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MANGA<br />
Manga: Grosse<br />
Kunst – und tolle<br />
Unterhaltung<br />
Längst ist die Manga-Welle nach Europa geschwappt. Kinder lieben<br />
die japanischen Comicbücher ebenso wie junge und ältere Erwachsene.<br />
Und das Schönste dabei ist: Viele Manga-Reihen sind fast unendlich lang!<br />
TEXT: ERIK BRÜHLMANN<br />
doppelte Weise überrascht sein. Zum einen<br />
sind die Seiten zwischen den farbenfrohen<br />
Buchdeckeln schwarz-weiss. Dies ist der<br />
enormen Publikationsfrequenz geschuldet:<br />
Wenn pro Woche 25 bis 30 Seiten einer Geschichte<br />
gezeichnet und produziert werden<br />
müssen, bleibt fürs Kolorieren einfach keine<br />
Zeit. Interessant: Als Manga neu auf den europäischen<br />
Markt kamen, gab es Versuche,<br />
die Geschichten nachträglich zu kolorieren,<br />
um sie den lokalen Lesegewohnheiten anzupassen.<br />
Doch die Verlage merkten schnell:<br />
Die Fans wollten das schwarz-weisse Original,<br />
etwas, das sich von den kunterbunten<br />
Superheldencomics amerikanischer Prägung<br />
unterscheidet. Auch Versuche, die traditionelle<br />
japanische Leserichtung von hinten<br />
nach vorn für europäische Mangafans zu<br />
spiegeln, scheiterten am Veto der <strong>Lesen</strong>den.<br />
Deshalb gilt heute auch in Europa: Wer einen<br />
Manga lesen und verstehen will, muss das<br />
Lesepferd von hinten aufzäumen!<br />
In Japan wird mehr Papier zur Herstellung<br />
von Manga benötigt als zur Herstellung von<br />
Klopapier, heisst es. Ob das statistisch belegbar<br />
ist, sei dahingestellt. Doch das Gerücht<br />
zeigt deutlich: Manga gehören zur japanischen<br />
Kultur wie Sushi und Sumo, und sie<br />
sind an jeder Ecke im Land der aufgehenden<br />
Sonne anzutreffen. Allein die Bände der «Demon-Slayer»-<br />
Reihe verkauften sich im ersten<br />
Halbjahr 2021 fast 26,5 Millionen Mal,<br />
jene der «Jujutsu-Kaisen»-Serie fast 24 Millionen<br />
Mal. Damit sind die beiden Serien mit<br />
weitem Abstand die Platzhirsche der japanischen<br />
Mangaszene, die 2020 die Umsatzschallmauer<br />
von 600 Milliarden Yen – rund<br />
4,85 Milliarden Franken – durchbrach.<br />
Von japanischen Mönchen ins<br />
moderne Europa<br />
Zwar ist die Mangamanie auch in Japan ein<br />
modernes Phänomen. Doch die japanischen<br />
Bildgeschichten blicken auf eine lange<br />
Tradition zurück. Schon im 8. Jahrhundert<br />
gab es comicartige Zeichnungen im<br />
Hōryū-Tempel in Ikaruga; bis zum frühen<br />
16. Jahrhundert entwickelten sich zu Büchlein<br />
gebundene Holzschnitte, die mit ihrem<br />
teils absurden Humor vor allem die wohlhabende<br />
Mittelschicht ansprachen. Im 18.<br />
Jahrhundert tauchte schliesslich der Begriff<br />
Manga zum ersten Mal auf. Er bezeichnete<br />
damals aber noch eine Bildersammlung wie<br />
bei den 1814 und 1815 in 15 Bänden erschienenen<br />
«Hokusai-Manga», welche die japanische<br />
Gesellschaft und Kultur in skizzenhaften<br />
Szenen zeigen. Als Vorläufer moderner<br />
Manga gilt schliesslich die 1902 entstandene<br />
Comicstrip-Reihe «Tagosakos und<br />
Mokubes Besichtigung von Tokyo» aus der<br />
Feder von Kitazawa Rakuten. Im Zweiten<br />
Weltkrieg nutzte die japanische Regierung<br />
Manga als Propa gandaschriften und zur Unterhaltung<br />
der Soldaten. Nach dem Krieg<br />
traten Manga endgültig ihren Siegeszug in<br />
Japan an. Mitverantwortlich dafür war der<br />
Arzt Osamu Tezuka, der 1952 zum Zeichner<br />
umsattelte und das Gesicht moderner Manga<br />
wesentlich prägte. Nicht umsonst wird er<br />
als «Manga no Kami-sama» – Gott des Manga<br />
– bezeichnet. Zu seinen erfolgreichen<br />
Geschichten zählen unter anderem «Kimba,<br />
der weisse Löwe» und Adaptionen von<br />
«King Kong», «Faust» und «Bambi». Europäische<br />
Comicfans hatten Manga bis in die<br />
späten 1980er-Jahre nicht auf dem Radar. Es<br />
war ein Anime – das filmische Gegenstück<br />
zum Manga – namens «Akira», der in der<br />
westlichen Comicwelt die Neugier weckte.<br />
Als zum Ende des Jahrtausends schliesslich<br />
die Serien «Sailor Moon» und «Dragonball»<br />
den Weg nach Europa fanden, war der Bann<br />
endgültig gebrochen, die Mangawelle war<br />
nicht mehr aufzuhalten. Sogar das renommierte<br />
British Museum in London widmete<br />
den Manga 2<strong>01</strong>9 eine eigene Ausstellung<br />
und verlieh den japanischen Comics damit<br />
höchste kulturelle Weihen.<br />
Schwarz-weisse Geschichten zum<br />
Nach-vorn-<strong>Lesen</strong><br />
Heute füllen Manga in den Orell-Füssli<br />
Buchhandlungen ganze Regalreihen. Wer als<br />
Genreneuling einfach ein Büchlein herausgreift<br />
und darin zu lesen beginnt, wird auf<br />
LESEN 1/<strong>2022</strong> – ORELLFÜSSLI.CH