04.10.2021 Aufrufe

FINE Das Weinmagazin 54. Ausgabe - 03/2021

Das Hauptthema dieser Ausgabe ist: RIOJA Faustino: Rembrandt hinter Gittern RIBERA DEL DUERO Bodegas Portia: Faustinos neues Flaggschiff Weitere Themen sind: FINE CHARTA Die FINE Weinbewertung TASTING Die besten Grand Cru Rieslinge 2020 STEIERMARK Erwin Sabathi macht Pinot Noir TASTING Praxistest: So wirkt Sauerstoff im Wein REPORTAGE Das britische Fort Knox für Weinsammler SPIRITUOSEN Mixing hochwertig und hochprozentig TOSKANA Andrea Franchetti zaubert mit Cabernet Franc GENIESSEN Ursula Heinzelmann zeigt ein Herz für Pasta DIE GLORREICHEN SIEBEN Königsdisziplin Cuvées WEIN UND SPEISEN Jürgen Dollase isst im Goldstein Wiesbaden TASTING Chateau Musars Langstreckenläufer aus dem Libanon DIE PIGOTT KOLUMNE Der schizophrene Cabernet-Sauvignon BESTE LAGEN Spätburgunder aus dem Assmannshäuser Höllenberg NACHGEFRAGT Romanée-Conti reagiert auf Vorwürfe CHAMPAGNE Die 100 wichtigsten Champagner Teil 2 WORTWECHSEL Wein im Restaurant – da läuft was falsch BORDEAUX Troplong Mondot: Auf dem Zauberhügel von Saint-Émilion DAS GROSSE DUTZEND Branaire-Ducru: Geheimtipp aus Bordeaux WEIN UND ZEIT So begann das deutsche Weinwunder WÜRTTEMBERG Moritz Haidle zeigt Profil ABGANG Trauer um einen Großen

Das Hauptthema dieser Ausgabe ist:
RIOJA Faustino: Rembrandt hinter Gittern
RIBERA DEL DUERO Bodegas Portia: Faustinos neues Flaggschiff

Weitere Themen sind:
FINE CHARTA Die FINE Weinbewertung
TASTING Die besten Grand Cru Rieslinge 2020
STEIERMARK Erwin Sabathi macht Pinot Noir
TASTING Praxistest: So wirkt Sauerstoff im Wein
REPORTAGE Das britische Fort Knox für Weinsammler
SPIRITUOSEN Mixing hochwertig und hochprozentig
TOSKANA Andrea Franchetti zaubert mit Cabernet Franc
GENIESSEN Ursula Heinzelmann zeigt ein Herz für Pasta
DIE GLORREICHEN SIEBEN Königsdisziplin Cuvées
WEIN UND SPEISEN Jürgen Dollase isst im Goldstein Wiesbaden
TASTING Chateau Musars Langstreckenläufer aus dem Libanon
DIE PIGOTT KOLUMNE Der schizophrene Cabernet-Sauvignon
BESTE LAGEN Spätburgunder aus dem Assmannshäuser Höllenberg
NACHGEFRAGT Romanée-Conti reagiert auf Vorwürfe
CHAMPAGNE Die 100 wichtigsten Champagner Teil 2
WORTWECHSEL Wein im Restaurant – da läuft was falsch
BORDEAUX Troplong Mondot: Auf dem Zauberhügel von Saint-Émilion
DAS GROSSE DUTZEND Branaire-Ducru: Geheimtipp aus Bordeaux
WEIN UND ZEIT So begann das deutsche Weinwunder
WÜRTTEMBERG Moritz Haidle zeigt Profil
ABGANG Trauer um einen Großen

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3| <strong>2021</strong> Deutschland € 15 Österreich € 16,90 Italien € 18,50 Schweiz chf 30,00 Benelux € 17,90<br />

4197772 515002 <strong>03</strong><br />

FAUSTINO I<br />

DER DEMOKRAT UNTER DEN EDLEN<br />

Riesling-Ranking Bitte lüften Deutsches Weinwunder Unter Tage Romanée-Conti<br />

Wir küren die größten Wie Sauerstoff den Die Renaissance begann auf Im weltgrößten Gereifter Genuss ist<br />

trockenen Gewächse Wein verwandelt der Weinkarte der »Ente« Weinbunker kaum gewollt


<strong>FINE</strong><br />

DAS WEINMAGAZIN 3|<strong>2021</strong><br />

NORMAN FOSTERS WEINKATHEDRALE 20<br />

ERWIN SABATHI AUF ABWEGEN 40<br />

GROSSES RIESLING-RANKING 26<br />

FAUSTINO – GESCHICHTE EINER LEGENDE 10<br />

TOSKANA AUF FRANZÖSISCH 64<br />

GEERDET: ST. ÉMILIONS ELITE 118<br />

GROSSE CUVÉES 72 AUF HIMMELFAHRT 96<br />

BITTE LÜFTEN! 46<br />

DEUTSCHES WEINWUNDER 130 MORITZ HAIDLE 136 IM UNTERGRUND 52<br />

7 <strong>FINE</strong> EDITORIAL _________________ Unsere Auslese<br />

9 <strong>FINE</strong> CHARTA ____________________ Die <strong>FINE</strong> Weinbewertung<br />

10 <strong>FINE</strong> RIOJA _______________________ Faustino: Rembrandt hinter Gittern<br />

20 <strong>FINE</strong> RIBERA DEL DUERO ________ Bodegas Portia: Faustinos neues Flaggschiff<br />

26 <strong>FINE</strong> TASTING ____________________ Die besten Grand Cru Rieslinge 2020<br />

40 <strong>FINE</strong> STEIERMARK _______________ Erwin Sabathi macht Pinot Noir<br />

46 <strong>FINE</strong> TASTING ____________________ Praxistest: So wirkt Sauerstoff im Wein<br />

52 <strong>FINE</strong> REPORTAGE ________________ <strong>Das</strong> britische Fort Knox für Weinsammler<br />

58 <strong>FINE</strong> SPIRITUOSEN ______________ Mixing hochwertig und hochprozentig<br />

64 <strong>FINE</strong> TOSKANA __________________ Andrea Franchetti zaubert mit Cabernet Franc<br />

70 <strong>FINE</strong> GENIESSEN ________________ Ursula Heinzelmann zeigt ein Herz für Pasta<br />

72 <strong>FINE</strong> DIE GLORREICHEN SIEBEN Königsdisziplin Cuvées<br />

80 <strong>FINE</strong> WEIN UND SPEISEN ________ Jürgen Dollase isst im Goldstein Wiesbaden<br />

86 <strong>FINE</strong> TASTING ____________________ Chateau Musars Langstreckenläufer aus dem Libanon<br />

92 <strong>FINE</strong> DIE PIGOTT KOLUMNE _____ Der schizophrene Cabernet-Sauvignon<br />

96 <strong>FINE</strong> BESTE LAGEN ______________ Spätburgunder aus dem Assmannshäuser Höllenberg<br />

106 <strong>FINE</strong> NACHGEFRAGT ____________ Romanée-Conti reagiert auf Vorwürfe<br />

110 <strong>FINE</strong> CHAMPAGNE _______________ Die 100 wichtigsten Champagner Teil 2<br />

116 <strong>FINE</strong> WORTWECHSEL ____________ Wein im Restaurant – da läuft was falsch<br />

118 <strong>FINE</strong> BORDEAUX _________________ Troplong Mondot: Auf dem Zauberhügel von Saint-Émilion<br />

126 <strong>FINE</strong> DAS GROSSE DUTZEND ___ Branaire-Ducru: Geheimtipp aus Bordeaux<br />

130 <strong>FINE</strong> WEIN UND ZEIT ____________ So begann das deutsche Weinwunder<br />

136 <strong>FINE</strong> WÜRTTEMBERG ____________ Moritz Haidle zeigt Profil<br />

146 <strong>FINE</strong> ABGANG ___________________ Trauer um einen Großen<br />

4 <strong>FINE</strong> 3 | <strong>2021</strong> INHALT<br />

INHALT <strong>FINE</strong> 3 | <strong>2021</strong> 5


LIEBE LESERINNEN,<br />

LIEBE LESER,<br />

herzlich willkommen in unserer druckfrischen<br />

Auslese: Zu Beginn dieses Hefts<br />

lag ein Haufen Ideen auf dem Tisch, und<br />

getreu Aschenputtels Motto »Die Guten<br />

ins Töpfchen« haben wir aus den vermeintlich<br />

besten diejenigen umgesetzt,<br />

die uns vielversprechend erschienen.<br />

Weshalb? Oft, weil sie Klischees hinterfragen,<br />

mit Erwartungen brechen, die<br />

eigene Haltung ins rechte Lot rücken.<br />

Oder auch, weil sie uns einen Blick<br />

durchs Schlüsselloch erlauben, den Einblick in eine Welt,<br />

die Besuchern üblicherweise verschlossen bleibt.<br />

Für die aktuelle <strong>FINE</strong>-<strong>Ausgabe</strong> haben wir uns in Südenglands<br />

Unterwelt vorgewagt. Unsere Geschichte über<br />

einen Stollen in Südengland, der einst Bergwerk, dann<br />

Munitionslager war, weckt Assoziationen vom Kalten Krieg,<br />

von Spionen und geheimen Missionen. Wir wollten wissen,<br />

was vorgeht in diesem unterirdischen Labyrinth in Wiltshire,<br />

dem wohl größten Weinbunker der Welt. Was wir dort<br />

sahen, bricht mit jeder Erwartung, die man an einen Weinkeller<br />

haben kann. Auch in friedlichen Zeiten ist dieser Ort<br />

eine Hochsicherheitszone. Jedes Jahr werden in diesem<br />

außergewöhnlichen Lager rund zwölf Millionen Flaschen<br />

umgeschlagen, 30 Meter tief unter der Erde liegen feinste<br />

Sammlerweine im Wert von rund 1,2 Milliarden Euro.<br />

Natürlich auch solche aus der berühmten Burgund-<br />

Domäne Romanée-Conti. Weine mit diesem Label sind<br />

derart begehrt, dass im besagten Weinbunker jeder Staplerfahrer<br />

eine Schulung durchläuft, um Fälschungen zu entlarven.<br />

Denn die rare Ware weckt nicht nur auf dem legalen<br />

Markt Begehrlichkeiten. <strong>Das</strong> wissen auch hiesige Händler,<br />

die sich aus diesem Grund auf ein hoch fragwürdiges Spiel<br />

eingelassen haben. Dabei kommt auch die Frage auf, ob ein<br />

Kunde den Wein nach dem Kauf nur besitzt, das Weingut<br />

als Eigentümer aber immer noch darüber verfügen kann –<br />

selbst dann noch, wenn er getrunken ist. Wie kompliziert<br />

die Lage ist, erklärt unser Autor in einem Fortsetzungsstück<br />

zu dieser Posse, die ein Schlaglicht auf Geschäftspraktiken<br />

und Abhängigkeiten im Weinhandel wirft.<br />

Tatort für die meisten Weinkäufe ist allerdings der<br />

Supermarkt: Mit einem Anteil von rund 80 Prozent ist der<br />

Lebensmitteleinzelhandel in Deutschland die mit Abstand<br />

größte Handelsplattform für Wein. Der Rückschluss, Größe<br />

koste Qualität, ist längst unzulässig. <strong>Das</strong> Sortiment deckt<br />

heute beinahe jeden Kundenwunsch ab. Sogar wahre Ikonen<br />

stehen im Regal, wie unsere Titelgeschichte über die Erfolgsmarke<br />

Faustino zeigt, bei der durch einen Generationswechsel<br />

gerade eine neue Ära beginnt. Ein altes Erfolgskapitel<br />

schreibt unser großes Tasting mit Weinen aus dem<br />

Assmannshäuser Höllenberg fort, nach dem unser Autor<br />

der Rheingauer Lage von einstigem Weltrang nicht weniger<br />

als ihre Auferstehung attestiert.<br />

Die Stunde null schlägt an der Ahr, wo nach der katastrophalen<br />

Flut eine ganze Region nach Orientierung und<br />

Perspektiven für die Zukunft sucht. Menschen verloren<br />

ihre Existenz oder gar ihr Leben, die Infrastruktur ist in<br />

weiten Teilen zerstört. Die Frage, wie’s um den Wein steht,<br />

war zuerst nicht die drängendste. Mit der Lese stellt sie<br />

sich nun doch: Was wird aus den Trauben? Wein hoffentlich<br />

– es gilt zu retten, was zu retten ist. Wie dieser Kampf<br />

ausgehen wird, wissen wir noch nicht. Wir können aber<br />

dazu beitragen, dass die Hilfe und Solidarität nicht abebbt.<br />

Wer Geld spenden, Solidaritätswein kaufen oder praktische<br />

Unterstützung leisten will, indem er sich beim Aufräumen<br />

oder als Lesehelfer im Weinberg einbringt, der findet eine<br />

Reihe von Aktionen, denen er sich anschließen kann. <strong>Das</strong><br />

Deutsche Weininstitut hat sie in einer Übersicht auf seiner<br />

Internetseite zusammengefasst: www.deutscheweine.de/<br />

aktuelles/hilfe-fuer-die-ahr<br />

Ihre Nicole Mieding<br />

Chefredakteurin<br />

Ple<br />

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geniessen.de<br />

EDITORIAL<br />

<strong>FINE</strong> 3 | <strong>2021</strong> 7


<strong>FINE</strong>AUTOREN<br />

KRISTINE BÄDER Als Winzertochter aus Rheinhessen<br />

freut sie sich über die positive Entwicklung ihrer Heimatregion,<br />

wo sie ein eigenes kleines Weinprojekt pflegt. Eine<br />

besondere Beziehung hat die studierte Germanistin und<br />

ehemalige Chefredakteurin des <strong>FINE</strong> <strong>Weinmagazin</strong>s zu<br />

den Weinen aus Portugal.<br />

DANIEL DECKERS Die Lage des deutschen Weins<br />

ist sein Thema – wenn er nicht gerade als Politikredakteur<br />

der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« über Gott und die<br />

Welt zur Feder greift. An der Hochschule Geisenheim lehrt<br />

er Geschichte des Weinbaus und -handels. In seinem Buch<br />

»Wein. Geschichte und Genuss« beleuchtet er durch mehr<br />

als 3000 Jahre die Rolle dieses unschätzbaren Kulturguts als<br />

Spiegel der Zeitläufte.<br />

JÜRGEN DOLLASE hat sich schon als Rockmusiker<br />

und Maler verdingt, als Kritiker der kulinarischen Landschaft<br />

ist er heute eine feste Instanz. Vielbeachtet sind seine<br />

Bücher über die Kunst des Speisens: Bei Tre Torri erschien<br />

zuletzt seine »Geschmacksschule«, das visionäre Kochbuch<br />

»Pur, präzise, sinnlich« widmet sich der Zukunft des Essens.<br />

URSULA HEINZELMANN Die Gastronomin und<br />

gelernte Sommelière schreibt für die »Frankfurter Allgemeine<br />

Sonntagszeitung«, die Magazine »Efflee« und »Slow Food«<br />

sowie Bücher übers Essen und Trinken. Ihr Buch »China –<br />

Die Küche des Herrn Wu« (bei Tre Torri) liefert tiefe Einblicke<br />

in die vielfältige Kochkunst der Chinesen.<br />

SIGI HISS Tausende Tastings und noch immer ist das Verkosten<br />

seine große Leidenschaft – sei es in internationalen<br />

Jurys, im Auftrag renommierter Weinpublikationen oder für<br />

Weingüter. Für alles außer Spirituosen ist er zu begeistern,<br />

seine besondere Liebe gilt gereiften Weinen.<br />

BIRTE JANTZEN In Hamburg aufgewachsen, teilt<br />

sie heute ihre Zeit zwischen Deutschland und Frankreich.<br />

Ob in der Haute Couture oder beim Wein: Texturen und<br />

Nuancen sind kein Geheimnis für sie. Wenn sie nicht gerade<br />

in den Weinbergen unterwegs ist, um den Winzern über die<br />

Schulter zu schauen, liebt sie es, für Wein zu begeistern. Sie<br />

schreibt sowohl in Frankreich als auch in Deutschland und<br />

lehrt französischen Wein an der Hochschule in Geisenheim.<br />

UWE KAUSS In Weinkellern kennt er sich aus: Der Autor<br />

und Journalist schreibt seit 20 Jahren über Wein, etwa für<br />

die »Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung«, das <strong>Weinmagazin</strong><br />

»Enos«, »wein.pur«, das »Genuss-Magazin« in<br />

Wien sowie das Internetportal »wein-plus.eu«. Daneben<br />

hat er 16 Sach- und Kindersachbücher, einen Roman und<br />

zwei Theaterstücke publiziert.<br />

NICOLE MIEDING hat das Genießen in Schwaben<br />

gelernt, wo man sich durch die Leidenschaft für handgemachte<br />

Nudeln und Soßen kulinarisch nah an Italien fühlt.<br />

Ihre journalistische Karriere begann im Feuilleton, bis die<br />

Liebe zu gutem Essen, Wein und Reisen auch publizistisch<br />

die Oberhand gewann. Nach mehr als zwei Jahrzehnten in<br />

wechselnden Rollen bei der »Rhein-Zeitung«, zuletzt als<br />

Chefreporterin, ist sie nun <strong>FINE</strong> Chefredakteurin.<br />

Titelfoto: Faustino I, GUIDO BITTNER<br />

8 <strong>FINE</strong> 3 | <strong>2021</strong> IMPRESSUM<br />

STEFAN PEGATZKY Der promovierte Germanist kam<br />

1999 nach Berlin und erlebte hautnah, wie sich die Metropole<br />

von einer Bier- zur Weinstadt wandelte. Er schreibt regelmäßig<br />

über Wein und Genuss, steuerte zur Tre-Torri-Reihe<br />

»Beef!« den Band »Raw. Meisterstücke für Männer« bei,<br />

die »Gourmet Edition – Kochlegenden« bereicherte er um<br />

Titel zu Hans Haas, Harald Wohlfahrt und Marc Haeberlin.<br />

STUART PIGOTT Seit der 1960 in London geborene<br />

studierte Kunsthistoriker und Maler im Wein – dem<br />

deutschen zumal – sein Lebensthema fand, hat er sich mit<br />

seiner unkonventionellen Betrachtungsweise in den Rang<br />

der weltweit geachteten Autoren und Kritiker geschrieben.<br />

Sein Buch »Planet Riesling« erschien bei Tre Torri.<br />

RAINER SCHÄFER wuchs in Oberschwaben auf und<br />

lebt seit 20 Jahren in Hamburg, wo er über die Dinge schreibt,<br />

die er am meisten liebt: Wein, gutes Essen und Fußball, stets<br />

neugierig auf schillernde Persönlichkeiten, überraschende<br />

Erlebnisse und unbekannte Genüsse.<br />

MICHAEL SCHMIDT Der »deutsche Engländer«, wie<br />

ihn die britische Weinszene nennt, schreibt für die »Purple<br />

Pages« der Weinpäpstin Jancis Robinson über deutschen<br />

Wein. Bei »Sotheby’s Wine Encyclopedia« und dem »World<br />

Atlas of Wine« von Hugh Johnson und Jancis Robinson ist<br />

er als Berater für das Kapitel Deutschland zuständig.<br />

MATTHIAS STELZIG Von London aus bereist der<br />

Düsseldorfer die Weinwelt und trinkt sich durch zu den<br />

besten Tropfen. Sein Motto: Es gibt zu jeder Gelegenheit<br />

den besten Wein, man muss ihn bloß finden. Über seine Entdeckungen<br />

berichtet er unter anderem für die ProWein, »wein.<br />

pur«, »Meininger’s Weinwelt« und die »Welt am Sonntag«.<br />

LUZIA SCHRAMPF Österreichs Weinlandschaft kennt<br />

sie wie ihre Hosentasche und schreibt darüber in »World<br />

of Fine Wine«, »Decanter«, der »Süddeutschen Zeitung«<br />

sowie dem Wiener »Standard«. Sie betreut das Österreichkapitel<br />

in »Hugh Johnson’s Pocket Wine Book«, ihr Buch<br />

»Weinmacher« porträtiert die bedeutendsten Winzer ihres<br />

Heimatlandes.<br />

CHRISTIAN VOLBRACHT Der Journalist, Autor und<br />

Antiquar schreibt über Wein und Gastronomie, seit er für<br />

die Deutsche Presse-Agentur in Paris gearbeitet hat. Seine<br />

besondere Leidenschaft gehört neben Wein und gutem<br />

Kochen den Pilzen und Trüffeln. Er ist Sammler und Inhaber<br />

des Buchantiquariats MykoLibri, als Buchautor ergründete<br />

er das Thema »Die Trüffel, Fake & Facts« (bei Tre Torri).<br />

DIRK WÜRTZ war Kellermeister und Betriebsleiter in<br />

den Rheingauer Weingütern Robert Weil und Balthasar Ress.<br />

2018 wechselte der Pfälzer wieder einmal das Rheinufer, um<br />

geschäftsführender Gesellschafter des Weinguts St. Antony<br />

in Nierstein (Rheinhessen) zu werden. In der Beteiligungsgesellschaft<br />

Tocos verantwortet der Tausendsassa zudem<br />

die Sparte Wein, er zählt zu den Weinbloggern der ersten<br />

Stunde und hat die europaweit größte Weincommunity<br />

»Hauptsache Wein« auf Facebook initiiert.<br />

Impressum: RUI CAMILO<br />

VERLEGER UND HERAUSGEBER<br />

Ralf Frenzel<br />

r.frenzel@tretorri.de<br />

CHEFREDAKTEURIN<br />

Nicole Mieding<br />

n.mieding@tretorri.de<br />

ART DIRECTOR<br />

Guido Bittner<br />

LEKTORAT<br />

Kathrin Hohberger<br />

AUTOREN DIESER AUSGABE<br />

Kristine Bäder, Daniel Deckers,<br />

Jürgen Dollase, Ursula Heinzelmann,<br />

Sigi Hiss, Uwe Kauss, Nicole Mieding,<br />

Stefan Pegatzky, Stuart Pigott,<br />

Rainer Schäfer, Michael Schmidt,<br />

Luzia Schrampf, Matthias Stelzig,<br />

Christian Volbracht, Dirk Würtz<br />

FOTOGRAFEN<br />

Guido Bittner, Rui Camilo, Johannes<br />

Grau, Marco Grundt, Andreas Hantschke,<br />

Christof Herdt, Arne Landwehr,<br />

Heiko Prigge<br />

GRÜNDUNGSCHEFREDAKTEUR<br />

Thomas Schröder (2008–2020)<br />

VERLAG<br />

Tre Torri Verlag GmbH<br />

Sonnenberger Straße 43<br />

65191 Wiesbaden<br />

www.tretorri.de<br />

Geschäftsführer: Ralf Frenzel<br />

ANZEIGEN<br />

Judith Völkel<br />

+49 611-57 99.0<br />

j.voelkel@tretorri.de<br />

ABONNEMENT<br />

<strong>FINE</strong> <strong>Das</strong> <strong>Weinmagazin</strong> erscheint<br />

vierteljährlich zum Einzelheft-Preis<br />

von € 15,– (D), € 16,90 (A),<br />

CHF 30,– (CH), € 18,50 (I)<br />

Auskunft und Bestellungen<br />

unter Telefon +49 611-57 99.0<br />

oder per E-Mail an abo@tretorri.de<br />

DRUCK<br />

X-PRESS Grafik & Druck GmbH, Berlin<br />

VERTRIEB<br />

DPV Deutscher Pressevertrieb GmbH<br />

www.dpv.de<br />

Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht<br />

unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Der<br />

Verlag haftet nicht für unverlangt eingereichte<br />

Manuskripte, Dateien, Datenträger und Bilder.<br />

Alle in diesem Magazin veröffentlichten Artikel<br />

sind urheberrechtlich geschützt.<br />

DIE <strong>FINE</strong>-<br />

VERKOSTUNGEN<br />

Referenztabelle des 100-Punkte-Systems von <strong>FINE</strong> zum britischen 20-Punkte-System<br />

50 60 70 80 85 90 96 100<br />

0 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20<br />

<strong>Das</strong> <strong>FINE</strong>-Verfahren<br />

• Wir glauben, dass der Geschmack zwar subjektiv ist, dass wir als<br />

erfahrene Verkoster und in kontrollierten Umgebungen aber dennoch<br />

gut begründete und klar formulierte Urteile über Wein geben können.<br />

• Als aufgeklärte Connaisseurs wissen wir, dass Punktebewertungen<br />

nicht objektiv sind, also keine reale »Substanz« im Wein bezeichnen.<br />

Sie sind aber auch nicht völlig subjektiv. In der <strong>FINE</strong> sind sie immer<br />

Ausdruck einer Wechselbeziehung von Wein und Verkoster. Deshalb<br />

veröffentlichen wir immer den Namen des jeweiligen Verkosters. Als<br />

neuer Leser werden Sie nach ein paar Heften die jeweiligen Unterschiede<br />

und Vorlieben unseres Teams einzuschätzen wissen.<br />

• <strong>FINE</strong> ist keine akademische Publikation, sondern will Freude am<br />

Weingenuss vermitteln. Deshalb fließen auch emotionale Elemente<br />

und stilistische Vorlieben mit ein, zudem schätzen wir den gelungenen<br />

sprachlichen Ausdruck. Besonders erkennen wir Weine an, die versuchen,<br />

ihren Ursprung zum Ausdruck zu bringen und naturnah oder<br />

gar biologisch erzeugt werden. Weltanschauliche Scheuklappen sind<br />

uns allerdings fremd. Auch deswegen verkosten wir, wenn die Situation<br />

es erlaubt, vorzugsweise blind.<br />

• Unsere Bewertungen sind nicht absolut, sondern spiegeln den Kontext<br />

einer jeden Verkostungssituation wider. Wenn wir in einer Vertikale<br />

von Château Petrus einen kleinen Jahrgang mit 92 Punkten und in einer<br />

anderen Situation einen Merlot aus der Maremma mit der gleichen<br />

Punktzahl bewerten, dann heißt das nicht, dass diese Werte gleichwertig<br />

sind. Darüber hinaus sind wir der Auffassung, dass Scoring<br />

und schriftlicher Kommentar nur gemeinsam ein Ganzes bilden.<br />

• Um die subjektive Sicht eines Einzeltesters zu ergänzen, bemühen wir<br />

uns, wenn es irgend geht, um das Urteil eines Verkostungspanels. Bei<br />

diesem Urteil wird bei jedem Wein die jeweils höchste und niedrigste<br />

Note gestrichen und ein Durchschnittswert gebildet. Dieses Urteil<br />

wird als Vergleichsergebnis des <strong>FINE</strong>-Panels (FP) notiert.<br />

• Wir erkennen an, dass sowohl der Wein als auch der Verkoster<br />

»lebendig« sind. Weine können von Flasche zu Flasche und von<br />

Woche zu Woche variieren. Verkoster haben unterschiedliche Tagesformen,<br />

Stärken oder Schwächen. Immer geht es uns um den Augenblick<br />

des Verkostens, Einschätzungen zum Potenzial fließen lediglich<br />

in den Begleittext ein, nicht in die Bewertung selbst.<br />

• Auch in <strong>FINE</strong> werden Sie wenige Weine mit einem niedrigen Scoring<br />

finden. <strong>Das</strong> hat nichts mit der Nivellierung von Grundsätzen zu tun,<br />

sondern weil wir um Ihre kostbare Zeit wissen und der Auffassung<br />

sind, dass jeder Wein, der in <strong>FINE</strong> vorgestellt wird, es auch wert sein<br />

muss. <strong>Das</strong> kann bei einem hinreißenden Müller-Thurgau aus Baden<br />

ebenso der Fall sein wie bei einem Amphorenwein aus Georgien.<br />

<strong>Das</strong> <strong>FINE</strong>-Punktesystem<br />

Mit Ausnahme von sehr alten Schatzkammerweinen, deren Zustand von<br />

Flasche zu Flasche variieren kann, werden alle von <strong>FINE</strong> verkosteten<br />

Weine nach Punkten bewertet. Diese Bewertung folgt der 100-Punkte-<br />

Skala. Ziel ist es, dem Leser ein tieferes Verständnis von der Qualität<br />

der durch <strong>FINE</strong> evaluierten Weine zu vermitteln sowie die Trinkbarkeit<br />

der Weine zu bewerten.<br />

Maßgeblich für die Punktezahl ist unser Eindruck vom Wein am<br />

Tag der Verkostung. <strong>FINE</strong> vergibt keine zusätzlichen Punkte für das<br />

zukünftige Potenzial des Weins. Eine Anmerkung darüber wird in den<br />

Verkostungsnotizen abgegeben. Wein wird blind, halb-blind und offen<br />

verkostet. Die entsprechende Methode findet sich in den Anmerkungen<br />

zur Verkostung.<br />

Wir konzentrieren uns auf die Beschreibung des Charakters und<br />

der Essenz des Weins: Säure, Frucht, Tannin, Struktur, Tiefe und Länge.<br />

Neben der Komplexität ist vor allem die Balance das entscheidende<br />

Kriterium für seine Qualität.<br />

Aufschlüsselung unserer Punkte<br />

100 Punkte Vollkommenheit. Ein perfekter Wein, der alle Sinne<br />

erfüllt, vollendet in allen Aspekten der Qualität – ein<br />

unschätzbares Geschenk der Natur.<br />

99–97 Punkte Ein beinahe perfektes Erlebnis. Der Wein und seine<br />

Geschichte sind einzigartig: unvergesslich makellose<br />

Harmonie, Komplexität und außergewöhnliche<br />

Persönlichkeit.<br />

96–94 Punkte Ein überragender Wein von höchstem Qualitätsanspruch<br />

und herausragender Ausgewogenheit.<br />

93–91 Punkte Ein exzellenter Wein, der einen verfeinerten Stil, eine<br />

ausgewogene Struktur und eine nuancierte Finesse<br />

aufweist.<br />

90–88 Punkte Ein guter Wein, nahezu exzellent. Harmonisch,<br />

lässt aber die Komplexität und den Charakter eines<br />

exzellenten Weines vermissen.<br />

87–80 Punkte Durchschnittlicher Wein mit weniger Charakter,<br />

Intensität, Struktur und Eleganz.<br />

79–70 Punkte Ein bescheidener und einfacher Wein, dem Leben<br />

und Harmonie fehlen.<br />

69–50 Punkte Ein beinahe untrinkbarer, leerer Wein.<br />

CHARTA <strong>FINE</strong> 3 | <strong>2021</strong> 9


DIESEN<br />

REMBRANDT<br />

KANN SICH<br />

JEDER<br />

LEISTEN<br />

EIN MEISTERWERK ZUM MODERATEN PREIS, WO GIBT ES<br />

DAS? FAUSTINO-WEINE HAT EIN ALTMEISTERLICHES MOTIV<br />

ZUR WELTMARKE GEMACHT: DER PRIMERO IST EINE ECHTE<br />

KAMPFANSAGE AN DIE WELTKLASSE<br />

Von RAINER SCHÄFER<br />

Fotos JOHANNES GRAU<br />

10 <strong>FINE</strong> 3 | <strong>2021</strong> RIOJA<br />

RIOJA <strong>FINE</strong> 3 | <strong>2021</strong> 11


Wenn es kommt, dann dick. Im vergangenen Oktober, als die Bodegas Faustino<br />

wie viele Weingüter mit den Übeln der Pandemie zu kämpfen hatten, starb just<br />

auch noch Don Julio. Julio Faustino Martínez, wie der klangvolle Name des<br />

Patrons der Familie vollständig lautet, war eine beeindruckende Persönlichkeit<br />

und seiner Zeit weit voraus. Schon 1960 begann er, Wein nach Österreich zu liefern,<br />

und schob damit den Export von Rioja-Weinen an. Vor allem erfand Martínez<br />

den Primero – die Gran Riserva von Faustino mit ihrer unverkennbaren Ausstattung.<br />

Jeder Weintrinker kennt das Etikett, das den niederländischen Händler<br />

Nicolaes von Bambeeck zeigt, den Rembrandt 1641 porträtierte. Faustino ist der<br />

Rioja-Klassiker schlechthin, kein anderes Label verbindet man stärker mit den<br />

Rotweinen dieser Region. Wohin man auch kommt, die markanten Flaschen<br />

warten schon in den Regalen.<br />

Nun ist es Lourdes Martínez Zabala, die mit ihren drei<br />

Geschwistern die Grupo Faustino führt, zu der sechs<br />

weitere Weingüter gehören. »Es war sehr schlimm,<br />

unseren Vater während der Pandemie zu verlieren«, sagt sie.<br />

»Er war ein großer Visionär, es ist ein riesiger Verlust – für die<br />

Familie und die Rioja.« In diesem Jahr wollten sie gemeinsam<br />

das 160-jährige Bestehen der Bodegas im Anbaugebiet Rioja<br />

Alavesa feiern. Jetzt steht die vierte Generation der Familie<br />

ohne den Patron in der Verantwortung: Ihre Aufgabe ist es,<br />

das Unternehmen in die Zukunft zu führen, ohne die Tradition<br />

und die Werte der Bodegas Faustino zu verlieren.<br />

Schon in den vergangenen Jahren begannen die Nachfahren<br />

damit – unter den wachsamen Augen von Don Julio.<br />

Eine heikle Aufgabe, der sich vor allem Francisco Honrubia<br />

verschrieben hat. »Faustino ist eine der berühmtesten Marken<br />

der Weinwelt, aber wir müssen an ihr arbeiten«, betont er. Seit<br />

Honrubia 2015 zum Direktor des Weinguts berufen wurde,<br />

Was heute als klassisch gilt, kann morgen schon<br />

altmodisch wirken, weiß Francisco Honrubia, der<br />

die Marke Faustino durch die Moderne führen will.<br />

sind neue Töne zu vernehmen in Oyón. Begriffe wie Brand<br />

und Markenkern schwirren durch die Flure, an allen Ecken<br />

wird diskutiert und gefachsimpelt. Der 50-Jährige studierte<br />

Wirtschaftsrecht und war als Manager bei IBM angestellt,<br />

bevor er ins Baskenland wechselte. Honrubia hat ein junges<br />

Team um sich geschart, das nicht alles abnicken muss, was<br />

der Chef vorgibt, und auch eigene Ideen umsetzen darf. Alles<br />

werde auf den Prüfstand gestellt, erklärt der Direktor. Rafael<br />

Martínez Palacios, der kleine Kellermeister mit dem untrüglichen<br />

Instinkt, verabschiedete sich nach mehr als 35 Jahren<br />

in den Ruhestand. Jetzt führt Juanjo Díez das Kellerteam, das<br />

gewaltige Mengen an Trauben zu beinahe elf Millionen Litern<br />

Qualitätswein verarbeitet.<br />

Der Direktor packt das an, wovor sich andere gescheut<br />

haben: Zum ersten Mal in der Geschichte des Weinguts hat er<br />

die Etiketten umgestaltet und »attraktiver gemacht«. Honrubia<br />

nennt es eine »kleine Revolution«. Andere halten es sogar für<br />

einen ungeheuerlichen Vorgang, der sich da abspielt hinter den<br />

Mauern des Weingutes in Oyón. Francisco Honrubia hat den<br />

Ruf, ein zielstrebiger Manager zu sein, der seine Vorstellungen<br />

umzusetzen weiß. Aber abends sieht man ihn hemdsärmelig in<br />

einer der vielen Tapas-Bars in den engen Gassen von Logroño<br />

sitzen, wo er bei einem Gläschen Rotwein den Tag ausklingen<br />

lässt und von allen nur Paco gerufen wird.<br />

Gang durch die Ahnengalerie<br />

Faustino gilt als bodenständiges Unternehmen, die Familie<br />

hat nie vergessen, aus welchen bescheidenen Verhältnissen<br />

sie stammt. Ihr mühsamer Weg zum Erfolg lässt sich auch im<br />

Museum des Familienweinguts verfolgen. An den Wänden<br />

hängen die Porträts der Gründer: Eleuterio Martínez Arzok,<br />

der 1861 das Fundament legte für die Bodegas und mit dem<br />

Verkauf von Fasswein über die Runden kommen musste wie<br />

viele Weinbauern in der ärmlichen Rioja. Daneben posiert sein<br />

Sohn Faustino Martínez Pérez de Albéniz, der 1930 die ersten<br />

Flaschenweine füllte. Er kelterte auch 1955 den ersten Primero<br />

in einem Haus, das 300 Meter entfernt vom heutigen Weingut<br />

stand und später abgerissen wurde. Auf den Korken des<br />

ersten Jahrgangs stand noch Bodegas Santanas, »da waren wohl<br />

gerade keine anderen zur Hand«, scherzt Francisco Honrubia,<br />

der natürlich weiß, dass die früheren Generationen öfter zum<br />

Improvisieren gezwungen waren.<br />

In der Reihe folgt, mit forsch nach hinten gelegtem Haar,<br />

Julio Faustino Martínez, der 1957 das Gut übernahm. Don<br />

Julio erwarb nach und nach Land und ließ es mit Tempranillo<br />

bepflanzen. Er erkannte auch, dass der Verkauf seiner Weine nur<br />

mit einem unverwechselbaren Label erfolgreich sein konnte:<br />

Er entwarf mehrere Künstleretiketten, von denen Rembrandts<br />

Nicolaes von Bambeeck am meisten überzeugte, und brachte<br />

diese Motivweine 1960 auf den Markt. Ein großer Wurf, dem<br />

das Weingut seine internationale Reputation verdankt. Don<br />

Julio erwies sich als Marketinggenie zu einer Zeit, in der kaum<br />

jemand über Marken und Brands redete. Aber die Dynamik<br />

des globalen Weinmarkts hat auch das Traditionshaus erfasst:<br />

Was heute als klassisch und bewährt gilt, kann morgen schon<br />

altmodisch und langweilig empfunden werden. In einer Welt,<br />

die ständig nach neuen Sensationen giert, müssen sich auch die<br />

Bodegas Faustino schneller bewegen. »Wir wollen nicht nur<br />

Wein für die Großväter machen«, sagt Honrubia, »sondern auch<br />

für deren Enkel.« Also hat der Direktor neue Weinlinien wie die<br />

Art Collection eingeführt und damit dem Unternehmen neuen<br />

Schwung verliehen. Eines dürfe man aber nie vergessen, unterstreicht<br />

er: »Faustino war immer eine Geschichte von Winzern,<br />

die sehr eng mit ihrem Land und Boden verbunden sind.«<br />

Es ist noch früh am Morgen, als Ricardo Goñi seine Weinberge<br />

inspiziert. Er ist verantwortlich für alle Reben<br />

der Grupo Faustino – insgesamt 1500 Hektar, die sich<br />

über mehrere Anbaugebiete wie Rioja, Navarra und Ribera del<br />

Duero erstrecken. Allein 700 Hektar liegen in Rioja Alavesa<br />

in den Gemeinden Oyón, Laguardia, Logroño und Mendavia,<br />

sie sind vor allem mit Tempranillo bestockt, dazu kommen<br />

Graciano, Mazuelo und Viura. Die Reben wachsen vor allem<br />

auf kalkhaltigen Lehmböden. Ricardo Goñi ist ein drahtiger<br />

Typ, der schnell redet, ohne Pausen einzulegen. Oft fahre er<br />

durch die hügelige Landschaft, in Gedanken bei den vorherigen<br />

Generationen, die in den Weinbergen arbeiteten – jede mit<br />

ihren eigenen Mitteln. »Mein Job ist heute viel technischer<br />

und präziser«, sagt der 48-Jährige, der 2018 zur Grupo Faustino<br />

stieß und davor 16 Jahre lang in Navarra, Torro und auch in<br />

Argentinien unterwegs war, wo er Reben in über 1000 Meter<br />

Höhe anbaute. Reichlich Erfahrung, die jetzt in seine Arbeit einfließt:<br />

Goñi lässt die Böden seiner Weinberge exakt analysieren<br />

und kontrolliert den Vegetationsverlauf mithilfe von Satelliten.<br />

Jeder Weinberg bekommt einen eigenen Code zugewiesen, so<br />

lässt sich exakt zurückverfolgen, woher die Trauben stammen.<br />

»Aber Wein anzubauen, ist keine Mathematik«, betont Goñi,<br />

man könne modernste Technologie einsetzen und müsse doch<br />

»wie ein Weinbauer mit der Natur denken«.<br />

Der Klimawandel kostet Frische<br />

Ricardo Goñi beobachtet genau, wie der Klimawandel den<br />

Weinanbau verändert. Tempranillo, der den Charakter der<br />

Weine prägt, verliere an Frische, wenn es zu trocken ist. Auch<br />

in Rioja wandern die Reben stetig nach oben, die höchsten<br />

Weinberge der Bodegas liegen inzwischen auf 725 Metern.<br />

»Wir brauchen Säure im Wein«, erläutert Goñi, »und weniger<br />

Zucker.« Deshalb lässt er die Laubwände der Reben nur auf<br />

1960 kamen die<br />

Faustino-Weine mit<br />

Rembrandt-Motiv<br />

auf den Markt –<br />

ein großer Wurf in<br />

einer Zeit, in der<br />

noch kaum jemand<br />

über Branding und<br />

Marketing redete.<br />

Eine Art Collection<br />

spielt nun mit dem<br />

eigenen Image.<br />

12 <strong>FINE</strong> 3 | <strong>2021</strong> RIOJA<br />

RIOJA <strong>FINE</strong> 3 | <strong>2021</strong> 13


Der Gebirgszug Monte de Laguardia erhebt sich<br />

wie ein Schutzwall vor der Weinlage La Tejera.<br />

Der Eindruck von sanft geschwungenen Hügeln<br />

täuscht – die höchsten Weinberge der Bodegas<br />

Faustino liegen inzwischen auf 725 Metern.<br />

14 <strong>FINE</strong> 3 | <strong>2021</strong> RIOJA<br />

RIOJA <strong>FINE</strong> 3 | <strong>2021</strong> 15


WEIN<br />

UND<br />

SAUER-<br />

STOFF<br />

Im Grunde mag ihn kein Winzer: Sauerstoff sorgt für braune Farbe im Rotwein<br />

und für ein tiefdunkles Gelb bei Weißem, er verändert die Haltbarkeit und den<br />

Geschmack, im schlimmsten Fall verwandelt er den Flascheninhalt in Essig.<br />

Trotzdem ist er wichtig, denn er hilft dem Wein auch, sein bestes Gesicht zu<br />

zeigen. Es kommt nur auf die passende Dosis und den richtigen Zeitpunkt an.<br />

Von KRISTINE BÄDER<br />

Fotos ARNE LANDWEHR<br />

Die Beziehung ist kompliziert. Kaum sind die Trauben<br />

gepresst und der Most fließt ab, beginnt der Sauerstoff<br />

sein Werk und fordert den Winzer heraus, genau dies<br />

nicht zuzulassen. Oder zumindest nur so weit, wie es den Weinen<br />

guttut. Was aber welchem Wein wann wirklich hilft, dafür gibt<br />

es keine Blaupause. Denn die Reaktion hängt von vielen unterschiedlichen<br />

inneren und äußeren Voraussetzungen ab: Hefe<br />

und Schwefel, Temperatur, Tannine und ihre Herkunft, die Anund<br />

Abwesenheit von Säure, deren Menge und Beschaffenheit<br />

beeinflussen, wie Sauerstoff im Wein wirken kann. Schon<br />

daraus wird klar, dass Weiß- und Rotweine grundverschieden<br />

auf Sauerstoff reagieren. Es ist allerdings keine Überraschung,<br />

dass, grob zusammengefasst, Rotwein den Sauerstoffontakt<br />

grundsätzlich besser verkraftet und Weißwein durch diesen<br />

deutlich schneller altert. Doch was passiert, wenn man einen<br />

fertig gefüllten Wein »atmen« lässt? Wenn man ihn dekantiert<br />

beziehungsweise karaffert? Profitiert der Wein davon? Oder<br />

schadet man ihm? Ein Patentrezept gibt es nicht, leider.<br />

Grundsätzlich dienen Dekantieren und Karafferen ganz<br />

unterschiedlichen Zwecken. Dekantieren kommt vom französischen<br />

Begriff décanter und bezeichnet den Vorgang des Trennens<br />

und Abgießens. Gerade bei Rotweinen sammelt sich über<br />

die Jahre am Flaschenboden das Depot. Im Prinzip ist dieser<br />

Bodensatz ein Qualitätsmerkmal, das allerdings ziemlich bitter<br />

schmeckt und nicht besonders appetitlich aussieht. Daher<br />

dient das Dekantieren dazu, den Wein vom Depot zu trennen.<br />

46 <strong>FINE</strong> 3 | <strong>2021</strong> TASTING<br />

TASTING <strong>FINE</strong> 3 | <strong>2021</strong> 47


Dazu sollte man ihn in der Flasche<br />

schon einige Tage vor<br />

dem geplanten Genuss aufrecht<br />

hinstellen, damit sich<br />

das Depot am Flaschenboden<br />

absetzen kann. Beim anschließenden<br />

Dekantieren ist es vor<br />

allem wichtig, die Flasche nur<br />

sehr vorsichtig zu bewegen,<br />

um den Bodensatz nicht wieder<br />

auf zu wirbeln. Klassisch<br />

hält man den Flaschen hals<br />

beim Umfüllen des Weins<br />

über eine Kerze – eine andere<br />

Lichtquelle tut es aber auch –<br />

und beobachtet so, wann sich<br />

die ersten Anzeichen des<br />

Depots im Flaschenhals zeigen. Da das Dekantieren in seiner<br />

ursprünglichen Form nichts mit Be atmen zu tun hat, sollte<br />

man dabei sehr umsichtig vorgehen und den Wein vorsichtig<br />

am Rand des Dekanters hinabfließen lassen. Beim Karafferen<br />

hingegen geht es um das gezielte Belüften des Weins, um ihn<br />

nach Wochen, Monaten oder Jahren in der Flasche mit viel<br />

Sauerstoff in Kontakt zu bringen. <strong>Das</strong> soll ihn dabei unterstützen,<br />

sich zu öffnen. Dazu wird der Wein mit Schwung in eine<br />

breite Karaffe geschüttet, die ein wenig an einen Eisstock erinnert<br />

und im unteren Drittel so breit ist, dass der Wein eine große<br />

Oberfläche für den Kontakt mit Sauerstoff hat.<br />

Die Meinungen über die Vor- und Nachteile dieses Verfahrens<br />

gehen weit auseinander. <strong>Das</strong>s Sauerstoff den Wein<br />

nach dem Öffnen, Dekantieren oder Karafferen beeinflusst,<br />

lässt sich aber nicht bestreiten:<br />

Sauerstoff verbindet sich<br />

mit den Tanninen, dem Alkohol,<br />

den Farbstoffen und den<br />

für die Aromen zuständigen<br />

Kohlenwasserstoffen. Tannine<br />

werden so im Idealfall<br />

weicher, Aromen komplexer<br />

und feiner. Ausschlaggebend<br />

für die Veränderung ist<br />

die Zeitspanne, die man dem<br />

Wein lässt, um den Sauerstoff<br />

zu verarbeiten. Die geruchsaktiven<br />

Aromastoffe im Wein<br />

reagieren unmittelbar mit<br />

dem Sauerstoff und zeigen<br />

daher auch eine relativ schnell<br />

wahrnehmbare Veränderung.<br />

Phenole hingegen benötigen<br />

länger Zeit, um den Sauerstoff<br />

Es ist von Bedeutung, wie sehr ein Wein<br />

während des Ausbaus und der Flaschenreife<br />

mit Sauerstoff in Kontakt kommt. Im<br />

Vergleich zu Kork verlängert ein Schraubverschluss<br />

– entgegen jeder romantischen<br />

Vorstellung – die Lebensdauer eines Weins.<br />

zu verarbeiten, und zeigen eine Transformation erst nach vielen<br />

Stunden oder auch Tagen. <strong>Das</strong>s ein Wein innerhalb weniger<br />

Stunden durch Luftkontakt eine geschmacklich wahrnehmbare<br />

Alterungsnote zeigt, ist eher unwahrscheinlich.<br />

In einer groß angelegten Verkostung haben wir zwölf verschiedene<br />

Weine unterschiedlich langem Sauerstoffontakt ausgesetzt<br />

und dann verkostet. Vier Weiß- und acht Rotweine aus<br />

unterschiedlichen Regionen und Jahrgängen wurden je 24 und<br />

12 Stunden vor der Verkostung doppelt karaffert, die dritte<br />

Flasche erst direkt vor der Probe geöffnet. Die Verkostung<br />

bestätigte vor allem den Einfluss des Karafferens auf den Wein –<br />

und zwar in unterschiedlicher Weise.<br />

Grundsätzlich profitierten alle mehr oder weniger stark vom<br />

Belüften. Zu den bemerkenswerten Beobachtungen gehörte<br />

die Entwicklung eines 2018er Chablis. Der deutliche Holzeinfluss<br />

blieb über die ganze Probe hinweg nahezu unberührt<br />

und bestätigte damit die wissenschaftliche Untersuchung, dass<br />

Tannine aus dem Holzfassausbau den Wein mehr vor Oxidation<br />

schützen als die flavonoiden. Ebenfalls auffällig war die Entwicklung<br />

eines 2013er Ornellaia. Direkt nach dem Öffnen<br />

zeigte der Wein eine deutlich überreife Note und war ohne<br />

jede Frucht und Aromatik eher uncharmant. Schon mit zwölf<br />

Stunden Luftkontakt waren die Alterungsnoten komplett verflogen<br />

– 24 Stunden nach dem Öffnen präsentierte sich der<br />

Wein mit großer Fülle, viel Frucht und wunderbar eleganter<br />

Struktur. Bei den Weißweinen vollzogen die beiden Rieslinge die<br />

positivste Entwicklung. Während der 2018er Kiedrich Gräfenberg<br />

vom Weingut Weil über die Zeit an Länge und Struktur<br />

zulegte, offenbarte der 2018er Bernkasteler Doctor der Weingüter<br />

Wegeler neben seiner süßlich geprägten Art zunehmend<br />

auch mineralische Komplexität.<br />

Bäder verkostet<br />

<strong>FINE</strong>TASTING|Kristine<br />

zwölf Weine nach<br />

2018 Kiedricher Gräfenberg GG Weingut Robert Weil, Rheingau<br />

NACH DEM ÖFFNEN<br />

Die Nase mit einer hellen Frucht von<br />

Pfirsich und grünem Apfel. Dazu deutliche<br />

Mineralität und eine Note von<br />

Schieferstein. Am Gaumen würzigpfeffrig,<br />

mit crisper Struktur. Betonte<br />

Säure und eine leichte, aber angenehme<br />

Bitternote im Abgang.<br />

NACH 12 STUNDEN<br />

Sehr fruchtige Nase, viel Exotik, am<br />

Gaumen füllig und mit viel Saft, immer<br />

noch betonte Säure und dabei sehr<br />

schlotzig. Die pfeffrig-würzige Art hat<br />

sich gehalten, der Abgang ist lang. Hoher<br />

Spaßfaktor.<br />

NACH 24 STUNDEN<br />

Aromen von süßer Zitrusfrucht, reifer<br />

Pink Grapefruit, aber auch etwas Tabak.<br />

Die Mineralität zeigt sich wieder deutlich.<br />

Am Gaumen mit Fülle und Eleganz.<br />

2018 Bernkasteler Doctor Riesling GG Weingüter Wegeler, Mosel<br />

NACH DEM ÖFFNEN<br />

Eine ganz klare Nase mit Aromen von<br />

reifem gelbem Steinobst wie Aprikose<br />

und Mirabelle, dazu eine mineralische<br />

Note. Am Gaumen mild und mit molligem,<br />

leicht süßlichem Körper, hat etwas von<br />

Honig und Karamell, auch Anflüge von<br />

Tabak. Ein warmer Wein mit guter Säurestruktur<br />

im Abgang.<br />

NACH 12 STUNDEN<br />

Die Nase mit einer deutlich pfeffrigen<br />

Note, dazu viel exotische Frucht.<br />

Am Gaumen mit viel Volumen und<br />

Mineralität; sehr saftig mit animierender,<br />

crisper Säure, dazu eine weiche Textur.<br />

Langer, fülliger Abgang.<br />

NACH 24 STUNDEN<br />

Entwickelt sich zunehmend zu einer<br />

salzig-mineralischen Art, verliert am<br />

Gaumen aber nicht sein Volumen und<br />

bleibt saftig und füllig. Die leichte Süße<br />

schlägt nun voll durch, zeigt Länge, Saft,<br />

Opulenz und wird von der crispen Säure<br />

getragen.<br />

2018 Montée De Tonnerre Chablis 1er Cru Domaine Louis Michel & Fils, Burgund<br />

NACH DEM ÖFFNEN<br />

Sofort als Chardonnay aus Burgund<br />

erkennbar. Wirkt reif mit Noten von<br />

kaltem Rauch in der Nase, eher würzig<br />

und mit wenig Frucht. Am Gaumen mit<br />

milder Säure, weicher Textur und einer<br />

deutlichen, geradlinigen Mineralität.<br />

Erdig im Abgang.<br />

NACH 12 STUNDEN<br />

<strong>Das</strong> Rauchige bleibt erhalten, es zeigt sich<br />

aber nun auch eine reife, gelbe Frucht,<br />

dazu kommen Aromen von hellem Tabak<br />

und Toffee. Am Gaumen mit viel Saft,<br />

mollig und sehr voluminös. Weiche<br />

Textur und die milde Säure werden durch<br />

die crispe Mineralität aufgefangen. Im<br />

Abgang erdig.<br />

NACH 24 STUNDEN<br />

Im Ausdruck geprägt von Holz, rauchigen<br />

Noten und Toffee und noch einer Spur<br />

der gelbfleischigen Frucht. Am Gaumen<br />

weiche Textur und milde Säure, weiterhin<br />

ausbalanciert mit der feinen Säurestruktur.<br />

Langer Abgang.<br />

2018 Vorberg Weißburgunder Cantina Terlan, Südtirol<br />

NACH DEM ÖFFNEN<br />

NACH 12 STUNDEN<br />

Duftet eher nach Muskateller als nach Der Eindruck der Bukettsorte bleibt,<br />

Weißburgunder: sehr ausdrucksstark mit der Wein wird aber komplexer: Aromen<br />

floralen Noten von Rose. Am Mund sehr von Cassis, florale Noten. Am Gaumen<br />

würzig und pfeffrig mit einem spürbaren, salzig-jodig mit einer crispen Säure. <strong>Das</strong><br />

aber dezenten Holzeinfluss.<br />

Ganze wirkt sehr geradlinig und ein wenig<br />

reduziert, der fast kalkig wirkende Abgang<br />

verleiht ihm eine zurückhaltende Eleganz.<br />

NACH 24 STUNDEN<br />

Nun dominieren wieder florale Noten<br />

von Rose, Flieder und Veilchen, das geht<br />

fast schon ins Seifige. Am Gaumen wirkt<br />

der Wein mit seiner pfeffrigen Würze fast<br />

schon »laut«, eine reife Zitronenaromatik<br />

verleiht ihm etwas Frische.<br />

2018 Spätburgunder Centgrafenberg GG Weingut Rudolf Fürst, Franken<br />

NACH DEM ÖFFNEN<br />

Duftet sehr intensiv floral nach Veilchen,<br />

am Gaumen dominiert der Holzeindruck,<br />

die Tannine sind reif, aber jung, dazu<br />

kommt ein wenig Tabak. Alles in allem<br />

karg, reduziert und viel zu jung. Bleibt<br />

an der Oberfläche.<br />

NACH 12 STUNDEN<br />

Noch immer viel florale Aromatik, wirkt<br />

aber etwas offener mit einem kalkigmineralischen<br />

Charakter am Gaumen,<br />

salziger Frische und einer duftigen Art.<br />

Dazu etwas Grafit und eine sehr elegante<br />

Tanninstruktur.<br />

NACH 24 STUNDEN<br />

Die Frucht bleibt weiter im Hintergrund,<br />

dafür zeigt sich das Holz wieder deutlich.<br />

Am Gaumen rauchig, etwas ruppig, die<br />

Veilchenaromatik dominiert den langen<br />

Abgang.<br />

2017 Nuits-St-Georges Domaine Faiveley, Burgund<br />

NACH DEM ÖFFNEN<br />

NACH 12 STUNDEN<br />

Gibt sich verhalten und verschlossen, Eine weiche, mollige Nase, dazu auch<br />

dezente Frucht von (Sauer-)Kirsche. etwas grünliche Aromatik, der Gaumen<br />

Wirkt am Gaumen kalkig, der Holzeinfluss<br />

ist deutlich spürbar, dazu eine gute Grünlicher Abgang, der noch etwas<br />

mit weicher Textur, immer noch Holz.<br />

Säurestruktur.<br />

unharmonisch wirkt.<br />

ihrem Belüften<br />

NACH 24 STUNDEN<br />

Die Nase zeigt sich jetzt mit viel Küchenkräutern<br />

wie Petersilie und Majoran, dazu<br />

kommt eine dezente Frucht. Am Gaumen<br />

eine anregende grünlich-fruchtige<br />

Mischung mit weicher Textur und guter<br />

Säurestruktur.<br />

48 <strong>FINE</strong> 3 | <strong>2021</strong> TASTING<br />

TASTING <strong>FINE</strong> 3 | <strong>2021</strong> 49


FORT KNOX DES WEINS<br />

EIN ALTES BERGWERK VOLL FEINSTEM WEIN IN SÜDENGLAND.<br />

NEUN MILLIONEN FLASCHEN WEIN LIEGEN 30 METER UNTER<br />

DER ERDE AUF HALDE – JEDE MUSS AUF ANFRAGE SOFORT<br />

ZU FINDEN SEIN. DAS VERLANGT NACH AUSGEKLÜGELTER<br />

TECHNIK UND ORGANISATION. DIE GRÖSSTE HERAUS-<br />

FORDERUNG IN DIESEM HOCHSICHERHEITSBUNKER FÜR<br />

EDELWEINE HAT ABER MIT TECHNIK GAR NICHTS ZU TUN.<br />

Von MATTHIAS STELZIG<br />

52 <strong>FINE</strong> 3 | <strong>2021</strong> REPORTAGE<br />

Fotos HEIKO PRIGGE<br />

Fünf Minuten lang passiert nichts. Bauernhäuser, Felder, Weiden, Kühe, ein paar Steinmauern.<br />

Dann kommt das Postauto und dann wieder nichts. Ein leichter Windstoß weht<br />

über die Landstraße von Wiltshire in Südwestengland, irgendwo zwischen Stonehenge<br />

und Rosamunde-Pilcher-Roman. Nur das schwarze Schild mit dem Logo des Octavian<br />

ist ein bisschen zu hochglänzend für die ländliche Szene.<br />

Die Straße dahinter endet an einer unscheinbaren<br />

Stahltür. In die Welt des Octavian<br />

führen 157 unebene Stufen 30 Meter tief in<br />

die Erde. Daneben fährt der Wein auf einer Lore ein.<br />

Es ist der wohl größte und sicherste Weinkeller der<br />

Welt, hier horten Tausende Liebhaber ihre besten<br />

Stücke. Die Treppe mündet in einen langen Gang.<br />

»Bis zum anderen Ende sind es mehr als 500 Meter«,<br />

erklärt Vincent O’Brien und zeigt den schnurgeraden<br />

Stollen entlang. So weit der übersichtliche Teil des<br />

Octavian. <strong>Das</strong> ehemalige Bergwerk besteht aus endlosen<br />

kleinen Gängen. Überall haben die Bergleute<br />

Schächte in den Stein getrieben, die Übersichtskarte<br />

sieht aus wie ein Schweizer Käse.<br />

»93 000 Quadratmeter«, erklärt Vincent, der<br />

als Finanzchef für alle Zahlen verantwortlich ist.<br />

Wände und Decken aus Sandstein wechseln sich ab<br />

mit Betonwänden. Überall sind Buchstaben- und<br />

Zahlencodes, Hinweise wie »Fire Exit«, »Caution«<br />

oder »Keep out« mit Schablonen an die Wände<br />

gesprüht. Bunkeratmosphäre. Beklemmung verhindern<br />

die hohen Decken mit überdimensionierten<br />

Lüftungskanälen, durch die Riesenventilatoren Luft<br />

durch die ganzen Stollen pumpen.<br />

Über die glatt asphaltierten Böden fahren<br />

elektrische Gabelstapler. Sämtliche Wände sind<br />

verstellt mit Paletten, auf denen hölzerne Weinkisten<br />

stehen.<br />

Nur Flaschen mit gutem Leumund<br />

Bis es ein Neuzugang hierherschaff, muss er mehrere<br />

Prüfungen bestehen. Jede Flasche, jede Holzkiste<br />

wird begutachtet. Dazu durchlaufen alle Lagerarbeiter<br />

eine sechsmonatige Schulung – vorausgesetzt,<br />

sie sind nicht vorbestraft. »Jeder, der unseren<br />

Abschlusstest besteht, kann Fälschungsmerkmale<br />

einer Flasche Domaine de la Romanée-Conti<br />

erkennen«, erklärt Vincent. Hintergrund dieser<br />

Maßnahme: Sammler und Investoren kaufen Weine<br />

immer öfter ungesehen auf dem Sekundärmarkt.<br />

»Deshalb kommen mehr beschädigte Flaschen hier<br />

an.« <strong>Das</strong> gilt auch für die Verpackung. Eine Holzkiste<br />

ist Teil des Werts. Bestehen bei der Aufnahmeprüfung<br />

Bedenken, bekommt der Kunde ein Foto<br />

REPORTAGE <strong>FINE</strong> 3 | <strong>2021</strong> 53


seines Weins und entscheidet selbst, wie es weitergeht.<br />

Kleine Reparaturen können vor Ort erledigt<br />

werden, Holzwürmer bekämpft Octavian ungefragt –<br />

eine Kreuzkontamination mit dem Lagerbestand<br />

wäre nicht nur für die Kisten toxisch.<br />

Seit der Wert historischer Weine immer höher<br />

klettert, steigt auch die Zahl der Fälschungen. »Die<br />

sortieren wir aus, sie müssen zerstört werden.«<br />

Was im Octavian landet, muss einen einwandfreien<br />

Leumund haben. <strong>Das</strong> gilt auch für den Besitzer.<br />

Hintergrund-Checks sind Pflicht, mindestens ein<br />

Blick ins Gewerberegister und in den Pass. »Weine<br />

von Firmen mit Briefkastenadressen nehmen wir<br />

nicht an«, sagt Vincent O’Brien.<br />

Ohne Chipkarte geht<br />

hier unten gar nichts<br />

Sind Wein und Kunde untadelig, wird ein Foto<br />

gemacht. Die Kiste bekommt eine Nummer, die<br />

sie für immer begleitet, und einen Sticker, auf dem<br />

sämtliche Daten gespeichert sind. »Von der Eingangskontrolle<br />

bis zum letzten Umladen«, erklärt<br />

IT-Manager John Cording, »ist hier jedes Detail<br />

gespeichert. Stabil über Jahrzehnte.« So lässt sich<br />

Im Land des Understatements<br />

sind selbst Superlative<br />

unspektakulär: Je weniger zu<br />

erkennen ist, was hier liegt,<br />

desto besser.<br />

der Weg jeder Flasche nachvollziehen, auch wenn<br />

sie nur ins firmeneigene Fotostudio gebracht wird.<br />

Wird eine Kiste bewegt, die es nicht sollte,<br />

schlägt das System Alarm. <strong>Das</strong> gilt vor allem, wenn<br />

sie im Versand an die falsche Adresse geht. »<strong>Das</strong><br />

kommt aber fast nie vor«, winkt John ab, und man<br />

merkt den zufriedenen Stolz. »Fehlerquote 0,001<br />

Prozent.« Auch jeder Mensch, der das Octavian<br />

betritt, bekommt nach der Einweisung (»nicht<br />

rauchen, nicht trinken, nicht essen, Warnweste<br />

immer anbehalten«), eine Chipkarte um den Hals<br />

und eine Atemmaske mit Sauerstoffank. Am Ende<br />

des Zugangsschachts hat man sich zweimal eingeloggt,<br />

fortan wird jede Bewegung getrackt.<br />

Die ersten Menschen hier waren Minenarbeiter,<br />

sie holten den honigfarbene Sandstein<br />

aus der Erde. Im nahe gelegenen Bath<br />

mit seinen heißen Quellen bauten reiche Londoner<br />

im 19. Jahrhundert die halbe Stadt daraus. Sogar das<br />

Königshaus besitzt eine solche Immobilie, und im<br />

südafrikanischen Johannesburg hat sich die Stadtregierung<br />

aus diesem Stein das Rathaus gebaut.<br />

Trotzdem war irgendwann Schluss, der Bergbau<br />

rentierte sich nicht mehr. Später installierte das Verteidigungsministerium<br />

die aufwendige Belüftungsanlage,<br />

um seine Munition trocken und bombensicher<br />

im Stollen zu lagern. Ventilatoren mit gut<br />

zwei Meter Durchmesser saugen vor dem Eingang<br />

die Luft ein. Doch auch das Depot ist irgendwann<br />

in Vergessenheit geraten.<br />

»Jede Flasche hat ihre<br />

Geschichte«<br />

Erst 1989 entdeckte der heutige Octavian-Vorstandsvorsitzende<br />

Nigel Jagger die Mine für sich. »Lagerung<br />

bei gesteuerter Temperatur und Feuchtigkeit war<br />

damals keineswegs der Standard«, erklärt Vincent.<br />

Jagger, ein Experte für Lagerhaltung, schoss noch<br />

ein paar Millionen Pfund dazu, fertig war das kleine<br />

Himmelreich: ein Weinlager der Luxusklasse. 1991<br />

startete der Betrieb unter Tage mit 90 000 Flaschen.<br />

»Heute sind es Millionen«, weiß Vincent, »Gesamtwert<br />

eine Milliarde Pfund.« Der durchschnittliche<br />

Flaschenpreis liegt bei etwa 130 Euro, im Einzelfall<br />

deutlich höher. Erst kürzlich wurde ein Macallan<br />

Single Malt Whisky aus dem Bestand für 2,2 Millionen<br />

Euro versteigert. Wer hier seine Flaschen lagert, tut<br />

es nicht, weil ihm zu Hause der Platz zu schade ist<br />

oder er etwa keinen hätte. Bei stabilen 13 Grad und<br />

80 Prozent Luftfeuchtigkeit schlummern vibrationsfrei<br />

Sammlungen, die teils Lebenswerke sind und<br />

nirgendwo ihresgleichen haben.<br />

Wie geht man mit Lagerware um, die für den<br />

Besitzer ein unbezahlbarer Schatz ist? »Hohe Luftfeuchtigkeit<br />

und hoch emotional«, sagt Vincent, und<br />

ein Hauch von Fatalismus klingt an. »Jede Flasche<br />

hat ihre Geschichte, ihren sentimentalen Wert«,<br />

weiß er, »deshalb behandelt jeder Mitarbeiter die<br />

Weine wie seine eigenen.« Und manchmal noch<br />

etwas besser.<br />

Schon ein Karton kann zu Krisen führen: Die<br />

Pappe gibt auf die Dauer nach in der feuchten Luft,<br />

das ist eigentlich jedem klar. Wenn aber Taittinger<br />

oder Krug draufsteht, kennt mancher Kunde auch<br />

bei Naturgesetzen kein Pardon. Octavian macht dann<br />

gute Miene und packt solche Weine in Holzkisten<br />

mit dem eigenen Brandzeichen um.<br />

Auf der Promenade<br />

der großen Namen<br />

»Alles an Wein ist interessant«, findet Vincent, »nur<br />

die Lagerung gilt als todlangweilig. Dabei sind hier<br />

keine zwei Tage gleich.« Der gebürtige Ire macht<br />

den Job schon seit Jahren und sieht sich vor allem<br />

als Bewahrer. »Normale Lagerhäuser schlagen ihren<br />

Bestand zehn- oder zwanzigmal im Jahr um, bei uns<br />

bleibt der Durchschnittskarton acht Jahre im Regal.«<br />

Vincent lotst in den gefühlt 40. Gang, dessen Wände<br />

bis unter die Decke mit Weinkisten vollgestellt sind.<br />

Beim Durchhuschen ziehen im Augenwinkel Namen<br />

vorbei: Angélus und Ausone, Domaine Leroy und<br />

Leflaive, Screaming Eagle und Scharzhofberg, Henri<br />

Jayer und Joško Gravner, Jacques Selosse und Salon,<br />

Liber Pater und J.J. Prüm. Diese Liste könnte ewig<br />

weitergehen. Die Atmosphäre aus Bergwerk, Bunker<br />

und begehbarem Paradiesgarten wird mit jedem<br />

Schritt etwas anheimelnder.<br />

Beim Sicherheitscheck lernen Besucher unter<br />

anderem, dass man im Falle eines Grubenunglücks<br />

vor dem Feuer zurückweicht, wenn<br />

der Ausgang versperrt ist. Mancher träumt von solch<br />

einem Tod: allein mit den besten Weinen der Welt.<br />

Vincent, der Buchhalter, bringt uns mit seinem<br />

Zahlenwerk zurück auf den Boden der Tatsachen.<br />

Wie viel Wein hier herumliegt? Der Mann, der von<br />

sich sagt, dass ihm Zahlen Riesenspaß machen, denkt<br />

tatsächlich einen langen Moment nach. »So um die<br />

neun Millionen Flaschen.«<br />

<strong>Das</strong> macht diesen Bunker zu einer der – wenn<br />

nicht der – größten Weinsammlung der Welt. Der<br />

angebliche Rekordhalter laut Guinness-Buch,<br />

Mileștii Mici in Moldawien, wirkt dagegen mit seinen<br />

1,5 Millionen Flaschen jedenfalls mickrig.<br />

Atemluft im Sauerstofftank<br />

reicht für 20 Minuten<br />

Wie lang die Gänge insgesamt sind, hat nie jemand<br />

gemessen. Will ein Kunde eine Kiste Wein haben<br />

oder auch nur eine Flasche, ist die durchschnittliche<br />

Anfahrt für den Staplerfahrer zwei Kilometer. Bei<br />

solchen Dimensionen muss man sich zwangsläufig<br />

ein paar Gedanken zur Sicherheit machen. Jeder, der<br />

das Octavian betritt, wird mit einem Sauerstoffank<br />

ausgestattet, der 20 Minuten Luft zum Atmen bietet.<br />

Wenn doch mal der Ernstfall eintritt. Aber außer ein<br />

paar Leitungen, die durchschmoren können, gibt<br />

es hier unten nicht viel Brennbares. Die hölzernen<br />

Weinkisten würden sich mit ihrem Inhalt wohl selbst<br />

löschen. Auch wenn diese Vorstellung einem das<br />

Herz bricht. »Im Brandfall fluten wir Stickstoff durch<br />

die Belüftung«, versichert Vincent. Die Weine sind<br />

auf neun abgeschottete Bereiche aufgeteilt. Auch<br />

die einzelnen Lots werden so aufgesplittet. »Wenn<br />

wir einen Ernstfall haben, verliert ein Kunde wahrscheinlich<br />

nur einen Teil seiner Weine.«<br />

Natürlich muss sich das Unternehmen auch<br />

vor Langfingern schützen. Die Gänge werden mit<br />

Kameras überwacht – schon allein wegen der Staplerfahrer,<br />

die hier den größten Teil des Tages allein verbringen.<br />

Wer in den endlosen Weiten verloren geht,<br />

taucht vielleicht so bald nicht wieder auf. Lkws, die<br />

raus wollen, werden peinlich genau kontrolliert, auch<br />

das Führerhaus. Fahrer, die gerade keine Schicht<br />

haben, haben auf das Gelände keinen Zutritt.<br />

Versicherung richtet sich nach<br />

dem Marktwert<br />

Der worst case wäre ein Angriff von außen. Kellereinbrüche<br />

in Weingütern und Luxusrestaurants,<br />

wo Millionenwerte verschwinden, passieren regelmäßig.<br />

Deshalb erfassen im Außenbereich Kameras<br />

und Bewegungsmelder an sieben Wochentagen 24<br />

Stunden lang jede Bewegung. Um auf einen der Bildschirme<br />

zu gelangen, muss man allerdings erst einmal<br />

reinkommen. <strong>Das</strong> Areal ist rundum mit einem<br />

Zaun aus angespitzten Stahlstäben gesichert, Eindringlinge<br />

müssten zudem ihre Beute aus 30 Meter<br />

Tiefe hochtragen. Es ist paradox, aber die meisten<br />

Weinlager im großen Stil sind eben keine Keller,<br />

sondern Hallen. Und manche so mäßig temperiert<br />

wie gesichert, Einbrüche und Schäden im großen<br />

Stil gibt es immer wieder. Bittere Ironie: Oft lagern<br />

die Vorräte in verplombten Arealen. Verschwindet<br />

Ware aus diesen vom Zoll kontrollierten Lagern,<br />

muss der Eigentümer sie versteuern – auch wenn<br />

sie ihm gestohlen wurde.<br />

Bei Octavian gibt man sich ob dieser Lage entspannt.<br />

Sämtliche Weine sind zum Marktwert versichert,<br />

nicht zum Kaufpreis, »kein Kleingedrucktes,<br />

keine Haftungsbeschränkung, von der vorher<br />

niemand was gehört hat«.<br />

Octavian spendiert Anlagetipps<br />

und Glühweinrezepte<br />

Die Kundschaft weiß das alles offenbar zu schätzen.<br />

Für das Unternehmen ist die jahrelange Bindung<br />

Gold wert und wird fast übereifrig gepflegt: Octavian<br />

fühlt sich für die gesamte vinologische Lebenswelt<br />

seiner Kunden zuständig. Auf der Firmenseite<br />

im Internet gibt es Empfehlungen für angehende<br />

Im bunkereigenen Fotostudio<br />

wird jede Flasche<br />

dokumentiert. Alle Lageristen<br />

sind ausgewiesene Experten<br />

im Erkennen von Weinfälschungen.<br />

54 <strong>FINE</strong> 3 | <strong>2021</strong> REPORTAGE<br />

REPORTAGE <strong>FINE</strong> 3 | <strong>2021</strong> 55


AUFERSTEHUNG<br />

EINES<br />

WEINBERGS<br />

Es gibt unzählige Rebberge in der Welt, aber nur wenige, die sich durch<br />

ihre einzigartige Lage als Herkunftsort außergewöhnlicher Weine solch<br />

einer Ausnahmestellung rühmen können wie der Assmannshäuser<br />

Höllenberg im Rheingau. Aus der Spätburgundertraube erzeugt, kommen<br />

von hier Rotweine, die sich zu ihren Hochzeiten im 20. Jahrhundert<br />

mit den wertvollsten burgundischen Grands Crus wie Chambertin<br />

oder Romanée-Conti messen konnten. Heute ist man wieder auf dem<br />

besten Weg dazu.<br />

Von MICHAEL SCHMIDT<br />

Fotos CHRISTOF HERDT<br />

Als 1136 der Abt Ruthard im Auftrag<br />

von Bernard von Clairvaux mit zwölf<br />

Mönchen das Zisterzienserkloster Eberbach<br />

begründete, hatten die Betbrüder auch Rebensetzlinge<br />

vom Clos de Vougeot aus ihrer Heimat Burgund<br />

in ihrem Reisegepäck. Man kann davon ausgehen,<br />

dass es sich dabei um Pinot-Noir-Stöcke handelte,<br />

obwohl die ersten urkundlichen Erwähnungen der<br />

damals noch als Klebrot firmierenden Sorte im<br />

Rheingau erst 1470 für Hattenheim und ab 1507<br />

für den Höllenberg in Assmannshausen zu finden<br />

sind. Der Begriff Hölle verweist nicht etwa auf das<br />

Fegefeuer, sondern leitet sich von der altdeutschen<br />

Bezeichnung Helda oder Heldin für Steilhang ab – als<br />

solcher ist der Weinberg schon in einem Dokument<br />

aus dem Jahre 1108 erwähnt.<br />

Zwar wurden von der Mitte des 18. Jahrhunderts<br />

an die roten Trauben im Rheingau großteils<br />

vom Riesling verdrängt, aber der Höllenberg<br />

in Assmannshausen blieb eine Bastion des Spätburgunders.<br />

In seinem Traktat »Der Rheingauer<br />

Weinbau« von 1765 weiß der Kurmainzer Hofrat<br />

und Weingutsbesitzer Karl Anton von Forster zu<br />

berichten, dass die Rotweine aus dieser Lage zum<br />

gleichen Preis gehandelt wurden wie die besten<br />

Burgunder. Dies bestätigt auch eine urkundliche<br />

Erwähnung aus dem Jahr 1829, in der es heißt, dass<br />

er in hohem Werte stehe und selbst vor den roten<br />

Weinen des Burgund den höchsten Grad der Stärke<br />

besitze. Der Weinbaupionier und Rebenforscher<br />

Johann Philipp Bronner bezeichnete in seinem 1856<br />

veröffentlichten, wegweisenden Standardwerk »Die<br />

Bereitung der Rotweine und deren zweckmäßige<br />

Behandlung« den Assmannshäuser als den besten<br />

Rotwein Deutschlands.<br />

Wie wertgeschätzt der Wein aus dieser Lage zu<br />

jener Zeit in Deutschland war, kann man auch einer<br />

Weinkarte des Leipziger Traditionshauses Auerbachs<br />

Keller vom Ende des 19. Jahrhunderts entnehmen,<br />

wo eine Höllenberg-Auslese mehr kostete als ein<br />

Château Latour. <strong>Das</strong> lag auch daran, dass Deutschland<br />

in der Zeit zwischen 1880 und 1940 bei der<br />

Kellertechnik und im Weinausbau ein Vorreiter für<br />

die gesamte Weinwelt war, an dessen Methoden sich<br />

selbst Länder wie Frankreich und Italien orientierten.<br />

Besonders vor dem Ersten Weltkrieg ließ sich mit<br />

deutschem Wein satt Geld verdienen, weshalb auch<br />

Investitionen in für heutige Verhältnisse fast unvorstellbaren<br />

Dimensionen getätigt wurden. So dient<br />

der 1893 gebaute Keller von Kloster Eberbach bis<br />

heute weltweit als Vorbild, wenn es um das Gestalten<br />

eines modernen Weinguts geht.<br />

Zu wahrem Weltruhm verhalfen dem Spätburgunder<br />

vom Höllenberg schließlich die Weine<br />

der preußischen Staatsdomäne Assmannshausen.<br />

Begünstigt vom sonnenverwöhnten Jahrhundertsommer<br />

1920 mit dem trockensten Oktober seit<br />

96 <strong>FINE</strong> 3 | <strong>2021</strong> GROSSE LAGEN<br />

GROSSE LAGEN <strong>FINE</strong> 3 | <strong>2021</strong> 97


<strong>FINE</strong> TASTING | ASSMANNSHÄUSER HÖLLENBERG<br />

2007 Spätburgunder<br />

August Kesseler<br />

94/91 P<br />

Mancher fühlte sich vom Duft an einen Amarone erinnert, was wahrscheinlich<br />

auf die kräftigen Aromen reifer Brombeeren zurückzuführen ist, andererseits auf<br />

eine erhöhte Luftzufuhr. Auch am Gaumen zeigt sich die dunkle Beerenfrucht<br />

reif, hinzu kommen Röstaromen vom Holzausbau sowie eine salzige Mineralität.<br />

Ein Pinot Noir der kräftigeren Sorte, grandios, aber nicht feingliedrig.<br />

20<strong>03</strong> Spätburgunder<br />

G.H. von Mumm<br />

90/90 P<br />

Der erste Jahrgang des 21. Jahrhunderts, der aus der Hitze kam, mit der die<br />

Winzer noch nicht so richtig gelernt hatten umzugehen. Auch beim Holzeinsatz<br />

war man damals etwas enthusiastischer als heute, wovon auch dieser Wein<br />

Zeugnis ablegt. Er zeigt noch einige feine Kräuternoten und ein bisschen Kirsche,<br />

wirkt aber eher muskulös als elegant. Im Abschwung.<br />

2007 Spätburgunder<br />

Weingut Krone Assmannshausen 93/91 P<br />

In einem warmen Jahrgang ist es der Krone gelungen, die Kühle und Frische<br />

des Spätburgunders zu erhalten. Ein Hauch von Cassis als Markenzeichen des<br />

Hauses hat aber sein jugendliches Ungestüm abgelegt und zu einer verhalteneren<br />

Ausdrucksweise gefunden, die auch schon etwas ins Pflanzliche übergeht.<br />

Geschmacklich sind fruchtige, vegetabile und mineralische Komponenten<br />

gut integriert und präsentieren sich noch mit viel Zug.<br />

2001 Spätburgunder<br />

August Kesseler<br />

91/92 P<br />

August Kesseler war 1985 der erste Spätburgunderwinzer Deutschlands, der sich<br />

ein Barrique aus dem Burgund besorgte. Bis 2001 hatte er auch gelernt, dieses<br />

Mittel richtig einzusetzen. So lassen sich auch hier feine Röstnoten erkennen,<br />

die sich aber am Gaumen gut mit einer ausgeprägten Mineralität vertragen.<br />

Wirkt reif, aber immer noch kräftig.<br />

FLIGHT 7<br />

Schon bei der Verkostung dieses Flights war allen klar, dass uns hier ein Einblick<br />

in eine versunkene Welt des Spätburgunders gewährt wurde – in eine Epoche<br />

deutscher Weingeschichte, in der man selbst die besten Pinots aus dem Burgund<br />

in den Schatten zu stellen vermochte. Es wäre deshalb müßig gewesen, Punkte<br />

zu vergeben, weil es sich, wie man so schön sagt, um Weine von einem anderen<br />

Planeten handelt, die sich einfach nicht mit ihren heutigen Artgenossen vergleichen<br />

lassen. Aber auch unter diesen Monumenten der Rheingauer Weinkultur<br />

gab es erhebliche Unterschiede, auf die unter den einzelnen Einträgen<br />

näher eingegangen wird. Darüber hinaus muss man sich vergegenwärtigen, dass<br />

es einem einzelnen unabhängigen Winzer in jenen Zeiten kaum möglich war,<br />

eine derartige Qualität zu erreichen. Als eine Körperschaft der öffentlichen<br />

Hand war die Domäne Assmannshausen ein staatlicher Vorzeigebetrieb mit<br />

dem Anspruch, die bestmöglichen Weine zu erzeugen. Es wurden auch die<br />

dafür notwendigen Mittel zur Verfügung gestellt. Beides zeigt sich im Ergebnis<br />

bis heute demonstrativ.<br />

Zum Abschluss soll die Lanze für ein Weinbereitungsmittel gebrochen werden,<br />

das bei Konsumenten oft zu Unrecht einen schlechten Ruf genießt: Wenn die<br />

Jahrgänge 1943 bis 1959 mit ihrer dunklen und dichten Farbe und dem damit<br />

verbundenen, fast jugendlich wirkenden Erscheinungsbild bis zum heutigen<br />

Tag keinerlei Schluss auf ihr wahres Alter zulassen, ist das zumindest so viel das<br />

Verdienst des zum Erhalt eingesetzten Schwefels wie der niedrigen Erträge. Wir<br />

müssen heute dafür dankbar sein, dass man es sich bei der Staatsdomäne Assmannshausen<br />

damals leistete, finanzielle Überlegungen dem Qualitätsgedanken<br />

unterzuordnen. So wurden aus hässlichen Entlein majestätische Schwäne.<br />

Weit über seltene Jahrgänge hinaus<br />

1970 Spätburgunder Spätlese Naturrein<br />

Domäne Assmannshausen Hessische<br />

Staatsweingüter Kloster Eberbach<br />

Sehr hell, kupferfarben. <strong>Das</strong> Erscheinungsbild deutete klar auf einen Wein von<br />

erheblichem Alter hin. 1970 war aber auch ein Jahrgang, der deutlich die 1960<br />

durch Erlass des hessischen Landtags eingeleitete Richtungsänderung bei der<br />

Erzeugung des Spätburgunders reflektierte – von konzentriert und trocken<br />

auf leicht und mild. Man kann diesen Wein durchaus als in Ehren ergraut<br />

bezeichnen, wobei die merkliche Restsüße zur Haltbarkeit beigetragen haben<br />

mag. Sein besonderes Leichtgewichtigkeit ist vermutlich auf einen gestreckten<br />

Mengenertrag zurückzuführen. Weckte keine Begeisterung, aber Achtung vor<br />

seiner Langlebigkeit.<br />

1961 Spätburgunder Naturrein<br />

Domäne Assmannshausen Hessische<br />

Staatsweingüter Kloster Eberbach<br />

Sehr helles Ziegelrot. In der Nase vegetabil mit dem Duft getrockneter Kräuter.<br />

Trotz seiner Altersnoten konnte der 61er noch mehr überzeugen als sein Vorgänger,<br />

vielleicht auch deshalb, weil man ihm etwas weniger Restsüße verpasst<br />

hatte. Zieht man in Betracht, dass 1961 im Rheingau ein eher mittelmäßiges<br />

Jahr war, verdient der 60 Jahre alte Senior auch heute noch Respekt.<br />

1959 Spätburgunder Naturrein<br />

Domäne Assmannshausen Hessische<br />

Staatsweingüter Kloster Eberbach<br />

Ein schleichender Korkton beeinträchtigte den Spaß nur unerheblich, wohl<br />

auch deshalb, weil dieser Wein aus einem Traumjahrgang wesentlich mehr<br />

Substanz und Konzentration zu bieten hatte als seine Vorgänger. In der Nase<br />

eher vegetabil, am Gaumen aber noch mit schöner Frische und einem fein<br />

süßen Schwänzchen. Eine erhebliche Qualitätssteigerung und noch nicht das<br />

Ende seiner Laufbahn.<br />

1953 Spätburgunder Naturrein<br />

Domäne Assmannshausen Hessische<br />

Staatsweingüter Kloster Eberbach<br />

Auch 1953 war in Deutschland ein Ausnahmejahrgang, dem man bei der Staatsdomäne<br />

mit niedrigen Erträgen und später Lese volle Gerechtigkeit widerfahren<br />

ließ. Hinzu kam trotz aller Reife eine tolle Säure, die dem Wein das Rückgrat<br />

für hervorragende Alterungsfähigkeit mitgab. So lässt sich heute noch ein<br />

Ansatz marinierter dunkler Beeren entdecken, die zusammen mit herbstlich<br />

vegetabilen Noten und einem Hauch von Lagerfeuer zu einer sensorischen<br />

Komplexität beitragen, vor der man sich verbeugen muss.<br />

1947 Spätburgunder Naturrein<br />

Domäne Assmannshausen Hessische<br />

Staatsweingüter Kloster Eberbach<br />

Ein Wein, der schon äußerlich durch die intensive und dunkle Farbe sein wahres<br />

Alter Lügen straft. In der Nase scheint der Höhepunkt der Entwicklung gerade<br />

erst erreicht mit einer fantastischen Kombination aus dunkelbeeriger Frucht,<br />

feiner Zedernwürze und subtilen Nuancen von Leder und Tabak. Steht auch<br />

am Gaumen noch voll im Saft und beeindruckt mit einem bemerkenswerten<br />

Rückgrat aus Tanninen. Alle reden von Cheval Blanc 1947 als Weltklasse – der<br />

Pinotkenner schweigt und genießt.<br />

1943 Spätburgunder Naturrein<br />

Domäne Assmannshausen Hessische<br />

Staatsweingüter Kloster Eberbach<br />

Ging als Frauenwein in die Annalen der deutschen Weinkultur ein, und man<br />

muss es den Damen lassen: Sie haben mit viel Gefühl und großem Aufwand<br />

den wahrscheinlich größten Spätburgunder der deutschen Geschichte gemacht.<br />

Ein Denkmal von Pinot Noir, das trotz seines fortgeschrittenen Alters keinerlei<br />

Verfallserscheinungen zeigt.<br />

Die Kreation<br />

des idealen Jahrgangs<br />

98/100 95/100 18,5/20<br />

Grand Siècle Nº22 in der Magnum-Flasche.<br />

Limitierte Edition - nur auf Anfrage.<br />

www.laurent-perrier.com - #grandsiecle<br />

Fotograf Iris Velghe - Design LUMA<br />

104 <strong>FINE</strong> 3 | <strong>2021</strong> GROSSE LAGEN


DANIEL DECKERS<br />

WEIN UND ZEIT XL<br />

Anno 1971 aber wollte der Bauherr des Tantris,<br />

der Münchner Unternehmer Fritz Eichbauer,<br />

zusammen mit dem Österreicher Eckart<br />

Witzigmann ein eigenes Kapitel in der Geschichte<br />

der Kulinarik schreiben. Nicht aus Chauvinismus,<br />

sondern aus Passion. Warum sollte es nicht möglich<br />

sein, in Deutschland auf vergleichbarem Niveau wie<br />

in der französischen Sternegastronomie zu kochen<br />

und diese Kunstfertigkeit mit einer ähnlichen Aura<br />

zu umgeben? Die Anerkennung in Fachkreisen gab<br />

ihnen recht. Schon im Herbst 1972 erhielt das Tantris<br />

den ersten Michelin-Stern. Der zweite folgte zwei<br />

Jahre später. Mehr Sterne als über Witzigmann<br />

leuchteten in Deutschland damals nirgends.<br />

Bei einer an einen festen Ort gebundenen<br />

Exklusivität sollte es indes nicht bleiben. Hatte der<br />

Sozialdemokrat Willy Brandt die Bundestagswahl<br />

1969 mit der Maxime »Wir wollen mehr Demokratie<br />

wagen« gewonnen, so setzte Witzigmann auf seine<br />

Weise auf eine Demokratisierung des von Wolfram<br />

Siebeck 1975 so genannten deutschen Küchenwunders.<br />

Im Frühjahr 1977 erschien der Name des<br />

1941 geborenen Österreichers zum ersten Mal in der<br />

Liste der Mitarbeiter der Zeitschrift »Gourmet«. Ein<br />

ersten, im Frühjahr 1976 erschienenen <strong>Ausgabe</strong> von<br />

»Gourmet« so: »Ihr Name sagt, für wen sie gemacht<br />

ist: für alle, die gerne gut essen und noch lieber besser<br />

essen (und kochen).« Die vorgestellten Speisen<br />

sollten daher internationalen Standards entsprechen,<br />

wobei die Zeitschrift die »hervorragende Rolle der<br />

französischen Küche« vorbehaltlos anerkennen und<br />

bei der Auswahl der Rezepte berücksichtigen werde.<br />

Die Anleitungen wiederum sollten so beschaffen sein,<br />

dass sie ohne Schwierigkeiten praktisch angewandt<br />

werden könnten. »<strong>Das</strong> heißt: Sie erhalten genaue<br />

Mengenangaben, ein stimmiges Timing und eine<br />

klare Beschreibung der Grundstoffe und Zutaten.«<br />

Willsbergers Anteil an dieser Konzeption war die<br />

fotografische Darstellung der Speisen, »so, wie sie<br />

aussehen, wenn sie nach Rezept zubereitet worden<br />

sind«.<br />

Wie der Untertitel suggerierte, sollte sich<br />

die Zeitschrift aber nicht nur der Küche<br />

widmen, sondern auch dem Wein. Die<br />

Formulierungen, mit denen der Verfasser des<br />

Vorwortes diesen Anspruch erläuterte, verrieten<br />

jedoch ein erhebliches Maß an Unsicherheit. Man<br />

mit dem damals halbjährlich erscheinenden »Feinschmecker«<br />

– nicht nur als die erste Zeitschrift für<br />

Gastrosophie in Deutschland gelten. Sie war auch die<br />

erste an ein breites Publikum gerichtete Zeitschrift,<br />

die sich ausführlich dem Thema Wein widmete, ganz<br />

so, als wolle man sich in der Tradition der Spitzenküche<br />

des 19. Jahrhunderts der Kombination von<br />

Speisen und Wein und damit einem ganzheitlichen<br />

Verständnis von Kulinarik verschreiben.<br />

Von Spitzenköchen empfohlen<br />

Beim Diner für »Gourmet«, das von der Herbstausgabe<br />

des Jahres 1976 fast immer den Mittelpunkt des<br />

Heftes bildete, fehlte es in der Tat nicht an profunden<br />

Weinempfehlungen zu den Menüs. Zusammengestellt<br />

wurden sie als Erstes von den Spitzenköchen<br />

Raymond Oliver (Heft 3), Céline Menneveau (Heft 4)<br />

und Michel Troisgros (Heft 5). Wie nicht anders zu<br />

erwarten, setzten die drei Franzosen ausschließlich<br />

auf französische Schaum- und Stillweine.<br />

Wer jedoch gehoff hätte, dass zu den Speisen,<br />

die Witzigmann im Sommer 1977 für Heft 6 zubereitet<br />

und Johann Willsberger bildmächtig inszeniert<br />

hatte, auch nur ein Stillwein aus dem Rheingau, aus<br />

»WEIN IN DEUTSCHLAND:<br />

OFT ZUM WEINEN«<br />

ÜBER DIE ANFÄNGE DES DEUTSCHEN WEINWUNDERS<br />

In diesem Jahr ist genau ein halbes Jahrhundert vergangen, seit in München das Gourmetrestaurant<br />

Tantris eröffnet wurde. Nicht, dass es nicht schon in den 1960er-Jahren auch<br />

in Deutschland hier und da Restaurants wie den Erbprinzen im badischen Ettlingen oder<br />

das im Schatten des Kölner Doms gelegene Excelsior Hotel Ernst gegeben hätte, deren<br />

Niveau dem der damals tonangebenden »nouvelle cuisine« kaum nachstand. Aber es waren<br />

nicht deutschsprachige, sondern französische Köche wie Paul Bocuse und Paul Haeberlin,<br />

die mit ihren Kreationen als das Nonplusultra der internationalen Gastrosophie galten.<br />

Dreivierteljahr später präsentierte Witzigmann als<br />

erster nicht-französischer Spitzenkoch »Le diner<br />

de Gourmet«.<br />

»Gourmet«, ausweislich des Untertitels ein<br />

»Magazin für Essen und Trinken«, war erst im Jahr<br />

zuvor gegründet worden, und dies anders als der<br />

im Oktober 1975 erstmals im Jahreszeiten-Verlag<br />

erschienene »Feinschmecker« nicht in einem der<br />

großen Zeitschriftenverlage. Hinter der Idee einer<br />

vierteljährlich erscheinenden Publikation, die der<br />

Verbreitung der feinen Lebensart dienen sollte,<br />

stand als Herausgeber der Österreicher Johann<br />

Willsberger. Was den 1948 geborenen Fotografen<br />

antrieb, dieses verlegerische Wagnis einzugehen,<br />

erläuterte er als ungenannter Autor des Vorworts der<br />

wolle, so Willsberger, den Lesern in dieser <strong>Ausgabe</strong><br />

einen »einmaligen Sonder-Service« bieten: »den<br />

aktuellen Wein-Guide«. Dieser setze Grundkenntnisse<br />

über Wein voraus, auf deren Basis dem Leser<br />

»alles Wissenswerte über meist junge Weine« mitgeteilt<br />

werden sollte. Neue Jahrgänge, Ernteaussichten,<br />

aber auch Bordeaux-Weine, die getrunken<br />

werden müssten.<br />

Wie das Wort »einmalig« zu verstehen war,<br />

dürfte sich den Lesern damals ebenso wenig<br />

erschlossen haben, wie es in der Rückschau einen<br />

Sinn ergibt. Denn bei dem »einmaligen Sonder-<br />

Service« blieb es nicht. Vielmehr warteten auch die<br />

folgenden Hefte mit ausführlichen Abhandlungen<br />

über Wein auf. »Gourmet« kann somit – zusammen<br />

Blick ins »Gourmet«-Heft<br />

und ins legendäre Münchener<br />

Restaurant Tantris, wo<br />

Eckhardt Witzigmann das<br />

deutsche Küchenwunder<br />

entfachte – hier mit einem<br />

Feigendessert.<br />

130 <strong>FINE</strong> 3 | <strong>2021</strong> WEIN & ZEIT<br />

WEIN & ZEIT <strong>FINE</strong> 3 | <strong>2021</strong> 131


<strong>FINE</strong>ABGANG<br />

WIR HABEN EINEN<br />

GROSSEN VERLOREN<br />

Wer hätte gedacht, dass sich die Einschnitte,<br />

die Corona für die Wein- und Gastronomiebranche<br />

bedeutet, noch steigern ließen!<br />

Schon im zweiten Jahr hält uns die Pandemie im Griff.<br />

Sie bestimmt die tägliche Diskussion, Normalität gibt es<br />

noch immer nicht. Hinzu kommt eine Naturkatastrophe,<br />

deren Ausmaß für uns alle bisher unvorstellbar war. Mit<br />

den Folgen werden wir noch lange zu tun haben.<br />

Manchmal gewinne ich den Eindruck, dass uns im<br />

Dauerausnahmezustand die Perspektive verrutscht. <strong>Das</strong>s<br />

die absolut menschliche Sehnsucht nach alter Normalität,<br />

unser Wunsch nach Planbarkeit – sei es nun im Geschäftsoder<br />

im Privatleben – den Blick aufs Wesentliche verstellt.<br />

Ja, die Schäden im Ahrtal sind enorm. Aber das<br />

Schlimmste an dieser Katastrophe ist doch noch immer<br />

der Verlust von Menschenleben. Mein Mitgefühl gilt<br />

den Opfern und ihren Angehörigen, die im aktuellen<br />

Aktionismus schon wieder unterzugehen drohen – dieses<br />

Mal im öffentlichen Bewusstsein.<br />

Und bei einem weiteren Verlust kam mir das Innehalten<br />

zu kurz: Mit Alfred Biolek haben wir am 23. Juli<br />

nicht nur einen großen Journalisten und Moderator verloren,<br />

der es wie kaum einer anderer verstand, Brücken<br />

zwischen Menschen zu bauen. Für die Weinbranche war<br />

er ein enorm wichtiger Kommunikator. Die Bedeutung,<br />

die er bei der Emanzipation deutschen Weins – allem<br />

voran deutschen Rieslings – spielte, sehe ich bislang<br />

nirgends gewürdigt. Der Blick auf »Alfredissimo« war<br />

mir viel zu oft naiv-verniedlichend und unterschätzt<br />

vollkommen, was Alfred Biolek für die kulinarische<br />

Geschmackserziehung in diesem Land geleistet hat.<br />

Er hat den Spaß am Genuss, am Selberkochen – ohne<br />

Grenzen im Kopf oder Berührungsängste – erst auf die<br />

große Bühne gebracht.<br />

Und: Wie kein anderer hat »Bio« deutschen Wein<br />

salonfähig gemacht. Die Branche wäre ohne ihn heute<br />

nicht, wo sie ist. Die meisten Erfolgsgeschichten wären<br />

ohne seine Vorarbeit überhaupt nicht denkbar. <strong>Das</strong>s<br />

deutscher Riesling nun in aller Munde ist, haben wir vor<br />

allem einem Mann zu verdanken: Alfred Biolek. Als er für<br />

dieses Thema eintrat, gab es außer ihm keinen von seinem<br />

Format und seiner Breitenwirkung, der sich öffentlich<br />

zu deutschem Wein bekannt hätte: Kein Politiker, kein<br />

Prominenter hat das gewagt. Biolek war der Erste, der<br />

das Thema selbstbewusst und vehement in den Medien<br />

vertrat. Und für lange Zeit blieb er auch der Einzige. Also<br />

halten wir kurz inne, sagen – wenn auch zu spät – danke.<br />

Verneigen wir uns vor seiner historischen Leistung.<br />

BESONDERS.<br />

UNIQUE.<br />

EXKLUSIV.<br />

Ihr Ralf Frenzel<br />

Herausgeber und Verleger<br />

fine-club.de<br />

146 <strong>FINE</strong> 3 | <strong>2021</strong> ABGANG

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