100 Jahre WG Eigenheim Weißenburg
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Jubiläumsausgabe – <strong>100</strong> <strong>Jahre</strong><br />
Ein Plädoyer von<br />
Bastian Mühling<br />
Das Wort Genossenschaft klingt ein wenig angestaubt.<br />
Nach alten Büchern, vergangenen Zeiten<br />
und der SPD, die ja momentan auch nicht gerade<br />
ihre Blütezeit erlebt. Doch ohne Wohnungsbaugenossenschaften<br />
wäre die Wohnungssuche in vielen<br />
Städten noch viel aussichtsloser als ohnehin schon. Von<br />
Wohnungsnot ist allenthalben die Rede, wenn man genau<br />
hinschaut, ist es eine Knappheit und vor allem ein<br />
Verteilungsproblem. Auf Bayern bezogen: Viele wollen<br />
nach München, wenige nach Oberfranken. Andreas<br />
Pritschet, Verbandsdirektor des VdW Bayern, meint:<br />
„Wenn Leute nicht wie früher maximal 30 Prozent ihres<br />
Einkommens für das Wohnen ausgeben, sondern in<br />
den bayerischen Metropolen auf einmal 60 oder 70 Prozent,<br />
läuft etwas schief.“ Die alte Gleichung vieler privater<br />
Häuslebauer Fleiß = <strong>Eigenheim</strong> geht nicht mehr<br />
auf. Um dieses Problem zu lösen, braucht es Genossenschaften.<br />
In ihrer Blütezeit.<br />
Nein, das ist kein Schreibfehler. Genossenschaften<br />
können lebendig sein – wenn man es richtig macht. Das<br />
beginnt schon bei der Kommunikation. Mit einem persönlichen<br />
Newsletter beispielsweise erscheint der Vermieter<br />
nicht als abstraktes Wesen, das sich nur meldet,<br />
wenn die Miete erhöht wird. Gemeinschaft schaffen<br />
muss das Ziel sein. Das ist gerade für eine Bestandsgenossenschaft<br />
wie das <strong>Eigenheim</strong> in <strong>Weißenburg</strong><br />
eine große Herausforderung. Zum einen aufgrund der<br />
hohen Mitgliederzahl, zum anderen gehören Rentner,<br />
Baby-Boomer und Junge zur Mieterschaft – da ist es<br />
schwer, die richtige Ansprache zu finden. Eine Möglichkeit<br />
wären sogenannte Haussprecher, die die Anliegen<br />
gesammelt vorbringen könnten. Eine andere wäre ein<br />
Mittagskarussell wie bei der MARO-Genossenschaft in<br />
Penzberg. Dort haben sich Mieter während der Corona-<br />
Pandemie einmal in der Woche zum Mittagessen getroffen.<br />
Einer kochte, die anderen holten das Essen ab.<br />
Einmal weniger Mittagsstress im Homeoffice und dabei<br />
gleich die Nachbarn kennenlernen.<br />
Aber auch im Digitalen müssen sich Genossenschaften<br />
für die Zukunft wappnen, mit Mieter-Apps und<br />
einem ordentlichen Social-Media-Auftritt. Das ist vermutlich<br />
das Einzige, was man dem <strong>Eigenheim</strong> vorwerfen<br />
kann: In den sozialen Netzwerken ist die Genossenschaft<br />
nicht präsent. Klar ist das aktuell aufgrund der<br />
tendenziell älteren Mieter nicht zwingend notwendig,<br />
doch mit Blick auf die Zukunft wird die Genossenschaft<br />
nicht darum herumkommen. Ansonsten arbeitet <strong>Eigenheim</strong><br />
vorbildlich, baut ökologisch, energieeffizient und<br />
schafft bezahlbaren Wohnraum. Damit die Rechtsform<br />
Genossenschaft überleben kann, braucht es aber nicht<br />
nur engagierte Geschäftsführer, sondern auch Politiker,<br />
denen die Genossenschaften wichtig sind.<br />
Denn diese haben nur eine Chance zu überleben,<br />
wenn die Kommune sie fördert. Im Bieterwett-<br />
kampf mit privaten Investoren kommen Genossenschaften<br />
als sozialer Vermieter bei einem Neubau mit<br />
einer Durchschnittsmiete von 7 oder 8 Euro pro Quadratmeter<br />
nicht weit. Wer als Kommune bezahlbaren<br />
Wohnraum schaffen will, darf bei der Vergabe der wenigen<br />
Grundstücke, die zur Verfügung stehen, nicht<br />
nur ans Geld denken. Nur bei Konzeptausschreibungen<br />
haben Genossenschaften eine Chance, zum Beispiel mit<br />
Quartierscafé oder Bike- und Car-Sharing.<br />
Dass das Zusammenspiel zwischen Kommune und<br />
Genossenschaft funktionieren kann, zeigt sich in Bayern.<br />
Dort wurden seit 2015 dem VdW zufolge 32 Wohnungsbaugenossenschaften<br />
neu gegründet. Das sind<br />
so viele Neugründungen wie zur gleichen Zeit in ganz<br />
Deutschland. Die Zahl belegt den Druck auf dem bayerischen<br />
Wohnungsmarkt – und zugleich die Lebendigkeit<br />
der Idee Genossenschaft. Doch genau im Anfang<br />
liegt der einzige Nachteil.<br />
Zunächst war für dieses Magazin ein Streitgespräch<br />
geplant: pro und contra Wohnungsbaugenossenschaft.<br />
Ernsthafte Gegner konnten wir jedoch nicht finden.<br />
Nur einen Nachteil hat die Rechtsform im Vergleich zu<br />
einer GmbH: Sie ist komplizierter zu führen. Eine Genossenschaft<br />
braucht einen Vorstand, einen Aufsichtsrat,<br />
eine Mitgliederversammlung – und dann schaut<br />
auch noch einmal im Jahr der Verband vorbei und kontrolliert<br />
das. Gerade am Anfang können einen die Auflagen<br />
überfordern, berichtet auch Martin Okrslar von der<br />
MARO-Genossenschaft. Kommunen müssen deshalb<br />
nicht nur zur Gründung motivieren, sondern auch klar<br />
kommunizieren, was auf die Gründer zukommt.<br />
2021 haben wir im Vergleich zu früher keine ernsthafte<br />
Not-Situation. Aber Wohnen ist zu einem Luxusgut<br />
geworden. Wenn, dann soll es bitteschön das komplette<br />
Paket sein: moderne, altersgerechte, ökologisch<br />
und flächensparend gebaute Wohnanlagen, im Idealfall<br />
nachverdichtet, zentrumsnah und mit viel Grün.<br />
Schnauf. Auch wenn das manchmal so teuer ist, dass<br />
man sich mehrere <strong>Eigenheim</strong>e davon kaufen könnte,<br />
sind diese Investitionen unerlässlich. Auch in <strong>Weißenburg</strong>.<br />
Zudem steigt hier die Einwohnerzahl dem<br />
Bayerischen Landesamt für Statistik zufolge bis 2030<br />
leicht auf 18.600. Vor allem aber wird die Wohnfläche<br />
pro Person immer größer. So schwer es auch fällt, die<br />
typischen Steinleinsfurt-Häuser abzureißen, so richtig<br />
erscheint der Neubau angesichts dieser Zahlen.<br />
Was braucht es also, um Wohnungsbaugenossenschaften<br />
zu entstauben? Moderne Wohnanlagen,<br />
motivierte Gründer und Geschäftsführer sowie eine<br />
Ausweitung des Genossenschaftsgedankens. Früher,<br />
während der Anfangsjahre von <strong>Eigenheim</strong>, haben die<br />
Mieter beim Hausbau noch selbst mit angepackt. Heute<br />
heißt Genossenschaft auch teilen – ganz egal, ob das<br />
das Auto, das Fahrrad oder die Küche ist.<br />
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