23.06.2022 Aufrufe

FineTobacco[+] 02|2022

FREUDE AM LEBEN. SPASS AM GENUSS

FREUDE AM LEBEN. SPASS AM GENUSS

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

CINDERELLA<br />

aus dem Maisfeld<br />

Sie ist das meistunterschätzte Rauchgerät in der Genusswelt: Die Maiskolbenpfeife hat in<br />

Europa noch nicht einmal ein Image. Doch sobald man sie raucht, verwandelt sich die<br />

Unscheinbare aus den Vereinigten Staaten flugs in eine Prinzessin. Dazu braucht es weder<br />

eine Fee noch einen Kürbis, nur ganz wenig Mäuse. Sobald der Tabak glimmt, entfaltet sich<br />

der Zauber als purer Rauchgenuss. Was macht die Corn Cob Pipe so besonders?<br />

Text: Elmar Schalk Fotos: Nina Bauer<br />

Mark Twains „Huckleberry<br />

Finn“ hatte eine,<br />

der Comic-Seemann<br />

„Popeye“ ebenso und General MacArthur<br />

besaß gleich mehrere: Maiskolbenpfeifen.<br />

In ihrer schlichten Konstruktion<br />

ist die Corn Cob Pipe eine der<br />

Urformen des Tabakgenusses. Vor gut<br />

150 Jahren bescherte diese Pfeife einem<br />

holländischen Einwanderer sein<br />

eigenes Cinderella-Märchen, das sich<br />

in die lange Liste der Tellerwäscherkarrieren<br />

einreiht: Mitte des 19. Jahrhunderts<br />

emigrierte Hendrik Tibbe in<br />

die USA, nachdem er in seiner Heimat<br />

Enschede bei einem Brand fast alles<br />

verloren hatte. In der Kleinstadt Washington/<br />

Missouri, fand er ein neues<br />

Zuhause und als Möbeltischler seinen<br />

Broterwerb. Während im Märchen eine<br />

gute Fee den Handlungsverlauf positiv<br />

beeinflusst, war es bei „Henry“ Tibbe<br />

ein Farmer, der den Stein ins Rollen<br />

brachte. Ob Tibbe mit seiner Drehbank<br />

einen Maiskolben in einen Pfeifenkopf<br />

transformieren könne, wollte der Landwirt<br />

wissen. Für den Schreiner war es<br />

ein Leichtes und so begann 1869 die<br />

Erfolgsstory der heutigen „Missouri<br />

Meerschaum Company“. 1907 gab<br />

sich die Pfeifenmanufaktur „H. Tibbe &<br />

Son“ diesen ungewöhnlichen Namen,<br />

um damit zu werben, dass ihre Maiskolbenpfeifen<br />

ebenso federleicht und<br />

angenehm zu rauchen seien wie die<br />

exklusiven Verwandten aus Magnesiumsilikat.<br />

Und man wollte sich von den<br />

Mitbewerbern absetzen, die sich inzwischen<br />

im Franklin County niedergelassen<br />

hatten. Denn Washington/ Missouri<br />

hatte sich bald zum Zentrum der Corn<br />

Cob-Industrie entwickelt – 1925 gab es<br />

im Bezirk rund ein Dutzend Hersteller<br />

von Maiskolbenpfeifen, etwa „Hirschl &<br />

Bendheim“ oder „Buescher Industries“.<br />

Heute sind sie alle verschwunden. Die<br />

„Missouri Meerschaum Company“ aber<br />

blieb.<br />

Gechillt & tiefenentspannt<br />

Nach dem Zweiten Weltkrieg eroberten<br />

viele Genussmittel aus den<br />

USA den europäischen Markt: Vor allem<br />

Zigaretten, Kaugummi, Cola und Whiskey<br />

verkörperten das neue, moderne<br />

Lebensgefühl. Andere schafften nicht<br />

den Sprung über den großen Teich,<br />

etwa der (großblätterige) Kautabak<br />

und die Maiskolbenpfeife. Sie verkörperten<br />

schon in den 1950ern das „alte<br />

Amerika“ – statt „schnell & dynamisch“<br />

sind sie „gechillt & tiefenentspannt“.<br />

Selbst in den beiden Jahrzehnten danach,<br />

als Pfeiferauchen total angesagt<br />

war, klemmten schicke Bruyèrepfeifen<br />

zwischen den Zahnreihen, aber keine<br />

Corn Cob Pipes. Vielleicht wollte man<br />

– nach Jahren des Mangels und der<br />

Improvisation – nicht mit einer Pfeife<br />

gesehen werden, die aussieht wie<br />

selbstgemacht?<br />

Back to the roots<br />

Rund 70 km westlich von der rastlosen<br />

Metropole St. Louis liegt Washington<br />

am gemächlich dahinströmenden<br />

Missouri River. Es ist ein schmuckes<br />

Städtchen. Mit seinen historischen<br />

Holz- und Backsteinhäusern (samt<br />

kurzgeschnittenen Rasen und alten<br />

Bäumen), mit seinen Läden, Restaurants<br />

und Cafés lockt der Ort zahlreiche<br />

Touristen an. Geschichte wird hier<br />

zelebriert, Jahreszahlen werden groß<br />

geschrieben. Wer an der West Front<br />

Street entlangschlendert, die dem<br />

Flussverlauf folgt, steht irgendwann vor<br />

dem dreistöckigen Firmengebäude der<br />

<strong>FineTobacco</strong>[+] 02·2022 31

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!