FineTobacco[+] 02|2022
FREUDE AM LEBEN. SPASS AM GENUSS
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CINDERELLA<br />
aus dem Maisfeld<br />
Sie ist das meistunterschätzte Rauchgerät in der Genusswelt: Die Maiskolbenpfeife hat in<br />
Europa noch nicht einmal ein Image. Doch sobald man sie raucht, verwandelt sich die<br />
Unscheinbare aus den Vereinigten Staaten flugs in eine Prinzessin. Dazu braucht es weder<br />
eine Fee noch einen Kürbis, nur ganz wenig Mäuse. Sobald der Tabak glimmt, entfaltet sich<br />
der Zauber als purer Rauchgenuss. Was macht die Corn Cob Pipe so besonders?<br />
Text: Elmar Schalk Fotos: Nina Bauer<br />
Mark Twains „Huckleberry<br />
Finn“ hatte eine,<br />
der Comic-Seemann<br />
„Popeye“ ebenso und General MacArthur<br />
besaß gleich mehrere: Maiskolbenpfeifen.<br />
In ihrer schlichten Konstruktion<br />
ist die Corn Cob Pipe eine der<br />
Urformen des Tabakgenusses. Vor gut<br />
150 Jahren bescherte diese Pfeife einem<br />
holländischen Einwanderer sein<br />
eigenes Cinderella-Märchen, das sich<br />
in die lange Liste der Tellerwäscherkarrieren<br />
einreiht: Mitte des 19. Jahrhunderts<br />
emigrierte Hendrik Tibbe in<br />
die USA, nachdem er in seiner Heimat<br />
Enschede bei einem Brand fast alles<br />
verloren hatte. In der Kleinstadt Washington/<br />
Missouri, fand er ein neues<br />
Zuhause und als Möbeltischler seinen<br />
Broterwerb. Während im Märchen eine<br />
gute Fee den Handlungsverlauf positiv<br />
beeinflusst, war es bei „Henry“ Tibbe<br />
ein Farmer, der den Stein ins Rollen<br />
brachte. Ob Tibbe mit seiner Drehbank<br />
einen Maiskolben in einen Pfeifenkopf<br />
transformieren könne, wollte der Landwirt<br />
wissen. Für den Schreiner war es<br />
ein Leichtes und so begann 1869 die<br />
Erfolgsstory der heutigen „Missouri<br />
Meerschaum Company“. 1907 gab<br />
sich die Pfeifenmanufaktur „H. Tibbe &<br />
Son“ diesen ungewöhnlichen Namen,<br />
um damit zu werben, dass ihre Maiskolbenpfeifen<br />
ebenso federleicht und<br />
angenehm zu rauchen seien wie die<br />
exklusiven Verwandten aus Magnesiumsilikat.<br />
Und man wollte sich von den<br />
Mitbewerbern absetzen, die sich inzwischen<br />
im Franklin County niedergelassen<br />
hatten. Denn Washington/ Missouri<br />
hatte sich bald zum Zentrum der Corn<br />
Cob-Industrie entwickelt – 1925 gab es<br />
im Bezirk rund ein Dutzend Hersteller<br />
von Maiskolbenpfeifen, etwa „Hirschl &<br />
Bendheim“ oder „Buescher Industries“.<br />
Heute sind sie alle verschwunden. Die<br />
„Missouri Meerschaum Company“ aber<br />
blieb.<br />
Gechillt & tiefenentspannt<br />
Nach dem Zweiten Weltkrieg eroberten<br />
viele Genussmittel aus den<br />
USA den europäischen Markt: Vor allem<br />
Zigaretten, Kaugummi, Cola und Whiskey<br />
verkörperten das neue, moderne<br />
Lebensgefühl. Andere schafften nicht<br />
den Sprung über den großen Teich,<br />
etwa der (großblätterige) Kautabak<br />
und die Maiskolbenpfeife. Sie verkörperten<br />
schon in den 1950ern das „alte<br />
Amerika“ – statt „schnell & dynamisch“<br />
sind sie „gechillt & tiefenentspannt“.<br />
Selbst in den beiden Jahrzehnten danach,<br />
als Pfeiferauchen total angesagt<br />
war, klemmten schicke Bruyèrepfeifen<br />
zwischen den Zahnreihen, aber keine<br />
Corn Cob Pipes. Vielleicht wollte man<br />
– nach Jahren des Mangels und der<br />
Improvisation – nicht mit einer Pfeife<br />
gesehen werden, die aussieht wie<br />
selbstgemacht?<br />
Back to the roots<br />
Rund 70 km westlich von der rastlosen<br />
Metropole St. Louis liegt Washington<br />
am gemächlich dahinströmenden<br />
Missouri River. Es ist ein schmuckes<br />
Städtchen. Mit seinen historischen<br />
Holz- und Backsteinhäusern (samt<br />
kurzgeschnittenen Rasen und alten<br />
Bäumen), mit seinen Läden, Restaurants<br />
und Cafés lockt der Ort zahlreiche<br />
Touristen an. Geschichte wird hier<br />
zelebriert, Jahreszahlen werden groß<br />
geschrieben. Wer an der West Front<br />
Street entlangschlendert, die dem<br />
Flussverlauf folgt, steht irgendwann vor<br />
dem dreistöckigen Firmengebäude der<br />
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