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Lesen 01/2022

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38<br />

MANGA<br />

Manga: Grosse<br />

Kunst – und tolle<br />

Unterhaltung<br />

Längst ist die Manga-Welle nach Europa geschwappt. Kinder lieben<br />

die japanischen Comicbücher ebenso wie junge und ältere Erwachsene.<br />

Und das Schönste dabei ist: Viele Manga-Reihen sind fast unendlich lang!<br />

TEXT: ERIK BRÜHLMANN<br />

doppelte Weise überrascht sein. Zum einen<br />

sind die Seiten zwischen den farbenfrohen<br />

Buchdeckeln schwarz-weiss. Dies ist der<br />

enormen Publikationsfrequenz geschuldet:<br />

Wenn pro Woche 25 bis 30 Seiten einer Geschichte<br />

gezeichnet und produziert werden<br />

müssen, bleibt fürs Kolorieren einfach keine<br />

Zeit. Interessant: Als Manga neu auf den europäischen<br />

Markt kamen, gab es Versuche,<br />

die Geschichten nachträglich zu kolorieren,<br />

um sie den lokalen Lesegewohnheiten anzupassen.<br />

Doch die Verlage merkten schnell:<br />

Die Fans wollten das schwarz-weisse Original,<br />

etwas, das sich von den kunterbunten<br />

Superheldencomics amerikanischer Prägung<br />

unterscheidet. Auch Versuche, die traditionelle<br />

japanische Leserichtung von hinten<br />

nach vorn für europäische Mangafans zu<br />

spiegeln, scheiterten am Veto der <strong>Lesen</strong>den.<br />

Deshalb gilt heute auch in Europa: Wer einen<br />

Manga lesen und verstehen will, muss das<br />

Lesepferd von hinten aufzäumen!<br />

In Japan wird mehr Papier zur Herstellung<br />

von Manga benötigt als zur Herstellung von<br />

Klopapier, heisst es. Ob das statistisch belegbar<br />

ist, sei dahingestellt. Doch das Gerücht<br />

zeigt deutlich: Manga gehören zur japanischen<br />

Kultur wie Sushi und Sumo, und sie<br />

sind an jeder Ecke im Land der aufgehenden<br />

Sonne anzutreffen. Allein die Bände der «Demon-Slayer»-<br />

Reihe verkauften sich im ersten<br />

Halbjahr 2021 fast 26,5 Millionen Mal,<br />

jene der «Jujutsu-Kaisen»-Serie fast 24 Millionen<br />

Mal. Damit sind die beiden Serien mit<br />

weitem Abstand die Platzhirsche der japanischen<br />

Mangaszene, die 2020 die Umsatzschallmauer<br />

von 600 Milliarden Yen – rund<br />

4,85 Milliarden Franken – durchbrach.<br />

Von japanischen Mönchen ins<br />

moderne Europa<br />

Zwar ist die Mangamanie auch in Japan ein<br />

modernes Phänomen. Doch die japanischen<br />

Bildgeschichten blicken auf eine lange<br />

Tradition zurück. Schon im 8. Jahrhundert<br />

gab es comicartige Zeichnungen im<br />

Hōryū-Tempel in Ikaruga; bis zum frühen<br />

16. Jahrhundert entwickelten sich zu Büchlein<br />

gebundene Holzschnitte, die mit ihrem<br />

teils absurden Humor vor allem die wohlhabende<br />

Mittelschicht ansprachen. Im 18.<br />

Jahrhundert tauchte schliesslich der Begriff<br />

Manga zum ersten Mal auf. Er bezeichnete<br />

damals aber noch eine Bildersammlung wie<br />

bei den 1814 und 1815 in 15 Bänden erschienenen<br />

«Hokusai-Manga», welche die japanische<br />

Gesellschaft und Kultur in skizzenhaften<br />

Szenen zeigen. Als Vorläufer moderner<br />

Manga gilt schliesslich die 1902 entstandene<br />

Comicstrip-Reihe «Tagosakos und<br />

Mokubes Besichtigung von Tokyo» aus der<br />

Feder von Kitazawa Rakuten. Im Zweiten<br />

Weltkrieg nutzte die japanische Regierung<br />

Manga als Propa gandaschriften und zur Unterhaltung<br />

der Soldaten. Nach dem Krieg<br />

traten Manga endgültig ihren Siegeszug in<br />

Japan an. Mitverantwortlich dafür war der<br />

Arzt Osamu Tezuka, der 1952 zum Zeichner<br />

umsattelte und das Gesicht moderner Manga<br />

wesentlich prägte. Nicht umsonst wird er<br />

als «Manga no Kami-sama» – Gott des Manga<br />

– bezeichnet. Zu seinen erfolgreichen<br />

Geschichten zählen unter anderem «Kimba,<br />

der weisse Löwe» und Adaptionen von<br />

«King Kong», «Faust» und «Bambi». Europäische<br />

Comicfans hatten Manga bis in die<br />

späten 1980er-Jahre nicht auf dem Radar. Es<br />

war ein Anime – das filmische Gegenstück<br />

zum Manga – namens «Akira», der in der<br />

westlichen Comicwelt die Neugier weckte.<br />

Als zum Ende des Jahrtausends schliesslich<br />

die Serien «Sailor Moon» und «Dragonball»<br />

den Weg nach Europa fanden, war der Bann<br />

endgültig gebrochen, die Mangawelle war<br />

nicht mehr aufzuhalten. Sogar das renommierte<br />

British Museum in London widmete<br />

den Manga 2<strong>01</strong>9 eine eigene Ausstellung<br />

und verlieh den japanischen Comics damit<br />

höchste kulturelle Weihen.<br />

Schwarz-weisse Geschichten zum<br />

Nach-vorn-<strong>Lesen</strong><br />

Heute füllen Manga in den Orell-Füssli­<br />

Buchhandlungen ganze Regalreihen. Wer als<br />

Genreneuling einfach ein Büchlein herausgreift<br />

und darin zu lesen beginnt, wird auf<br />

LESEN 1/<strong>2022</strong> – ORELLFÜSSLI.CH

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