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NOTIZEN<br />
JEDER SOLL VON<br />
DA, WO ER IST,<br />
EINEN SCHRITT<br />
NÄHER KOMMEN<br />
Navid Kermani<br />
240 Seiten, CHF 34.90<br />
Hanser<br />
Der Konflikt zwischen Christentum und<br />
Islam ist uralt – er begann bereits im<br />
6. Jahrhundert mit Mohammed, dem<br />
Stifter des Islam, gipfelte in den Kreuzzügen<br />
des Mittelalters und findet ein<br />
schreckliches modernes Gesicht in den<br />
Kriegen gegen islamische Staaten oder<br />
in Terroranschlägen durch religiöse<br />
Fanatiker. Auf beiden Seiten der Kon-<br />
fliktlinie gibt es viele Missverständnisse und Vorurteile. Einer, der hier eine breite<br />
Brücke schlägt, ist der deutsch-iranische Autor Navid Kermani, der unter anderem<br />
auch mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet worden<br />
ist. Sein neues Buch «Jeder soll von da, wo er ist, einen Schritt näher kommen»<br />
ist eine gleichermassen hochspannende wie eingängige Auseinandersetzung mit<br />
dem Islam. Die Ausgangslage: Ein Vater erzählt seiner Tochter Abend für Abend<br />
von der Religion, in einfachen Worten, aber ohne Wichtiges auszulassen. Dabei<br />
werden die typischen grundsätzlichen Kinderfragen aufgeworfen – die sich bei<br />
religiösen Themen ja gar nicht so gross von den Fragen der Erwachsenen unterscheiden.<br />
Es ist ein Vergnügen, an Kermanis gewaltigem Wissensschatz teilhaben<br />
zu dürfen. Wie er Argumente hüben und drüben mit historischen Fakten und<br />
Logik zerpflückt, ist eindrücklich und äusserst lehrreich. Wussten Sie, dass sich<br />
die «Gewaltverse» des Korans auf die mit Mohammed verfeindeten mekkanischen<br />
Führer bezogen? Wer diese Verse aus ihrem damaligen Kontext herauslöse, um<br />
unschuldige Menschen in die Luft zu sprengen, handle nicht nur unmenschlich, er<br />
verfälsche die Botschaft des Korans, sagt Kermani. Er scheut sich nie, Position zu<br />
beziehen – tut dies aber argumentativ stets gut untermauert.<br />
Mely Kiyak dürfte zu den fleissigsten Kolumnistinnen<br />
im deutschen Sprachraum zählen – und auch zu den<br />
besten. Das werden wohl nicht einmal jene bestreiten, die<br />
den Ton der Tochter kurdischer Einwanderer für zuweilen<br />
etwas gar scharf halten und die ihren Biss nicht mögen:<br />
Klug ist das, was Mely Kiyak schreibt, allemal. Und Spass<br />
macht es auch. Kein Wunder, sagt doch die Autorin: «Je<br />
leichtfüssiger, amüsanter und leckt-mich-am-Arsch- hafter<br />
du schreibst, desto mehr drehen die Leute durch.» Jetzt<br />
gibt es neuen Grund zum Durchdrehen: «Werden sie<br />
uns mit FlixBus deportieren?», die erste Buchveröffentlichung<br />
von Mely Kiyak seit dem hochgelobten<br />
«Frausein». Einmal mehr überzeugt die Autorin mit<br />
präzisen und anekdotenreichen Analysen unserer Gegenwart<br />
– Pflichtlektüre für alle, die gern zum Denken angeregt<br />
werden!<br />
WERDEN SIE UNS<br />
MIT FLIXBUS<br />
DEPORTIEREN?<br />
Mely Kiyak<br />
224 Seiten, CHF 33.90<br />
Hanser<br />
Kennen sich mit Schiffen aus: Mark Pieth und Kathrin Betz.<br />
SEEFAHRTSNATION<br />
SCHWEIZ<br />
Mark Pieth, Kathrin Betz<br />
320 Seiten, CHF 33.90<br />
Salis<br />
Als Kinder lernten wir: Die Schweiz ist das Land der<br />
Alpen. Wollten wir ans Meer, mussten wir ins Ausland<br />
fahren. Vor diesem Hintergrund erstaunt, dass von der<br />
Schweiz aus die neuntgrösste Hochseeflotte der Welt<br />
dirigiert wird. Denn die Schweiz ist ein bedeutender<br />
Reedereistandort. Dass die meisten Schiffe unter anderen<br />
Flaggen fahren – Panama, Marshall Islands oder Liberia –,<br />
macht die Sache ziemlich brisant: Die Schweiz kann sich<br />
der Aufsicht über die Schiffe entziehen, frei nach dem<br />
Motto, dass uns nichts angeht, was kein «CH» trägt. Auch<br />
wenn die Schiffe unter Umständen der Umwelt massiv<br />
schaden. Mark Pieth und Kathrin Betz, beide aus Basel,<br />
der Stadt mit dem grössten Schweizer Hafen, zeichnen in<br />
«Seefahrtsnation Schweiz» die Geschichte dieses<br />
Handelszweigs nach. Sie erkunden, warum unser Land<br />
als Reedereistandort so attraktiv ist – und sie scheuen sich<br />
nicht, die Probleme zu analysieren, welche die ganz<br />
besondere Konstellation von Binnenstaat und Hochseeflotte<br />
auslösen.<br />
Heiko Werning ist ein humorvoller Mann – nicht<br />
umsonst schreibt der Berliner auch für das Satiremagazin<br />
Titanic. Daneben betätigt er sich als Reptilienforscher, und<br />
er hat bereits mehrere Fachbücher zu Leguanen und<br />
Agamen publiziert. In seinem neusten Werk «Von Okapi,<br />
Scharnierschildkröte und Schnilch» führt er<br />
nun beides zusammen: den Witz und das grosse Wissen<br />
über die Tierwelt. Das tut er gemeinsam mit Ulrike<br />
Sterblich, die einen ganz ähnlichen Hintergrund hat wie<br />
er: Auch sie schrieb für die Titanic, und auch sie zählt zu<br />
den Tierfachleuten. Das Autorenduo beschäftigt sich in<br />
diesem Buch mit dem «prekären Bestiarium» – mit un gewöhnlichen<br />
Tierarten, die als eindrückliche Belege für die<br />
Originalität der Natur dienen, die aber alle kurz vor dem<br />
Aussterben stehen. Aber was heisst schon «Aussterben»:<br />
Da geht es um knallharte Ausrottung durch den Menschen.<br />
Wie schade wäre es doch, würde der Tasmanische Beutelteufel,<br />
der gern stinkend, schreiend und mit roten Ohren<br />
durch die Gegend springt, das Schicksal seines einstigen<br />
Nachbarn, des Tasmanischen Tigers, teilen – und einfach so<br />
vom Erdboden verschwinden. Dass wir uns dann immer<br />
noch an den herrlichen Tierbeschreibungen von Werning<br />
und Sterblich erfreuen könnten, wäre ein schwacher Trost.<br />
VON OKAPI,<br />
SCHARNIERSCHILDKRÖTE<br />
UND SCHNILCH<br />
Heiko Werning, Ulrike Sterblich<br />
240 Seiten, CHF 33.90<br />
Galiani<br />
LESEN 1/<strong>2022</strong> – ORELLFÜSSLI.CH