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Ulrich H. J. Körtner: Theologische Exegese (Leseprobe)

Systematische Theologie und Bibelexegese gehen heute oftmals getrennte Wege. Einer der Gründe ist die Rehabilitierung des Historismus. In Teilen heutiger Systematischer Theologie spielen religionsphilosophische Reflexionen eine größere Rolle als die Texte der Bibel. Die Studien des vorliegenden Bandes begreifen Bibelexegese als theologisches Unterfangen, das historische und systematische Fragestellungen vereint, und Systematische Theologie als konsequenter Exegese. So vielstimmig, spannungsreich und bisweilen widersprüchlich die in den biblischen Schriften zu vernehmenden Stimmen auch klingen mögen, weisen sie doch über sich hinaus auf einen Konvergenzpunkt, der mit dem Wort „Gott“ benannt wird. Systematische Schriftauslegung versucht diesem Richtungspfeil der biblischen Texte zu folgen.

Systematische Theologie und Bibelexegese gehen heute oftmals getrennte Wege. Einer der Gründe ist die Rehabilitierung des Historismus. In Teilen heutiger Systematischer Theologie spielen religionsphilosophische Reflexionen eine größere Rolle als die Texte der Bibel. Die Studien des vorliegenden Bandes begreifen Bibelexegese als theologisches Unterfangen, das historische und systematische Fragestellungen vereint, und Systematische Theologie als konsequenter Exegese. So vielstimmig, spannungsreich und bisweilen widersprüchlich die in den biblischen Schriften zu vernehmenden Stimmen auch klingen mögen, weisen sie doch über sich hinaus auf einen Konvergenzpunkt, der mit dem Wort „Gott“ benannt wird. Systematische Schriftauslegung versucht diesem Richtungspfeil der biblischen Texte zu folgen.

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V<br />

Rechtfertigung und Ethik<br />

bei Paulus<br />

Beobachtungen zum Ansatz paulinischer Ethik<br />

Wer die paulinische Rechtfertigungslehre auf einen Nenner bringen<br />

möchte, wird sich traditionellerweise des bekannten Satzes aus Röm 3,28<br />

bedienen: λογιζόμεθα γὰρ δικαιοῦσθαι πίστει ἄνθρωπον χωρὶς<br />

ἔργων νόμου. Nicht zuletzt Martin Luthers sola fide fand sich in diesen<br />

Worten wieder und arbeitete die Rechtfertigungslehre des Paulus in der<br />

Frontstellung gegen jegliche Form von Werkgerechtigkeit auf. Mag der<br />

Indikativ der Gnade auch als Befreiung vom Zwang der Selbstrechtfertigung<br />

empfunden werden, so gerät andererseits jeder Versuch einer<br />

theologischen Begründung des ethischen Imperativs ins Zwielicht und<br />

tut sich zumindest in der protestantischen Theologie schwer, den Vorwurf<br />

zu entkräften, einer neuen Werkgerechtigkeit Vorschub zu leisten.<br />

Andererseits ist kein Mensch, mithin kein Christ, von dem Zwang ausgenommen,<br />

dass er sich moralisch verhält. Wollte die Theologie angesichts<br />

dieser Lebensnotwendigkeit auf eine theologische Begründung<br />

christlichen Handelns verzichten, drohte die Rechtfertigungslehre<br />

ihrerseits selbst an Glaubwürdigkeit zu verlieren, wie es schon in<br />

Jak 2,14–26 zu beobachten ist. Die Verhältnisbestimmung von Rechtfertigung<br />

und Ethik bei Paulus ist gewissermaßen die Nagelprobe seiner<br />

Theologie.<br />

1 Ethische Passagen in den Paulusbriefen<br />

Der Ansatz paulinischer Ethik tritt allerdings nicht offen zutage. In den<br />

ethisch paränetischen Abschnitten seiner Briefe wie 1Thess 4,1–12; 5,1–<br />

10.12–22; Gal 5,13–6,10; 1Kor 5,1–8; 6,1–11.12–20; 7; 8–10; 11,2–16; 13; Röm<br />

6; 12,1–15,13; Phil 1,27–2,18, um nur einige zu nennen, argumentiert Paulus<br />

mit einer Fülle der verschiedensten Motivationen, 1 die allerdings<br />

1 Zu deren Analyse verweise ich vor allem auf Otto Merk, Handeln aus Glauben

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