er in Wien von der Galerie Christine König, in London
und Venedig in der Galerie Alma Zevi. Zusätzlich ist er für
den Kardinal-König-Kunstpreis nominiert, der alle zwei Jahre
verliehen wird. Im November wird es dazu eine Ausstellung in
Salzburg geben. Aus vergangenen Interviews hängt ihm seine
Aussage „All Gallerists Are Bastards“ nach. Er beharrt immer
noch darauf. „Gerade in Wien trauen die sich gar nichts. Die
warten ab, bis ein Künstler im Ausland schon Erfolg hatte und
kommen erst dann auf dich zu, mit dem Argument, die hätten
dich länger schon beobachtet. Es ist zum Kotzen“, winkt er ab.
TANZENDE SKELETTE UND
„LEATHERBOYS“
Seinen charakteristischen Stil, zweidimensionale Filzstiftzeichnungen
in Ölfarben anzufertigen, kam auch aus dem Grund
zustande, dass er sich als ungeduldigen Maler sieht. Gewöhnlich
haben Ölfarben eine sehr lange Trockendauer, manchmal
bis zu mehreren Wochen. Er verdünnt deswegen die Farben
mit Terpentin. „Sonst hätte ich keine Nerven dafür. Verdünnt
wird die Farbe in Nullkommanix trocken.“ In Rades Atelier
finden sich etliche Stücke von Konstruktionsholz und Winkeln,
um die Leinwände selber auf Rahmen zu spannen. Während
dieses Prozesses kommen ihm häufig schon die ersten Ideen,
was das Motiv betrifft. „Irgendetwas kumuliert dabei, ich kann
es schwer erklären.“ Vom Vorzeichnen auf Papier nimmt er
Abstand, weil die Gemälde dann oftmals zu steif wirken. Er
bevorzugt es, mit einem schmutzigen Pinsel direkt auf den
Leinwänden zu skizzieren. Einige Arbeiten sind auch auf
Duschvorhängen oder Einweg-Tischtüchern gefertigt. In seinen
Gemälden interpretiert Rade klassische Darstellungen, wie
etwa Stillleben, neu. Gegenstände, die einfache Assoziationen
auslösen, Colaflaschen und Zimmerpflanzen zum Beispiel, kommen
in seinen Werken genauso vor, wie moderne Annäherungen
an expressive, tanzende Skelette aus dem Danse Macabre
des 14. Jahrhunderts, Elemente aus Internet- und Memekultur
oder Darstellungen von schwulen „Leatherboys“, die von den
Zeichnungen des berühmten Tom of Finland inspiriert sein
könnten. Offene Drogenreferenzen und Homosexualität sind
Rade Petraševićs Arbeiten imminent. In seiner Familie ist seine
Homosexualität kein Thema. Ein Coming-out hatte der Künstler
nicht. „Ich hatte einfach einen Freund, der ständig mit mir
zu Ausstellungen gegangen ist und irgendwann haben meine
Eltern wohl eins und eins zusammengezählt. Don’t ask, don’t
tell“, grinst er.
„SIE SIND WIE AMEISEN.“
Die Wiener Behäbigkeit schätzt Rade Petrašević sehr an seiner
Heimatstadt. Doch auch unten am Balkan ist er gerne. „Was ich
am Balkan mag, sind diese Grauzonen. Leute bleiben einfach
am Gehsteig oder auf einer zweispurigen Brücke mit dem Auto
stehen, springen kurz zum Bäcker rein, und alle schimpfen
zwar, aber warten einfach mal kurz. Die Bullen fahren vorbei,
aber whatever. Was irgendwie voll jugo ist, ist, dass Leute
so neugierig sind und immer alles wissen müssen. Sie sind
überall, wie Ameisen“, lacht er. Das Tratschen ist in seiner
Wahrnehmung der normale Informationsaustausch am Balkan.
„Meine Tante in Bosnien würde auf ein offenes Fenster zeigen
und mir was über die dort lebende Frau erzählen, obwohl ich
das gar nicht wissen will. Aber was ich cool finde, ist, dass man
mit Fremden ins Gespräch kommen kann. Im Supermarkt stehen
dann irgendwie fünf Leute zusammen rum und reden über
irgendeinen Scheiß, als ob sie sich kennen würden.“ In Wien
würde man dafür für einen „Weirdo“ gehalten werden, ist sich
Rade sicher. Momentan lernt er Hebräisch mit einem Onlinekurs.
Durch ein Auslandssemester in Israel hat er sich für die
Sprache begeistern können. Und auch in LA wohnte er schon
für einige Monate. „Und ich hab auch mal in Berlin gelebt, aber
mir war das irgendwann zu viel dort. Es geht nur ums Partymachen
und Ketamin nehmen und das nervte. Und die Gay-Szene
dort war so merkwürdig professionell und unentspannt. Typen
zeigen quasi auf die Uhr und sagen, in vier Tagen bin ich im
Darkroom und lasse was-weiß-ich dort mit mir machen. Wien
mag ich am liebsten, weil es einfach bequem hier ist.“ ●
Als ungeduldiger Maler arbeitet Rade manchmal an mehreren Bildern gleichzeitig.
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Photo: Hannah Müller mit Danu und Nani in Vijayawada-Indien.
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KOLUMNE
„MEIN SOHN, WAS HABEN DIE
EUROPÄER MIT DIR GEMACHT?“
Auf Arabisch gibt es einen Spruch, der
besagt: Wenn man sich bei einem Stamm
vierzig Tage aufhält, wird man einer von
ihnen. Damit ist gemeint, dass man seine
Sitten und Gebräuche übernimmt. Nach
sieben Jahren in Österreich kann ich nicht
genau sagen, welche Aspekte ich von dem
„österreichischen“ Lebensstil verinnerlicht
habe. Ich glaube aber, dass sein Einfluss
auf mich inzwischen sehr groß ist. Ich
gehe mittlerweile wandern und das mache
ich freiwillig und gerne.
BEI UNS GEHT MAN
NICHT WANDERN
Falls ihr euch jetzt fragt, was daran so
bemerkenswert sei, würde ich euch bitten, einmal kurz
innezuhalten: Das erste Mal, als ich meiner Mutter vom
Wandern erzählte, verstand sie das einfach nicht. „Mein
Sohn! Bist du bekloppt? Was haben die Europäer mit
dir gemacht?“, wurde sie laut und verständnislos am
Handy. Ich fand auch kein arabisches Wort für ‘wandern’
oder ‚Wanderlust‘, um ihr das zu erklären. Bei uns geht,
läuft, spaziert oder bummelt man, aber wandern, nein,
das tut sich niemand an. In der Freizeit will man in einer
schattigen, kühlen Ecke mit seiner Liebsten sitzen, Sonnenblumenkerne
knabbern, Mokka und Matetee trinken,
sich gegenseitig Geschichten erzählen, die bei jeder
erneuten Erzählung mehr an Gewürzen und Spektakeln
bekommen. Auf den Berg zu gehen ist viel zu heiß und
anstrengend. Außerdem prangen auf den Bergspitzen
in Syrien keine Gipfelkreuze, sondern Militärbasen, und
man läuft dort in die Gefahr, erschossen zu werden.
Meine erste Wandererfahrung wurde mir aufgezwungen.
Es war ein Betriebsausflug meiner ehemaligen
Arbeitsstätte auf den Gaisberg. Oggi, mein damaliger
Arbeitskollege, meinte, ich bräuchte Wanderschuhe.
Ich verstand nicht, was er von mir wollte. Dabei stellte
ich fest, dass jede Tätigkeit in Österreich eine eigene
Schuhkategorie benötigt. In Syrien kennt man nur Sportschuhe
und formelle Schuhe. Und das war es dann.
turjman@dasbiber.at
Jad Turjman
ist Comedian, Buch-Autor
und Flüchtling aus Syrien.
In seiner Kolumne schreibt
er über sein Leben in
Österreich.
Jetzt in Österreich habe ich Laufschuhe,
Freizeitschuhe, Wanderschuhe, Skischuhe,
Fußballschuhe, Hallenschuhe, Fahrradschuhe,
Eislaufschuhe, Winterschuhe, formelle
Schuhe, und ich bezeichne mich als
Kleinverdiener. Vermutlich gibt es Schuhe,
deren Namen ich gar nicht kenne.
WARUM HABT IHR FÜR
ALLES SCHUHE?
Mittlerweile liebe ich wandern. Ich gehe
am liebsten ganz alleine, und zwar immer
auf denselben Berg. Ich weiß nicht, warum
ich immer dieselbe Wanderstrecke nehme
und für andere Wege nicht aufgeschlossen
bin. Ich bemühe mich, auf diesem Wanderweg
jedes einzige Detail der Gegend in mein Unterbewusstsein
einzuprägen, jeden Baum, jeden gebrochenen
Ast und jeden Stein. Ich habe mir schon gemerkt, um
viel Uhr die Sonne an einer bestimmten Neigung steht
und durch den ganzen Wald strahlt und alle Blätter
beleuchtet. Wahrscheinlich ist das der Versuch, um dieses
eine Gefühl wieder erleben zu können: Heimat.
Ich habe mit dem Berg und dem Wald, durch den
ich immer gehe, eine Freundschaft auf Augenhöhe
geschlossen. Ich kenne jeden einzelnen Baum, und die
Bäume kennen mich inzwischen auch. Ich kann mich
beim Wandern ohne Wenn und Aber diesem Wald und
diesem Berg zugehörig fühlen. Ich musste gar nicht
beweisen, dass ich nicht schlimm wie meinesgleichen
bin, auch keine Leistung erbringen, um willkommen
zu sein. Ich rede mit ihnen sogar auf Arabisch und sie
verstehen mich. Meine Anwesenheit, meine Gedanken,
meine Sprache, meine Emotionen und Gefühle
und meine ganze Existenz wirken für den Wald und
den Berg selbstverständlich und vorbehaltlos. Wenn
mir auf dem Weg neue Gesichter begegnen, fühle ich
mich sogar wie der Einheimische und empfinde sie als
die Fremden. Wobei ich nicht glauben will, dass ein
Mensch in der Natur fremd sein kann. Mit oder ohne
Wanderschuhe.
Robert Herbe
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