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Österreichische Post AG; PZ 18Z041372 P; Biber Verlagsgesellschaft mbH, Museumsplatz 1, E 1.4, 1070 Wien

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MIT SCHARF

APRIL

2022

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30 JAHRE

BOSNIENKRIEG

+

UKRAINEKRIEG

IN WIEN

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SPORTLERINNEN

IM IRAK

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„NIEMAND MAG

DICKE MENSCHEN!“

BODYSHAMING IN MIGRA-FAMILIEN


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3

minuten

mit

Baraa

Bolat

Ex-Austrias-Next-

Topmodel-Kandidatin

und TikTokerin Baraa

Bolat über das Modeln

als Hijabi in Österreich

und ihre berühmten

Kochvideos.

Interview: Sedir Dabbass, Foto: Franziska Liehl

BIBER: Baraa, du warst 2019 die erste

Hijabi bei Austrias Next Topmodel. Wie

war es für dich, als kopftuchtragende

Frau in Österreich zu modeln?

BARA BOLAT: Ich trage das Kopftuch

schon seit 13 Jahren. Als kleines Mädchen

war es mein Traum, berühmt zu

sein und zu modeln. Damals dachte ich

mir schon: Ich muss keine 08/15-Blondine

sein, die schlank ist und blaue

Augen hat, um in diese Modelwelt reinzupassen.

So ist das noch heute. Wenn

ich rausgehe, merke ich nicht einmal,

dass ich einen Hijab trage. Es gehört

schon zu meiner Identität. Egal, was ich

anstrebe: Das Thema „Kopftuch“ ist gar

kein Thema für mich. Ich eliminiere das

komplett.

Du hast alleine auf TikTok über 1,7

Millionen Follower:innen. Wieso glaubst

du, bist du auf Social Media so erfolgreich?

Weil ich einzigartig bin. Als Content–Creator

weiß man, wie man die

Zuschauer bewegt. Meine Videos

schaut man, weil man sich fragt: Wieso

kocht sie gebückt mit so einem Blick?

Das ist mein Trick, wie ich meine

Zuschauer:innen fessele. Gemeinsam

mit dem „Mhmmm – Bismillah!“ am

Ende des Videos. Das ist mein Markenzeichen.

Wie bist du denn auf diese ikonische

Haltung und den Blick in deinen Kochvideos

gekommen?

Wenn du dir auf TikTok mein allererstes

Kochvideo ansiehst, merkst du, dass

das mit der Haltung und dem Blick nicht

auf Krampf gewesen ist. Ich habe das

Essen einfach sehr konzentriert angeschaut.

Dann hat irgendjemand in die

Kommentare geschrieben: „Bruder, sie

hypnotisiert Essen fast.“ Und ich dachte

mir so: „Dankeschön, Bruder!“ Sofort

in die Caption reingeschrieben und in

die Bio, einfach überall: „I hypnotize

food with my eyes.”

Als Tiktokerin oder Youtuberin hast du

auch einen eher unkonventionellen

Weg eingeschlagen. Wie steht deine

tunesische Familie dazu?

Die feiern das alle! Also ich bin die

Queen meiner ganzen Generation!

(Lacht) Leute aus Tunesien fragen meine

Cousine: Wer ist das? Ist das deine

Cousine? Wir feiern sie! Das ist diese

eine, die immer so komisch guckt!

Oder sie senden mir einfach Videos,

wo sie essen und danach „Bismillah –

Mhmmm!“ sagen.

Bekommst du auch Hate?

Ja, sicher. Aber ich bin auch dankbar

dafür! Wie man so schön sagt:

„Bad publicity is good publicity.” Bei

ANTM habe ich die allererste Erfahrung

mit Hate bekommen: Da bin ich

eine Woche nicht rausgegangen, weil

ich Angst hatte, dass mich irgendwer

auf der Straße erkennt und fetzt oder

so. Wegen ANTM habe ich Hate von

beiden Seiten bekommen. Sei es von

Muslim:innen oder seitens der unzufriedenen

Österreicher:innen, die mich im

Fernsehen sehen und dann schimpfen:

„Was hat eine Hijabi auf einem österreichischen

Kanal zu suchen?“

WER IST SIE?

Name: Baraa Bolat

Alter: 28

TikTok: baraa.bolat

/ 3 MINUTEN / 3


3 3 MINUTEN MIT BARAA BOLAT

Die Ex-Austria’s Next Topmodel Kandidatin und

TikTokerin im Schnellinterview.

8 IVANAS WELT

Ein bisschen Spaß, lass sein? Kolumnistin Ivana

Cucujkić war zum ersten Mal seit Langem fort.

POLITIKA

10 „ES IST NICHT NUR PUTIN!“

Wie die russische und ukrainische Diaspora

im Krieg zwischen Schuldzuweisungen und

Ohnmacht steht.

16 30 JAHRE

JUGOSLAWIENKRIEG

Drei Zeitzeug:innen erzählen, wie sich ihr

Leben im Jahr 1992 für immer veränderte.

20 FOREIGN FIGHTERS IN DER

UKRAINE

Aleksandra Tulej sprach mit jungen Männern

aus Wien, warum sie für die Ukraine kämpfen

wollen.

20

MEIN

FREMDER

KRIEG

Warum junge Männer

für die Ukraine

kämpfen und ihr

Leben lassen würden.

IN

RAMBAZAMBA

28 „NIEMAND MAG DICKE

MENSCHEN!“

Was Bodyshaming in der eigenen Familie

mit der Psyche anrichten kann.

34 DAS GEHEIMNIS

IHRES TURBANS

Nadia Ghulam lebte zehn Jahre lang

verdeckt als Mann unter den Taliban.

38 JEDER KANN GRETA

Expertin Elma Salo gibt einfache Tipps für

einen nachhaltigeren Lifestyle.

10

VERZWEIFELT, WÜTEND, MACHTLOS

Wie der Krieg in der Ukraine tiefe Gräben in der

russischen und ukrainischen Community zieht.


LIFE&STYLE

42 EUPHORIA IST

NICHTS NEUES

Psychedelische Coming-Of-Age-Dramen gab

es schon für ältere Generationen.

16

30 JAHRE NACH DEM KRIEG

Drei Journa list:innen aus Ex-Jugoslawien über

das verhängnisvolle Jahr 1992.

HALT APRIL

2022

28

„DICKE

MENSCHEN

HABEN KEINE

DISZIPLIN.“

Warum sich

Bodyshaming

in der eigenen

Familie noch

so hartnäckig

hält, erzählen

Betroffene.

© Zoe Opratko, Aliaa Abou Khaddour, © Maria von Usslar/Der Standard, Zoe Opratko, Cover: © Zoe Opratko

TECHNIK

43 GRÜNE REVOLUTION

Adam Bezeczky darüber, wie der Ukrainekrieg

die Suche nach erneuerbaren Energien

vorantreibt.

KARRIERE&KOHLE

44 #REALWORLDPROBLEMS

Šemsa Salioski erklärt, warum „Gutes tun“

oft nur Privilegierte können.

KULTURA

46 KULTURA NEWS

Der ukrainisch-russische Filmemacher Oleksyi

Radynski über Kulturboykotts und mehr.

48 „ICH BIN MIT SCHLAGER

AUFGEWACHSEN.“

Starmania-Kandidat Marco Spiegl über seine

Leidenschaft für Schlager und Ziehharmonika.

50 KAMPF GEGEN

ROLLENBILDER

Ein Besuch beim Training des mutigen

Kabaddi-Frauenteams im irakischen Diwaniyya.

54 DER KRIEG IST

EIN SYMPTOM DES

PATRIARCHATS

Jad Turjman flüchetete einst aus Syrien vor

Krieg und zieht Parallelen zur Ukraine.


Liebe LeserInnen,

Der Krieg in der Ukraine hält seit Wochen die ganze Welt in Atem.

Täglich eröffnen sich uns neue Schrecken aus dem Konflikt: Zerstörte

Städte, Millionen Flüchtlinge und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Aber auch weit abseits der tatsächlichen Fronten tobt ein regelrechter

Gesinnungskrieg in der russischen und ukrainischen Diaspora.

In der Politikaufmacher-Story „Es ist nicht nur Putin“ geht Nada El-Azar-

Chekh der Zerrissenheit, die innerhalb der Communitys herrscht, auf den

Grund. Ist es denn nur Putins Krieg? Wie viel Schuld trägt die russische

Bevölkerung tatsächlich mit? Wie zerrüttet ist das Verhältnis zwischen

Russ:innen und Ukrainer:innen wirklich? Die Annäherung an diese Fragen

findet ihr ab Seite 10.

Bitte unbedingt als erstes zu

Seite 10 blättern. Propaganda,

Hass, Machtlosigkeit und

Schuldzuweisungen: Nada

El-Azar-Chekh hat über die

Zerrissenheit der ukrainischen

und russischen Diaspora in

Wien recherchiert.

S. “ 10

Aleksandra Tulej,

stv. Chefredakteurin

Sie wollen gegen das Böse kämpfen und – wenn es drauf ankommt – für

eine gute Sache sterben. Aleksandra Tulej sprach mit sogenannten Foreign

Fighters, die sich auf die Seite der Ukraine schlagen, um gegen Russland

zu kämpfen. Warum junge Männer in einen fremden Krieg ziehen, erfahrt

ihr ab Seite 20.

Es ist dennoch falsch zu behaupten, dass Krieg in Europa ein Ding der

Unmöglichkeit ist. Bei vielen Menschen mit Wurzeln in Ex-Jugoslawien,

Kurdistan, Afghanistan oder dem Irak rufen die Geschehnisse in der

Ukraine Erinnerungen hervor: Ab Seite 16 lest ihr, wie drei Zeitzeug:innen

aus Bosnien und Herzegowina den Kriegsbeginn am Balkan vor 30 Jahren

erlebt haben.

Harte Zeiten ziehen manchmal unkonventionelle Lösungen mit sich: Nadia

Ghulam nahm die Identität ihres toten Bruders an und lebte zehn Jahre als

Mann verdeckt unter den Taliban in Afghanistan. Wie sie das geschafft hat,

erfahrt ihr ab Seite 34.

Ab S. 50 zeigen Kabaddi-Spielerinnen aus der Vorstadt von Bagdad, wie

Frauen im erzkonservativen Milieu im Irak nach Emanzipation streben.

Selbstbestimmung über ihren eigenen Körper fordert aber auch unsere

Stipendiatin Maria Lovrić-Anušić. Ihre sensationelle Cover-Story über

Bodyshaming in Migra-Familien zeigt, dass es noch viel Arbeit braucht, bis

Body–Positivity in den eigenen vier Wänden ankommt. Ab Seite 28.

Viel Spaß beim Lesen wünscht

Eure biber-Redaktion

© Zoe Opratko

6 / MIT SCHARF /


IMPRESSUM

MEDIENINHABER:

Biber Verlagsgesellschaft mbH, Quartier 21, Museumsplatz 1,

E-1.4, 1070 Wien

HERAUSGEBER

Simon Kravagna

CHEFREDAKTEURIN:

Delna Antia-Tatić (karenziert)

STV. CHEFREDAKTEURE:

Amar Rajković und Aleksandra Tulej

CHEFREPORTERIN:

Aleksandra Tulej

FOTOCHEFIN:

Zoe Opratko

ART DIRECTOR: Dieter Auracher

KOLUMNIST/IN:

Ivana Cucujkić-Panić, Jad Turjman

LEKTORAT: Florian Haderer

REDAKTION & FOTOGRAFIE:

Adam Bezeczky, Nada El-Azar-Chekh, Sedir Dabbass, Maria

Lovrić- Anušić, Šemsa Salioski, Franziska Liehl, Aliaa Abou

Khaddour, Mafalda Rakoš, Markus Korenjak

VERLAGSLEITUNG :

Aida Durić

MARKETING & ABO:

Şeyda Gün

REDAKTIONSHUND:

Casper

BUSINESS DEVELOPMENT:

Andreas Wiesmüller

GESCHÄFTSFÜHRUNG:

Wilfried Wiesinger

KONTAKT: biber Verlagsgesellschaft mbH Quartier 21,

Museumsplatz 1, E-1.4, 1070 Wien

Tel: +43/1/ 9577528 redaktion@dasbiber.at

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WEBSITE: www.dasbiber.at

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2. HJ 2021:

Druckauflage 85.000 Stück

Verbreitete Auflage 80.700 Stück

Die Offenlegung gemäß §25 MedG ist unter www.dasbiber.at/

impressum abrufbar.

DRUCK: Mediaprint

Erklärung zu gendergerechter Sprache:

In welcher Form bei den Texten gegendert wird, entscheiden

die jeweiligen Autoren und Autorinnen selbst: Somit bleibt die

Authentizität der Texte erhalten - wie immer „mit scharf“.

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In Ivanas WELT berichtet die biber-Redakteurin

Ivana Cucujkić über ihr daily life.

IVANAS WELT

Ivan Minić

WORK-SCHEISS-BALANCE

Wir sind halt nicht in Schweden.

Ich war fort. Und ich habe es am nächsten Tag sofort

bereut. Nicht, weil ich jetzt mit einer erniedrigenden

Saufgeschichte angeben könnte. Dann hätte sich das

ganze wohl noch ausgezahlt. Na, ich hab‘ auch noch

draufgezahlt mit einem nicht einzuholenden Schlafdefizit

und einem Kraftakt, die beide zu nichts in einem

Verhältnis stehen.

EIN BISSCHEN SPASS, LASS SEIN

Nur der Heilige Geist und ich wissen, wie ich es geschafft

habe, in 60 Minuten zur kritischen Bettgehzeit

zwischen Nudelsieb und Lockenstab hin und her zu

hetzen, mit zwei Quängelbengel am Bein meine einzige

Strumpfhose zu retten, einen anständigen Liedstrich

zu ziehen und nach drei Schweißausbrüchen mit

einem solidarischen Taxler am Lenkrad rechtzeitig auf

diesem Event aufzukreuzen, auf dem, wie passend,

Frauen für herausragende Leistungen geehrt werden.

Ich hab‘ meinen Award gleich ausgetrunken. War gut

und beide Nervenzusammenbrüche und die Mini-Ehekrise

am Wickeltisch wert, mich für ein paar Stunden

aus der eigenen Blase abzumelden. Sip, sip, Konfetti!

THOUSAND DINGS TO DO

Zwei Stunden später, zurück in der eigenen Blase, zurück

an den Wickeltisch. Ja, Ivana, da war ja noch ein

Einjähriger, der immer noch seine Drei-Uhr-Flasche

einfordert. Null Problemo, wenn er gleich weiterschlummert

und ich mich mit einer leichten Überdosis

Baldrian und Psychopax zurück in den Tiefschlaf

katapultiere, läuft alles nach Plan. Zumindest bis zum

Frühstück. Mein Leben hab‘ ich ansonsten alles andere

als fest im Griff. Beim unmöglichen Versuch, die

Zügel des Lebens in der Hand zu behalten, also die

To-Do-Liste jeden Tag durchzupeitschen, dabei aufs

Mittagessen zu verzichten, fünfzig Backup-Szenarien

für die Nachmittagsbetreuung zu organisieren, um die

zehn Mal verschobene Deadline endlich einzuhalten,

steigen Körper und Geist meistens nach der zweiten

Zeile der Gutenachtgeschichte vor den Hauptnachrichten

endgültig aus.

IN SCHWEDEN HABEN ELTERN SEX. NEID.

Dieser toxische Masterplan landet aber spätestens

beim Aufblinken der Kindergartennummer auf dem

Handy-Display direkt im Restmüll. Gleich neben dem

fancy Frauen-Magazin, das mir in der Cover-Story echt

verklickern will, irgendwo auf der Welt – Schweden soll

es wieder einmal sein – ist Familie easy peasy entspannt

vereinbar bei vollbezahlter 30-Stunden-Woche,

und Eltern haben sogar manchmal Kraft für Sex.

Ich bin neidisch.

ES BRAUCHT DAS VLAHISCHE DORF, UM EIN

KIND ZU ERZIEHEN.

Und das alles ohne Psychopax und dem Dorf, das es

braucht, um ein Kind zu erziehen, äh, organisieren.

Ohne Beruhigungstropfen ginge ja noch. Aber, wenn

mich die Babas, Dedas und Tanten hängen lassen

und zum Beispiel auf die Idee kommen, Hobbies nachzugehen

oder einfach ihr Leben zu genießen...kalter

Schweiß. Oder für immer fortgehen für das beste

Pensionisten-Jetset-Life à la Gastarbeiter: Ein bisschen

unten, im Winter hier. It’s the end of the world

as I know it. Ja, was mach ich dann? Erpressen? Nach

Schweden ziehen? Zuerst mal Baldrian und expresseinschlafen.

In zwei Stunden ist wieder Fläschchen

dran.

Rosen, Rakija & Kritik an: cucujkic@dasbiber.at, Instagram: @ivanaswelt

8 / MIT SCHARF /


DIE

COMMUNITY

LEBEN.

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Mit der Community nicht nur im Chat treffen, sondern auch in

real life Spaß haben oder einfach nur zusammen chillen.

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„Es ist nicht

nur Putin!“

10 / POLITIKA /


Der Krieg in der Ukraine hinterlässt tiefe Wunden

in der russischen und ukrainischen Diaspora. Über

den Spagat zwischen Schuldzuweisungen und

Machtlosigkeit, Propaganda und Hass berichten

junge JournalistInnen und Betroffene.

Von Nada El-Azar-Chekh, Collagen: Zoe Opratko

© Zoe Opratko

An diesem Donnerstag bin ich früh aufgestanden.

Mein Mann hatte da Geburtstag und ich wollte

die Kerzen anzünden. Das habe ich nicht mehr

geschafft, weil ich dann die ganzen Nachrichten

auf meinem Handy schon gesehen habe“, erinnert sich Juliana

Matusova an den Morgen des 24. Februars. Der Tag, an

dem Russlands Raketen in mehrere Städte in der gesamten

Ukraine einschlugen, hätte für Juliana eigentlich ganz anders

verlaufen sollen. Stattdessen geriet die Welt aus den Fugen.

Einen derartigen Großangriff hatte Juliana, trotz der politischen

Spannungen der vorangegangenen Wochen, nicht

für möglich gehalten. „Ich habe eine Whatsapp-Gruppe mit

meinen Freunden in Kyiv. Eine von ihnen schrieb: Der Krieg

hat begonnen, ich liebe euch sehr.“

Juliana wirkt bei unserem Gespräch in einem Wiener

Café sichtlich mitgenommen von der Situation. Die 32-Jährige

kommt ursprünglich aus der Stadt Winnyzja, die etwa 250

Kilometer entfernt von der ukrainischen

Hauptstadt entfernt liegt. Seit 2013 lebt sie

in Wien und hat nun ihre Mutter und ihre

Großmutter aus der Ukraine bei sich aufgenommen.

„Seit dem ersten Tag haben sie

Heimweh und würden am liebsten wieder

zurück.“ Ihr Vater und ihr 25-jähriger Bruder

sind in ihrem Haus außerhalb von Kyiv

geblieben. Dort ist es im Keller am sichersten.

Viele von Julianas Freundinnen haben

das Land auch nach über einem Monat

der Invasion nicht verlassen. Sie wollen ihr

Leben und ihre Familie nicht zurücklassen,

erklärt die Ukrainerin.

„NICHTS VON ALL DEM

DÜRFTE PASSIEREN!“

„Ich finde es unglaublich, dass dieselben

Menschen, die vor acht Jahren schon aus

der Ostukraine in größere Städte wie Kyiv

und Kharkiv fliehen mussten, jetzt nochmal

fliehen müssen“, sagt Juliana, die in Kyiv

und Wien Journalismus studiert hat. Seit

Ich versuche so

gut wie möglich zu

informieren, wenn ich

Falschmeldungen sehe.

Juliana Matusova

dem 24. Februar hat sie täglich Kontakt mit ihren Liebsten

in der Ukraine, hat an vielen Solidaritätsdemos in Wien

teilgenommen und setzt sich bei verschiedenen Projekten

vor allem für die Sicherheit von Kindern ein. „Man konnte

etwa krebskranke Kinder lange Zeit nicht evakuieren, weil die

Fluchtkorridore und die Spezialtransporte nicht funktioniert

haben. Einige von ihnen haben im Zug noch weiter Infusionen

und andere Behandlungen erhalten. Zwei von ihnen

haben die Reise nicht überstanden. Für solche Kinder war es

schon vorher schlimm genug“, so Juliana, die selbst Mutter

eines kleinen Sohnes ist.

„Wenn zivile Objekte wie ein Theater oder eine Schule

angegriffen werden, spricht man von Kriegsverbrechen. Und

die Angriffe auf andere Ziele sind kein Verbrechen? Wenn

der Flughafen in meiner Stadt bombardiert wird, ist das

okay? Aber wenn ein Wohnhaus getroffen wird, dann nicht?

Diese Unterscheidung zwischen dem, was nach den Regeln

des Kriegs in Ordnung ist und was nicht,

finde ich einfach absurd im 21. Jahrhundert.

Nichts von all dem dürfte passieren!“,

so Juliana. Der Krieg in ihrem Heimatland

hat große Auswirkungen auf ihren Alltag.

Auf Social Media schreibt sie regelmäßig

ihre Gedanken zu dem, was in

Russland als „Spezialoperation“ bezeichnet

wird. „Ich war sonst niemals der Typ

dafür, Kommentare bei Facebook und Co.

zu schreiben und mit Fremden im Internet

zu diskutieren. Aber jetzt versuche ich, so

gut wie möglich zu informieren, wenn ich

Falschmeldungen sehe.“ Als Beispiel nennt

sie das Kinderkrankenhaus in der ostukrainischen

Stadt Mariupol, das von russischen

Raketen zerstört wurde. Im Internet

kursierte das Gerücht, dass es sich bei

den Aufnahmen der in Schutt liegenden

Geburtsstation um einen Fake handeln

würde. Die Wut über die Geschehnisse ist

groß - dementsprechend auch der Hass im

Netz. „Kein Kommentar über die Russen ist

/ POLITIKA / 11


mir zu krass – auch nicht, wenn Leute schreiben, dass man

sie kochen soll. Ist doch klar, warum die Leute gerade so

viel Hass haben.“ Dass viel Propaganda um den Krieg in der

Ukraine kursiert, ist nicht wunderlich für Juliana. Über das

Thema der ukrainischen und russischen Propaganda hat sie

schon ihre Masterarbeit verfasst. Schlussendlich habe ihr das

ganze Wissen darüber nichts genützt, gibt sie trocken zu.

„Ich habe die Situation trotzdem unterschätzt, so wie viele

Experten auch.“

DER EINFLUSS DER

PROPAGANDA AUF DIE

EMOTIONEN IST GROSS.

In der letzten Zeit fällt es hingegen

Ekaterina Astafeva zunehmend schwer,

auf Social Media zu sein. Die russische

Journalistin lebt und arbeitet in Köln und

hat in den letzten Wochen viel Energie

in die Aufklärung über den Krieg in der

Ukraine gesteckt. „Ich folge sehr vielen

Menschen mit ukrainischen Wurzeln, die

extrem negativ über alles Russische schreiben,

den Menschen in Russland etwas

Böses wünschen oder von unserer Kultur

und Literatur absehen wollen.“ Ekaterina

ist dabei durchaus bewusst, dass viele

Dinge im Affekt geschrieben werden. „Da

ist sehr viel Schmerz und Ärger und auch

Trauma drinnen, was ich verstehen kann.

Meiner mentalen Gesundheit tut es nicht

gut, das jeden Tag in so einem Ausmaß zu

lesen. Obwohl einige von meinen ukrainischen

Freundinnen und Freunden mir

Ich verstehe nicht,

wie Leute, die mit mir

verwandt sind, so eine

Ideologie unterstützen

können.

Ekaterina Astafeva

explizit gesagt haben, dass sie mich darunter nicht meinen,

und dass sie für meine Unterstützung dankbar sind, fällt es

mir trotzdem schwer mich davon abzugrenzen. Argumente

wie ‚ihr könntet ja einfach zu den Wahlen gehen und einen

anderen Präsidenten wählen‘ höre ich im Fall von China oder

Nordkorea nicht“, erklärt sie im Zoomgespräch zwischen

Wien und Köln. Auf Instagram und ihrem Telegramkanal

postete sie Informationen auf Deutsch und Russisch, hilft

Menschen, die sich neu in Deutschland orientieren müssen,

so gut es geht, und kämpft mit ihren

Recherchen gegen Fake-News an.

Die gesamte russische Bevölkerung

leidet unter immer repressiveren Zensurgesetzen,

zudem treffen die durch den

Westen verhängten Sanktionen alle russischen

Bürgerinnen und Bürger, unabhängig

von ihrer tatsächlichen Einstellung zum

Präsidenten. Das ist unumstritten. Aber ist

es wirklich Putins Krieg, wie viele Medien

nach Kriegsausbruch titelten? Juliana

Matusova befürwortet die strengen Sanktionen

und vertritt eine klare Meinung: „Man

muss nicht darüber diskutieren, dass Putin

einen sinnlosen Krieg in der Ukraine führt

– aber zu sagen, dass er diesen Krieg für

sich alleine führt, ist falsch. Die Mehrheit

der Russinnen und Russen unterstützen

ihn und seine Politik! Es ist nicht nur

Putin!“ Die 32-Jährige hat es satt, dass

oftmals in der öffentlichen Diskussion um

den Krieg die russische Bevölkerung aus

der Verantwortung genommen wird. „Die

Menschen müssen verstehen, dass, wann

© Sonya Yaroschenko

12 / POLITIKA /


immer sie etwas aus Russland konsumieren, sie mit ihrem

Steuergeld das Töten in der Ukraine weiterfinanzieren.“

Ekaterina Astafeva ist zwischen den Stühlen. Ihre Familie

in Russland unterstützt nämlich Präsident Putin und seine

Politik. Darüber hat sie im Deutschlandfunk offen gesprochen.

„Ich verstehe nicht, wie Leute, die mit mir verwandt

sind, so eine Ideologie unterstützen können.“ Jegliche Versuche

der Diskussion und Aufklärung innerhalb ihrer Familie

waren gescheitert, was dazu führte, dass Ekaterina den

Kontakt auf das Nötigste reduziert hat. Sie erklärt, dass die

Propaganda der russischen Staatsmedien ihre volle Wirkung

entfaltet, indem sie Einfluss auf die Emotionen in der Bevölkerung

nimmt. „Sie verursachen Wut oder Angst und gegen

solche Emotionen kann man nicht mit objektiven Argumenten

ankommen“, so die 26-Jährige.

© ORF/Garik Kocharyan

VERZWEIFELT, WÜTEND, MACHTLOS

Der Krieg in der Ukraine spaltet die russische Gesellschaft

und Diaspora tief. Seit Beginn wurden aberhunderte

Demonstranten in den Großstädten Russlands

festgenommen, die sich klar mit der Ukraine solidarisieren

wollten. Putins Politik hat über die letzten zwanzig Jahre

die Meinungsfreiheit mit strengen Zensurgesetzen und

Repressionen reglementiert, was nicht nur die Arbeit von

Journalistinnen und Journalisten aus dem In- und Ausland

stark einschränkt, sondern auch jegliche Formen von Protest

und Kritik in der Bevölkerung verhindern

soll. Über die Geschehnisse im Nachbarland

Ukraine mit Begriffen wie „Invasion“

und „Krieg“ zu sprechen, kann mit einer

Geldstrafe geahndet werden, oder sogar

in einer bis zu 15 Jahre langen Haftstrafe

enden.

Es häufen sich unzählige Fälle aus

Russland, bei denen Demonstranten sogar

mit leeren Plakaten auf den Straßen festgenommen

werden. „Es wurde beispielsweise

ein Mann festgenommen, der ein Schild

mit der Aufschrift ‚Der Faschismus kommt

nicht durch‘ gehalten hatte“, berichtet Ekaterina.

In den Augen der Behörden hat er

Viele können nicht

wahrhaben, dass ihr Land

so großflächig gegen das

Nachbarland kämpft.

“ Paul Krisai

mit dieser Aktion das neue Gesetz gegen

die Diskreditierung der russischen Armee

gebrochen. Die angeheizte politische Lage

führt im Land ebenfalls zu einer neuen

Kultur der Denunziation, die sogar im Kreis

der Familie stattfinden kann. „All diejenigen,

die kein Geld für die Ausreise haben

oder ihre Familien nicht zurücklassen wollen,

sind verzweifelt, wütend und fühlen sich machtlos“, so

Ekaterina. Diese Gefühle empfindet die 26-Jährige in Bezug

auf den Krieg auch. Eigentlich wollte sie diesen Sommer

einen Urlaub in Russland machen und ihre Familie besuchen.

Doch unter den aktuellen Umständen und

unter der aktuellen Regierung will sie nicht

in ihr Heimatland zurück. Gerade wegen

ihrer kritischen, journalistischen Arbeit in

Deutschland ist sie davon überzeugt, in

Russland ohnehin nicht gern gesehen zu

sein. Die studierte Germanistin absolvierte

die deutsche Journalistenschule, ist Producerin

beim Format „Reporter“ und schreibt

für diverse Medien wie die Süddeutsche

und die ZEIT. „Ich kann mir gut vorstellen,

dass ich nie wieder ausreisen darf, sollte

ich einmal einreisen.“

KEINE ZUKUNFT MEHR IN

RUSSLAND?

Laut unabhängigen Umfragen sollen

mindestens zwei Drittel der russischen

Bevölkerung hinter Putin und seiner Politik

stehen. Für Ekaterina Astafeva hat diese

überwältigende Unterstützung weniger

mit dem allgemeinen Bildungsstand der

Menschen in Russland zu tun, als mit ihrer

/ POLITIKA / 13


politischen Bildung. „Die Menschen haben niemals gelernt,

sich kritisch mit Politik auseinanderzusetzen. So etwas wird

weder an den Schulen in Russland unterrichtet, noch an den

Universitäten zugelassen. Auch meine Eltern wissen überhaupt

nicht, wie man Fake-News erkennt oder Quellen richtig

checkt. Sie verstehen nicht, dass eine Regierung eigentlich

die Interessen des Volkes vertreten sollte und nicht umgekehrt.“

Die grundlegenden Ideen einer Demokratie konnten

sich historisch in Russland kaum entfalten – nicht im Zarenreich,

nicht in der Sowjetunion und auch nicht nach deren

Zerfall. Es herrscht eine Art Scheindemokratie, in der die

Bevölkerung nicht souverän entscheiden kann, selbst wenn

sie es wollte.

Mit diesem schwierigen Muster könnte aber nun die junge

Gesellschaft in Russland brechen. „Die meisten, vor allem

junge Menschen, sind aufgeklärt, informieren sich über das

Internet und haben eine Ahnung, was in der Ukraine tatsächlich

los ist. Sie wissen also, dass das Ganze

mehr ist als eine auf den Donbas begrenzte

‚Friedensmission‘, wie das in der Staatspropaganda

dargestellt wird“, erklärt Paul

Krisai. Seit Oktober 2021 leitet der gebürtige

Mödlinger das ORF-Büro in Moskau.

„Es gibt allerdings auch genug Menschen,

die durchaus von der ‚Spezialoperation‘

überzeugt sind und denken, dass Russland

hier als Friedenstifter agiert und vor allem

Die Ukraine wird nicht

als eigenständiger

Staat mit eigener

Sprache und Kultur

gesehen.

14 / POLITIKA /

der Westen an diesem Krieg schuld ist.“ Die Stimmung in

Russland lässt sich schwer zusammenfassen, da sich viele

Menschen nicht trauen würden, ihre echte Meinung zu

sagen. „Immer mehr Leute kapseln sich von der Politik ab

und können nicht wahrhaben, dass ihr Land so großflächig

gegen das Nachbarland kämpft und können schwer akzeptieren,

dass Russland diese Geschehnisse auch begonnen

hat. In der heimischen Propaganda wird das militärische

Einschreiten in die Ukraine als Sicherheitsmaßnahme vermittelt“,

so der Korrespondent. Auch er kennt in seinem

Umfeld viele Menschen, die Russland aufgrund des Krieges

verlassen haben. Medienberichten zufolge sind bereits mehr

als 200.000 Bürgerinnen und Bürger ausgewandert – viele

von ihnen mit guten Qualifikationen. „Alle, die es sich leisten

können, talentiert und ausgebildet und vielleicht mehrsprachig

sind, haben Russland verlassen, weil sie hier einfach

keine Zukunft mehr sehen. Selbst, wenn die Kampfhandlungen

morgen aufhören und die Truppen abgezogen werden

– die meisten Experten sind sich einig, dass Putin mit dieser

Aktion sein Land um Jahrzehnte zurückgeworfen hat“, so

Paul Krisai.

Die Grenzen bleiben bislang offen, direkte Verbindungen

zwischen Russland und Europa gibt es aber momentan

keine. Die Auswanderer weichen deshalb über die Türkei,

Dubai oder Kairo aus. Persönlich möchte Paul aber vorerst

in Russland bleiben und von dort aus weiterberichten,

so gut es geht. „Man gewöhnt sich erstaunlicherweise an

Vieles schnell, was nicht bedeutet, dass man die Umstände

gutheißt. Wir haben alle ein paar Tage gebraucht, um zu verstehen,

wie wir unter den Umständen der Zensur weiterarbeiten

können. Wir erhalten einerseits die Arbeit von Moskau

aus aufrecht, überlassen aber die Berichterstattung über

das militärische Geschehen den Kollegen und Kolleginnen

in Wien und der Ukraine. Beim Publikum bleibt so die volle

Berichterstattung erhalten“, versichert er.

Auf ihrem persönlichen Telegramkanal reflektiert Ekaterina

Astafeva in ihrer Muttersprache Russisch auch über

Themen wie Kolonialismus und Rassismus, und inwiefern

diese Aspekte den Konflikt in der Ukraine beeinflussen. „Es

ist nur wenigen Menschen überhaupt bewusst, wie sehr das

heutige Russland durch seinen Kolonialismus geprägt ist. Im

Geschichtsunterricht in der Schule wurde uns gelehrt, dass

das russische Volk heroisch den Völkern in Sibirien Zivilisation

und Wissen gebracht hat, und, wie die russische Sprache

uns alle eint. Von klein auf lernt man dieses Bild“, so Astafeva.

Die Idee, dass das ethnisch russische Volk das einzig

„richtige“ ist, hat in ihren Augen die Beleidigung und Diskriminierung

von Menschen aus dem Nahen

Osten und Zentralasien zur Folge. Aufgewachsen

ist Ekaterina in Chelyabinsk, das

in der Nähe von Kasachstan liegt. „Ich

habe mich lange Zeit nicht gefragt, warum

alle Kasachen Russisch sprechen müssen,

wenn sie doch ihre eigene Sprache haben.

Diese imperialistischen Ansätze finden

sich auch in der aktuellen Propaganda

der russischen Staatsmedien wieder.


Die Ukraine wird nicht als eigenständiger Staat mit eigener

Sprache und Kultur gesehen, sondern als Teil der ehemaligen

Sowjetunion, am Rande des ehemaligen russischen Reiches.

Dass das so nicht stimmt, müssen Leute in Russland leider

noch lernen“, erklärt die Journalistin.

HUNDEKOT AUF DER

RUSSISCHEN FAHNE

Etwa 11 Millionen Russinnen und Russen haben enge

Verwandte in der Ukraine. So auch die in Wien geborene

Studentin und Halb-Russin Maria. Die 27-Jährige, die eigentlich

anders heißt, hat seit einem Jahr einen ukrainischen

Mitbewohner namens Dima. „Als er bei mir eingezogen ist,

fand meine russische Mama das noch super, damit ich die

Sprache mit ihm besser üben konnte. Wir haben uns gut

verstanden“, erinnert sich Maria. Kurz vor dem russischen

Großangriff reiste Dima mit seinem Vater nach Ägypten – aus

dem Urlaub ging es für die beiden Männer dann direkt in

die Wiener WG zurück. Maria verschweigt ihrer Mutter, dass

Dimas Vater mit ihm in seinem WG-Zimmer lebt. „Obwohl

wir Familie in der Ukraine haben, ist meine Mutter streng

dagegen, dass wir Leute bei uns aufnehmen. Obwohl es ein

Gästezimmer im Haus meiner Eltern gibt!“, berichtet Maria

bei einem Treffen im Wiener Resselpark. Dimas Vater findet

das „typisch russisch“ – eine Aussage, die Maria persönlich

ein bisschen kränkt. Ihre Cousine, die in Kyiv lebt, hat

eine T-Shirt-Aktion gestartet, bei der Geld für die Ukraine

gesammelt wird. „Sie hat verschiedene Motive verkauft und

mich gebeten, auf meinem Insta-Profil darauf aufmerksam

zu machen.“ Eines der Motive war ein Hund, der ein Häufchen

auf die russische Fahne legt. „Das mit der Kacke ging

mir persönlich zu weit und ich wollte die Aktion nicht mehr

unterstützen. Erst, als meine Cousine das Shirt auf der Webseite

entfernte, hab‘ ich die Aktion unterstützt. Meine Mutter

und meine anderen russischen Verwandten habe ich dafür

aber kurzzeitig blockieren müssen.“

Gemeinsam mit Dima und seinem Vater hat Maria auch

schon bei einer Ukraine-Demo am Ring teilgenommen. „Die

beiden waren überrascht, wie normal und friedlich wir in

Wien demonstrieren können. Sie waren anfangs misstrauisch.“

Die Skepsis verflog und schnell grölten die Männer

Parolen wie „Tod den Feinden!“ auf Russisch mit. Für Maria

ein moralisches Dilemma. „Ich habe mich wirklich nicht

wohlgefühlt, dass auf so einer Demo Menschen anderen den

Tod wünschen. Ist das nicht genau das, was wir eigentlich

beenden wollen? Wie ist das besser, als der Hass auf der

anderen Seite?“, wirft sie auf. In diesem Moment tritt eine

junge Mutter an uns heran, die in gebrochenem Englisch

nach dem Weg fragt. Instinktiv erklärt Maria auf Russisch,

dass man zu Fuß am besten ans Ziel kommt. Die Frau atmet

erleichtert auf, bedankte sich und zieht ihrer Wege. „Keine

Ahnung, ob ich meiner Mutter jemals erzählen werde, dass

Dimas Vater bei mir ist. Es ist die Diskussion wahrscheinlich

nicht wert.“ ●

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Drei Menschen, drei Geschichten, ein Krieg. Die Journalist Innen

Nedad Memić, Amar Rajković und Olivera Stajić (v.l.n.r.) erinnern

sich an den Tag, der ihr Leben für immer verändern sollte.

ALS DER KRIEG BEGANN

„Weil du nicht

weißt, wie es ist,

eine Stadt zu

töten.“ *

Am 5. April 1992 konnten meine

Familie und ich nicht ahnen, dass

uns die schlimmsten 1.425 Tage

unseres Lebens bevorstehen.

Von Nedad Memić

„Das ist die unnötigste Erfahrung, die du

in deinem Leben gemacht hast“, sagte

mir einmal eine österreichische Freundin,

nachdem ich ihr vom Krieg im belagerten

Sarajevo erzählt hatte. Lange hat mich

diese Aussage nachdenklich gemacht:

Ein Krieg ist tatsächlich die unnötigste

und schlimmste Erfahrung, die einem

Teenager widerfahren kann. Aus der

Jugendzeit entrissen, unter ständiger

Angst vor Granaten und Scharfschützen,

ohne nötigste Nahrungsmittel,

Strom, Heizung, Wasser. Ausharren in

einer belagerten und ununterbrochen

beschossenen Stadt. Die Erfahrung, die

Abertausende auch in diesem Moment,

in dem ich den Kommentar schreibe, in

der Welt durchmachen müssen.

Davon habe ich am 5. April 1992,

dem Beginn der Belagerung von Sarajevo,

nichts gewusst. Ich war gerade 15

geworden und sollte in jenem Sommer

mit der Unterstufe fertig sein. Ein guter

Schüler war ich, trotzdem ein Außenseiter.

Meine Eltern gehörten nicht zu

den reichsten meiner Klasse – und wer

keine neuen Nike-Sneakers hatte oder

kein Basketball spielte, der war nicht cool

© Maria von Usslar/Der Standard, Zoe Opratko, privat

16 / POLITIKA /


genug. Mädchen in der Klasse hörten die

New Kids On The Block und gaben uns

jede Woche neue Stammbücher, in die

wir Lieblingssongs, -essen, -musik und

Wasweißichnoch eintragen mussten.

IN SARAJEVO WIRD ES DOCH

KEINEN KRIEG GEBEN

Parallel zu unserem sorglosen Schulalltag

hörten wir unsere Eltern, die immer öfter

von einem Krieg sprachen. „Und selbst

wenn es einen gibt!“, rief mein betagter

über 80-jähriger Opa trotzig. Meine

Mutter und Tanten schauten ihn schräg

an. Den Beginn des Krieges erlebte er

tatsächlich nicht mehr. Er starb am 29.

Februar, am Vorabend des Referendums

für die Unabhängigkeit Bosnien-

Herzegowinas. Zu seinem Begräbnis

konnten wir nicht fahren, weil die Stadt

von serbischen Paramilitärs blockiert

wurde. Immer noch wollten wir alle nicht

glauben, dass es in Sarajevo zu einem

Krieg kommen konnte. In den Monaten

davor sahen wir schreckliche Bilder aus

Kroatien. Damals dachte ich, der Krieg

könne ja vielleicht irgendwo in der Provinz

oder in kleineren Städten in Bosnien

ausbrechen. Aber in Sarajevo? Das ist

doch unmöglich, bei uns ist jede Stiege,

jedes Mehrfamilienhaus multiethnisch.

Es können doch nicht die Bewohner des

ersten gegen die Bewohner des zweiten

oder dritten Stocks Krieg führen!

In all diesen naiven Hoffnungen und

Überlegungen sahen wir nicht, dass

einige Bewohner*innen Sarajevos sehr

wohl wussten, dass es zu einem Krieg

kommen würde. Wir sahen nicht, dass

die Jugoslawische Volksarmee schon

längst Stellungen auf den Bergen um

Sarajevo herum bezogen hatte. Auch als

in der Stadt bereits geschossen wurde,

dachten wir, dass der Spuk binnen 48

Stunden wieder aufhören würde.

Mehr als 40.000 Menschen, die sich

an diesem schicksalhaften 5. April 1992

in Sarajevo versammelt hatten, dachten

das Gleiche. Sie trugen Bilder von Josip

Broz Tito, wollten im besetzten Parlamentsgebäude

von Bosnien-Herzegowina

eine neue „Volksvertretung“ wählen

und die drei nationalistischen Parteien

entmachten. Ein hoffnungsloser und

verzweifelter Versuch, den Frieden doch

noch zu bewahren. Doch auf den Bergen

ums Parlament und im Hotel Holiday Inn

vis-a-vis des Regierungsviertels lauerten

serbische Scharfschützen. Suada

Dilberović, eine 24-jährige Studentin, und

Olga Sučić, eine 34-jährige Angestellte,

wurden an diesem Tag niedergeschossen.

Heute gelten sie als erste zivile

Opfer der Belagerung.

DIE SEHNSUCHT NACH

SCHOKOLADE

Parallel zu den dramatischen Ereignissen

im Parlament schlossen die Jugoslawische

Volksarmee, mittlerweile

völlig unter der Kontrolle des Milošević-

Regimes, und serbische Paramilitärs

den Belagerungsring um die Hauptstadt.

Am Abend des 5. April saßen wir in der

Der Autor im Juni 1996. Das Foto wurde

zur Matura geschossen, rund vier Monate

nach dem Ende der Belagerung von

Sarajevo.

Küche und hörten Explosionen von draußen.

Mein älterer Bruder und ich gingen

ins Wohnzimmer. Aus der Dunkelheit der

Wohnung schauten wir über die Altstadt

von Sarajevo. Leuchtgranaten flitzten

über den Nachthimmel. „Es ist Krieg“,

sagte mein Bruder. Seine Worte, das

vorsichtige Aufziehen des Vorhangs in

dieser dunklen Nacht, beendeten meine

sorglose Jugendzeit für immer.

Die nächsten dreieinhalb Jahre

meines Lebens sind aus heutiger Perspektive

mit punktuellen, aber frischen

Erinnerungen verbunden. Eine Granate,

deren Detonation mich die Stiege

hinunter schubst. Eine Kugel, die das

Gesims meines Küchenfensters trifft,

nur ein paar Sekunden, nachdem ich

dort gestanden war. Der Geruch des

schimmeligen Kellers und mein Vater,

der dort im Dunkel sitzt und jede Stunde

Nachrichten auf einem kleinen, batteriebetriebenen

Radio hört. Die unermessliche

Freude, wenn du nach 40 oder

50 Tagen Strom bekommst und den

Fernseher einschaltest, und die grenzenlose

Traurigkeit, wenn der Strom wieder

nach ein paar Minuten ausfällt, weil das

Netz überlastet ist. Die unbeschreibliche

Angst, wenn du mit Wasserkanistern

mitten auf der Straße stehst, und Granaten

schlagen in der Nähe ein. Millionen

von angebrannten Buchseiten, die nach

dem Brand der Nationalbibliothek in der

Luft fliegen und in deinen Hof fallen. Die

Hoffnung, wenn man von Scharfschützen

getroffen wird, sofort zu sterben, anstatt

wie ein Krüppel auszusehen. Die Sorge

deiner Mutter, wenn die beiden älteren

Brüder wochenlang an der Frontlinie sind

und sich nicht melden können. Deine

eigenen Sorgen, vor allem saubere

Unterwäsche am Körper zu tragen, falls

man verwundet und im Spital behandelt

wird. Was sollen dann bloß die Ärzte

sagen? Eier, Kartoffeln, Fleisch, Gemüse,

Schokolade, die du monate- und

jahrelang nicht gesehen, geschweige

denn gegessen hast. Alle Menschen rund

um dich herum, die 20 oder mehr Kilo

verloren haben. Ungewissheit, Hoffnungslosigkeit

und Tod, mit denen du

jeden Tag aufwachst und schlafen gehst.

Aber auch Widerstand, Mut und Stolz,

weil du weißt, dass du nie so sein wirst

wie diejenigen, die dich und deine Stadt

töten wollen.

* Vers des serbischen und jugoslawischen

Liedermachers Đorđe Balašević (aus dem Lied

„Slovenska“)

Nedad Memić, 45, ist Kommunikationsberater

in Wien

/ POLITIKA / 17


Ein Wochenende,

das 30 Jahre

andauert.

Es war ein trügerischer Sommer.

Während meine Heimatstadt

zerbombt wurde, lebten wir 100

Kilometer weiter an der kroatischen

Küste wie die griechischen

Götter. Bis wir eines Tages aus

der Illusion gerissen wurden.

Von Amar Rajković

„Oh mein Gott, es ist Krieg!“ Meine

Zeichenlehrerin in der vierten Klasse

schrie plötzlich auf und musste sich

am Heizkörper festhalten. So

massiv war die Explosion, die

meine Heimatstadt Mostar am

Freitag, 3 April 1992 erschütterte.

Die Worte der erst

kürzlich aus Split gekommenen

und mir durch ihren dalmatinischen

Akzent in Erinnerung

gebliebenen Lehrerin läuteten

einen neuen Lebensabschnitt

für mich und meine Familie

ein. Nur wusste ich das damals

noch nicht. Als wir vom Unterricht

entlassen wurden, dachte

ich nicht an Krieg. Nein, ich

dachte an Kriegsspiele. Im

Computerladen gegenüber der

„Deseta Osnovna Škola“ (Schule

Nr. 10 in Mostar) war - wie

fast überall in der Stadt – das Glas der

Schaufenster zerborsten. Dahinter verbargen

sich Klassiker wie „Golden Axe“

oder „Prince of Persia“. Ich versuchte,

das allgemeine Chaos auszunutzen und

mir ein, zwei Spielchen zu stibitzen. Als

ich gerade zur Diskette griff, hörte ich

meine Mutter. „Amare!“, schrie sie mich

an. „Steig ins Auto ein.“ Ich fragte meine

noch immer unentspannt wirkende Mutter

nach unserem Reiseziel. „Wir fahren

ans Meer, übers Wochenende“, ließ

sie mich wissen. Ich spürte an ihr, dass

irgendwas nicht stimmt.

Die folgenden fünf Monate waren

die schönste Zeit meines Lebens. Wir

wohnten südlich von Split, in einer

kleinen Pension einen Steinwurf von der

Adria entfernt. Nein, das ist nicht bloß

eine Redensart. Ich sammelte Steine

vom Strand und warf sie direkt vom

Balkon ins blaue Meer. Neben meiner

Mutter, Bruder und mir wohnte meine

Tante mit ihrem Sohn (er ist so etwas

wie mein zweiter Bruder, der mich, seit

wir uns kennen, immer zu schlimmen

Dingen überredet), eine befreundete

Familie aus Mostar mit zwei coolen

Jungs, die etwas älter als ich waren, und

damals für mich ultralässige T-Shirts von

„Iron Maiden“ und „Slayer“ trugen. Wir

lebten wie Götter. Jeden Tag Fisch und

Muscheln essen, die Kinder zogen den

ganzen Sommer über bloßfüßig durch

das verschlafene Örtchen und kletterten

auf Bäume, kaperten alte Fischkutter, um

dann von den in die Jahre gekommenen

Besitzern verjagt zu werden. Schule gab

Die Flüchtlingsfamilie auf dem „Chateâu fort de Lourdes“

(Mama, Bruder, Autor - v.l.n.r.)

es keine und an Krieg erinnerten uns nur

die Bilder aus dem Fernsehen und die

Erzählungen meines Vaters, der uns alle

paar Wochen besuchte.

ES WIRD NICHTS SEIN, WIE ES

MAL WAR

Mit meinen knapp zwölf Jahren begriff

ich noch recht wenig. Ich wusste nicht,

was Krieg ist. Ich konnte ihn nicht in

seiner Komplexität fassen. Erst als meine

Eltern entschieden, dass wir nach Frankreich

flüchten sollten, endete das Idyll

am Meer, das wir so sehr in den letzten

fünf Monaten genossen hatten. Wir

versammelten uns in Split. Von dort aus

sollten uns Fähren in den darauffolgenden

Tagen nach Ancona (Italien) bringen.

Der Anblick von Menschen, die nur mit

einem Plastiksackerl fliehen konnten,

erschütterte mich. In Split schliefen

wir in einer riesigen Turnhalle plötzlich

auf Matten, aßen Gulaschsuppe statt

Muscheln, bekamen Läuse und starrten

durch die große Glaswand, an deren

anderem Ende die Wasserballer des örtlichen

Vereins ihr Training absolvierten.

Ich fühlte mich richtig elend. Wie es wohl

meiner Mutter dabei ergangen ist? Oder

meinem Vater, von dem wir danach ein

halbes Jahr nichts hörten, weil in Mostar

der Krieg eskalierte und in den nächsten

drei Jahren mehr als 10.000 Menschen

das Leben kostete? Jahre später erzählte

man mir von einem Klassenkameraden,

der am Fahrrad von einem Scharfschützen

erschossen wurde. Ich kann mich an

seinen Namen erinnern. Ja selbst an sein

markantes Gesicht und das

dazugehörige unverkennbare

Lächeln sind noch genau in

meiner Erinnerung. Als hätten

wir noch gestern Schabernack

im Schulhof getrieben.

30 Jahre später merke

ich, dass die Flucht und ja,

sogar der urlaubsanmutende

Aufenthalt im südlichen

Dalmatien, tiefe Wunden in

meine Erinnerung eingebrannt

haben. Wenn ich die Bilder der

Autokolonne sehe, die sich

wie eine ewig lange Blechschlange

ihren Weg raus aus

Kiew bannt, sehe ich uns vor

30 Jahren meine Heimatstadt

verlassen. Wir haben damals

alles zurückgelassen. Unsere Wohnung,

das Landhaus, die Freunde, die Erinnerungen,

die Gerüche, meine Kindheit.

Es wird nichts so sein, wie es einmal

war. - Ein Satz, der selten so treffend war

wie jetzt.

Und ein Wochenende, das nach 30

Jahren noch immer andauert.

In Gedenken an alle Opfer des Krieges

in Ex-Jugoslawien, sowie alle Menschen,

die von der Ukraine bis Yemen unter dem

Krieg leiden.

Amar Rajković, 40, ist stellv.

Chefredakteur von „biber“

18 / POLITIKA /


Im Fernsehen

lief nichts mehr

außer Krieg

Obwohl ich meine Heimat

verloren habe, habe ich Glück

gehabt, den Krieg unbeschadet

zu überleben. Das können Hunderttausende

Menschen in Ex-

Jugoslawien nicht behaupten.

Von Olivera Stajić

Es gibt eine Zeit vor und nach 1992. Diese

Zäsur teile ich wohl mit den meisten

Menschen aus Bosnien und Herzegowina.

Das Kriegsjahr teilt das Leben, unabhängig

davon, wo und wie wir

es erlebt haben, immer noch

in ein Davor und ein Danach.

Das ist allerdings eine der

wenigen Gemeinsamkeiten,

die ich mit meinen ehemaligen

Landsleuten teile. Denn zum

Unterschied zu vielen anderen

hatte ich das große Glück,

dass ich nur wenige Wochen

nach Kriegsbeginn das Land

verlassen konnte.

Am 6. April 1992 hieß

es: „Ab morgen gibt es keine

Schule mehr!“ Zwischen dem

Dorf, in dem ich lebte, und

dem Dorf, in dem ich die

7. Klasse der Grundschule

besuchte, waren Barrikaden

aufgestellt worden. Es gab ab jetzt ein

„drüben“ und ein „hier“, ein „sie“ und

ein „wir“. Diese ersten Apriltage 1992

sind in meiner Erinnerung frühlingshaft

warm und gespenstisch unbeschwert,

weil schulfrei. Fieberhafte Euphorie des

Ausnahmezustands.

Ich erinnere mich, dass dann sehr

bald das Telefon tot war, und ich nicht

mehr meine Eltern in Wien anrufen

konnte und auch keine Anrufe von Ihnen

mehr kamen. Das Abheben und Wählen

mit der trägen Wählscheibe und

der dumpfe Besetztton verfolgen mich

bis heute noch in den Träumen: keine

Verbindung.

In der Ferne hörte ich bis dato unbekannte

Geräusche: Granateneinschläge.

Irgendwann kamen die Einschläge näher,

wurden lauter und eindeutiger. Meine

Großeltern und meine Tante schauten

immer besorgter. Im Fernsehen lief

nichts mehr außer Krieg.

Autorin (Mitte) umgeben von ihren beiden Schwestern in der

Nähe von nordbosnischem Doboj.

HAUPTSACHE, DIE KINDER

SIND IN SICHERHEIT

Meine Mutter hatte inzwischen versucht,

aus Wien nach Bosnien zu gelangen, um

mich und meine zwei jüngeren Schwestern

abzuholen. Beim dritten Versuch

gelang es ihr, über mühsame Umwege

und nach mehreren Tagen tatsächlich

anzukommen. Die Überraschung war

groß, ich spürte keine Erleichterung,

weil ich wusste, jetzt kommt: der große

Abschied. Meine Familie, meine Großeltern

und die Tante, Menschen, die mich

großgezogen haben, würden hierbleiben.

Sie wollten auf keinen Fall weg, sie

glaubten noch immer, dass alles vorübergehend

wäre - Hauptsache die Kinder

sind in Sicherheit, bis es wieder ruhig ist.

Morgen geht’s also nach Wien. Meine

Mutter weiß, es gibt einen Bus, den

müssen wir morgen erwischen und dann

schauen wir weiter. Ich ging in mein

Zimmer, und das Wenige, das ich besaß,

erschien mir auf einmal essenziell, aber

auch gleichzeitig absolut bedeutungslos.

Ich packte ein paar Musikkassetten

zusammen, Briefe, die ich von meinen

Brieffreundinnen aus ganz Jugoslawien

erhalten hatte, ein paar Fotos, die Lieblingsleggins.

Die nächste Szene, an die ich mich

erinnere, ist ein in Grund und Boden

niedergebranntes Dorf, das an meinem

Autobusfenster vorbeizieht. Ein großes

Pferd streift in den rauchenden Ruinen

herum. Mein furchtloses und vorlautes

13-jähriges Ich sagt laut: „Was ist hier

passiert?“ Ein alter Mann, ein paar Sitze

weiter, deutete mir zu schweigen.

Die nächste Erinnerung sind lange

und angespannte Tage in einem übervollen

Hotel in Banja Luka. Wir warteten mit

unzähligen anderen darauf, dass uns ein

Flugzeug außer Landes bringt. Irgendwann

bekamen wir Plätze im Flugzeug

und den ersten Flug meines Lebens verbrachte

ich stehend. Anfang Mai empfing

uns mein Vater am Südbahnhof. Mein

Leben in Wien begann.

Die ersten Jahre in Wien waren

geprägt von Tränen, Trauer, Angst und

ganz viel schlechtem Gewissen. Ich

hatte es besser als meine

Schulkameraden, als meine

Gleichaltrigen, als meine Familie,

die in Angst lebte. In meiner

Familie gab es nur wenige

Tote. Ich habe keine Gräueltaten

gesehen. Ich musste nicht

Monate und Jahre lang um

mein Leben fürchten.

Um das schlechte Gewissen

auszugleichen, machte ich

das Beste aus meiner Situation.

Ich streberte Deutsch,

Englisch, ich streberte mich

zur Matura und durch das

Studium. Irgendwann landete

ich sogar in meinem Wunschberuf.

Nicht schlecht für die

Tochter von Bäuer:innen und

Arbeiter:innen.

1992 habe ich eine Familie, eine

Heimat und den unschuldigen Blick

eines Kindes auf die Welt verloren. Und

trotzdem würde ich 30 Jahre später auch

noch immer sagen, dass ich eine Kriegsgewinnerin

bin. Ich habe meine Heimat

verloren, hatte aber das Glück, den Krieg

unbeschadet zu überleben. Das ist mehr

Glück, als hunderttausende Menschen in

Ex-Jugoslawien hatten.

Olivera Stajić, 42, Ressortleiterin bei

der Tageszeitung „Der Standard“

/ POLITIKA / 19


20 / POLITIKA /


WENN JUNGE

MÄNNER IN FREMDE

KRIEGE ZIEHEN

Sie wollen im „Kampf gegen das Böse für eine gute Sache sterben.“

Junge Männer aus aller Welt, darunter auch aus Wien, brechen auf,

um in der Ukraine als Foreign Fighter zu kämpfen. Zwischen Abenteuerlust

und Solidarität ist ihnen nicht bewusst, wie ernst der Kriegsalltag

ist. Selbst erfahrene Soldaten stoßen an der Front an ihre

Grenzen – oder kehren nicht mehr zurück.

Von Aleksandra Tulej, Illustrationen: Aliaa Abou Khaddour

Wir wollten in der Ukraine gegen die

Russen kämpfen für das, was sie

meinem Volk angetan haben“, erzählt

Imran * entschlossen. „Außerdem ist

in den Medien eh alles fake und wir

wollten selber sehen, wie es dort wirklich ausschaut.“ Imran

ist Anfang Zwanzig, lebt schon sein Leben lang in Wien und

stammt ursprünglich aus Tschetschenien. Imran und sein

Freund haben sich kurz nach Kriegsausbruch in Wien ins

Auto gesetzt und sind zur ungarisch-ukrainischen Grenze

gefahren. Die beiden hatten keine Ausrüstung dabei und

keinen konkreten Plan, wie sie ihr Vorhaben angehen sollten.

Den Eltern hatten sie von ihrer Reise nicht erzählt. Bloß eine

Jogginghose und ein paar Snacks hatten sie mit im Gepäck.

Mehr war laut Imrans Einschätzung auch nicht notwendig:

„Wir sind eh mit dem Wissen oder eben der Vorstellung

hingefahren, dass wir dort früher oder später sterben“, sagt

er emotionslos. „Ich dachte mir, wenn wir bei der Grenze

ankommen, werden uns die Grenzsoldaten an jemanden

vermitteln, der uns dann alles zeigt, uns Ausrüstung gibt und

uns trainiert.“ Doch die Vorstellung der jungen Männer, mit

offenen Armen in der Ukraine empfangen zu werden, wurde

schnell zunichte gemacht.

Imran und sein Freund wollten als Foreign Fighter in der

Ukraine gegen Russland kämpfen. Foreign Fighter, also inter-

nationale Söldner, sind Freiwillige, die für ein anderes Land in

den Krieg ziehen – ergo nicht die Staatsbürgerschaft dieses

Landes besitzen.

Laut Angaben der ukrainischen Regierung zählt die Ende

Februar aufgestellte internationale Legion der Territorialverteidigung

der Ukraine rund 20.000 Mitglieder, wobei sich die

Angaben nicht genau überprüfen lassen. Laut BMEIA haben

sich eine „Hand voll Österreicher:innen hinsichtlich einer

möglichen Beteiligung an Kampfhandlungen in der Ukraine

gemeldet.“ Diese Personen wurden dann laut dem Außenministerium

ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ihnen die

Staatsbürgerschaft entzogen werden kann, sollten sie sich

den Kampfhandlungen der ukrainischen Armee anschließen.

„Dies gilt auch für österreichische Staatsbürger:innen, die

freiwillig für eine organisierte bewaffnete Gruppe aktiv an

Kampfhandlungen im Ausland im Rahmen eines bewaffneten

„Wir haben keine Zeit, um

Anfänger einzuschulen!“

/ POLITIKA / 21


Zwischen Heldentum und Naivität:

Unerfahrene junge Männer

überschätzen die Lage oft komplett

22 / POLITIKA /


„Meine Familie hat mich

als Nazi bezeichnet.“

Konfliktes teilnehmen, wenn sie dadurch nicht staatenlos

werden“ heißt es. Laut offiziellen Angaben kämpfen gerade

keine österreichischen Staatsbürger:innen in der Ukraine –

aber das BMEIA hat keine Informationen darüber, was die

kampfwilligen Österreicher:innen getan haben, nachdem sie

abgewiesen worden waren.

KEINE KAMPFERFAHRUNG,

KEINE CHANCE

Der Verteidigungs-Attaché der Ukraine in Österreich gibt keine

Angaben zu der Anzahl an Anfragen weiter. „Wir arbeiten

nicht mit Legionären“, heißt es am Telefon.

Doch wie sieht es auf internationaler Ebene aus? Auf der

Seite fightforua.org, die vom ukrainischen Außenministerium

geführt wird, finden Interessierte die nötigen Infos. „Join the

Brave! Join the Legion and help us defend Ukraine, Europe

and the whole world!“, liest man dort. Hier werden auch

Informationen zum Aufnahmeprozess sowie Kontakt-Telefonnummern

für 60 Länder angeführt, darunter auch eine für

Österreich.

Ich bitte einen Freund darum, dort anzurufen. Natürlich

nicht unter seinem echten Namen. Er wählt die Nummer,

nach längerer Zeit hebt jemand ab. Er gibt sich als der

27-jährige Kristjan aus, der als österreichischer Staatsbürger

für die Ukraine kämpfen will. Die Stimme am Telefon

nuschelt etwas auf Ukrainisch, dann wird er gefragt, ob er

denn Kampferfahrung hat. „Nein, aber ich möchte kämpfen

und dem ukrainischen Volk helfen“, sagt ‚Kristjan‘. „Wir

brauchen nur Menschen mit viel Erfahrung, wie ehemalige

Soldaten. Wir haben keine Zeit, um militärische Anfänger

einzuschulen“, bekommt er zu hören. „Ich spreche mehrere

Sprachen und kann schnell laufen“, versucht ‚Kristjan‘ es

weiter. „Wir haben keine Verwendung dafür, aber danke für

die Unterstützung. Ich schreibe mir Ihre Nummer auf und wir

werden Sie anrufen, wenn wir Verwendung für Sie haben.“

ALS RUSSE FÜR DIE UKRAINE KÄMPFEN

Er hat die Anforderungen erfüllt: Der 19-Jährige Belarusse

Nikita ist gerade an der ukrainischen Front. Er ist Boxer, hat

Kampferfahrung und will für die Freiheit und Unabhängigkeit

der Ukraine kämpfen. Der Großteil seiner Familie hat den

Kontakt zu ihm abgebrochen und ihn als Nazi bezeichnet,

als er sich der ukrainischen Fremdenlegion anschloss. Wie

genau der Aufnahmeprozess aussah und ob er bezahlt wird,

darf und will er nicht verraten. Auf Instagram posiert er in

seiner Uniform, an der die Ukrainische und die weiß-rotweiße

belarussische Flagge angenäht sind. Nach dem Zerfall

der Sowjetunion 1991 war die weiß-rot-weiße Flagge zur

Nationalflagge von Belarus erwählt worden. Die offiziell anerkannte

Flagge des Landes heute ist rot-grün. Der belarussische

Machthaber Alexander Lukaschenko hatte diese 1995

eingeführt, als Symbol der Erinnerung an die Sowjetunion.

Die Flagge, die Nikita trägt, symbolisiert ein „Belarus ohne

Lukaschenko.“ Ich bleibe mit ihm einige Tage in Kontakt,

er teilt auch mehrmals am Tag Postings des ukrainischen

Präsidenten Zelenskyy. Dann bricht der Kontakt ab. Nikita

antwortet nicht mehr, und teilt auch nichts mehr auf seinem

Profil. Bis Redaktionsschluss erfahre ich nicht, was mit ihm

passiert ist.

Jan * ist Russe und befindet sich gerade östlich von Kiew

– auch er kämpft für die ukrainische Seite. Aufgrund politischer

Repressionen und seiner regimekritischen politischen

Aktivitäten in Russland ist er vor vier Jahren in die Ukraine

gezogen – und hatte sich direkt nach Kriegsausbruch bei der

ukrainischen Armee gemeldet. „Es war auf jeden Fall eine

politisch motivierte Entscheidung“, sagt er am Telefon. Jan

hat Kampferfahrung – so kämpfte er 2015 für das berüchtigte

Azov-Bataiilon. Das Azov-Regiment ist dem ukrainischen

Innenministerium untergestellt und stark umstritten: Die Einheit

gilt aufgrund rechtsextremer Positionen vieler Mitglieder

und deren Symboliken als ultranationalistisch. So wird Azov

ein Neonazi-Image nachgesagt. Als ich ihn darauf anspreche,

meint Jan: „Es sind ganz sicher welche dabei. Aber jetzt verteidigt

Azov Mariupol und wird hier deshalb von der Bevölkerung

respektiert.“ Jan hatte sich geweigert, den Militärdienst

in Russland anzutreten. In seinem Bataillon wissen alle, dass

er Russe ist – er versteckt es auch nicht. „Es gab bisher nie

Probleme damit, nach Außen erzählt mein Kommandant aber

zur Sicherheit, dass ich Belarusse bin.“, so Jan. „Ich selbst

schieße nicht, was wir machen ist eher mit Drohnen die

Frontregion zu erkunden und zu sichern, oder den Flüchtenden

in die humanitären Korridore zu helfen“.

Der 30-Jährige hat seiner Familie in Russland erzählt,

er würde in der Ukraine humanitäre Hilfe leisten und in

einer Suppenküche aushelfen. „Sonst könnte meine Familie

drüben echt Probleme kriegen“. Nach Russland wird

er nicht mehr zurück können, das weiß er. Jan hat bei der

ukrainischen Armee einen Vertrag unterschrieben. Es hatte

bürokratische Hürden gegeben, aber durch einen befreundeten

Kommandanten war es für ihn möglich, sich der Armee

anzuschließen. „Am Anfang wurden alle genommen, die sich

bei der Territorialverteidigung gemeldet haben, aber dann

wurde relativ schnell klar: Es werden solche mit Kampferfahrung

bevorzugt.“ Jan kann verstehen, wieso man aus

einer politischen oder emotionalen Motivation heraus auch

als Ausländer in der Ukraine kämpfen will. „Aber wenn du

19 Jahre alt bist und noch nie irgendwo gekämpft hast, ist

es wahrscheinlich nicht die beste Idee.“

Imran hat im Gegensatz zu Jan und Nikita keine militärische

Erfahrung, den Grundwehrdienst beim Bundesheer hat

er nicht gemacht, da er wegen einer Verletzung an seinem

Arm als untauglich eingestuft worden war. „Aber ich kenne

mich mit Waffen eh aus. AK schießen kann ich“, erzählt er

selbstbewusst. Er hatte einige Tage vor der Abreise auf Social

Media einen Aufruf gesehen, dass man aus aller Welt in

/ POLITIKA / 23


die Ukraine kämpfen kommen kann. Kontaktpersonen hatten

sie dort keine, er kennt auch keine anderen Kämpfer im Territorium.

Während auf der einen Seite des Grenzübergangs

eine lange Autokolonne aus der Ukraine nach Ungarn stand

und unzählige Menschen es aus dem Land schaffen wollten,

wollten Imran und sein Freund hinein.

„Der Krieg ist eine

Art Medizin.“

„WENN DU SO UNBEDINGT STERBEN

WILLST, DANN NICHT SO SINNLOS!“

Zuerst hatten sie den Grenzbeamten erklärt, dass sie dringend

ein Auto in der Ukraine abholen müssen, das haben

ihnen die Beamten aber nicht abgekauft. Sie dürften es

schon geahnt haben. Als sie zugegeben haben, warum sie

hier sind, hat einer der Grenzsoldaten ihnen auf Russisch die

Leviten gelesen: „Du bist so jung, du hast so ein gutes Leben

in Österreich. Du weißt gar nicht, wie gut du es hast. Bitte,

Jungs, fahrt wieder nachhause. Krieg ist nie gut, wir lassen

euch hier nicht durch.“ Er ließ nicht mit sich diskutieren.

„Wenn du so unbedingt sterben willst, dann nicht so sinnlos.“

Das waren seine abschließenden Worte, danach mussten die

Jungs wieder umkehren. Das hat Imran und seinen Freund

verärgert. „Wir hatten uns das halt anders vorgestellt“, gibt

er zu. Als ich ihn frage, ob ihm klar ist, dass dieser Mann ihm

womöglich sein Leben gerettet hat, winkt er ab: „Na und?“

Imran hat eine Lehre zum Installateur gemacht, ist derzeit

arbeitslos. Pläne für die Zukunft hat er nicht wirklich. Wie

Imran sich sein Leben in

zehn Jahren vorstellt?

„Ich sag’s dir ehrlich:

In zehn Jahren bin ich

wahrscheinlich tot.“ Ich

kläre ihn darüber auf,

dass, selbst wenn er

überleben sollte, ein Verfahren

über den Entzug

der Staatsbürgerschaft

eingeleitet werden wird,

sobald er für die Ukraine

kämpft. Auch das

scheint ihn nicht sonderlich

zu beeindrucken,

hingegen gibt er mir

seine Bedenken mit auf

den Weg: „Weißt du, das

ist ja immer dasselbe:

Wenn Muslime sterben,

interessiert es keinen.

Schau dir mal die anderen

Kriege an: Palästina,

die beiden Tschetschenienkriege

und so.“

Er zeigt sich verärgert

über die Doppelmoral

beim Umgang mit

Geflüchteten in Europa.

„Wenn eine muslimische

Frau mit ihren Kindern

irgendwo an einer Grenze stirbt, kümmert es niemanden.

Aber sobald es Österreicher sind, oder eben europäische

Leute, finden es alle auf einmal arg und schlimm. Ich habe

ja die österreichische Staatsbürgerschaft, vielleicht hätte es

dann jemanden interessiert, wenn ich hingegangen wäre“,

resümiert er.

DAS AUFNAHMEVERFAHREN

Wenn sich Menschen aus dem Ausland der Armee anschließen

wollen, werden sie zuerst zu ihrem militärischen

Hintergrund befragt, berichtet der ZDF in der Doku „Ex-

Bundeswehrsoldat: Warum ich im Ukraine-Krieg kämpfe.“ Je

nach Erfahrung wird entschieden, wo der Soldat eingesetzt

wird: ob an der Front, an Kontrollpunkten oder in einer anderen

Funktion. Menschen aus dem Ausland ohne Kampferfahrung

werden nicht benötigt. ZDF-Reporter Jörg Brase nennt

den Grund, weshalb die Fremdenlegion öffentlich aus dem

Blickfeld geholt wurde:

Für eine gerechte Sache kämpfen –

aber zu welchem Preis?

Ein Truppenübungsplatz

der Fremdenlegion in

der Nähe des westukrainischen

Lviv wurde, so

Brase, vor zwei Wochen

von der russischen

Armee angegriffen und

mit Raketen beschossen.

Der ehemalige deutsche

Bundeswehrsoldat

Mehmet ist seit über

einem Monat in der

Ukraine. Er hat viel

Kampferfahrung, war

auch schon in Afghanistan

im Einsatz. Wie viele

Menschen er getötet

hat, weiß er nicht und

will er nicht wissen. Er

will die Ukraine unterstützen,

vor allem die

Kinder, die ihre Eltern

verloren haben, wie er

im Video-Interview mit

der ZDF-Journalistin

Julia Klaus erzählt. Sein

Gesicht ist bis zur Hälfte

verhüllt, seinen Nachnamen

nennt er nicht.

Ob er bezahlt wird? Er

24 / POLITIKA /


„Dort kämpfen Kuffar

gegen Kuffar, was hast du

dort verloren?“

hat einen Vertrag unterschrieben, verzichtet aber freiwillig

auf eine Vergütung. Mehmet leidet unter einer posttraumatischen

Belastungsstörung nach seinen Bundeswehr-

Einsätzen und betrachtet diesen Einsatz in der Ukraine als

eine Art „Medizin“, wie er sagt. Für deutsche Staatsbürger ist

es, anders als in Österreich, grundsätzlich nicht illegal, in der

Ukraine zu kämpfen – es käme aber auf den Einzelfall an. Für

den an der Grenze abgewiesenen Imran wäre die Lage rein

rechtlich wesentlich schwieriger geworden.

KADYROW ALS MANN FÜRS GROBE

Soweit kam es aber nicht. Wieder Zuhause in Wien angekommen,

brach eine Diskussion zwischen Imran und seinen

Eltern aus. Sie hatten von seinem Vorhaben Wind bekommen.

„Das ist ein Kafir-Krieg. Da kämpfen Kuffar (*dt: „Ungläubige“)

gegen Kuffar. Was hast du dort verloren?“, fragte

ihn sein Vater. „Wenn du so unbedingt kämpfen willst, dann

such dir einen Krieg aus, in dem es Muslime betrifft, und geh

dorthin die Leute verteidigen.“ Erst die Worte seines Vaters

schienen bei Imran Wirkung zu zeigen. „Er hat eh recht.

Denn im Endeffekt sind das eh Faschisten gegen Faschisten.

Politiker haben halt Ansehen. Putin macht was er will, der ist

2040 noch Präsident. Jede Wahl ist gefälscht. Und Kadyrow

ist wie sein Hund an der Leine. Die Tschetschenen, die

für Kadyrow kämpfen, sind in meinen Augen keine echten

Tschetschenen. Ich mein, schau‘ dir mal die Geschichte an“,

sagt er. Imran spricht hier von den „Kadyrowzy“, der Armee

des Tschetschenischen Machthabers Ramzan Kadyrow. Er

wird medial oft als „Putins Mann für das Grobe“ betitelt. So

haben tschetschenische Kämpfer auch auf der russischen

Seite in Syrien gekämpft, aktuell sind auch mehrere Truppen

in die Ukraine entsandt worden. Kadyrow verkündete Mitte

April in einem Telegram-Video, dass eine Offensive auf Mariupol,

Donezk, Luhansk und zuletzt auf Kiew geplant sei.

Die Beziehungen zwischen Tschetschenien und Russland

sind aber seit Jahrhunderten von Unterwerfung

und Widerstand geprägt. So wurden 1944 rund 500.000

Tschetschen:innen und Ingusch:innen durch den damaligen

Ministerpräsidenten der Sowjetunion, Josef Stalin, aus ihrer

Heimat nach Zentralasien deportiert. Anfang der 1990er Jahre,

nach dem Zerfall der Sowjetunion, erklärte Tschetschenien

die Unabhängigkeit gegenüber Russland. Darauf folgten

die beiden Tschetschenienkriege – der erste von 1994 bis

1996, der zweite von 1999 bis 2009. Die Tschetschenen

waren das erste Volk, das Putins Brutalität gespürt hat. Auch

Ramzan Kadyrow und davor sein Vater Achmad Kadyrow

standen einst gegen Putin – bis dieser sie mit finanziellen

Mitteln und Versprechungen auf seine Seite brachte. Nun ist

Kadyrow also seit Jahren loyal gegenüber Putin.

„WOFÜR STERBEN DIESE MENSCHEN?“

Auch der 29-jährige Texaner Jordan, mit dem ich auf Umwegen

in schriftlichen Kontakt trete, wollte sich der Fremdenlegion

anschließen. Jordan, der früher bei dem „United States

Marine Corps“ als Soldat tätig war, wollte in die Ukraine,

da er „nicht zusehen kann, wie so viele Ungerechtigkeiten

passieren – vor allem der Zivilbevölkerung gegenüber.“ Jordan

wurde allerdings schon von der ukrainischen Botschaft

in Texas abgelehnt, da er sich eine Verletzung zugezogen

hatte, als er „für sein Land kämpfte.“ Wo und wie will er

nicht preisgeben. Er will sich allerdings auf den Weg nach

Kharkiv machen, um dort humanitäre Hilfe zu leisten, wenn

er schon nicht kämpfen darf. Angst davor, dort zu sterben,

hat er nicht.

Der 19-jährige Sebastian, Soldat in der polnischen

Armee, sieht das anders. Er ist gerade vier Kilometer vor der

ukrainischen Grenze stationiert. Am Telefon erzählt er mir

davon, dass er nicht nachvollziehen kann, wie man sich jetzt

freiwillig in die Ukraine begeben kann. „Schau, wir machen

hier unseren Job. Wir haben unsere Wachposten, wir sind

hier. Aber wir hören schon immer wieder Explosionen auf der

anderen Seite, also bei den Ukrainern. Das ist nicht so ohne.“

Eigentlich dürfe er mir ja nichts erzählen, da er eine Geheimhaltungsklausel

hat, öffentlich würde er das auch nicht

sagen, da er vor den anderen Soldaten „ja nicht als Weichei

dastehen“ wolle. Aber er will etwas loswerden: „Wir haben

uns am Anfang auch gedacht, dass das ja ganz spannend

wird, eine Art Abenteuer. Aber mit jedem Tag haben wir

weniger Lust, hier zu sein. Ich wäre so viel lieber bei meiner

Familie, bei meiner Freundin. Es gehen so viele Menschenleben

drauf, und wofür?“, fragt er nachdenklich. Ob er mit der

Zeit nicht abstumpfen würde? „Eher umgekehrt. Aber was

weiß ich schon: Wir sind hier ja in Sicherheit. Diese Jungs

ohne Erfahrung sind dann einfach Kanonenfutter. Sie meinen

es gut, aber Helden sind das keine. Im Endeffekt interessiert

sich keiner für dich, wenn du irgendwo in einem Krieg

stirbst“

*Namen von der Redaktion geändert

„Es interessiert sich keiner

für dich, wenn du stirbst.“

/ POLITIKA / 25


DAS MÄRCHEN VOM

MARTIALISCHEN

HELDEN

EINE HINTERGRUNDANALYSE

Foreign Fighters spielen in den meisten militärischen Konflikten

eine große Rolle. So auch jetzt im Angriffskrieg auf die

Ukraine. Verschiedene Söldner-Truppen kämpfen auf beiden

Seiten. Darunter fällt laut dem britischen Verteidigungsministerium

auf russischer Seite auch die Wagner-Gruppe, eine

rechte russische Söldner-Miliz, die die Separatisten unterstützt,

von deren Einsatz in der Ukraine der Kreml nichts

wissen will. Die EU wirft ihnen schwere Menschenrechtsverstöße

vor und verhängte im Dezember Sanktionen. So hatten

Soldaten der Wagner-Truppe 2018 in Zentralafrika drei

Kreml-kritische Journalisten getötet oder Videos veröffentlicht,

auf denen sie syrische Soldaten foltern.

Aber auch auf der ukrainischen Seite gibt es immer

mehr Foreign Fighters. Der ukrainische Präsident Wolodymyr

Zelenskyy verkündete in den ersten Tagen nach Kriegsausbruch:

„Jeder, der sich der Verteidigung der Ukraine, Europas

und der Welt anschließen will, kann kommen und Seite

an Seite mit den Ukrainern gegen die russischen Kriegsverbrecher

kämpfen.“

Söldnertum gilt international

als umstritten und hat eine lange

Geschichte. Es macht aber in

der Praxis einen Unterschied, ob

erfahrene (Ex-)Soldaten in den Krieg

ziehen, oder junge Männer, die rein

von der Idee fasziniert sind. Dennoch: „Die meisten Söldner

waren junge Burschen, die einmal als reguläre Soldaten in

einen Krieg gegangen sind und dort zumindest psychisch

zerstört wurden. Nur wenige schaffen es, den Krieg hinter

sich zu lassen, für die meisten geht der Krieg im Kopf weiter“,

so Fabian Reicher von der Beratungsstelle Extremismus.

„Ständige Gereiztheit, ein Übermaß an Explosionsbereitschaft,

ein Leben in tiefster Depression und Ohnmacht, Suizide

oder Amokläufe sind die Folge. Die Alternative: Wieder in

den Krieg gehen. Irgendwo wird immer gekämpft.“

INTERNATIONALE MOBILISIERUNGEN

Die Motive dafür, für ein fremdes Land zu kämpfen, sind

unterschiedlich. Für manche bedeutet es eine Solidaritätsbekundung,

für andere Abenteuerlust, und wieder andere

sehen sich im Kampf gegen die Ungerechtigkeit – für alle gilt

es aber auch als Beweis von Männlichkeit und Stärke. Das

Phänomen ist kein Neues, doch scheint die Auffassung dieser

Narrative vor allem in Westeuropa diesmal eine andere

zu sein als in den Kriegen der letzten Jahre – wie in Syrien

oder Palästina, aber auch im Jugoslawienkrieg oder in den

Tschetschenienkriegen.

„Irgendwo wird

immer gekämpft.“

„Internationale Mobilisierungen“ gab es schon immer.

Beispielsweise haben auch im Spanischen Bürgerkrieg

(1936–1939) oder in den Jugoslawienkriegen (1991–1995)

Menschen aus Österreich gekämpft. „Das hat allerdings

niemanden interessiert. Zum Thema wurden die Foreign

Fighters erst im Februar 2014, als zwei Mädchen aus Wien

nach Syrien ausgereist sind. Auch daran kann man gut

erkennen, wie tief traditionelle Rollenbilder auch bei uns verankert

sind“, so Reicher. „Der große Unterschied zu damals:

Es ist scheinbar ganz klar, wer die ‚Bösen‘ und wer die

‚Guten‘ sind. Und nicht nur das - anstatt zu beruhigen, verfallen

neben dem Boulevard auch liberale Medien in eine Art

‚Kriegsgeilheit‘ und stellen den Krieg als eine Art ‚Event‘ dar,

bei dem man die ‚gute Seite‘ anfeuert, die ‚für unsere Werte

und Freiheit kämpft‘, wie es u.a. Bundeskanzler Nehammer

gesagt hat“, so Reicher.

SALONFÄHIGE KRIEGER

Seit Kriegsbeginn sieht man die immer wiederkehrenden

Narrative des Heldenhaften, Martialischen, Kriegerischen,

Männlichen, fast schon Patriotischen. Dabei sind das alles

Narrative, die in den letzten Jahren von der Mehrheitsgesellschaft

sehr kritisch betrachtet wurden. Medien titeln

auffallend auf ihren Titelseiten „Wolodymyr Zelenskyy – der

Held des Westens!“, über Nacht wurde das ukrainische

Volk zu einer bejubelten Kämpfer-Nation, die vor allem in

Westeuropa mit Bewunderung und Demut angesehen wird.

Bilder von Frauen, die gestern noch

mit Blumenkranz posiert haben,

und heute eine Waffe in der Hand

halten, gehen um die Welt. Die Zivilbevölkerung,

die zur Verteidigung

Molotow-Cocktails baut. Fotos von

kleinen Mädchen mit Waffe und Lollipop werden vielfach auf

Social Media geteilt. Eine Figur wie Zelenskyy oder Klitschko

schindet Eindruck – auch die Aufforderung, das Land und die

Kultur zu verteidigen, das sonst zu verschwinden droht. Aber

welchen Einfluss hat dieses fast schon salonfähige Kriegertum

auf junge Menschen in Wien?

„Junge Männer sind besonders auf der Suche nach Anerkennung

und Erfolg. Sie wollen Helden werden und für eine

gerechte Sache kämpfen. Das war auch 2014 so. Das Leid

der syrischen Zivilbevölkerung war wohl das zentrale Motiv

bei der Ausreise nach Syrien. Der IS und die dschihadistische

Erzählung waren vor allem für Tschetschenen zweitrangig,

ihnen ging es hauptsächlich um den Kampf gegen Putin“, so

Reicher. „Es gibt viele Möglichkeiten, ein ‚Held‘ zu werden.

Man kann auch ohne Waffen für Gerechtigkeit kämpfen, aber

dafür braucht es Angebote. Mehr Waffen und mehr Kämpfer

bringen keinen Frieden. Wenn ihr den Menschen in Syrien

wirklich helfen wollt, ist das der falsche Weg. Das haben wir

den Jungs 2014 immer wieder gesagt und gemeinsam mehrere

Spendenprojekte für die Zivilbevölkerung umgesetzt.“ ●

26 / POLITIKA /


DU WILLST DEN MENSCHEN AUS DER UKRAINE

HELFEN, ABER WEISST NICHT WIE?

Hier ein kleiner Guide:

Sachspenden

Besonders gebraucht werden konservierte

Lebensmittel sowie Babynahrung,

Einweggeschirr, Hygieneartikel,

Windeln für Kinder und Erwachsene,

Stirnlampen, Batterien, Schlafsäcke,

Isomatten, Powerbanks und Generatoren.

All diese Dinge kannst du zur

Hosnedlgasse 18 im 22. Bezirk in

Wien bringen. Die Liste wird laufend

auf www.ukraine-helpers.com aktualisiert.

Öffnungszeiten:

Montag–Freitag 08:00–20:00

Samstag 10:00–16:00

Sonntag 14:00–20:00

Auch Medikamente und Verbandsmaterial

werden benötigt. Diese

bringst du am besten Montag bis

Freitag zwischen 12–18 Uhr in die

Landstraßer Hauptstraße 138 im

dritten Bezirk in Wien.

Finanzielle

Unterstützung

Wenn du der Ukraine lieber finanziell

helfen möchtest, dann kannst du an

folgende seriöse Spendenkonten Geld

überweisen:

1. Caritas: www.caritas-wien.at

Zweck: „Ukraine - jetzt helfen.“

2. Guntramsdorf hilft:

www.guntramsdorf.at

Raiffeisen Regionalbank Mödling

IBAN: AT81 3225 0000 0000 0091,

BIC: RLNWATWWGTD

Die Organisation hat mittlerweile 15

LKW‘s mit Hilfsgütern in die Ukraine

gefahren.

3. Train of Hope: www.trainofhope.at

Spendenkonto Train of Hope

IBAN AT21 2011 1827 5129 7500

BIC GIBAATWWXXX

Du hast einen

Schlafplatz frei?

Wenn du einen freien Schlafplatz hast

und gerne jemanden aufnehmen würdest,

dann kannst du dich an folgende

Stellen wenden:

1. Der Bundesbetreuungsagentur BBU

kannst du unter der Mailadresse

nachbarschaftsquartier@bbu.gv.at

bekannt geben, wie viele Menschen

du aufnehmen kannst.

2. Unter der Website www.homesforukraine.eu

besteht für dich

die Möglichkeit, ein Formular

auszufüllen. Dafür gibst du deine

grundlegenden persönlichen Kontakt-Informationen

an und wie viele

Menschen du aufnehmen könntest.

Für die Aufnahme bestehen allerdings

einige Anforderungen:

1. Es muss sich um einen sicheren

Schlafplatz handeln (Bett, Schlafsofa,

etc.).

2. Frische Bettwäsche muss gegeben

sein (Bettlaken, Kissen und Decken).

3. Der Zugang zum Schlafplatz aber

auch zu sanitären Anlagen muss 24

Stunden gegeben sein.

Freiwillige

HelferInnen

Wenn du weder Sachspenden, Geld

oder einen Schlafplatz bieten kannst,

aber trotzdem gerne helfen würdest,

dann kannst du dich über die Website

www.helpforukraine.at als freiwillige

HelferIn anmelden. Auf der Seite

kannst du angeben, wie viele Stunden

pro Woche du Zeit hättest und was du

gerne machen würdest.

/ MIT SCHARF / 27


„Niemand

mag dicke

Menschen!“

Bodyshaming in Migra-Familien

28 / RAMBAZAMBA /


Groß, schlank und normschön – Wer

diese Kriterien in einer Migra-Familie

nicht erfüllt, kann sich oft dumme

Sprüche anhören. Ob am Esstisch im

engsten Kreis oder vor versammelter

Mannschaft auf großen Familienfeiern,

irgendwer findet immer etwas

zum Kritisieren. Dabei meinen die Verwandten

es ja „eh nur gut“, doch welche

Auswirkungen es auf die Psyche

haben kann, ist ihnen selten bewusst.

Von Maria Lovrić- Anušić, Fotos: Zoe Opratko

„Du isst zu viel! Du isst nicht genug!“ - Manchen Migra-

Mamas kann man es nie recht machen.

Du hast schon wieder so zugenommen.“ Mit diesen

Worten „begrüßte“ mich meine Mutter, als

sie letzten Sommer nach ihrem viermonatigen

Heimaturlaub in Kroatien durch die Haustür kam.

Sie legte ihre Reisetasche ab und begann, meinen Körper

zu mustern. Nette Begrüßung, Danke, Mama. Ein „Hallo,

wie geht’s?“ hätte es auch getan. Ich solle doch aufpassen,

dass es nicht „noch mehr“ wird und sie würde nicht verstehen,

wie das passieren konnte. Mittlerweile kann ich solche

Bemerkungen sehr gut ignorieren, doch lange waren diese

Momente nicht so leicht wegzustecken. Ich wollte einige

Tage nach ihrer Ankunft aus Prinzip nicht viel essen, das

sorgte dann aber wiederum für Unverständnis ihrerseits.

Ich müsse nicht auf das Essen komplett verzichten, aber

dann eben etwas besser darauf schauen. Doch ich konnte

nicht anders. Zu der Zeit war mein Selbstwertgefühl nicht

so stark ausgeprägt und das Verhältnis zu meinem Körper

eher kompliziert. Und genau deswegen lösten ihre Worte

in mir damals eine noch größere Abneigung und ein gewisses

Schamgefühl dem Essen gegenüber aus. Ich war noch

nie eine der super Schlanken und genau das durfte ich mir

auch oft genug von Familienmitgliedern anhören. Spitznamen

wie „Dickerchen“ waren in meiner Teenager-Zeit gang

und gäbe. In meiner Verzweiflung griff ich des Öfteren zu

ungesunden Methoden, um abzunehmen. Einerseits ging es

mir darum, Bestätigung zu gewinnen und andererseits auch

darum, mich endlich in meinem Körper wohl zu fühlen. Von

Fettblockerpillen und Nahrungsergänzungsmitteln bis hin zu

einer täglichen Fitnessstudiotortur und so gut wie nichts zu

essen, habe ich alles versucht, um glücklich mit mir selbst

zu sein. Geholfen hat das allerdings alles nichts, vielmehr

war es frustrierend und zog mich nur noch mehr runter. Ich

kann von Glück sprechen, dass ich doch einen klaren Kopf

behielt und nicht in eine tiefere Essstörung geschlittert bin.

Ich beschäftigte mich in der Zeit viel mit ‚Body Positivity“ und

realisierte, dass es für Schönheit kein Einmaleins gibt. Ich

weiß mittlerweile auch, dass meine Familie und vor allem

meine Mutter es nicht böse meinen, und ich schätze es, dass

sie sich um meine Gesundheit kümmern. Verletzend ist es

dennoch und ich glaube, dass ihnen das leider nicht bewusst

ist.

Ich bin mit dem Thema allerdings nicht allein. Bodyshaming

steht bei vielen Jugendlichen in Österreich auf der

Tagesordnung. Im „Jugend Trend Monitor“ aus dem Jahr

2019 gaben 30% der Befragten 14-29-Jährigen an, bereits

Erfahrungen mit Bodyshaming gesammelt zu haben. Ein

/ RAMBAZAMBA / 29


Bei meinen Kindern werde

ich es anders machen

Eine verzerrte Selbstwahrnehmung nach

Bodyshaming ist keine Seltenheit

momentan viraler TikTok Trend greift das Thema Bodyshaming

durch die eigene Familie in migrantischen Communities

auf. Tiktoker:innen stellen sich vor die Linse und unter ihnen

steht der Text „Wenn deine Familie aus der Heimat dich

besucht.“ Dazu hört man in der Tonspur den Sound einer

Frau, die sie mit den Worten „Oh my god you are so fat, so

obese!“ zu beleidigen beginnt.

Dieses Phänomen kommt nicht von irgendwo, wie Bodyshaming-Expertin

und Autorin des Body-Positivity-Buchs

„Riot, don’t diet!“ Elisabeth Lechner erklärt.

„Der Westen dominiert die Welt – deshalb nehmen wir

ein weißes, koloniales Schönheitsideal als Maßstab. Menschen

sollen groß, schlank und unbehaart sein“, resümiert

sie. Doch zu diesem westlichen Schönheitsbild kommen

laut Lechner für Menschen mit Migrationshintergrund auch

kulturelle Bedingungen sowie bestimmte Esskulturen und

auch religiöse Einstellungen hinzu. So kann der Druck in ausländischen

Familien noch stärker sein, da es dort mehrere

Angriffsflächen gibt.

KURZE HOSEN UND CELLULITE

Bei der 23-Jährigen Polin Ewa spielt Bodyshaming durch

ihre Familie seit ihrer Pubertät eine große Rolle. Ab ihrem

13. Lebensjahr, als ihr Körper sich zu verändern und zu

wachsen begann, kamen immer wieder Bemerkungen. Ewa

erinnert sich an einen bestimmten Moment, der sie nicht

loslässt. Sie saß, als 13-jähriges Mädchen, mit einer kurzen

Hose am Sofa in ihrem Wohnzimmer, als ihr Vater auf

sie zukam und komplett schockiert und verängstigt fragte,

ob sie etwa Cellulite hätte. Auch ihre Mutter verhielt sich

anstrengend, da sie Ewas Körper immer genau unter die

Lupe nahm. „Bist du schwanger?“ war die Top-Frage, sobald

Ewa etwas an Gewicht zugenommen hatte und ihr Bauch

größer geworden war. Solche Kommentare sind für sie heute

nichts Besonderes mehr, denn die bekommt sie nach wie vor

noch täglich serviert. Ihre Schwester, die immer sehr dünn

war, hat sich den Umgang, den die Eltern mit Ewa pflegten,

abgeschaut und begann, sie ebenfalls mit Beleidigungen

zu ihrem Gewicht zu bombardieren. Die 23-Jährige erzählt,

dass sie mit 13–14 Jahren eine Essstörung entwickelte. Dies

ist nicht verwunderlich, denn laut Autorin Elisabeth Lechner

brauchen vor allem Jugendliche viel Bestätigung: „Wenn

Heranwachsende in den eigenen vier Wänden keinen ‚safespace‘

haben, dann bewirkt das eine gestörte Selbstwahrnehmung

und kann in Extremfällen zu Essstörungen führen.“

Monatelang aß Ewa dementsprechend so gut wie nichts.

Bei Hungergefühl ernährte sie sich von Kaugummi und Cola

light. Das alles nur, um ein bestimmtes Gewicht zu halten.

„Ich weiß noch, dass meine Mama damals gesagt hat, dass

ich endlich eine gute Figur hätte und die so weiterbehalten

sollte“, rollt Ewa mit den Augen. Dass sie in der Zeit an einer

Essstörung litt, bemerkte ihre Mutter nicht. Auch Ewa weiß,

dass das Problem nicht die Wahrnehmung allein ihrer Mutter

ist: „In Polen ist das Schönheitsideal für Frauen noch viel

ärger als in Österreich.“ Die Erwartungen, dem normschönen

Ideal zu entsprechen, seien dort noch viel härter. Ihre

Eltern sind mit Wertvorstellungen und Body-Images aufgewachsen,

die ins Unrealistische gehen. Aus diesem Grund

sieht Ewa keinen Sinn darin, mit ihnen über die verletzenden

Worten zu reden, da sie es ja eigentlich nicht böse meinen,

sondern es einfach selbst so gelernt hatten. Mittlerweile

kann sie damit recht gut umgehen und hat dadurch auch

einiges für ihre Zukunft gelernt. „Ich weiß, wie ich mich

gegenüber meinen zukünftigen Kindern verhalten werde.“

Sie ist sich sicher, dass sie ihre eigenen Kinder niemals auf

ihr Äußeres reduzieren und mit blöden Sprüchen zu ihrem

Gewicht konfrontieren wird.

30 / RAMBAZAMBA /


Dadurch nahm sie ab, jedoch ließ der Jo-Jo-Effekt nicht

lange auf sich warten und sie nahm mehr zu als davor. Laut

Bodyshaming-Expertin Elisabeth Lechner ist das eine normale

Reaktion des Körpers, da durch Diäten der Stoffwechsel

zerstört wird. „Sie machte die Höhe meines Taschengeldes

abhängig von meinem Gewicht“, kann es Jelena noch immer

nicht ganz glauben. Finanzielle Unterstützung war damals,

wie auch heute noch während ihres Studiums, das Druckmittel

ihrer Mutter. All dies führte bei der jungen Wienerin zu

vielen Tränen und einer Essstörung, da sie den Erwartungen

auf natürlichem Wege nie gerecht wurde. Konfrontationen

mit ihrer Mutter blieben erfolglos. „Ich will nur das Beste für

dich!“, war eins der stumpfen Argumente. Jelena zieht heute

das Positive daraus: „Dennoch liebe ich meine Mutter. Denn

ohne ihren ständigen Druck würde ich wahrscheinlich noch

mehr wiegen.“

„Wer nicht schlank ist, ist undiszipliniert“

– Dieser Mythos hält sich leider nach wie vor

AUF PERFEKTION GETRIMMT

In Jelenas Familie herrscht schon von Anfang an ein

bestimmter Standard für das äußere Erscheinungsbild. Eine

sportliche und dünne Figur war die Mindestanforderung ihrer

Eltern. Für die 21-jährige Wienerin mit Wurzeln in Serbien

eine unrealistische Vorstellung: „Seit meiner Kindheit

habe ich mit einer Schilddrüsenunterfunktion zu kämpfen.“

Durch ihre Erkrankung fällt ihr das Abnehmen schwerer als

anderen. Ihre Mutter sah das aber nur als schlechte Ausrede.

In den Augen ihrer Mutter würden dicke Menschen es nicht

weit im Leben schaffen, weil sie keiner mag und auch Arbeitgeber

würden sie nicht einstellen wollen, denn ihre Figur

würde zeigen, dass sie nicht diszipliniert wäre. Das wurde

Jelena zumindest von klein auf so beigebracht. Die Wienerin

erzählt davon, wie sie sich immer bemühte, Süßigkeiten wegzulassen

und viel Sport zu treiben, das Abnehmen gelang ihr

allerdings trotzdem nicht. Für sie standen, seitens ihrer Mutter,

Radikaldiäten und abfällige Kommentare zu ihrem Körper

am Tagesplan. Gegessen werden sollte möglichst wenig.

GROSSE OHREN UND BABYSPECK

Auch Geschwister können zu Bodyshamern werden: Davon

kann Ayman ein Lied singen. Er lebte bis vor sieben Jahren

noch in Syrien und erzählt davon, wie seine Eltern immer

hart arbeiten mussten, um Geld nachhause zu bringen

und dementsprechend nicht oft zuhause waren. Ihm und

seinen Geschwistern fehlte die Disziplin und das Moralverständnis,

andere Menschen zu respektieren, auch wenn

sie vielleicht anders aussahen, erzählt Ayman. Seine Eltern

haben ihnen nie beigebracht, sich nicht über andere lustig zu

machen. „Manchmal haben sie was gesagt, aber sie waren,

wie gesagt, beschäftigt.“ Der 27-Jährige erzählt davon,

dass sein Bruder ihn immer wieder wegen seinen Ohren

gehänselt hatte: „Ich hatte halt große Ohren im Vergleich

zu meinem Kopf.“ Sein Bruder dachte sich den Spitznamen

„Segelohr“ aus und rief Ayman nur noch unter dem Namen.

Er hatte ebenfalls nach Dingen gesucht, die er gegen seine

Geschwister verwenden könnte. „Als Rache habe ich ihn

halt für sein Gewicht beleidigt.“ Obwohl er selbst auch mit

dem Mobben begann, war die Zeit dennoch schwer für ihn.

Er weinte viel, erzählt er. Aber trotzdem ist er der Meinung,

dass ihn genau das zu einem starken Mann gemacht hat.

Im Nachhinein sei das gut gewesen, weil er dadurch gelernt

habe, sich nicht von blöden Sprüchen von Fremden runterziehen

zu lassen. Ayman meint auch, dass ihn diese Abhärtung

gut auf Österreich vorbereitet habe. Er erlebte relativ

viel Rassismus hier und hätte dies ohne diese „Vorbereitung“

so nicht ertragen.

Aus Rache habe ich

meinen Bruder für sein

Gewicht beleidigt

/ RAMBAZAMBA / 31


Ich will nicht, dass du deinen

Körper selbst hasst,

wenn du weiter zunimmst.

ihr vor, heimlich zu naschen, und gab ihr daraufhin auch

nur sehr kleine Portionen zum Essen, weshalb Paulina ihr

Taschengeld immer in der Schulkantine für Essen ausgeben

musste. Die 26-Jährige erinnert sich an ein einschneidendes

Ereignis, an dem ihre Mutter weinend vor ihr stand und

schluchzte: „Ich will nicht, dass du deinen Körper selbst

hasst, wenn du weiter zunimmst.“ Dass diese Momente

Paulina dazu brachten, an sich selbst zu zweifeln, verstand

ihre Mutter nicht. Paulina musste abnehmen und versuchte,

sich selbst Essstörungen anzutrainieren. Sie erzählt davon,

wie sie versuchte, zu erbrechen, aber sie es nicht schaffte.

Und einfach das Essen komplett wegzulassen, funktionierte

auch nicht. Gehässige Kommentare zu ihrem Körper musste

sie sich bis Anfang zwanzig noch anhören. Ihr Verhältnis

zum Essen ist heute noch eher schwierig. Sie versucht, sich

die Mahlzeit durch viel Sport zu „verdienen“. Ein klärendes

Gespräch mit ihrer Mutter bringt nichts, meint Paulina. „Sie

gibt zu, dass sie für kurze Zeit, als ich 13 war, einen Fehler

gemacht hat und meinen Körper so abfällig bewertet hat.

Alles davor und danach empfindet sie als subjektive Wahrnehmung

meinerseits.“

Wenn die Worte der Eltern zu einem Heulkrampf führen

VOM KALORIENZÄHLEN UND KOTZEN

Doch nicht nur Menschen mit Migrationshintergrund sind von

Bodyshaming innerhalb der Familie betroffen. Die 26-jährige

Österreicherin Paulina erzählt vom Druck ihrer Mutter, einem

verzerrten Schönheitsideal zu entsprechen. Ihre Mutter

legt einen enormen Wert auf eine schlanke Silhouette und

tat das auch schon von Paulinas Kindesalter an. Paulina

musste nach Sommerurlauben zwei bis drei Wochen auf

Süßes verzichten, um ihre Kilos sowie ihren „Baby-Speck“

loszuwerden. „Das Maß meiner Mutter war immer: Zwischen

Körpergröße und Gewicht dürfen maximal 112 Einheiten

liegen, also wenn man 160 cm groß ist, sollte man maximal

48 Kilogramm wiegen.“ Diesen Maßstab konnte Paulina bis

zum Eintreten ihrer Pubertät auch relativ gut einhalten. Die

Vorgaben von Paulinas Mutter wie auch zum Beispiel der BMI

sind allerdings unglaublich veraltet und können nichts über

die Gesundheit einer Person aussagen. „Schlank bedeutet

nicht gleich gesund, sowie dick nicht automatisch krank“, so

die Expertin Elisabeth Lechner. Und vor allem in der Pubertät

verändert sich der Körper nun mal und bei Paulina ging das

auch sehr schnell, wie sie sich erinnert. Ihre Mutter warf

GEN Z MACHT ES BESSER!

Unsere Eltern sind selbst mit unrealistischen Schönheitsstandards

aufgewachsen und haben vermutlich mit Shaming

zu kämpfen gehabt, ohne zu wissen, was es überhaupt

bedeutet. Sie waren oft damit beschäftigt, sich und uns in

der „neuen“ Heimat ein würdiges Leben aufzubauen. Da war

nicht viel Platz für Themen wie Body Positivity. Wir leben

aber in einer Zeit, in der es immer mehr Bewusstsein für

Bodyshaming gibt, und wir lernen, wie wichtig die Akzeptanz

aller Körper ist. Nun haben wir die Möglichkeit, es anders als

unsere Eltern zu machen und keine Traumata an die nächste

Generation weiterzugeben – jetzt sind wir dran. ●

*Die Namen der Personen wurden von der Redaktion geändert. Die Fotos

wurden nachgestellt

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IST JEMAND, DEN ZU KENNST, GEFÄHRDET?

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32 / RAMBAZAMBA /


WARUM WIR

BODY- NEUTRALITY

BRAUCHEN.

Maria Lovrić-Anušić

„Liebe deinen Körper!“ ist der Standard-Spruch der

Body-Positivity Bewegung. Ein netter Ansatz, allerdings

sehr schwer in der Umsetzung, denn dazu gedrängt zu

werden, alles an sich schön zu finden, kann unglaublich

frustrierend sein. Warum muss man alles an sich lieben?

Wäre es nicht besser, wenn jeder selbst entscheiden

könnte, was er oder sie schön findet? Body-Neutrality

setzt genau da an. Es soll egal sein, wie man aussieht

und was man mit seinem Körper macht. Ob man eine

Schönheits-OP will, weil einem etwas nicht passt oder

ob man sich jeden Tag zurecht machen möchte, bleibt

einem selbst überlassen. Die Dinge, die einen glücklich

machen, werden getan ohne dass dies von jemanden

kommentiert wird. Unser Selbstwertgefühl soll unabhängig

von Aussehen aufgebaut werden und wenn wir Body-

Neutrality schaffen könnten, wäre Bodyshaming auch gar

kein Thema mehr. Wir Menschen sind nämlich weitaus

mehr als die Hülle, die uns umgibt.

/ RAMBAZAMBA / 33


34 / RAMBAZAMBA /


„Die Taliban hatten nie einen

Stift in der Hand, sondern

nur Kalaschnikows.“

Als Zehnjährige nahm sie die Identität ihres toten Bruders an, um als Mann verdeckt

für ihre Familie zu sorgen. Frauen durften im islamistischen Regime der Taliban

nämlich nicht arbeiten gehen. Ganze zehn Jahre lebte Nadia Ghulam dieses

Doppelleben unter dem Turban, bis ihr die Flucht nach Spanien gelang.

Interview: Nada El-Azar-Chekh, Fotos: Mafalda Rakoš

BIBER: Die ganze Welt sah im vergangenen

Jahr, wie die Taliban wieder an die

Macht in Afghanistan kamen. War das zu

erwarten?

NADIA GHULAM: Nein, das war ein

großer Schock und ich habe das nicht

kommen gesehen. Als es hieß, dass die

Amerikaner mit den Taliban über den

Frieden weiter verhandeln würden, habe

ich kein Wort davon geglaubt. Die Taliban

wissen nämlich nicht, was Frieden

bedeutet. Mir kamen die Verhandlungen

wie ein Spiel vor, das auf Kosten der

Zivilgesellschaft in Afghanistan geführt

wurde. Die mächtigsten Menschen unseres

Landes befanden sich zu dieser Zeit

längst in Doha oder Dubai und lebten ihr

schönes Leben mit ihren Familien und

Kindern weiter. Aber die Taliban waren

nicht das einzige Problem in Afghanistan,

sondern alle Kriegsführer und die korrupten

Politiker machten allen das Leben

schwer. Vor dem ersten Talibanregime in

den 1990er Jahren tobte in Afghanistan

ein Bürgerkrieg. Die Söldner aus diesem

Bürgerkrieg saßen unter amerikanischer

Besatzung dann auch im afghanischen

Parlament, als ob sie normale Politiker

wären. Und dieselben zeigten auf die

neuen Talibanherrscher und nannten

sie Verbrecher. Alle Kriege entstehen

aus den Entscheidungen mächtiger

Menschen, deren Kinder und Ehefrauen

niemals dasselbe durchmachen müssen,

wie die Zivilbevölkerung.

Woher hast du die Kraft genommen, dich

als deinen toten Bruder auszugeben?

Ich habe diese Entscheidung nicht wirklich

bewusst getroffen, denn ich war ja

erst 10 Jahre alt. Damals wusste ich nur,

dass ich Essen für mich und meine Familie

brauchte. Tagtäglich dachte ich mir,

dass ich morgen einfach wieder Nadia

sein könne – letztlich lebte ich aber 10

Jahre lang als Zelmai, mein toter Bruder.

Ich war ja nur ein Kind, woher hätte ich

das Risiko einschätzen können?

Was bedeutete es damals für dich, ein

Junge zu sein?

Mein Vorbild war natürlich mein Bruder

Zelmai – er war der einzige Junge, mit

dem ich engen Kontakt hatte, und war

fünf Jahre älter als ich. Als ich unter

seinem Namen lebte, dachte ich ständig

darüber nach, wie er sich in bestimmten

Situationen verhalten würde, und habe

das umgesetzt. In Wahrheit hatten wir

aber eine sehr verschiedene Persönlichkeit,

aber die Not hat mich kreativ

gemacht, damit ich und meine Familie

überleben konnten.

Welche Tricks hast du dir angeeignet, um

nicht aufzufliegen?

Ich wurde zu einem Flüchtling in meinem

eigenen Land und zog sehr oft um, damit

niemand Verdacht schöpfte. Lange Zeit

erklärte ich, dass ich einfach jünger als

die anderen wäre und deshalb keinen

Bart bekomme. Auch die Brandnarben,

die ich von dem Bombenangriff davontrug,

dienten dabei als gute Ausrede.

Mein Gesicht und mein ganzer Hals

waren verbrannt. So erklärte ich auch,

warum meine Stimme anders ist. Wie

durch ein Wunder bin ich niemals aufgeflogen,

obwohl ich oftmals dachte: Warum

sieht mich der Mann dort so schief

an, er weiß sicherlich Bescheid.

Wie waren die Taliban eigentlich privat?

Worüber unterhielten sich die Männer

untereinander?

Natürlich drehten sich viele Gespräche

um Frauen. Darüber, wie sie unsere

Schwestern und Mütter beschützen würden,

wie wir eine Ehefrau finden, und wir

sprachen über Frauenkörper. Im Grunde

wurden also sehr „maskuline“ Gespräche

geführt. Natürlich musste ich auch

mitreden. Unter meinem Turban war ich

aber selbst eine Frau und mir waren solche

Gespräche sehr unangenehm. Meine

Strategie war es dann, zu sagen, dass

ich zu religiös bin, um so über Frauen zu

sprechen. Die Taliban sahen mich also

stets sehr fromm, beim Beten und Koran

lesen, und haben mich damit in Ruhe

gelassen.

Wie hast du es mit 20 Jahren – also

nach zehn Jahren unter den Taliban –

aus Afghanistan hinausgeschafft?

Dank einer NGO gelang mir die Flucht

/ RAMBAZAMBA / 35


Seit der Machtübernahme 2021 hat sich

die Situation in Afghanistan besonders

für Frauen verschlechtert. Die neue

Regierung gibt sich dennoch moderat

und verspricht unter anderem, dass

Frauen ein Zugang zur Universität

ermöglicht wird. Kann man dieser neuen

Offenheit Glauben schenken?

Nein. In meiner Heimat gibt es eine

Redewendung: Den wahren Wert eines

Schmuckstücks kennt nur derjenige, der

mit Schmuckstücken arbeitet. Die Taliban

hatten noch nie einen Stift in der Hand,

sondern nur Kalaschnikows, sozusagen.

Den wahren Wert von Bildung kennen sie

also nicht, und sie kümmern sich nicht

darum, wie wertvoll Wissen ist. Genauso

verhält es sich mit der Freiheit. Ich sehe

diese moderate Politik mehr als Farce.

„Die Taliban kennen den Wert von Bildung nicht“.

nach Spanien. Man gewährte mir die

Ausreise mit dem Vorwand, dass ich

medizinische Hilfe benötige. Ich war ja

acht Jahre alt, als die Bombe in unser

Haus einschlug, und ich habe große

Verbrennungen davongetragen. Die verbrannte

Haut wuchs nicht mehr richtig

mit mir mit. Deswegen brauchte ich eine

spezielle Behandlung, die ich in Spanien

bekam. Mein großes Glück war aber

nicht die Ausreise, sondern die Familie,

die mich in Barcelona aufnahm und wie

eine eigene Tochter behandelte. Für sie

zählte nie meine Hautfarbe oder meine

Religion oder meine Muttersprache.

Gab es in Europa einen Kulturschock?

Schließlich durftest du endlich offen als

Frau leben. War das schwer?

In Afghanistan konnte ich nicht als

Frau leben und trug deshalb lange Zeit

einen Turban. In Spanien sagte ich dann

meiner katalanischen Ziehmutter, dass

ich das Kopftuch tragen will, da ich

eine Frau und Muslima bin. Sie gab mir

ihre bunten Schals zu tragen, ohne mir

Druck oder Vorwürfe zu machen. Nach

ein paar Monaten sagte ich ihr, dass ich

nun doch nicht mehr einen Hijab tragen

will, sondern einen Hut. Sie kaufte mir

daraufhin Hüte, und ich trug sie in der

Öffentlichkeit etwa zwei Jahre lang.

Schlussendlich sagte ich ihr, dass ich wie

sie hinausgehen will. Also nahm sie mich

zum Frisör mit und unterstützte auch

diesen Wunsch. Diese Einstellung hat

mir persönlich sehr geholfen, in Europa

anzukommen, und viele Menschen

verstehen es leider bis heute nicht, dass

man nicht gegen die Überzeugungen

von anderen Menschen, die sich hier ein

neues Leben aufbauen wollen, kämpfen

sollte. Freiheit bedeutet nicht, Menschen

Druck zu machen, sich auf Zwang ändern

zu müssen. Alles braucht Zeit, so war es

auch bei mir.

Hast du schlussendlich gut zu deiner

eigenen Weiblichkeit finden können?

Ich mag es immer noch nicht, mich zu

schminken oder Röcke zu tragen. Dagegen

habe ich mich auch immer gewehrt,

seit ich in Barcelona wohne. Manchmal

lasse ich aber meine Freundinnen mir

die Augenbrauen machen oder mich

schminken, einfach, weil sie Freude

damit haben. Persönlich mag ich es

lieber natürlich.

Wie empfindest du, wenn du die aktuellen

Bilder aus der Ukraine siehst?

Alles, was Kriege betrifft, wühlt in mir

sehr viele Gefühle und Traumata auf –

denn ich habe selbst Krieg erlebt. Die

Nachrichten über die Millionen Flüchtlinge

und die zerstörten Häuser in der

Ukraine lösen viel Schmerz in mir aus

und erinnern mich an mein eigenes Leid.

Tatsächlich bin ich wegen der aktuellen

Situation wieder in therapeutischer

Behandlung und viele Menschen, die

Ähnliches wie ich erlebt haben, haben

es ebenso schwer. Wenn ich Feuerwerk

höre, kann ich den Krieg sehen. Das hat

sich nie geändert.

Im Jahr 2010 hast du deine Autobiographie

„Das Geheimnis meines Turbans“

erstmals auf Spanisch veröffentlicht.

Welche Rolle spielte das Buch für die

Bewältigung deiner Vergangenheit?

Meine Geschichte war von Journalisten

aufgegriffen worden, lang bevor ich „Das

Geheimnis meines Turbans“ schrieb. Ich

wollte selber meine Geschichte erzählen

und nicht die Frau sein, „die sich 10

Jahre lang als Junge verkleidete“, so wie

es in vielen Artikeln geschrieben wurde.

Mittlerweile habe ich schon vier Bücher

veröffentlicht und ich erlebe mit jedem

Buch, jedem Talk und jedem Interview

mein Schicksal aufs Neue. Das ist zwar

schmerzhaft, aber wenigstens habe ich

mein Leben selbst in der Hand.

36 / RAMBAZAMBA /


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Nachhaltigkeitstrainerin

Elma Salo

38 / RAMBAZAMBA /


JEDER KANN

GRETA

Nachhaltigkeitstrainerin Elma Salo erklärt ihren Bezug zum

Umweltbewusstsein und gibt einfache Tipps zur Umsetzung eines

klimafreundlichen Lifestyles. „Think globally – act locally“ und

Maßnahmen in der Politik sind der Schlüssel zum Erfolg.

Von Sedir Dabbass, Fotos: Franziska Liehl

Geplant ist ein gemeinsames

Campen direkt am Strand

Süditaliens. Meine Freunde und

ich überlegen lange, aber kommen zu

keinem Entschluss. Die einen wollen die

nachhaltige Route wählen und mit dem

Zug anreisen, während die anderen, ich

inklusive, geneigt sind einfach mit dem

Flugzeug nach Italien zu reisen. Selbst

wenn ich persönlich Zugfahrten á la

Reisejournalistin Monisha Rajesh nicht

abgeneigt bin – der Preis allein macht mir

schon einen Strich durch die Rechnung.

Als Studentin kann ich es mir nicht

leisten, fünf Mal so viel für eine Zugfahrt

auszugeben und dann zusätzlich viel

länger und unangenehmer in den Urlaub

zu starten. Trotzdem ist mir die Umwelt

wichtig.

Elma Salo, Nachhaltigkeitstrainerin

aus Wien, versteht meine emotionale

Zwickmühle. Sie hält Workshops

zu den Themen Konsum, Klima- und

Umweltschutz in ganz Österreich. In der

Klimadebatte geht es nicht darum, die

gesamte Verantwortung auf das Individuum

zu übertragen, denn „allein kann man

die gesamte Menschheit nicht vor den

Folgen des Klimawandels retten“, sagt

die 34-jährige Wienerin. Salos Philosophie

belohnt auch die Bemühungen des

Einzelnen, den Planeten retten zu wollen:

„Jeder kann einen Versuch in Richtung

eines umweltbewussteren Lebens

unternehmen, um große Veränderungen

zu bewirken. So wie Greta Thunberg, die

als Einzelperson Millionen von Menschen

inspirierte, an Klimaprotesten wie „Fridays

For Future“ teilzunehmen und ihren

Ansatz bezüglich der Klimakrise und

Nachhaltigkeit zu überdenken“, so Salo.

Muss ich

auf meinen

Italien-Urlaub

verzichten?

MIT DEN ÖFFIS

ZUM STRAND

Muss ich also auf meinen Italien-Urlaub

verzichten? „Es kommt ganz darauf an“,

meint Salo. „Ich kann jetzt nicht sagen,

dass man nie wieder im Leben irgendwo

hinfliegen soll. Wenn es sein muss und

das Reiseziel weit weg ist, soll man es

ruhig machen. Selbst dann kann man

aber am Urlaubsort die öffentlichen

Verkehrsmittel nutzen, statt mit dem

Taxi zu fahren“. Sie erzählt mir von ihrer

Reise nach Malaysia, auf der sie darauf

bestanden hatte, die öffentliche Bootsverbindung

zu nutzen, die auch der Rest

der Bevölkerung nahm. Die Einheimischen

waren so überrascht, auf eine

Touristin zu stoßen, dass ein Professor

aus Kuala Lumpur sehr verwirrt versuchte,

sie darüber aufzuklären, dass sie das

falsche Reiseangebot nutze. Genauso

auf ihrer letzten Ägyptenreise: Sie reist

vollgepackt mit Strandequipment mittels

Bus ans Meer – auch wenn Leute dann

komisch schauen. Das ist ihr egal. Salo

möchte den Alltag der einheimischen

Bevölkerung mitbekommen, anstatt

abgeschottet in einem Ressort ihren

Urlaub zu verbringen.

Salo selbst ist über ihr Agrarwissenschaften-Studium

an der BOKU erst so

richtig auf das Thema Nachhaltigkeit

gekommen, obwohl es sie schon immer

in einer Form begleitet hat. Es hatte für

sie langsam keinen Sinn mehr ergeben,

dass das ganze Jahr über Gurken oder

Paprika in Supermärkten angeboten

werden, wenn sie in Österreich eigentlich

nicht mehr Saison haben. Und wieso

genau werden Äpfel aus weit entfernten

Ländern wie Argentinien oder Chile

importiert, wenn Österreich selber heimische

Produkte anbieten kann? Ihr erster

Schritt auf ihrer Nachhaltigkeitsreise war

ihren täglich konsumierten Jogurt gegen

Bio – Jogurt einzutauschen. Darauf folgte

dann der Kauf von österreichischen

/ RAMBAZAMBA / 39


Think globally,

act locally!

Elma Salo ist Nachhaltigkeitstrainerin und hält Workshops

zu Themen wie Klima, Konsum und Umweltschutz.

Bio–Eiern. Schritt für Schritt näherte sie

sich der Idee von einem nachhaltigeren

Leben. „Man muss nicht zu 0 % oder 100

% nachhaltig leben. Wir alle befinden

uns in einem Zwischenbereich und versuchen,

so viel zu machen, wie wir können.“

Dieses „Alles–oder–nichts“–Denken

hindert viele Menschen überhaupt daran,

einen Start in ein nachhaltigeres Leben

zu wagen. Dabei kann man immer klein

anfangen. „Als ersten Schritt kann man

Produkte, die man täglich verwendet, mit

Bio–Produkten ersetzen und schauen,

wie einem das gefällt. Ist der Geschmack

besser? Schätze ich meinen Bio-Jogurt

mehr? Tut mir das gut? Dann behält man

dieses Produkt vielleicht bei und erweitert

das Sortiment.“

AUCH DER STAAT

MUSS ZAHLEN

Und trotzdem: Nachhaltiges Leben

kann sehr teuer sein. Nicht jede:r hat

die finanziellen Mittel, um sich Bio–Produkte

zu leisten oder all seine Reisen

auf Zugfahrten zu limitieren. „Es muss

sich grundsätzlich auch etwas auf der

politischen Ebene ändern: Wieso ist eine

Zugfahrt nach Oslo teurer als ein Flug

nach Marokko? Wieso ist es teurer, eine

Bio–Tomate zu kaufen, welche keine

Schadstoffe enthält, gesünder ist und der

Umwelt nicht schadet? Das ist komplett

unlogisch. Hier müssen die richtigen

Gesetze und Förderungen vom Staat

eingeleitet werden, um das nachhaltige

Leben leistbarer zu machen – die Verantwortung

erfolgt nicht nur auf persönlicher

Ebene“.

Statt übermäßig Produkte einzukaufen,

die man bereits in einer ähnlichen

Variation hat, kann man sich dieses Geld

beiseitelegen und damit teurere, nachhaltige

Produkte oder Reisen finanzieren.

Wiederverwendbare Artikel wie Stofftaschen

oder Kaffeebecher sind umweltfreundlich

und nützlich. Wie sie selbst

bemerkt hat, wird das Umfeld auch vom

eigenen Verhalten beeinflusst. „Think

globally – Act locally“, erklärt sie mir. „Ich

habe langsam gesehen, dass die Leute,

mit denen ich Zeit verbringe, nach einer

Zeit auch einen wiederverwendbaren

Kaffeebecher oder einen anderen nachhaltigen

Artikel gekauft haben.“ Somit

hat Salo durch ihre Lebensphilosophie

das Verhalten von anderen Menschen

beeinflusst und in ihrer Umgebung zu

einem nachhaltigeren Verhalten beigetragen,

der dann auch auf einer größeren

Ebene Einfluss hat. Sie veranstaltet auch

regelmäßig Markt–Touren, wo sie Freunde

und Fremde einlädt, sie auf verschiedene

Bauernmärkte in Wien zu begleiten

und sich direkt mit den Produzenten

auszutauschen. „Für mich persönlich ist

es ein Gefühl der Verantwortung, das

Wissen, welches ich habe, an andere

weiterzugeben, um der Klimakrise entgegenzusteuern.“

Dieses Verantwortungsbewusstsein

Salos gibt mir zu denken. Zugreisen

werde ich mir derzeit noch immer nicht

leisten können, aber das öffentliche

Verkehrsnetz in Italien - das kann ich

nutzen. Trotzdem ist das für mich noch

nicht genug. Auch wenn ein großer Teil

der Verantwortung auf große Konzerne

und Industrien abfällt – als Individuum

weiß ich, dass in meinem Leben noch

viel mehr Potenzial besteht, um gegen

die Klimakrise vorzugehen und einen

größeren Beitrag zu leisten. Eines weiß

ich aber sicher: Auf Salos nächster

Markttour bin ich definitiv mit dabei. ●

40 / RAMBAZAMBA /


KOFINANZIERT

VON DER

EUROPÄISCHEN

UNION


MEINUNG

Euphoria hatten

wir auch schon.

LIFE & STYLE

Mache mir die Welt,

wie sie mir gefällt

Von Aleksandra Tulej

Trink-Tipp

WILDE

KROKODILE

UND PALMEN

AUS PLASTIK

NOSTALGIE-SPALTE

LIFESTYLE-

CHANGE

Das war meine letzte Lifestyle-

Kolumne. Vier Jahre lang habe ich

auf dieser Seite über mein Leben,

meine Make-Up-Fails, O. C., California,

meine Tuchmasken-Obsession

und Hyaluron-Produkte, die nicht

funktionieren, geschrieben. Ich

hab’s geliebt. Aber jetzt ist es an der

Zeit, diese unentbehrlichen Weisheiten

zu begraben und Platz für

Neues zu schaffen. Ab der nächsten

Ausgabe erwartet euch hier ein

Tapetenwechsel. Eines kann ich

verraten: Die neue Tapete hat nicht

nur viel bessere Make-Up-Skills, sie

ist jünger und cooler als ich – freut

euch drauf!

Party, Drogen, Intrigen, Liebe,

Glitzer und noch mehr Glitzer:

Die HBO-Serie Euphoria ist so

etwas wie ein psychedelisches

Coming-Of-Age-Drama. Euphoria

lässt Teenie-Drama-Koryphäen

wie Gossip Girl, 92010 und O.C.,

California fad und fahl wirken. Bei

der Zielgruppe kommt es verdammt

gut an. Und dafür hagelt

es Kritik. Die Serie würde Drogenkonsum,

Gewalt und anonymen

Sex verherrlichen und Teenager

würden dieses „Absturz-Image“

feiern. Und ich kann verstehen,

wieso. Das Konzept ist kein

neues. Erinnert ihr euch noch

an die UK-Serie Skins? Oder den

Kult-Film Thirteen? Das war unser

Euphoria. Ich habe damals mit

meinen Freundinnen Latella in

einen Flachmann gefüllt, unseren

Eyeliner verschmiert und heimlich

Ibuprofen-Tabletten unter der

Bank ausgetauscht. Weil wir cool

und mysteriös sein wollten. Jede

Generation braucht sowas. Auch

wenn man sich 15 Jahre später

dafür schämt. Let them have it.

tulej@dasbiber.at

Die beiden Deutschrap-Berühmtheiten

RAF Camora und Bonez MC

haben diesmal keinen neuen Track,

aber dafür eine Limo rausgebracht.

„Wild Crocodile“ gibt es in vier Sorten:

Smooth Berry, Cola, Crazy Lime

und Tropical Orange. Wir durften

uns in der Redaktion durchkosten,

das Fazit war: Die Limos schmecken

irgendwie nach Kindheit und Sommerferien.

Süß, sauer, fresh, die Farben

sind auch bunt durchgemischt.

Es gibt einem jenes Feeling, das man

früher im Freibad hatte. Die beiden

Rapper haben sich übrigens bei der

Konzeption der Getränke von der Insel

Jamaika inspirieren lassen. Schmeckt

aber im Schimmbad in Rudolfsheim-

Fünfhaus genauso gut, finden wir. Die

Palmen können ja aus Plastik sein.

Haut-Tipp

GESICHTSMASKE

FÜR GARGAMEL

Ich bin in letzter Zeit eine Mischung

aus Thaddäus von Spongebob und

Gargamel. Genervt, gestresst und

feindlich eingestellt. Das wirkt sich

natürlich auf meine Haut aus. Entweder

sie ist staubtrocken, oder sie

beschließt über Nacht, in die Pubertät

zu kommen und mir drei Millionen

Pickel zu bescheren. Schnelle

Abhilfe: die Vitamin-C-Shot-Maske

von Garnier. Damit die Haut zumindest

nicht mehr so stresst, um mein

restliches Leben muss ich mich

noch kümmern. 2,20 €

© Zoe Opratko, Chiara Milo / FOLLOW, Garnier

42 / LIFESTYLE /


TECHNIK & MOBIL

Alt+F4 und der Tag gehört dir.

Von Adam Bezeczky

© Marko Mestrovic, unsplash.com/Nuno Marques, unsplash.com/Jakub Kapusnak, NASA

MEINUNG

GRÜNE

REVOLUTION

Es mag zynisch klingen, aber möglicherweise

wird der Ukraine-Konflikt

eine grüne Revolution in Europa

einläuten. Bisher gab es keine wirkliche

Motivation, vom russischen Gas

wegzugehen: Es war billig und die

Versorgungssicherheit war gegeben.

Mit einem Schlag ist es auch der

Politik bewusst geworden, dass wir

hier komplett auf einen Lieferanten

angewiesen sind. Die ‚Grüne Offensive‘

muss nun in Richtung Nachhaltigkeit

und Umweltfreundlichkeit gehen:

Solar-, Wind- und Erdwärme werden

die Abhängigkeit reduzieren. Dank

genialer technischer Lösungen wie

grünen Dächern, kühlenden Fassadenfarben

und leistungsfähigen Solarzellen

werden wir den Umstieg schaffen.

bezeczky@dasbiber.at

Mondrakete

fast startbereit

Am 18. März war es so weit:

Nach zehn Jahren Bau- und

Entwicklungszeit wurde die

Mondrakete SLS 1 im Kennedy

Space-Center getestet.

Die riesige, 111 Meter hohe

Rakete soll im Mai den ersten

Testflug durchführen - dieses

Mal wurden alle Prozesse

durchgespielt und alle Geräte

an Board getestet. Schon bald

also könnte die Menschheit auf

den Mond zurückkehren!

Wer schnell hilft, hilft doppelt

Der Krieg in der Ukraine macht

fassungslos. Mobilfunker Magenta

hat, so wie alle anderen großen

Mobilfunkprovider, Anrufe in und

aus der Ukraine gratis geschaltet.

Aber Magenta geht weiter: Es wurden

5000 SIM-Karten für Geflüchtete

und 100 Mobilfunk-Router für

Fisch ist

gesund

Fisch ist gesund, weil fettarm und

hoffentlich nicht mit Schleppnetzen

gefangen. Aber Fisch kann mehr:

ForscherInnen der Deutschen

Gesellschaft für Gefäßmedizin

haben herausgefunden, dass

speziell aufbereitete Fischhaut die

Wundheilung unterstützen kann

und auch dort heilend unterstützt,

wo bisher die Wundheilung nicht

funktioniert hat. Petri heil!

Unterkünfte bereitgestellt. Damit

können die Menschen zumindest

auf digitalem Wege mit Familie und

Freunden in Kontakt bleiben - und

hoffentlich bald über das Ende des

Krieges Bescheid wissen. Zumindest

ist so den geflüchteten Menschen

eine Sorge abgenommen worden.

/ TECHNIK / 43


KARRIERE & KOHLE

Para gut, alles gut

Von Šemsa Salioski

MEINUNG

Privilegien, Lebensläufe

und „Gutes tun“

Jeder kennt Gap-Year-Leute, die auf Social-

Media präsentieren, wie sie im globalen

Süden Waisenkindern Englisch beibringen,

Häuser bauen oder Ärzt*innen bei Untersuchungen

assistieren. Nach dem Abschluss

wollen sie weit weg #realworldproblems

sehen, (für ein paar Wochen) „Gutes tun“

und polieren dabei den CV auf, denn soziales

Engagement in der Ferne feiert jede HR-

Leitung. Vor allem in sozialen Berufen gelten

Auslandsfreiwilligeneinsätze, so fragwürdig

sie in Reality sind, als Türenöffner. Dass der

Großteil aus privilegierten Verhältnissen mit

Para kommt, weiß intern jeder. Insgesamt

können die Kosten zwischen 1000-3000

Euro für Teilnahmegebühren, Flug, Unterkunft,

Verpflegung und Reiseversicherung

betragen. Erfahrungen wie diese fehlen

Personen aus sozial schwachen Familien auf

dem Lebenslauf. Stipendien bekommt man

nur schwer. Kopf hoch, die Voluntourism-

Industrie ist eh scheiße. Zahlreiche Programme

nehmen locals Arbeitsplätze weg.

Zudem werden Hilfsprojekte vermehrt in

Regionen verlagert, die beliebt bei „Westerners“

sind. Im Grunde werden die Bedürfnisse

der Freiwilligen gedeckt, nicht die der

Communities, die nachhaltige Unterstützung

von Expert*innenteams brauchen, aber

unqualifizierte Teenager bekommen. Das

alles sollte die applaudierende HR-Abteilung

bei kommenden Einladungen zu Bewerbungsgesprächen

vielleicht miteinbeziehen.

salioski@dasbiber.at

Tipp

SINNVOLLES

VOLUNTEERING

IN ÖSTERREICH

„Nightingale“: Schüler*innen-Mentoring

Volksschüler*innen mit Migrationshintergrund

aus Wien, Graz, Salzburg und

Linz treffen sich einmal in der Woche

mit Studierenden. Es geht darum,

dass die Mentor*innen die Kinder mit

österreichischen Kultur- und Bildungsinstitutionen

vertraut machen und einen

Beitrag zur Inklusion leisten. Gern gesehene

Ausflugsziele sind Universitäten,

Museen, Kindertheater oder Tiergärten.

Mehr Infos unter:

https://bib.phwien.ac.at/projekt/nightingale-inklusiv/

Andere Optionen in Österreich unter:

https://www.socialheld.at/

Was ist die Grundidee

von EU FOR YOU?

Jungen Menschen

zeigen, was die EU für

uns macht und machen

kann. Außerdem soll

klar sein, wie wir uns

alle beteiligen können,

um sie positiv zu verändern

und Mitmenschen

in Notsituationen zu

unterstützen. Mehr Leute

sollen wissen, dass

die EU kein unsichtbarer

Betonklotz ist, sondern

aus Menschen besteht,

die wir erreichen können.

Was unterscheidet „EU

FOR YOU“ von anderen

Non-Profit-Nachrichtenplattformen?

Plump gesagt: Wenn die

Leute mit mir schreiben,

3

FRAGEN AN:

MARCOS

MOSCHOVIDIS

von „EU FOR YOU“

FOMO

(„FEAR OF MISSING OUT“)

WAR GESTERN!

Endlich ist es wieder soweit!

Die Tage werden länger, die

Natur blüht auf und immer mehr

Menschen tauchen im Wald auf,

denn die Wildkräuter sind wieder

da! Bärlauch, Knoblauchrauke,

Brunnenkresse und Co. dürfen

im Frühling in der Küche nicht

fehlen. Du willst auch Kräuter

brocken und DIY Pesto & Co.

zubereiten, weißt aber nicht wie?

Bei den Kräuterkursen der Wiener

Volkshochschulen lernst du, wie

du die richtigen Kräuter findest,

was du damit kochen kannst und

wie du damit auch Naturkosmetik

herstellst. Sounds good, oder?

Alle Infos findest du auf

www.vhs.at/kraeuterwanderung

dann schreiben sie mit

einem Typen, der in

Nike-Jogginghose und

AirMax durch die Stadt

läuft. Das ist in der Politikwelt

eher unüblich.

Ansonsten: Die leicht

verständliche Sprache,

die Möglichkeit bei Interviews

mit hochrangigen

Politiker*innen Fragen

zu stellen und die easy

Erreichbarkeit.

Welche Ereignisse

motivieren euch weiterhin

dazu in eurer Freizeit am

Projekt zu arbeiten?

Alles, was Menschenrechte/Demokratie

einschränkt, zeigt, wie

notwendig Aufklärungsprojekte

sind und

bleiben.

© Zoe Opratko, Michalis Mandalenakis

44 / KARRIERE /


LEHRE NACH DER MATURA!

„Ich zeig, was ich kann.

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MEINUNG

Alter Schaumwein in

neuen Schläuchen

Die westukrainische Stadt Lviv hat in meinem

Herzen einen ganz besonderen Platz.

Dort verbrachte ich einige Wochen um den

Jahreswechsel 2015/16, den ich mit literweise

„Sovetskoje Schampanskoje“ (auch

bekannt als Krimsekt) feierte, dessen Restbestände

damals im Supermarkt zu einem

Spottpreis verkauft wurden. Der Grund: Die

Bezeichnung „Sowjetischer Champagner“

ist unter Präsident Poroschenko im Januar

2016 im Zuge eines Gesetzes zur Dekommunisierung

– gemeinsam mit anderen

kommunistischen und auch nazistischen

Symbolen – verboten worden. Damit gingen

etliche Umbenennungen von Straßen,

Gebäuden und Plätzen, das Verbot der KP,

und eine Bandbreite an gestürzten Denkmälern

von Lenin und Co einher. Das Verbot

kam aber auch den Franzosen gerade

recht, die so lange gegen die Bezeichnung

„Champagner“ gekämpft hatten, da es sich

beim Krimsekt ja nicht explizit um renommierten

Schaumwein aus der Champagne

handelte. Zu Sowjetzeiten wurde nämlich

jeder Schaumwein als „Schampanskoje“

bezeichnet, was bis heute nicht unüblich

ist. Für den unschlagbaren Preis von

umgerechnet 1 Euro konnte man sich eine

Flasche „sowjetischen Golds“ mit nachhause

nehmen und die Vergangenheit die Kehle

hinunterspülen. Zu Ach, wenn alles bloß so

einfach wäre.

el-azar-chekh@dasbiber.at

KULTURA NEWS

Klappe zu und Vorhang auf!

Von Nada El-Azar-Chekh

Festivaltipp

JÜDISCHES

FILMFESTIVAL

Unter dem Motto „We Are Family“ beleuchtet

das Jüdische Filmfestival die Familiendynamiken,

die von Filmemacher:innen gerne mit

Selbstironie und Witz angegangen werden.

Aufgrund des aktuellen

Ukrainekriegs wird

auch ein Schwerpunkt

zum Thema „Kinder

auf der Flucht“

im Programm sein.

Umfassen wird das

Programm rund 35

Langfilme und um die

10 Kurzfilme. Dazu

sind Filmgespräche

und das Symposium mit 14 Filmen und 4 Vorträgen

geplant.

Von 24. April bis 8. Mai 2022 in ausgewählten

Kinos.

Mehr Informationen unter: www.jfw.at

Ausstellungstipp

Chernobyl

Safari

Die russische Künstlerin Anna Jermolaewa

stellt im Rahmen der FOTO WIEN ihre

Serie „Chernobyl Safari“ im Wiener Museum

für Angewandte Kunst (MAK) vor. Seit der

Reaktorkatastrophe vom April 1986 ist die

Sperrzone rund um das AKW Tschernobyl für

Menschen unbewohnbar.

Jermolaewa

dokumentierte,

wie sich die Tierwelt

diesen Raum zurückerobert

hat. Erstmals

wurde das Projekt

auf der Biennale in

Kiew 2015 gezeigt.

Bis 5. Juni 2022 im

MAK Wien zu sehen.

Buch-Tipp:

FREI

Erwachsen

werden am Ende

der Geschichte

Albanien, Ende der 80er

Jahre. Die Sozialistische

Volksrepublik steht kurz vor

ihrem Zusammenbruch.

Autorin und Professorin Lea

Ypi (*1979) beschreibt in

ihren Memoiren liebevoll, wie

es ist, am letzten Außenposten

des Stalinismus aufzuwachsen

und als Zehnjährige

mitzuerleben, wie aus dem

kommunistischen Albanien

allmählich ein liberaler Staat

wurde.

Erschienen bei Suhrkamp,

332 Seiten, 28,-€

© Christoph Liebentritt, Anna Jermolaewa/Bildrecht, Suhrkamp, Jüdisches Filmfestival Wien, Anastasiya Mantach

46 / KULTURA /


3 FRAGEN AN…

OLEKSIY RADYNSKI

Oleksyi Radynski (*1984)

ist einer der vielen

teilnehmenden KünstlerInnen

am Solidaritätsprojekt

„Artists for

Ukraine“, das zur Zeit im

MuseumsQuartier Wien

gezeigt wird.

BIBER: Wirst du als Halb-Ukrainer und Halb-Russe oft nach

deiner persönlichen Einstellung zum Krieg gefragt?

OLEKSYI RADYNSKI: Es macht keinen Sinn, diesen Krieg in

ethnischen Kategorien zu denken. Das ist kein Krieg zwischen

dem russischen und dem ukrainischen Volk – sondern

ein Krieg zwischen Neofaschismus und Antifaschismus.

Russischsprachige, die in der Ukraine leben, gehören derzeit

zu denen, die am meisten unter dem Krieg leiden, da Putin

beschloss, sie zu „befreien“, indem er russischsprachige

Städte in der Ostukraine dem Erdboden gleichmachte. Ein

großer Teil der Russen und Russischsprachigen ist vor langer

Zeit Teil der ukrainischen politischen Nation geworden.

Dieser Prozess hat sich seit 2014 wirklich beschleunigt, als

Putin beschloss, einen Aufstand unter Russischsprachigen in

der Ostukraine zu starten – nur um herauszufinden, dass die

meisten von ihnen sich der Russischen Föderation entgegenstellen,

bis zur Bereitschaft, die Waffen gegen diesen neofaschistischen

Staat in die Hand zu nehmen. Ich denke, dass

das Stellen von Fragen auf der Grundlage der ethnischen

Zugehörigkeit in diesem Zusammenhang völlig irrelevant ist

und ein schlechtes Wissen über die Situation aufdeckt.

Immer mehr Institutionen beenden ihre Zusammenarbeit mit

russischen KünstlerInnen, und Forderungen nach einem

Totalboykott werden immer lauter, unabhängig von der

persönlichen Agenda der Betroffenen. Ist das gerechtfertigt?

Ich denke, dass diese schlecht durchdachten Manöver nicht

das eigentliche Problem lösen. Das eigentliche Problem, das

ich jetzt sehe, ist, dass immer mehr akademische und künstlerische

Institutionen tatsächlich offene Aufrufe für Künstler

und Akademiker veröffentlichen, die durch den Krieg „sowohl

in der Ukraine, als auch in Russland“ vertrieben wurden.

Ich finde das nicht nur extrem zynisch – es ist eine Sache,

vor den Bomben zu fliehen, und eine andere, das Land aus

politischen Gründen freiwillig zu verlassen – sondern es

reproduziert auch die kolonialen Ungleichheiten, unter denen

die Ukrainer sehr lange gelitten haben. Russische Künstler

und Akademiker konnten von starken Institutionen in ihrem

Land profitieren, die von Öl- und Gasgeldern angetrieben

wurden, und haben dadurch großes symbolisches Kapital

und internationale Sichtbarkeit angehäuft. Zur gleichen Zeit

lebten ukrainische Künstler und Akademiker in einem verarmten

Land ohne wirkliche Institutionen, sie mussten ihren

Überlebensjobs nachgehen, anstatt ihrer Karriere nachzugehen,

und sind daher gegenüber den Russen völlig benachteiligt.

Ukrainer und Russen in Konkurrenz, um eine begrenzte

Anzahl von Positionen zu stellen, ist ein Fall von unglaublicher

westlicher Ignoranz.

Du bist nicht nur Filmemacher, sondern auch Journalist. Was

sind deine Gedanken zum Informationskrieg, der zeitgleich

tobt?

Der Informationskrieg endete am 24. Februar 2022 mit dem

Beginn des echten Krieges. Die veralteten Konzepte aus der

Vorkriegszeit, wie „es gibt viel Propaganda auf beiden Seiten“

sind jetzt mitschuldig an der Tötung von Zivilisten durch

das russische Militär. Eine Sache, die man mit Sicherheit wissen

kann, ist, dass Russland in die Ukraine einmarschiert ist,

und es ist klar, dass es dies sowieso getan hätte, unabhängig

davon, was es in Wirklichkeit mit der NATO-Osterweiterung,

den „Laboren für biologische Kriegsführung“ und anderem

Bullshit aus dem Arsenal des Informationskriegs auf sich hat.

WIDERSTÄNDIGE

MUSEN

DELPHINE SEYRIG

UND DIE FEMINISTISCHEN

VIDEOKOLLEKTIVE IM

FRANKREICH DER 1970ER-

UND 1980ER-JAHRE

7/4—4/9 2022

Micha Dell-Prane, Delphine Seyrig und Ioana Wieder

halten eine Kamera während einer Demonstration, 1976 •

Courtesy Centre Audiovisuel Simone de Beauvoir


„Schlagermusik prägte

meine gesamte Jugendzeit.“

Bei der Castingshow Starmania singen

sich in diesem Jahr 28 junge Talente aus

ganz Österreich ins heiß begehrte Finale.

Einer von ihnen ist der 23-jährige Marco

Spiegl aus Tirol. Über seine Leidenschaft

für Schlager und seine Vorbilder.

Von Nada El-Azar-Chekh

BIBER: Was gefällt dir so sehr an Schlagermusik?

MARCO SPIEGL: Mit Schlagermusik bin ich aufgewachsen. Ich

habe schon mit vier Jahren Ziehharmonika spielen gelernt und

so war der Bezug zur Volks- und Schlagermusik immer da. Dieser

prägte auch meine gesamte Jugendzeit. Natürlich hatte ich

als „Teenager“ mal Zeiten, wo die Volks-/Schlagermusik nicht

mehr so „cool“ war, aber das ging dann relativ schnell wieder

vorbei, als ich merkte, dass ich mit meiner Harmonika während

meiner Zeit in der Hauptschule schon Erfolg hatte.

Wer sind deine großen musikalischen Vorbilder und mit wem

würdest du gerne gemeinsam auf der Bühne stehen?

Ich bin ein riesengroßer Fan von Elvis Presley. Ich höre auch

sehr gerne Vicky Leandros. Was mich sehr freut, ist die Einladung

von Starmania Gast-Jurorin Melissa Naschenweng, mit

der ich im Juli im Vorprogramm beim Bergbauern-Open-Air auf

der Bühne stehen darf. Ansonsten bin ich offen für jede Art von

Musik.

Du wolltest schon als Kind bei Starmania mitmachen. Wie

haben deine Familie und Freunde auf deine Teilnahme

reagiert?

Zuerst waren viele eher skeptisch, da ich mit Schlager bei

Starmania auftreten wollte. Aber als ich dann mit „Tür an Tür

mit Alice“ das erste Mal auf der großen Starmania-Bühne

gestanden bin, staunten einige. Trotz allem haben mich meine

Freunde und vor allem meine Familie von Anfang an bei meinem

Vorhaben unterstützt.

Wolltest du schon immer Schlagersänger werden? Hast du

einen Plan B?

Ich habe zuerst eine Ausbildung zum Elektriker gemacht und

diese auch abgeschlossen. Seit 2017 betreiben wir bei uns in

Tirol Appartements, die ich auch betreue. Aber ich habe mittlerweile

das Glück, dass ich von meiner größten Leidenschaft,

der Musik, schon relativ gut leben kann.

Welche Tricks hast du gegen Lampenfieber? Was geht dir auf

der Bühne durch den Kopf?

Ich glaube, eine gewisse Grundnervosität ist immer da und

da gibt es kein Mittel dagegen. Aber sobald ich auf der Bühne

stehe und die Musik losgeht, bin ich in einer anderen Welt und

der Kopf wird frei.

© ORF/Hans Leitner

48 / KULTURA /


BEZAHLTE ANZEIGE

EIN NEUER

BLICK AUF DAS

NOMADISCHE

EUROPA

Die Schallaburg lädt mit

der Ausstellung „Reiternomaden

in Europa –

Hunnen, Awaren, Bulgaren,

Ungarn“ Besucher -

Innen dazu ein, die Kultur

der Reiternomaden kennenzulernen,

die im Frühmittelalter

über das

Gebiet des heutigen

Niederösterreichs zogen.

Die Reiternomaden waren durchaus mehr, als nur zerstörerische

Krieger und Eroberer. Mit der umfangreichen Schau werden neue

Blickwinkel auf die fortschrittlichen Technologien, die Mode, und ihr an

die Natur angepasstes Leben eröffnet. Auch wird der Frage nachgegangen,

warum sich die Völker aus dem Karpatenbecken und dem

unteren Donauraum auf eine Reise in den Westen begaben, nachgegangen.

„Ist es nicht faszinierend, wie Geschichte und Archäologie

mit modernsten Methoden die Vergangenheit erforschen? Wo heute

Niederösterreich ist, begegneten sich seit über 2000 Jahren völlig

verschiedene Gesellschaften und Kulturen. Die Reitervölker aus dem

Osten lebten nach völlig anderen Regeln und Werten. Aber sie passten

sich in vielerlei Hinsicht den Nachbarn an“, erklärt Kurator Falko Daim.

Der Vergleich zwischen den Völkern, die unterschiedlicher nicht sein

konnten, bricht mit den bisherigen Stereotypen über die „wilden Horden“

und gibt spannende Einblicke in ihre Hierarchien.

© Klaus Pichler

Anlässlich zum 100. Jubiläum des Landes Niederösterreich

wird die Ausstellung „Reiternomaden in Europa“ noch bis zum

9. November 2022 gezeigt.

Alle Infos gibt’s auf www.schallaburg.at

EINE INFORMATION DES LANDES NIEDERÖSTERREICH


KAMPF

GEGEN

ROLLEN­

BILDER

Im irakischen Diwaniyya gibt es seit sechs

Jahren ein Kabaddi-Frauen-Team. Trotz

sportlicher Erfolge ist die gesellschaftliche

Akzeptanz gering: Viele Frauen hören mit

dem Sport auf, sobald sie heiraten, oder ihre

Familie stellt sich dagegen. Aber: Ein Wandel

ist in Sicht. Eine Vor-Ort-Reportage.

Von Markus Schauta, Fotos: Markus Korenjak

In einer Sporthalle in Diwaniyya

steht die 17-jährige Fatima auf

einem mit Matten ausgelegten

Feld ihren Gegnerinnen gegenüber.

Die jungen Frauen bilden

einen losen Halbkreis, der sich langsam

um Fatima zu schließen beginnt. Dann

geht es rasch. Fatima schnellt nach

vorne und schlägt mit ihrer Hand einer

der Gegnerinnen auf den Oberschenkel,

bevor sie zurück in die andere Hälfte des

Spielfeldes läuft. Wäre das ein Wettbewerb,

hätte Fatimas Team jetzt einen

Punkt gemacht.

Dass Fatima in dieser Halle Kabaddi

trainiert, ist alles andere als selbstverständlich.

Als sie mit dem aus Indien

stammenden Kontaktsport begann,

musste sie sich einiges anhören. Sport

sei nichts für eine junge Frau, sie würde

dem Ruf der Familie schaden und solle

besser zuhause bleiben. Doch Fatima

blieb nicht zuhause. Seit einem Jahr

kommt sie mehrmals die Woche in die

Sporthalle, um unter der Leitung von

Coach Alaa Hussein Angriffsbewegungen

und Verteidigungsstrategien zu trainieren.

50 / RAMBAZAMBA /


Ibrars Angriff schlug fehl,

ihre Gegnerinnen konnten sie

zu Boden ringen.

/ RAMBAZAMBA / 51


Viermal die Woche trainieren die jungen Frauen Kabaddi

Coach Alaa Hussein trainiert seit sechs

Jahren das Kabaddi-Team

Diwaniyya liegt zwei Autostunden

südlich von Baghdad im grünen Fruchtland

zwischen Euphrat und Tigris. Aus

Sicht der Hauptstadt gilt Diwaniyya

als konservativ. In Städten wie dieser

wachsen Mädchen mit der Erwartung

auf, dass sie im Alter von 16 oder 17

heiraten werden, sagt die irakische Autorin

und Frauenrechtsaktivistin Houzan

Mahmoud. Dieses Frauenbild werde von

einer Vielzahl an Institutionen reproduziert.

Angefangen bei der Familie über

die Schule bis zur Moschee. Ihre Tochter

zu verheiraten, ist daher für viele Eltern

vorrangig. Aber auch die jungen Frauen

selbst sehen darin den für sie vorgezeichneten

Lebensweg, der wichtiger

Bei Auslandsturnieren

fehlen immer

wieder wichtige

Spielerinnen.

erscheint als der Schulabschluss oder

eine Berufsausbildung. Für Sport ist auf

diesem Lebensweg wenig Platz. „Viele

Männer wollen keine Frau heiraten, die

Sport betreibt und dadurch bei Trainings

oder Wettbewerben in der Öffentlichkeit

auftritt“, so Mahmoud. Sportlerinnen

riskieren dadurch jene Zukunft, die die

Gesellschaft für sie vorsieht: Ehemann,

Kinder und Familie.

Mit der Schwierigkeit junge Frauen

für das Team zu gewinnen, kämpft

Coach Alaa Hussein seit der Gründung

des Kabaddi-Clubs vor sechs Jahren.

Zurzeit trainiert er 25 Mädchen, die

Jüngste im Team ist 14, die Älteste 26.

Viermal die Woche treffen sie sich zum

Training. „Sofern es sich mit Schule und

Universität vereinbaren lässt“, so der

Coach.

Auf die Leistungen seines Teams

ist Hussein stolz. Bei einem Wettkampf

zwischen sieben irakischen Clubs im

Juni 2021 gewann sein Team den ersten

Platz. Und auch im Ausland konnten sich

die jungen Irakerinnen schon behaupten:

Bei einem Wettkampf in Beirut erreichten

sie Platz zwei.

„Trotz allem erfahren die Leistungen

der Mädchen kaum Anerkennung“, sagt

der Coach. Die Reise in den Libanon sei

52 / RAMBAZAMBA /

nur möglich gewesen, weil eine irakische

Bank als Sponsor auftrat. Von staatlicher

Seite gab es keine Unterstützung.

Andere Wettbewerbe wie die Meisterschaft

2017 in Japan mussten wegen

mangelnder finanzieller Mittel abgesagt

werden. „Wir haben Erfahrung und gute

Sportlerinnen, aber wir brauchen Geld,

um voranzukommen“, sagt Hussein.

Aber nicht nur am Finanziellen, auch

an der gesellschaftlichen Akzeptanz

mangle es. Die meisten jungen Frauen

würden das Training abbrechen, sobald

sie heiraten, weil ihre Ehemänner den

Sport nicht akzeptieren. Eltern wiederum

wollen oft nicht, dass ihre Töchter zu

Wettkämpfen fahren. „Daher fehlen bei

Auslandsturnieren immer wieder wichtige

Spielerinnen“, so der Coach.

Auch bei Ibrar dauerte es eine Weile,

bis ihre Eltern sich an die neue Rolle der

20-Jährigen als Sportlerin gewöhnten.

Über eine Freundin habe sie vom Kabaddi-Team

gehört und war sofort begeistert.

Doch ihre Eltern waren zunächst

strikt dagegen. Erst nach einem Besuch

in der Sporthalle, wo sie sahen, wer hier

trainiert und dass der Coach keine männlichen

Zuseher während des Trainings

zulässt, willigten sie ein. Schulkolleginnen

von ihr konnten sich nicht durch-


Bei Kabaddi stehen

sich zwei Teams von

je sieben Spielern

auf einem 12,5 x 8

Meter großen Spielfeld

gegenüber. Das Spiel

ist in zwei Halbzeiten

von je zwanzig Minuten

unterteilt. Während

dieser Zeit schicken die

Teams abwechselnd

sogenannte „Angreifer“

los. Diese versuchen,

innerhalb von 30

Sekunden so viele

gegnerische Spieler

wie möglich mit Hand

oder Fuß zu berühren,

ohne dabei selbst von

den Gegnern zu Boden

gerungen zu werden.

Dass Fatima Sport betreibt, ist im konservativen Diwaniyya nicht selbstverständlich.

setzen. Da gebe es vieles, das die Eltern

störe, so Ibrar. Etwa, dass der Coach ein

Mann ist und die Mädchen beim Training

enge Hosen tragen. „Unsere Gesellschaft

ist für Mädchen nicht offen“, sagt sie.

Alleine auszugehen oder über Nacht

bei einer Freundin zu bleiben, sei für sie

undenkbar. Ob sie einen Freund habe?

Sie lacht verlegen und schüttelt den

Kopf. Mit dem Verlieben sei das nicht so

einfach, Beziehungen oder Heirat wären

ohne die Zustimmung der Eltern nicht

möglich.

men auf die Straße ging: „Die Jungen

haben eine Dynamik angestoßen, die

langfristig Änderungen herbeiführen

wird.“ Dazu gehört auch, dass Frauen

sich den öffentlichen Raum zurückerobern.

Auch Fatima und Ibrar haben nicht

vor, Kabaddi aufzugeben. Im Gegenteil,

sie hoffen auf Sponsoren und darauf,

sich international behaupten zu können.

Und auch was die Leute hinter ihrem

Rücken reden, bereitet ihnen kein Kopfzerbrechen

mehr. Ibrar: „Ich kümmere

mich nicht mehr darum.“ ●

GESELLSCHAFT IM FLUSS

Doch auch die Gesellschaft Iraks verändert

sich, so die Aktivistin Mahmoud.

Nach dem Sturz des Regimes 2003

und dem darauf folgenden Erstarken

islamistischer Gruppen, wurde die Rolle

der Frau immer mehr eingeschränkt.

Inzwischen sei jedoch eine neue Generation

mit Satelliten-TV, Internet und

Sozialen Medien herangewachsen. Die

Jungen hätten gesehen, was Islamisten

und Nationalisten anrichten und wie

korrupt große Teile der Eliten sind. „Das

bestärkte sie darin, es anders machen

zu wollen“, so die Aktivistin. Ein Ergebnis

dessen sei die Protestbewegung, die ab

Oktober 2019 für fundamentale Refor-

Fatima, Ibrar und ihre Kolleginnen vor der Sporthalle in Diwaniyya.

/ RAMBAZAMBA / 53


KOLUMNE

DER KRIEG IST DAS SYMPTOM,

DIE KRANKHEIT IST DAS PATRIARCHAT

Ich will diesen Albtraum nicht akzeptieren.

Ich habe am Anfang des Krieges vehement

versucht, die Nachrichten über die Eskalationen

in der Ukraine zu ignorieren. Jede:r

weiß, dass das, was du ignorieren willst, erst

recht dein Denken und Fühlen bestimmt.

Und ich wollte nichts von Krieg hören. Nicht

schon wieder. Ich kann mich nicht damit

befassen, ohne dass durch die Bilder vom

Krieg das Chaos und der Schmerz in mir über

den damals in Syrien erlebten Krieg ausgelöst

werden. Die Geschehnisse sind retraumatisierend

und triggernd.

Also habe ich nach Ausbruch des Krieges

in der Ukraine mein Handy ausgeschaltet

und bin auf einen Berg gegangen. In schwierigen Zeiten

suche ich immer Unterschlupf in der Natur. Aber diesmal

wirkten die Ruhe und der Frieden in der Natur auf

mich sehr schmerzhaft. Weil diese Schönheit neben dem

Wahnsinn der Menschen sehr fragil schienen. Als der

Krieg in Syrien begann, wollte ihn niemand wahrhaben.

Wir dachten, es sei einfach vorübergehende Unruhe.

Kein Mensch, auch nicht diejenigen, die am meisten pessimistisch

waren, konnte sich das verheerende Ausmaß,

das der Krieg annahm, vorstellen. Die Zündschnur der

Gewalt brannte unbegreiflich schnell ab. Jetzt scheint

der Krieg so absurd normal, dass Kinder meines Bruders

sich gegenseitig auslachten für ihr Zähneklappern, als in

der Nähe heftig bombardiert worden war, oder über ihre

Bettnässe, als eine Rakete im nächsten Wohnblock landete.

Und das ist das Schlimmste am Krieg: Er entleert

uns unserer Menschlichkeit.

WIR BRAUCHEN MEHR FRAUEN IN DER POLITIK

Ich konnte meine emotionale Distanzierung von diesem

aggressiven Angriff Putins auf die Ukraine nicht aufrechterhalten.

Denn spätestens als Menschen sich auf die

Flucht begaben, ergriffen mich diese Geschehnisse mit

voller Macht. Ich kann ihre Angst, ihre Verstörung und

ihr Entsetzen in meinem Körper nachempfinden. Dazu

turjman@dasbiber.at

Jad Turjman

ist Comedian, Buch-Autor

und Flüchtling aus Syrien.

In seiner Kolumne schreibt

er über sein Leben in

Österreich.

gezwungen zu werden, die eigene Heimat

so panisch und planlos verlassen zu müssen,

ist eine hoch traumatische Erfahrung,

die sich in dem Gedächtnis dieses Volkes

tief einbrennt. Diesen Menschen zu helfen,

sollte unsere erstrangige Priorität sein.

Natürlich macht mich die Doppelmoral in

Europa fassungslos, dass der Grad der

Solidarität nach der Entfernung des Geschehens

und dem Aussehen der Menschen in

Not bemessen wird. Nur deshalb auf Kriege

emotional zu reagieren, weil sie sehr nahe

bei uns sind, ist nicht sehr humanistisch,

sondern selbstbezogen. Eine aufrichtige

Solidarität gilt jedem Menschen, unabhängig

von der Entfernung der Misere und seiner ethischen

Zugehörigkeit. Wir hatten genug Kriege und Menschenrechtsverletzungen

in den letzten Jahren, für die keine

ZIB-Spezial gemacht wurde. Ebenfalls macht mich die

Doppelmoral Polens und Ungarns fassungslos, die Grenze

für ukrainische Flüchtende zu öffnen und sie mit weit

ausgestreckten Armen zu empfangen. Wobei sie vor ein

paar Monaten syrische und afghanische Geflüchtete mit

Tränengasbomben begrüßten und einige an der Grenze

erfrieren ließen. Diese Schande wird die Geschichte

Europas lange belasten. Ich bin jedenfalls sehr glücklich

und enthusiastisch, dass sie nun für diese Menschen das

tun, was für Menschen in Not getan werden muss.

Dieser Krieg und die imperialistischen Interessen Putins

sind bloß Symptome. Die Krankheit ist das Patriarchat.

Die Krankheit sind Männer, die nie gelernt haben, ihren

Schmerz zu spüren, zu zeigen und zu benennen. Die

Krankheit sind Männer, die ihren Schmerz und ihre Verletzlichkeit

in Härte und Empathielosigkeit verwandeln.

Die Krankheit sind Männer, die Feinde und Kriege brauchen,

um sich von ihrem inneren Terror und Schmerz

abzulenken. Wir brauchen unbedingt neue und heilende

Männlichkeitsbilder. Wir brauchen viel mehr Frauen in

der Politik. Dieser Krieg ist ein weiteres Alarmzeichen,

dass wir die Politik menschlicher machen müssen. Weltweit.

Robert Herbe

54 / MIT SCHARF /


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