KOMPENDIUM-2.0
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Ein dritter wesentlicher Faktor der Systemkosten
ergibt sich aus der Notwendigkeit,
Kapazitäten regelbarer Stromerzeugung vorzuhalten,
um die Versorgungssicherheit zu
gewährleisten. Hierbei wird unterschieden
zwischen Netzreserve, Kapazitätsreserve
und der Sicherheitsbereitschaft. 43 Das Prinzip
ist, dass inaktive bzw. zur Stilllegung vorgesehene
Kraftwerke in Betriebsbereitschaft bleiben
und insbesondere im Winter auf Anforderung
der Netzbetreiber kurzfristig bei Engpässen
einspringen. Nach der geplanten Abschaltung
der letzten deutschen Kernkraftwerke
und der vorgesehenen Erhöhung der
Stromerzeugung durch Erneuerbare Energien
zu Lasten gesicherter Stromerzeugung wird
die Bedeutung dieser Reservekraftwerke zunehmen.
In Summe wurden 2020 für alle
Netzengpassmaßnahmen 1,4 Mrd € ausgegeben,
die über die Netzumlagen an die Verbraucher
weitergegeben wurden.
Ein großer Kostenblock steht den deutschen
Stromkunden größtenteils noch bevor:
Die Kosten für den Ausbau der Stromnetze.
Dieser scheint notwendig, weil der
Ausbau der Windenergie zu einem Nord-Süd-
Gefälle in der Stromerzeugung führt. Dieses
entsteht dadurch, dass die Windstromerzeugung
hauptsächlich im Norden erfolgt, sodass
dort an windstarken Tagen tendenziell
ein Stromüberangebot besteht, während der
Süden insbesondere nach der geplanten Abschaltung
der letzten Kernkraftwerke Lieferbedarf
hat. Dieser Strombedarf Süddeutschlands
soll gemäß politischem Willen durch
leistungsfähige Stromtrassen aus dem Norden
befriedigt werden. Die Investitionskosten für
diese Stromtrassen inkl. Anbindung der Offshore-Erzeuger
beziffern die Netzbetreiber
gegenwärtig auf ca. 110 Mrd €. 44 Die Fertigstellung
der Südlink-Trasse, die Norddeutschland
mit Baden-Württemberg und Bayern
verbindet, wurde ursprünglich für Ende 2022
geplant: Pünktlich zur Abschaltung der letzten
Kernkraftwerke sollte die im Süden entstehende
Stromlücke durch norddeutschen
Windstrom aufgefüllt werden. Dass dieser
Plan in physikalisch-technischer Hinsicht
nicht aufgeht, ist der Stochastik der Windstromproduktion
geschuldet (vgl. auch S.11):
Im Jahresdurchschnitt verhalten sich alle
Windkraftanlagen an jedem 10. Tag so, als
wären sie nicht vorhanden. Für die Dauer von
36 Tagen fällt die Windstromproduktion de
facto aus. An jedem 4. Tag, also zusammengezählt
für drei Monate, liegt die Stromproduktion
unter 10% der installierten Leistung.
Zum Ersatz der kontinuierlich zur Verfügung
stehenen Erzeugung sind die Trassen also
nicht geeignet.
Das Problem sind nicht die fehlenden Leitungen,
sondern die zu langen Leitungen derer,
die sie durchsetzen und die physikalischtechnischen
Hintergründe ausblenden.
Neben den Kosten und der generellen Fragwürdigkeit
dieser Großprojekte scheint zweifelhaft,
ob diese überhaupt realisiert werden
können. Zwischenzeitlich wurde das Zieldatum
für Südlink auf 2026, dann auf 2028 verschoben
und selbst 2028 wird inzwischen von
der Netzagentur „mit einem Fragezeichen
versehen“ – die FAZ schreibt, dass Deutschland
ein nächstes "Großprojektdebakel“ bevorstünde.
45 Ein solches würde auch die Kosten
der vorstehend beschriebenen Netzengpassmaßnahmen
in die Höhe treiben. Es
droht die Situation, dass im Norden große
Mengen Windstrom abgeregelt werden müssen,
die der Stromkunde bezahlen muss, während
im Süden große Reservekapazitäten vorgehalten
und im Engpassfall zum Einsatz
gebracht werden, was der Stromkunde ebenfalls
bezahlt.
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