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RA 11/2021 - Entscheidung des Monats

Welche Auswirkungen ein Maklerexposé auf das Vorhandensein eines Mangels hat, war in den vergangenen Jahren mehrfach Gegenstand höchstrichterlicher Entscheidungen. Vorliegend musste sich der BGH mit dem Fall befassen, wenn ein Maklerexposé zwischen dem Zeitpunkt der Besichtigung und dem Vertragsschluss an den Käufer übersendet worden ist.

Welche Auswirkungen ein Maklerexposé auf das Vorhandensein eines Mangels hat, war in den vergangenen Jahren mehrfach Gegenstand höchstrichterlicher Entscheidungen. Vorliegend musste sich der BGH mit dem Fall befassen, wenn ein Maklerexposé zwischen dem Zeitpunkt der Besichtigung und dem Vertragsschluss an den Käufer übersendet worden ist.

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Für Studierende & Referendare<br />

EXAMENSTREFFER<br />

aus der <strong>RA</strong> und den Crashkursskripten<br />

Für einen schnellen Überblick der Examenstreffer aus <strong>RA</strong> und Crashkursskript (CK)<br />

unsere aktuelle Aufstellung für Sie:<br />

EXAMENSTREFFER ZIVILRECHT<br />

April <strong>2021</strong> 1. Ex., Z I NRW <strong>RA</strong> 12/19, 620; <strong>RA</strong> 08/20, 400; CK ZR, Az.: III ZR <strong>11</strong>3/18, VIII ZR 315/18<br />

Januar <strong>2021</strong> 2. Ex., Z II HE <strong>RA</strong> 06/20, 281; CK ZR, Az.: VIII ZR 18/19<br />

Januar <strong>2021</strong> 2. Ex., AW HE <strong>RA</strong> 12/20, 617<br />

Oktober 2020 1. Ex., Z III HE <strong>RA</strong> 06/17, 291<br />

September 2020 2. Ex., Z II HE <strong>RA</strong> 09/16, 454; <strong>RA</strong> 01/18, 17; CK ZR, Az.: IX ZR 305/16<br />

August 2020 1. Ex., Z I HE, RP, SN, SA <strong>RA</strong> 01/10, 25; <strong>RA</strong> 04/10, 2<strong>11</strong>; CK ZR, Az.: XII ZR 108/17<br />

August 2020 1. Ex., Z III SN <strong>RA</strong> 10/13, 709; <strong>RA</strong> 08/14, 389; CK ZR, Az.: VII ZR 241/13<br />

August 2020 1. Ex., Z I TH <strong>RA</strong> 10/13, 709; <strong>RA</strong> 08/14, 389; CK ZR, Az.: VII ZR 241/13<br />

Juni 2020 1. Ex., Z II HE <strong>RA</strong> 01/17, 10; <strong>RA</strong> 12/17, 617; CK ZR, Az.: VIII ZR 2<strong>11</strong>/15, VIII ZR 271/16<br />

Juni 2020 2. Ex., Z IV RP, BW <strong>RA</strong> 02/17, 65; CK ZR, Az.: 17 U 52/16<br />

EXAMENSTREFFER ÖFFENTLICHES RECHT<br />

August <strong>2021</strong> 1. Ex., ÖR II NRW <strong>RA</strong> 08/20, 427; <strong>RA</strong> 01/21, 33; CK NRW, Az.: 13 B 695/20.NE<br />

Juli <strong>2021</strong> 2. Ex., ÖR I HE <strong>RA</strong> <strong>11</strong>/17, 598<br />

Juni <strong>2021</strong> 2. Ex., ÖR II BW <strong>RA</strong> 10/20, 541<br />

Juni <strong>2021</strong> 1. Ex., ÖR I HE <strong>RA</strong> 02/20, 89<br />

Februar/März <strong>2021</strong> 1. Ex., ÖR II TH<br />

<strong>RA</strong> 10/19, 529 f.; CK TH, Az.: 1 BvL 1/18 u.a.<br />

Februar/März <strong>2021</strong> 1. Ex., ÖR I BW <strong>RA</strong> Telegramm 07/20, 87 f.; CK BW, Az.: 8 CN 1.19<br />

Februar <strong>2021</strong> 1. Ex., ÖR II NRW <strong>RA</strong> 10/20, 533; CK NRW, Az.: Vf. 32-IX-20<br />

Februar <strong>2021</strong> 1. Ex., ÖR II HE, RP, BW <strong>RA</strong> 10/19, 529; CK HE/RP/BW, Az.: 1 BvL 1/18<br />

Februar <strong>2021</strong> 1. Ex., ÖR I HE, RP, NRW <strong>RA</strong> 04/20, 197; CK HE/RP/NRW, Az.: 2 BvR 2347/15<br />

Januar <strong>2021</strong> 1. Ex., ÖR II NRW <strong>RA</strong> 02/20, 89<br />

August 2020 1. Ex., ÖR I TH <strong>RA</strong> 06/18, 426; CK TH, Az.: 1 BvF 1/13<br />

EXAMENSTREFFER ST<strong>RA</strong>FRECHT<br />

Mai <strong>2021</strong> 2. Ex., SR HE, NRW <strong>RA</strong> 02/20, 106; CK SR, Az.: 2 StR 85/19<br />

März <strong>2021</strong> 2. Ex., SR HE, NRW <strong>RA</strong> 08/20, 440<br />

Februar <strong>2021</strong> 1. Ex., SR HE, RP <strong>RA</strong> 07/20, 348<br />

Januar <strong>2021</strong> 2. Ex., SR HE, NRW <strong>RA</strong> Telegramm 12/20, 129<br />

September 2020 1. Ex., SR BY <strong>RA</strong> 01/18, 48; <strong>RA</strong> 10/19, 545; CK SR, Az.: 2 StR 154/17, 3 StR 333/18<br />

September 2020 2. Ex., SR HE, NRW <strong>RA</strong> 03/20, 157<br />

Juni 2020 1. Ex., SR HE <strong>RA</strong> 01/20, 48<br />

Januar 2020 2. Ex., SR NRW, HE <strong>RA</strong> 01/18, 48; <strong>RA</strong> 10/19, 545; CK SR, Az.: 2 StR 154/17, 3 StR 333/18<br />

Oktober 2019 2. Ex., SR NRW, RP <strong>RA</strong> Telegramm 01/19, 6<br />

August 2019 1. Ex., SR NRW, HE, RP <strong>RA</strong> <strong>11</strong>/17, 605; <strong>RA</strong> 09/18, 493; CK SR, Az.: BGH, 2 StR 130/17<br />

Stand: Oktober <strong>2021</strong><br />

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<strong>RA</strong> <strong>11</strong>/<strong>2021</strong><br />

ZIVILRECHT<br />

Zivilrecht<br />

561<br />

Problem: Kaufentscheidung aufgrund einer öffentlichen<br />

Äußerung <strong>des</strong> Verkäufers<br />

Einordnung: Kaufrecht<br />

BGH, Urteil vom 16.07.<strong>2021</strong><br />

V ZR <strong>11</strong>9/20 (leicht abgewandelt)<br />

EINLEITUNG<br />

Welche Auswirkungen ein Maklerexposé auf das Vorhandensein eines<br />

Mangels hat, war in den vergangenen Jahren mehrfach Gegenstand höchstrichterlicher<br />

<strong>Entscheidung</strong>en. Vorliegend musste sich der BGH mit dem Fall<br />

befassen, wenn ein Maklerexposé zwischen dem Zeitpunkt der Besichtigung<br />

und dem Vertragsschluss an den Käufer übersendet worden ist.<br />

SACHVERHALT<br />

Die Kaufinteressentin K nahm im Oktober 2015 Kontakt zum Immobilienmakler<br />

M auf, der über die streitgegenständlichen Grundstücke ein Exposé<br />

erstellt hatte. In diesem wurden die Objekte als „solide (…) Wohnanlage zum<br />

Sanieren oder Neuentwickeln“, bestehend aus zwei Mehrfamilienhäusern, die<br />

über acht bezugsfreie Wohneinheiten zuzüglich Ausbaureserve im Dachgeschoss<br />

verfügten, bezeichnet. Mit E-Mail vom <strong>11</strong>.10.2015 erklärte K, der das<br />

Exposé zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt war, nach Besichtigung der Grundstücke<br />

gegenüber dem Makler ihre Absicht, das Objekt erwerben zu wollen. Am<br />

14.10.2015 teilte M der K mit, die Eigentümerin B <strong>des</strong> Grundstücks „habe das Kaufangebot<br />

angenommen“. Anschließend übersandte er ihr das Exposé und die<br />

Visualisierung einer ursprünglich von B geplanten Umbaumaßnahme (Neubau<br />

eines Doppelhauses, Sanierung von zwei Mehrfamilienhäusern mit je vier Wohnungen<br />

und Ausbau <strong>des</strong> Dachgeschosses). Die dafür im August 2012 befristet<br />

auf drei Jahre erteilte Baugenehmigung war inzwischen abgelaufen, wovon K<br />

Kenntnis hatte. Am 23.10.2015 schlossen K und B den notariellen Kaufvertrag<br />

über die zwei jeweils mit einem Mehrfamilienhaus bebauten streitgegenständlichen<br />

Grundstücke zu einem Preis von 1,5 Mio €. In dem Kaufvertrag heißt es,<br />

der K sei bekannt, dass die Kaufobjekte seit ca. drei Jahren entmietet und ohne<br />

Heizung seien und dass pro Gebäude nur vier Wohneinheiten genehmigungsfähig<br />

seien. Ferner sollte die Gefahr mit Vertragsschluss auf K übergehen.<br />

In der Folgezeit stellt sich heraus, dass das Grundstück nur teilweise sanierungsfähig<br />

ist und die Umbaumaßnahmen nur zum Teil genehmigt werden<br />

können. Nachdem B die Nacherfüllung ernsthaft und endgültig verweigert<br />

hat, möchte K das Grundstück behalten und verlangt im Wege <strong>des</strong> kleinen<br />

Schadensersatzes statt der Leistung eine Zahlung in Höhe von 600.000 €. Zu<br />

Recht, wenn die 600.000 € dem Minderwert der Grundstücke im Falle eines<br />

Mangels entsprechen?<br />

LÖSUNG<br />

LEITSÄTZE<br />

1. Der Ausnahmefall <strong>des</strong> § 434<br />

Absatz 1 Satz 3 Halbsatz 2 BGB,<br />

wonach der Verkäufer für seine<br />

unzutreffende öffentliche Äußerung<br />

über Eigenschaften der Kaufsache<br />

dann nicht haftet, wenn die<br />

Äußerung die Kaufentscheidung<br />

nicht beeinflussen konnte, liegt<br />

nur vor, wenn ein Einfluss der<br />

öffentlichen Äußerung auf die<br />

Kaufentscheidung nachweislich<br />

ausgeschlossen ist.<br />

2. Mit der „Kaufentscheidung“ im<br />

Sinne <strong>des</strong> § 434 Absatz 1 Satz 3<br />

Halbsatz 2 BGB ist der Abschluss<br />

<strong>des</strong> Kaufvertrags gemeint. Maßgeblich<br />

für die Beurteilung, ob<br />

eine öffentliche Äußerung <strong>des</strong><br />

Verkäufers über die Eigenschaft<br />

eines Grundstücks die Kaufentscheidung<br />

nicht beeinflussen<br />

konnte, ist <strong>des</strong>halb nicht der Zeitpunkt,<br />

zu dem der Käufer sich entschlossen<br />

hat, das Grundstück zu<br />

erwerben, sondern der Zeitpunkt<br />

der notariellen Beurkundung <strong>des</strong><br />

Grundstückskaufvertrags.<br />

Der Fall wurde von der Redaktion aus<br />

didaktischen Gründen in zivilprozessualer<br />

Hinsicht leicht verändert. Vor<br />

dem BGH klagte eine Zessionarin,<br />

weil die Käuferin die Forderung<br />

an diese abgetreten hatte. Auf der<br />

Beklagtenseite standen die hiesige<br />

Beklagte in ihrer Stellung als Verkäuferin<br />

als Beklagte zu 1) und als<br />

Beklagter zu 2) einer ihrer Gesellschafter.<br />

Der Makler war als Streithelfer<br />

(§ 68 ZPO) der Klägerin beigetreten.<br />

Diese Details sind an dieser<br />

Stelle entbehrlich, weil sie auf das<br />

eigentliche Problem der kaufrechtlichen<br />

Mängelhaftung keine Auswirkungen<br />

haben. Im Original enthielt<br />

der Vertrag einen Sachmangelausschluss,<br />

den K mit dem Einwand der<br />

Arglist über § 444 BGB überwinden<br />

wollte. Weil Feststellungen zur<br />

Arglist fehlten, verwies der BGH den<br />

Fall zurück ans OLG. Diesen Aspekt<br />

haben wir gekürzt.<br />

A. Anspruch der K gegen B auf Zahlung von 600.000 € gem. §§ 437 Nr. 3,<br />

280 I, III, 281 I 1 2. Fall BGB<br />

Fraglich ist, ob K gegen B einen Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz statt<br />

der Leistung in Höhe von 600.000 € aus §§ 437 Nr. 3, 280 I, III, 281 I 1 2. Fall BGB hat.<br />

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562 Zivilrecht <strong>RA</strong> <strong>11</strong>/<strong>2021</strong><br />

I. Kaufvertrag<br />

Der hierzu nötige Kaufvertrag wurde am 23.10.2015 in der erforderlichen Form<br />

notarieller Beurkundung geschlossen.<br />

II. Mangel gem. § 434 BGB zur Zeit <strong>des</strong> Gefahrübergangs<br />

Über den Gefahrübergang trafen die Parteien eine vertragliche Regelung,<br />

nach der die Gefahr am 23.10.2015 übergegangen ist. Fraglich ist, ob zu dieser<br />

Zeit ein Sachmangel i.S.d. § 434 BGB vorgelegen hat.<br />

Ständige Rechtsprechung zum<br />

Beschaffenheitsbegriff: BGH, Urteile<br />

vom 19.04.2013, V ZR <strong>11</strong>3/12, vom<br />

15.06.2016, VIII ZR 134/15<br />

Weder ausdrückliche noch konkludente<br />

Vereinbarung<br />

Maklerexposé als öffentliche Äußerung<br />

<strong>des</strong> Verkäufers, von der er sich<br />

distanzieren muss<br />

BGH, Urteil vom 09.02.2018,<br />

BGH V ZR 274/16<br />

1. Sachmangel gem. § 434 I 1 BGB<br />

Fehlt der Kaufsache eine Beschaffenheit, obwohl die Parteien ihr Vorliegen<br />

vereinbart haben, ist die Sache gem. § 434 I 1 BGB mangelhaft. Unter Beschaffenheiten<br />

versteht man sämtliche Eigenschaften sowie sonstige Sachmerkmale,<br />

die für Wert und Tauglichkeit der Sache erheblich sind, folglich Faktoren, die<br />

der Sache selbst anhaften, als auch alle Beziehungen der Sache zur Umwelt,<br />

die nach der Verkehrsauffassung Einfluss auf die Wertschätzung der Sache<br />

haben. Gemäß dieser weiten Definition würde auch die Sanierungsfähigkeit<br />

im Hinblick auf eine zu erlangende Baugenehmigung eine Beschaffenheit darstellen.<br />

Indem nur ein Teil <strong>des</strong> Objekts so sanierungsfähig ist, dass nur zum Teil<br />

eine Umbaugenehmigung erlangt werden kann, fehlt es an einer solchen hier.<br />

Eine ausdrückliche Vereinbarung fehlt hier. Fraglich ist, ob sie konkludent aufgrund<br />

<strong>des</strong> Übersendens <strong>des</strong> Exposés seitens <strong>des</strong> Maklers zu sehen ist. Zum<br />

einen ist dies schon <strong>des</strong>halb fraglich, weil nicht B das Exposé übersendet hat.<br />

Zum anderen ist aufgrund der Formstrenge <strong>des</strong> § 3<strong>11</strong>b I 1 BGB bei einem<br />

Grundstückskaufvertrag nur vereinbart, was Inhalt der Urkunde geworden ist.<br />

In die notarielle Urkunde vom 23.10.2015 ist der Inhalt <strong>des</strong> Exposés nicht eingeflossen,<br />

sodass kein Sachmangel gem. § 434 I 1 BGB vorliegt.<br />

2. Sachmangel gem. § 434 I 2 Nr. 2 i.V.m. S. 3 BGB<br />

Jedoch könnte ein Sachmangel gem. § 434 I 2 Nr. 2 i.V.m. S. 3 BGB vorliegen.<br />

Dann muss sich die Sache entweder nicht für die gewöhnliche Verwendung<br />

eignen oder die Beschaffenheit nicht aufweisen, die bei Sachen der gleichen<br />

Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann. Der<br />

Zustand <strong>des</strong> Objekts war der K aufgrund ihrer Besichtigung bekannt. Jedoch<br />

gehören zu den Beschaffenheiten nach § 434 I 2 Nr. 2 BGB auch, was nach<br />

Satz 3 aufgrund einer öffentlichen Äußerung <strong>des</strong> Verkäufers oder seines<br />

Gehilfen zu erwarten war. Hier könnte der Inhalt <strong>des</strong> Maklerexposés prägend<br />

gewesen sein.<br />

[8] Nach § 434 Abs. 1 Satz 3 gehören zu der Sollbeschaffenheit auch die<br />

Eigenschaften, die der Käufer nach den öffentlichen Äußerungen <strong>des</strong> Verkäufers<br />

erwarten darf, wozu auch Angaben in einem Exposé zählen. Ob die<br />

sog. Visualisierung, bei der es sich um eine bildliche Darstellung der Bebauungsmöglichkeit<br />

für das gekaufte Grundstück handeln dürfte, ebenfalls<br />

eine öffentliche Äußerung der Beklagten zu 1 im Sinne dieser Vorschrift<br />

darstellt, weil sie für einen nicht von vorneherein fest bestimmten Personenkreis<br />

bestimmt war, hat das Berufungsgericht offengelassen und ist<br />

zugunsten der Klägerin zu unterstellen. Die Käuferin konnte <strong>des</strong>halb aus<br />

objektiver Sicht erwarten, dass sie das Kaufobjekt entsprechend der Visualisierung<br />

sanieren konnte.<br />

Somit steht fest, dass es sich beim Exposé um eine öffentliche Äußerung <strong>des</strong><br />

Verkäufers handelt.<br />

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<strong>RA</strong> <strong>11</strong>/<strong>2021</strong><br />

Zivilrecht<br />

563<br />

Fraglich ist aber, ob hier der Ausnahmefall <strong>des</strong> § 434 I 3 Hs. 2 BGB vorliegt. Nach<br />

diesem gehören Eigenschaften, die der Käufer nach den öffentlichen Äußerungen<br />

<strong>des</strong> Verkäufers über bestimmte Eigenschaften der Sache erwarten<br />

kann, nicht zur Beschaffenheit nach § 434 I 2 Nr. 2 BGB, wenn sie die Kaufentscheidung<br />

nicht beeinflussen konnte.<br />

Ausnahme <strong>des</strong> § 434 I 3 2. Hs. BGB<br />

[12] Ob eine öffentliche Äußerung <strong>des</strong> Verkäufers die Kaufentscheidung<br />

nicht beeinflussen konnte, unterliegt tatrichterlicher<br />

Würdigung und ist etwa dann anzunehmen, wenn die öffentliche<br />

Äußerung bei Vertragsschluss noch nicht vorlag oder sie zwar vorlag,<br />

der Käufer sie aber nicht kannte, oder wenn es dem Käufer bei dem Vertragsschluss<br />

allein auf eine Beschaffenheit oder einen Verwendungszweck<br />

ankam, für den die in der öffentlichen Äußerung behandelten Umstände<br />

ohne Bedeutung waren<br />

[13] Dabei ist mit der „Kaufentscheidung“ im Sinne <strong>des</strong> § 434 Absatz 1<br />

Satz 3 Halbsatz 2 BGB der Abschluss <strong>des</strong> Kaufvertrags gemeint. Maßgeblich<br />

für die Beurteilung, ob eine öffentliche Äußerung <strong>des</strong> Verkäufers<br />

über eine Eigenschaft <strong>des</strong> Grundstücks die Kaufentscheidung nicht<br />

beeinflussen konnte, ist <strong>des</strong>halb entgegen der Ansicht <strong>des</strong> Berufungsgerichts<br />

nicht der Zeitpunkt, zu dem der Käufer sich entschlossen<br />

hat, das Grundstück zu erwerben, sondern der Zeitpunkt der notariellen<br />

Beurkundung <strong>des</strong> Grundstückskaufvertrags. Bei getrennten<br />

Urkunden über Angebot und Annahme (§ 128 BGB) kommt es auf die<br />

notarielle Beurkundung <strong>des</strong> bindenden Angebots <strong>des</strong> Käufers zum<br />

Erwerb <strong>des</strong> Grundbesitzes an.<br />

[14] Ist der Käufer zu dem Kauf entschlossen, der Kaufvertrag aber noch<br />

nicht geschlossen, ist eine Kaufentscheidung im Sinne <strong>des</strong> § 434 Absatz 1<br />

Satz 3 Halbsatz 2 BGB noch nicht gegeben. Im Rahmen der Privatautonomie<br />

hat nämlich jede Partei bis zum Vertragsabschluss das Recht, von dem in<br />

Aussicht genommenen Vertrag Abstand zu nehmen. Bis zum Abschluss<br />

<strong>des</strong> Kaufvertrags ist der Käufer frei, den Vertrag zu schließen oder<br />

nicht.<br />

[15] Das wird bei einem Grundstückserwerb besonders deutlich. Der<br />

Grundstückskaufvertrag kommt erst mit der notariellen Beurkundung<br />

zustande (§ 3<strong>11</strong>b Absatz 1 Satz 1 BGB). Bis dahin sind die späteren Vertragsparteien<br />

nicht gebunden und können von dem Abschluss <strong>des</strong><br />

Grundstückskaufvertrags noch im Notartermin Abstand nehmen,<br />

ohne sich - von dem Ausnahmefall einer besonders schwerwiegenden<br />

Treuepflichtverletzung abgesehen - schadensersatzpflichtig zu<br />

machen. Das zeigt, dass der Käufer bis zu der notariellen Beurkundung <strong>des</strong><br />

Vertrags durch öffentliche Äußerungen <strong>des</strong> Verkäufers über Eigenschaften<br />

der Kaufsache bei seiner <strong>Entscheidung</strong>, den Kaufvertrag zu schließen oder<br />

nicht, beeinflusst werden kann. Anders als das Berufungsgericht meint,<br />

waren <strong>des</strong>halb auch Angaben zur Bebaubarkeit <strong>des</strong> Grundstücks, die nach<br />

der E-Mail der Klägerin vom <strong>11</strong>. Oktober 2015 gemacht wurden, geeignet,<br />

ihre Kaufentscheidung zu beeinflussen.<br />

[16] Entgegen der Ansicht <strong>des</strong> Berufungsgerichts lässt sich auf der<br />

Grundlage <strong>des</strong> Sachvortrags der Klägerin auch nicht ein Sachmangel<br />

aufgrund der im Exposé gemachten Angaben verneinen. Nach dem<br />

Inhalt <strong>des</strong> Exposés, wonach es sich um ein sanierungsfähiges Objekt,<br />

bestehend aus zwei Mehrfamilienhäusern mit acht bezugsfreien<br />

Wohneinheiten handele, konnte die Käuferin erwarten, dass eine<br />

Sanierung der Mehrfamilienhäuser mit insgesamt acht Wohnungen<br />

Beispielsfälle<br />

Entscheidender Zeitpunkt ist der<br />

Vertragsschluss<br />

Begründung: Vertragsfreiheit, die<br />

das Recht gewährt, noch im Notartermin<br />

vom Vertragsschluss Abstand<br />

zu nehmen<br />

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564 Zivilrecht <strong>RA</strong> <strong>11</strong>/<strong>2021</strong><br />

Entscheidender Aspekt <strong>des</strong> Falles:<br />

Der Inhalt <strong>des</strong> Exposés erweckte die<br />

Erwartung, alle 8 Wohneinheiten<br />

bezugsfertig sanieren zu können.<br />

möglich war. Sollten statt<strong>des</strong>sen, wie die Klägerin geltend macht, nur<br />

Zweifamilienhäuser, also insgesamt nur vier Wohneinheiten, genehmigungsfähig<br />

sein, entspricht die Kaufsache nicht der Sollbeschaffenheit.<br />

Folglich lag aufgrund der öffentlichen Äußerungen <strong>des</strong> Exposés, von denen<br />

sich B nicht distanziert hat, ein Sachmangel gem. § 434 I 2 Nr. 2 i.V.m. S. 3 BGB<br />

bei Gefahrübergang vor.<br />

III. Kein Ausschluss<br />

Ein rechtsgeschäftlicher Haftungsausschluss wurde nicht vereinbart, ein<br />

gesetzlicher liegt nicht vor.<br />

§ 281 II 1. Fall BGB<br />

IV. Pflichtverletzung: Erfolgloser Ablauf einer angemessenen Frist zur<br />

Nacherfüllung<br />

Die Voraussetzungen <strong>des</strong> Nacherfüllungsanspruchs gem. §§ 437 Nr. 1, 439 I<br />

BGB lagen vor (s.o.). Indem B die Nacherfüllung ernsthaft und endgültig verweigert<br />

hat, kommt es gem. § 281 II 1. Fall BGB nicht auf den Ablauf einer in<br />

angemessener Länge gesetzten Frist zur Nacherfüllung an.<br />

V. Rechtsfolge<br />

1. Verlangen gem. § 281 IV BGB<br />

K hat gem. § 281 IV BGB Schadensersatz statt der Leistung verlangt.<br />

Auf das in der Rechtsprechung und<br />

in der Lehre diskutierte Problem,<br />

ob die Mängelbeseitigungskosten<br />

als kleiner SE statt der Leistung<br />

gefordert werden dürfen – vgl.<br />

hierzu <strong>RA</strong> 05/<strong>2021</strong>, 229 – kommt es<br />

hier nicht an, weil nur der mangelbedingte<br />

Minderwert als Schaden<br />

geltend gemacht wird. Es besteht<br />

kein Streit darüber, dass dies als<br />

Schadensersatz gefordert werden<br />

darf.<br />

Aus demselben Grund scheiden<br />

auch Ansprüche aus § 826 BGB sowie<br />

aus § 823 II BGB i. V. m. § 263 StGB<br />

aus, auf die hier aus Platzgründen<br />

nicht eingegangen wird.<br />

2. Kausaler, ersatzfähiger Schaden<br />

Als Schadensersatz statt der Leistung wird die unfreiwillige Vermögenseinbuße<br />

<strong>des</strong> Käufers ersetzt, die zum positiven Interesse gehört, adäquat<br />

kausal auf der Schlechtleistung beruht und deren Entstehung durch eine<br />

gedachte Erfüllung im Zeitpunkt <strong>des</strong> Ersatzverlangens noch verhindert<br />

worden wäre. Hätte B Nacherfüllung geleistet, hätte der Minderwert die Vermögensbilanz<br />

der K nicht verschlechtert.<br />

VI. Zwischenergebnis<br />

B schuldet K die Zahlung von 600.000 € Schadensersatz statt der Leistung<br />

gem. §§ 437 Nr. 3, 280 I, III, 281 I 1 Fall 2 BGB.<br />

B. Anspruch aus §§ 280 I, 3<strong>11</strong> II Nr. 1, 241 II BGB<br />

Ein Anspruch aus §§ 280 I, 3<strong>11</strong> II Nr. 1, 241 II aus c.i.c. darf die speziellen Regeln<br />

der Mängelgewährleistung, insbesondere die den Verkäufer schützende kurze<br />

Verjährungsfrist <strong>des</strong> § 438 I Nr. 3 BGB nicht unterlaufen, weshalb er nur zur<br />

Anwendung kommt, wenn der Verkäufer vorsätzlich einen Mangel der Kaufsache<br />

verschwiegen hat. Dies steht hier jedoch nicht fest.<br />

C. Ergebnis<br />

K hat gegen B einen Anspruch auf Zahlung von 600.000 € Schadensersatz<br />

statt der Leistung aus §§ 437 Nr. 3, 280 I, III, 281 I 1 Fall 2 BGB.<br />

FAZIT<br />

Zur Sollbeschaffenheit eines Grundstücks gehört auch, was in einem Exposé<br />

steht. Wird es vor dem Abschluss <strong>des</strong> Vertrages dem Käufer übersendet, kann<br />

es Einfluss auf den Vertragswillen haben.<br />

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