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civitas_winter_2021

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CARITAS

ZEIT ZUM ZUHÖREN

In einer ‚Schreibwerkstatt‘ erzählen wir von unseren Lebenserfahrungen. Wir erinnern uns

an gute Ereignisse aus unserer Kindheit. An Menschen, Tiere, Orte, Landschaften, Häuser.

Daraus entstehen kleine Geschichten, in denen bestärkende und ermutigende Gefühle mitschwingen.

Auf den ersten Blick sind wir vor allem vielfältig und unterscheiden uns in Alter,

Lebenssituation, Sprache, Religion und Kultur, die uns prägten.

Wenn wir uns gegenseitig unsere Erzählungen vorstellen, sind wir erstaunt, wie ähnlich

die Erfahrungen sind in dem was uns Kraft gibt und uns nährt und uns ermutigt, auch mit

schwierigen Lebenssituationen umzugehen. Aus unseren Geschichten wird ein Kalender

entstehen, der zum Jahreswechsel in den Kirchen ausliegt!

Beate Bleck, Pastoralreferentin

Ich bin in einer Stadt mitten in Polen aufgewachsen,

die in einer hügeligen, grünen Landschaft liegt. Es gibt

rundherum viel Wald und einen Fluß, der durch die

Stadt fließt. Unser Haus lag an einer unebenen, nicht

geteerten Straße, die wir Kinder als Spielplatz nutzten:

im Winter fuhren wir mit unseren Schlitten, und im

Sommer spielten wir Badminton. Auf dieser Strasse

habe ich auch Fahrradfahren gelernt. In unserem Haus

lebten; meine Vater und sein Bruder, jeweils mit ihren

Familien. Zu unserer Wohnung gehörte eine Loggia

mit einem herrlichen Blick auf den Obstgarten und die

Blumenwiese. Dort traf sich die ganze Familie zum Kaffeetrinken;

wir Kinder bekamen schwarzen gezuckerten

Tee mit Zitrone. Es gab einen kleinen runden Tisch

aus dunklem Holz. Darauf stand eine Porzellandose,

weiß mit zarten blauen Blumen, aus der wir den Zucker

holten.

Mein Vater stand oft hier, ruhig und zufrieden, und

rauchte eine Zigarette. Am liebsten schaukelte ich in der

Hängematte, die aus fester Kordel geknüpft war.

Die Atmosphäre war fröhlich und gelassen. Haustüre und

Wohnungstüre waren nie verschlossen. Oft kamen Freunde

meiner Eltern oder unsere Schulfreunde vorbei – einfach

so, ohne Verabredung. So war das Haus immer voller

Menschen. Besonders froh war ich, wenn mein Vater sich

ans Klavier setze und spielte. Er spielte viele Melodien

nach Gehör – so, wie er sie erinnerte. Mein Lieblingslied

war „La Paloma“.

Diese Erinnerungen sind mir sehr kostbar und ich nehme

es als ein gutes Zeichen, dass die Gegend, in der ich aufwuchs

‚Heilige Berge‘ heisst.

Ewa

Schöne Erinnerungen sind im Herzen eingeschrieben. Die

Zeit vergeht und nimmt alles mit sich, aber Erinnerungen

und schöne Momente werden nie vergessen. Unsere Kindheit

ist die einzige Erinnerung, die uns lächeln lässt, wenn

die Sorgen des Lebens älter werden.

Ich erzähle eine Geschichte über das Haus meiner Großeltern

in der Provinz Shaqlawa und die wunderschöne Stadt Erbil,

in der ich aufgewachsen bin. Wir als große Familie versammelten

uns alle gerne zu Festen und Anlässen im Haus der

Großeltern. Alle Familienangehörigen fanden hier Platz. Es

gab bequeme Zimmer zum Schlafen und eine große Wohnhalle

mit Blick auf einen weitläufigen und hellen Garten mit

seinen vielfältigen bunten Blumen, mit Apfel- und Granatäpfelbäumen

und ihren köstlichen Früchten. Von dieser

Wohnung aus betrachteten wir auch den erhabenen Berg. Ich

spielte mit meinen Cousins und Cousinen, und wir genossen

das leckere Essen, das unsere Großmutter für uns zubereitete.

Wir tranken Tee, der auf Holzkohle zubereitet wurde, und

schliefen auf dem Dach, wo wir dem Rascheln des Windes

in den Bäumen lauschten und die vielen Sterne am Himmel

bestaunten. Wir waren oft in Shaqlawa, unserer schönen

Provinz, wo es im Winter schneit und im Sommer grünt. Im

Frühjahr bestiegen wir den Berg, vor allem am Fest des heiligen

Rabbin Boya, des Einsiedlers, der dort lebte und dessen

Kloster sich in den Armen des Berges Safeen befindet.

Es sind magische Erinnerungen, in der sich die Unschuld

der Kindheit und die Sicherheit in den Armen der wunderbaren

Natur vermischten, begleitet von Familie und

Freunden. Ich genoss jeden Augenblick des Tages, den ich

hier verbrachte, vom Morgengrauen bis zum Anbruch der

Nacht, begleitet von den Sternen und dem hellen Mond.

John

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