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Lesen 01/2022

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16<br />

HIN UND HER<br />

Liebesreigen<br />

Frühlingsgefühle kommen hoch: Nicht nur im Garten spriesst es, sondern auch in den Herzen.<br />

Saisongerecht haben wir deshalb Neuerscheinungen zu den Themen Liebe und Erotik aus dem<br />

Regal gezupft. Und stellen sie jetzt nicht nur einander vor, sondern vor allem Ihnen!<br />

TEXT: ERIK BRÜHLMANN, MARKUS GANZ, LENA KERN,<br />

MARIUS LEUTENEGGER, MANUELA TALENTA<br />

Liebe Leute<br />

Die Sache zwischen Mann und Frau war vermutlich<br />

schon immer kompliziert – und sie<br />

ist in den letzten Jahren sicher nicht einfacher<br />

geworden. Vermeintliche Gewissheiten<br />

wurden über den Haufen geworfen, während<br />

Jahrhunderten tradierte Rollenbilder<br />

haben sich aufgelöst, ohne durch neue ersetzt<br />

worden zu sein. Und wie so oft werden<br />

alte Ungerechtigkeiten von neuen abgelöst.<br />

Bei der ganzen Aufregung um Diskriminierung,<br />

#MeToo und Sexismus täte etwas<br />

mehr Gelassenheit wohl allen gut. Schliesslich<br />

geht es am Ende nur um eines: dass es<br />

allen wohl ist und sich alle möglichst so entfalten<br />

können, wie sie möchten. Diese Gelassenheit<br />

verströmen der Philosoph Julian<br />

Nida-Rümelin und die Kulturwissenschaftlerin<br />

Nathalie Weidenfeld in ihrem Buch<br />

«Erotischer Humanismus». Das Autorenduo<br />

beschäftigte sich bereits in «Digitaler<br />

Humanismus» mit ethischen Aspekten eines<br />

hochaktuellen Themas. Diesmal geht es<br />

also um die Beziehung zwischen den Geschlechtern.<br />

Wie gestaltet man diese möglichst<br />

humanistisch und kooperativ?<br />

Das Buch ist nichts für Leute mit vorgefassten<br />

Meinungen, denn Nathalie Weidenfeld<br />

und Julian Nida-Rümelin wägen sorgfältig<br />

ab. Sie trauen sich, Mainstream-Haltungen<br />

aus ethischer Sicht abzuklopfen und sowohl<br />

Feministinnen wie auch Ewiggestrigen zu<br />

widersprechen, wenn ihnen das nötig erscheint.<br />

Der vorurteilsfreie, pragmatische<br />

Umgang mit wichtigen Zeitfragen ist beruhigend.<br />

So zeigt das Autorenduo immer wieder<br />

auf, dass Unterschiede zwischen Mann und<br />

Frau eben doch nicht allein kulturell bedingt<br />

sind und auch nicht «wegerzogen» werden<br />

können – dass diese Unterschiede aber nicht<br />

dazu führen dürfen, einem Geschlecht weniger<br />

Wertschätzung als dem anderen entgegenzubringen.<br />

Geht doch auch so!<br />

Humanismus ist einfach gut – das klingt<br />

zwar sehr selbstverständlich, aber er fordert<br />

von einem schon etwas ab, vor allem in Liebesdingen:<br />

Er verlangt, das eigene Verhalten<br />

und die eigenen Haltungen immer wieder zu<br />

hinterfragen. Aber das ist wohl das Fundament<br />

jeder gelingenden Beziehung.<br />

Beeindruckt,<br />

Marius<br />

EROTISCHER HUMANISMUS<br />

Julian Nida-Rümelin,<br />

Nathalie Weidenfeld<br />

240 Seiten, CHF 34.90<br />

Piper<br />

Lieber Marius, liebe Liebenden<br />

Ich muss gestehen, ich bin überrascht! So<br />

völlig unerotisch und beinahe nüchtern hatte<br />

ich mir den Einstieg ins Thema wirklich<br />

nicht vorgestellt. Kein shakespearsches «Soll<br />

ich dich mit einem Sommertag vergleichen?<br />

Nein, Du bist lieblicher und frischer weit ...».<br />

Allerdings komme ich mir jetzt auch nicht<br />

mehr vor wie ein Romantikverweigerer,<br />

wenn ich euch mein Buch vorstelle.<br />

Denn Tobi Lakmakers Debütroman «Die<br />

Geschichte meiner Sexualität» ist erfrischend<br />

unromantisch, eigentlich sogar<br />

ziemlich unerotisch. Modern eben. Sex ist<br />

normal, gehört zum Alltag wie das Einkaufen,<br />

Reisen und Sterben. Ungewöhnlich ist<br />

an diesem Roman jedoch, dass Tobi Lakmaker<br />

noch Sofie Lakmaker hiess, als er den<br />

Roman schrieb – also genau wie die Protagonistin<br />

des Buchs. Eigene Erfahrungen<br />

dürften hier also durchaus eingeflossen<br />

sein. Aber ich sage euch gleich: Ich finde eigentlich<br />

nicht, dass «Die Geschichte meiner<br />

Sexualität» ein Transgender-Roman ist oder<br />

vor allem Lesestoff für die LQBTQIA+-Gemeinde.<br />

Denn eben: Sexualität kommt vor,<br />

aber ist nur ein Teil der Romanwahrheit. Ich<br />

würde das Buch einen Coming-of-Age-Roman<br />

nennen, der den Selbstfindungsprozess<br />

eines jungen Menschen beschreibt.<br />

Dass Sofie «weniger Mädchen und mehr<br />

Junge» werden will, wird so deutlich erst am<br />

Ende zum Thema.<br />

Bis dahin ist man aber längst derart von der<br />

lakonisch-witzig-frech-deutlichen Schreibe<br />

Lakmakers fasziniert, dass man das Buch<br />

nicht mehr aus der Hand legen will. Man<br />

kommt sich beim <strong>Lesen</strong> vor, als sässe man<br />

LESEN 1/<strong>2022</strong> – ORELLFÜSSLI.CH

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