civitas_winter_2021
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THEMA
Zwei große Katastrophen haben die Erde in diesem
Jahrhundert heimgesucht: Corona, eine Pandemie
globalen Ausmaßes, und der Klimawandel, der sich
schon seit Jahrzehnten angekündigt hat, ohne dass
Nennenswertes dagegen getan wurde. Corona hat
die Menschen fest im Griff. Fast zwei Jahre lag das
öffentliche Leben völlig darnieder. Wissenschaftliche
Untersuchungen haben ergeben, dass die Menschen
paradoxerweise ihre persönliche Lage positiver beurteilten
als die gesellschaftliche, trotz der verordneten
Kontaktlosigkeit, dem einsamen Tod alter und kranker
Menschen und dem Zurückgeworfensein auf sich
selbst. Der erzwungene Stillstand in vielen Bereichen
hat zu einem Rückzug auf die eigene Befindlichkeit
geführt und gleichzeitig unerwartete Kräfte freigesetzt.
Viele Menschen wagten den Sprung in die Selbständigkeit,
viele gründeten eine Familie früher als
vielleicht ursprünglich beabsichtigt. Das Vertrauen
in staatliche Institutionen tendierte gegen Null; die
Kraft – Hoffnung – Energie
Menschen fühlten sich auf sich selbst zurück geworfen
und versuchten, das Beste daraus zu machen.
Inzwischen muss auch dem größten Fortschrittsgläubigen
deutlich geworden sein, dass das Wachstum
an seine Grenzen gestoßen ist, dass die Erde
unbewohnbar wird, wenn sich nichts ändert. Die
Flutkatastrophe in diesem Sommer hat auf erschreckende
Weise gezeigt, dass der Klimawandel hier und
jetzt stattfindet. Die Eisschmelze an den Polkappen,
die Waldbrände in den Tropen, die Dürre in der
Sahelzone und das Steigen des Meeresspiegels in der
Südsee sind nicht mehr nur weit weg liegende, eher
abstrakte Ereignisse. Die Krise ist in unseren Breiten
angekommen.
Die Überflutungen in Deutschland haben nicht nur
viele Tote, Zerstörungen von Existenzen, Häusern
und Infrastruktur verursacht, sondern zugleich und
überraschend eine Welle der Energie, Hilfsbereitschaft
und Solidarität mit sich geführt. Aus ganz
Deutschland trafen Spenden ein für die heimatlos
Gewordenen. Aus allen Teilen der Republik kamen
und kommen Menschen in die Flutgebiete, um
ihre Zeit und Arbeitskraft über Monate kostenlos
anzubieten. Die staatlichen Hilfen erstickten in
einem Wust von Bürokratie; es war die Dynamik der
privaten Einsätze, die die Behebung der dringlichsten
Schäden ermöglichten. Was aber hat diese unerwartete
und anhaltende Dynamik ausgelöst? Es ist die
Hoffnung.
„Der erzwungene Stillstand in
vielen Bereichen hat zu einem
Rückzug auf die
eigene Befindlichkeit geführt
und gleichzeitig unerwartete
Kräfte freigesetzt.“
Der Begriff hat im Laufe der Jahrhunderte manchen
Bedeutungswandel erfahren. In der Antike, bei den
Griechen, ist Hoffnung ganz formal der Zukunftsbezug
des einzelnen Menschen, am besten zu beschreiben
durch den neutralen Begriff Erwartung. Einen
neuen Impuls gab die Religion. Das Alte Testament
kennt keine neutrale Erwartung. Hoffnung ist hier
die Verheißung Gottes auf eine gute Zukunft. Sie hat
ihren besonderen Ort im Bekenntnis der Zuversicht
in den Klagepsalmen und entfaltet sich vor allem
in den eschatologischen Erwartungen der Propheten.
Die spätjüdische Apokalyptik führt zu einer
Entwertung des gesamten gegenwärtigen Daseins
und schließlich zu einer Zwei-Äonen-Vorstellung,
nach der der gegenwärtige Äon auf eine kosmische
Katastrophe hinausläuft, während der kommende
transzendente Äon die neue gerechte Welt Gottes
verwirklichen wird.
Die Zukunftserwartung Jesu ist einerseits wie bei
Johannes dem Täufer durch die Ankündigung der
Nähe des Reiches Gottes bestimmt, andererseits
durch den Hinweis auf den sich bereits vollziehenden
Anbruch dieses Reiches. Diese Hoffnung auf die Zukunft
des Reiches Gottes führt nicht zur Weltflucht,
sondern ermöglicht die Annahme der gegenwärtigen
Wirklichkeit mit ihren Widersprüchen und deren
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