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Ulrich H. J. Körtner: Theologische Exegese (Leseprobe)

Systematische Theologie und Bibelexegese gehen heute oftmals getrennte Wege. Einer der Gründe ist die Rehabilitierung des Historismus. In Teilen heutiger Systematischer Theologie spielen religionsphilosophische Reflexionen eine größere Rolle als die Texte der Bibel. Die Studien des vorliegenden Bandes begreifen Bibelexegese als theologisches Unterfangen, das historische und systematische Fragestellungen vereint, und Systematische Theologie als konsequenter Exegese. So vielstimmig, spannungsreich und bisweilen widersprüchlich die in den biblischen Schriften zu vernehmenden Stimmen auch klingen mögen, weisen sie doch über sich hinaus auf einen Konvergenzpunkt, der mit dem Wort „Gott“ benannt wird. Systematische Schriftauslegung versucht diesem Richtungspfeil der biblischen Texte zu folgen.

Systematische Theologie und Bibelexegese gehen heute oftmals getrennte Wege. Einer der Gründe ist die Rehabilitierung des Historismus. In Teilen heutiger Systematischer Theologie spielen religionsphilosophische Reflexionen eine größere Rolle als die Texte der Bibel. Die Studien des vorliegenden Bandes begreifen Bibelexegese als theologisches Unterfangen, das historische und systematische Fragestellungen vereint, und Systematische Theologie als konsequenter Exegese. So vielstimmig, spannungsreich und bisweilen widersprüchlich die in den biblischen Schriften zu vernehmenden Stimmen auch klingen mögen, weisen sie doch über sich hinaus auf einen Konvergenzpunkt, der mit dem Wort „Gott“ benannt wird. Systematische Schriftauslegung versucht diesem Richtungspfeil der biblischen Texte zu folgen.

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1 Sündenvergebung im Zentrum des christlichen Glaubens 83<br />

Macht beschreibt, aus deren Sphäre der Mensch durch Christus im<br />

Glauben befreit wird.<br />

Nun gehört die Vergebung der Sünden allerdings ins Zentrum des<br />

christlichen Glaubens und seiner Überlieferung. Das Vaterunser – das<br />

Gebet der Christenheit schlechthin – enthält die Bitte um Vergebung<br />

der Schuld. Auch ist die Vergebung der Sünden zentraler Bestand der altkirchlichen<br />

Glaubensbekenntnisse. Nach der matthäischen Überlieferung<br />

spricht auch das Kelchwort beim Abendmahl von der Vergebung<br />

der Sünden (Mt 26,28).<br />

Wenn im vorliegenden Beitrag die Bitte des Vaterunser um die Vergebung<br />

der Schuld systematisch-theologisch bedacht werden soll, legt<br />

es sich aus Sicht der reformatorischen Tradition nahe, diese Bitte wie<br />

auch die Aussagen der altkirchlichen Bekenntnisse zur Sündenvergebung<br />

und die Abendmahlsworte zur paulinischen Rechtfertigungslehre<br />

in Beziehung zu setzen.<br />

Dieses Unterfangen wirft aber Probleme auf, weil es sich bei der<br />

Rechtfertigung des Sünders im paulinischen Sinne und bei der Vergebung<br />

der Sünden in außerpaulinischen Zusammenhängen um unterschiedliche<br />

Sachverhalte handelt. Man kann also das Bekenntnis zum<br />

Glauben an die Sündenvergebung im Apostolikum und die Bitte im<br />

Vaterunser um die Vergebung der Sünden nicht ohne weiteres auf die<br />

Rechtfertigung des Sünders im paulinischen Sinne beziehen, wie dies<br />

beispielsweise Eberhard Jüngel tut. 7 Ebenso wie die Rede von der remissio<br />

peccatorum im Apostolikum lässt der Glaube an die eine Taufe zur<br />

Vergebung der Sünden (baptisma in remissionem peccatorum – βάπτισμα<br />

εἰς ἄφεσιν ἁμαρτιῶν) im Nicäno-Konstantinopolitanum durchaus<br />

offen, ob diesem in Sinne der paulinischen Rechtfertigungslehre bzw.<br />

im Sinne des reformatorischen Rechtfertigungsartikels zu verstehen ist.<br />

Von Rechtfertigung wird jedenfalls in den altkirchlichen Glaubensbekenntnissen<br />

explizit nicht gesprochen.<br />

Wir werden daher zunächst die Vaterunserbitte im Kontext des<br />

Matthäus- und des Lukasevangeliums untersuchen, um uns dann in<br />

einem weiteren Schritt mit der paulinischen Rede von Sünde und Rechtfertigung<br />

zu befassen, bevor wir schließlich in einem letzten Schritt folgenden<br />

Fragen nachgehen: Warum ist es auch unter der Voraussetzung<br />

7 Vgl. Eberhard Jüngel, Das Evangelium von der Rechtfertigung des Gottlosen<br />

als Zentrum des christlichen Glaubens, Tübingen 6 2011, 12.124 f.

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