lass fallen anker
Ausgabe 2022 von "lass fallen anker" der Deutschen Seemannsmission e.V. in Hamburg
Ausgabe 2022 von "lass fallen anker" der Deutschen Seemannsmission e.V. in Hamburg
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INTERVIEW
Foto: VDR
KeyWorker – so wie Krankenpfleger und Supermarktkassierer.
Sie sorgen dafür, dass Waren von A nach B kommen. Da brauchen wir
mehr Unterstützung für die Männer und Frauen an Bord, sie müssen
zum Beispiel ungehindert zu und von ihren Schiffen reisen dürfen.
Viele Kritiker meinen, die Reeder profitieren vom Stau in
den Lieferketten, weil die Nachfrage so enorm hoch ist und
alle Schiffe ausgebucht sind. Stimmt das?
Für mich ist das ein unfairer und verallgemeinernder Vorwurf.
Die SpotRaten für Container sind momentan hoch, das stimmt und
Schiffe, die vor Häfen festliegen und auf Waren warten, bringen auch
Chartereinnahmen für den Trampreeder. Doch daraus auf eine gezielte
Absicht der Reedereien zu schließen, ihre Schiffe möglichst lange
liegen zu lassen, ist absurd. Kein Reeder beim VDR ist glücklich über
diese Entwicklung.
Wir sind Dienstleister,
wir wollen liefern. Ich
sehe uns als Betroffene,
nicht als Profiteure.
Sie selbst sind als Juristin
zur Reede rei
gekommen, haben
lange in Bremen
gelebt und sind vor
„Kein Reeder ist glücklich
über Schiffe, die vor Häfen
festliegen und auf Waren
warten“
knapp 30 Jahren nach Hamburg gezogen. Gerade in den
Hansestädten zählten Reeder traditionell zu den „ehrenwerten“
Kaufleuten. Ist das noch so?
Ich finde ja. Natürlich gibt es Ausnahmen, wie in jeder Branche
einige wenige schwarze Schafe. Doch die große Mehrheit der Reeder,
vor allem hier in Deutschland, sind aus meiner Sicht „ehrenwert“,
im besten Sinne des Wortes. Was immer wieder vergessen wird:
Von den mehr als 300 Reedereien in Deutschland haben 80 Prozent
weniger als zehn Schiffe. Oft sogar nur eines oder zwei. Das sind
Mittelständler. Da zählen noch Wort und Handschlag.
Sie reden in der männlichen Form: Reeder, Seemänner,
Mittelständler. Wird im VDR nicht gegendert?
Ich bin seit der Gründung des Verbandes vor 114 Jahren die erste
Frau hier an der Spitze. Es ist gut, dass sich was ändert, auch, dass
DIE PRÄSIDENTIN
Gaby Bornheim, 55, promovierte Juristin, ist seit Dezember 2021 Präsidentin
des Verbands deutscher Reeder (VDR). Im Hauptberuf führt sie seit vielen
Jahren die Geschäfte der Peter Döhle SchiffahrtsKG. Das 1956 gegründete
Hamburger Unternehmen beschäftigt weltweit 5000 Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter und managt eine Flotte von rund 500 Schiffen, darunter
400 Containerschiffe sowie Bulker und Mehrzweckfrachter. Der Verband
Deutscher Reeder mit rund 200 Mitgliedsunternehmen repräsentiert
die deutsche Schifffahrtsbranche und führt als Arbeitgeberverband Tarifund
Sozialpartnerverhandlungen.
wir mehr Frauen auf die Schiffe holen.
Aber gendern? Ich verstehe durchaus
die Beweggründe dafür, aber mir ganz
persönlich ist das im Alltag einfach
noch zu kompliziert.
Unter 870 Kapitänen auf deutschen
Schiffen gibt es gerade mal
40 Frauen . . .
Das ist sicher sehr wenig und das wollen
wir in der Zukunft ändern. Aber wir
dürfen nicht vergessen: Unsere ganze
Branche leidet wie andere auch enorm
unter Nachwuchsmangel. Die geringe
Frauenquote kommt da noch dazu.
Sechs Monate auf See, sechs Monate
auf Land – auch nicht besonders
familienfreundlich, oder?
Ich finde ja, es kommt darauf an. Als
Familie können Sie sich darauf einrichten.
Er, oder eben sehr gern auch sie,
ist zwar auf langer Fahrt, aber dann
eben auch ganz lange zu Haus. Das
kann ein Modell sein, das Möglichkeiten
bietet. Auch andere Jobs sind
zeitlich begrenzt. Es ist sicher nicht
einfach, aber ich finde, das birgt auch
Chancen. Und bitte nicht vergessen:
Es gibt nicht nur die große Fahrt. Bei
den Fährlinien zum Beispiel, da sind
die Schichten viel, viel kürzer. Aber
ja, es ist eine Lebensentscheidung,
für sich den Beruf auf See zu wählen.
Es ist eben nicht irgendein Beruf.
Warum haben heute so wenig junge
Leute darauf Lust?
Ich kann das nicht so ganz nachvollziehen,
denn dieser Beruf bietet immer
noch wunderbare Erlebnisse, die
sie woanders nicht bekommen können.
Ich will es nicht romantisieren,
aber ich weiß, dass zum Beispiel das
Mannschaftserlebnis positiv prägend
sein kann. Zusammen auf einem Schiff
für längere Zeit zu sein, das verbindet.
Und natürlich liegen die Schiffe nicht
mehr wochenlang im Hafen wie früher,
aber die Welt entdecken, fremde Kulturen
erleben, das gibt es auch heute
noch auf großer Fahrt.
Interview: Dorothea Heintze
LASS FALLEN ANKER 23