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TOPFIT Juni 2022

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10 Diagnose & Therapie

Teil-Endoprothesen fürs Kniegelenk

»Auf ein Höchstmaß an Erfahrung

kommt es an!«

Wenn eine Arthrose im Kniegelenk dem Betroffenen

so stark zu schaffen macht, dass er kaum

mehr seinen Alltagsaktivitäten nachgehen

kann, kann ihm ein künstliches Gelenk – eine

Endoprothese – ein großes Stück Lebensqualität

zurückgeben. So gesehen, ist die moderne

Endoprothetik für viele eine optimale Lösung,

die endlich wieder ein beschwerdefreies Leben

führen wollen. Es hat sich jedoch gezeigt:

Längst nicht immer ist es notwendig, das gesamte

Kniegelenk gegen eine Endoprothese

auszutauschen. »Oft genügt es, nur den Anteil

des Kniegelenks zu ersetzen, der auch wirklich

geschädigt ist«, betont der renommierte

Endoprothetik-Experte und Chefarzt der Klinik

für Orthopädie und Unfallchirurgie am Krankenhaus

Barmherzige Brüder München Prof. Dr.

Johannes Beckmann.

Von Dr. Nicole Schaenzler

Herr Prof. Beckmann, es gibt verschiedene Arten

von Knie-Endoprothesen. Was ist der wichtigste

Unterschied?

Prof. Beckmann: Je nachdem, ob die Endoprothese

das komplette Kniegelenk oder nur den arthrotisch

veränderten Teil des Gelenks ersetzt,

wird zwischen einer Total-Endoprothese (TEP

oder »Doppelschlitten«) und einer Teil-Endoprothese

– und hier am häufigsten eine sogenannte

»Schlittenprothese« – unterschieden. In

Deutschland ist die Versorgung mit einer Endoprothese,

die nur Teile eines Gelenks ersetzt, allerdings

selten: Rund 90 Prozent der Menschen,

die sich hierzulande für einen Gelenkersatz entscheiden,

erhalten eine Prothese, die das gesamte

Gelenk vollständig ersetzt – auch wenn dies in

vielen Fällen bedeutet, dass gleichzeitig gesunde

Gelenkanteile mit entfernt werden. Denn faktisch

betrifft die Arthrose der Knorpeloberflächen

bei einem Großteil der Patienten nur einen

Teil des Kniegelenks.

Könnte dies ein Grund dafür sein, dass sich laut

Studien bis zu 95 Prozent der operierten Patienten

noch einmal für den Einsatz einer Teil-Endoprothese,

aber nur knapp 80 Prozent erneut für eine Total-

Endoprothese entscheiden würden?

Prof. Beckmann: Bei jüngeren Patienten sind es

sogar mehr als 30 Prozent, die nach der Versorgung

mit einer Total-Endoprothese nicht zufrieden

sind, etwa weil sie Restbeschwerden haben

oder nicht mehr auf die gleiche Weise wie vor

dem Eingriff Sport treiben können. Tatsächlich

wird der natürliche Bewegungsablauf im Gelenk

deutlich weniger gestört, wenn nur die kranke

Gelenkfläche durch eine Teil-Endoprothese ersetzt

wird, die übrigen intakten Gelenkanteile

und der für die Stabilität und Funktionserhalt so

wichtige Kapsel-Bandapparat jedoch vollständig

erhalten bleiben. Dementsprechend hoch ist die

Patientenzufriedenheit: Einbuße bei der Beweglichkeit

oder der Koordinationsfähigkeit gibt es

kaum und auch das natürliche Bewegungsgefühl

bleibt deutlich eher erhalten.

Welche Gelenkanteile werden besonders oft durch

eine Teil-Endoprothese ersetzt?

Prof. Beckmann: Der mit Abstand häufigste Teil-

Gelenkersatz am Knie betrifft den inneren (medialen)

Gelenkanteil (mediale »Schlittenprothese«).

Ausgangspunkt sind oft O-Beine, wodurch

die gewichttragende Achse durch die innen liegende

Fläche des Kniegelenks verläuft. Bei X-Beinen

ist es die außen gelegene (laterale) Gelenkfläche,

die chronisch fehlbelastet wird. Kommt

zu diesen Achsabweichungen ein Schaden, etwa

durch einen Unfall, hinzu, schreitet die weitere

Schädigung dann oft rasant voran. Der dritte Bereich,

der von einer Arthrose betroffen sein kann,

ist die unter der Kniescheibe gelegene Region (patellofemoral).

Alle drei Kompartimente können

je einzeln durch eine Teil-Endoprothese ersetzt

werden – auch Kombinationen sind möglich.

Welche weiteren Vorteile bietet eine

Teil-Endoprothese?

Prof. Beckmann: Da es sich um einen minimalinvasiven

Eingriff mit kleinen Schnitten und

kleineren Zugängen handelt, bei dem ein Großteil

der natürlichen Anteile des Kniegelenks erhalten

bleibt, liegen einige Vorteile auf der Hand.

Dazu gehört z. B., dass die Operationszeit kürzer

und das Risiko für Komplikationen während und

nach des Eingriffs geringer sind; ebenso ist die

Rekonvaleszenz im Vergleich zum kompletten

Gelenkersatz kürzer. Schon kurz nach der Operation

stehen die Patienten wieder auf eigenen Beinen,

die Anschlussbehandlung knüpft nahtlos an

dieses Prinzip des »rapid recovery« an. Im Idealfall

reicht für die Rehabilitation eine ambulante

Physiotherapie; oft kann der Patient schon nach

wenigen Wochen wieder weitgehend seinen gewohnten

Tätigkeiten nachgehen. Vor allem aber

lässt sich das operierte Kniegelenk fast so gut

bewegen wie vor der Erkrankung. Laut Studien

können etwa 90 Prozent der Patienten mit einer

Teil-Endoprothese zu ihrem Sportprogramm zurückkehren

und wieder regelmäßig Sport treiben.

Fakt ist jedoch, dass der Teilgelenkersatz am Knie

hierzulande nicht zur endoprothetischen Standardversorgung

gehört …

Prof. Beckmann: … das ist richtig. Ein Grund ist,

dass es sich bei dem Eingriff um eine technisch

besonders anspruchsvolle Operation handelt und

es für die Behandlungsqualität von wesentlicher

Bedeutung ist, dass der Operateur den Eingriff

schon viele Male durchgeführt hat. Zu diesem

Schluss kommt auch der aktuelle Rapid Report,

den der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA)

in Auftrag gegeben hat: Je höher die Fallzahlen

von Eingriffen in den Kliniken sind, desto seltener

ist es notwendig, dass eine Teil-Endoprothese

vorzeitig ausgetauscht, d. h. eine Revision durchgeführt

werden muss. Neben einer hohen Spezialisierung

ist also immer auch ein Höchstmaß

an Erfahrung für ein optimales Behandlungsergebnis

und eine hohe Patientenzufriedenheit

notwendig. Sind diese Voraussetzungen erfüllt,

entspricht die Lebensdauer von Teil-Endoprothesen

in etwa der von Total-Endoprothesen. Deshalb

ermutigen wir unsere Patienten auch immer

dazu, sich für den Teil-Gelenkersatz zu entscheiden,

wenn die eingehende Diagnostik ergeben

hat, dass medizinisch nichts dagegen spricht.

Zur Person

Prof. Dr. Johannes Beckmann

ist seit 1. Mai 2022 Chefarzt der

Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie

des Krankenhauses

Barmherzige Brüder München.

In der Klinik, die zu den größten

orthopädischen Kliniken Deutschlands

gehört, werden jährlich mehr

als die Hälfte der 4 700 stationären

Patienten im zertifizierten Endoprothetikzentrum

der Maximalversorgung (EPZmax) behandelt. Damit

ist das Krankenhaus Barmherzige Brüder führend in

München.

Prof. Beckmann verfügt über eine ausgewiesene Expertise

für Endoprothetik und ist in Fachkreisen international

anerkannt. Unter anderem ist er aktives Mitglied

in den Präsidien der großen renommierten Fachgesellschaften

wie der Deutschen Gesellschaft für Endoprothetik

(AE), der Deutschen Kniegesellschaft (DKG) und

der European Knee Gesellschaft (EKS) und wirkt an der

Überarbeitung der Leitlinien, etwa zur Gonarthrose,

mit. Außerdem hält Prof. Beckmann an der Universität

Regensburg regelmäßig Vorlesungen und Seminare.

Bislang hat er über 100 Studien und Journalbeiträge

in nationalen und internationalen medizinischen

Fachzeitschriften veröffentlicht.

Nähere Infos:

www.barmherzige-muenchen.de

Foto und Grafik:Krankenhaus Barmherzige Brüder München

TOPFIT 2 / 2022

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