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Ulrich H. J. Körtner: Theologische Exegese (Leseprobe)

Systematische Theologie und Bibelexegese gehen heute oftmals getrennte Wege. Einer der Gründe ist die Rehabilitierung des Historismus. In Teilen heutiger Systematischer Theologie spielen religionsphilosophische Reflexionen eine größere Rolle als die Texte der Bibel. Die Studien des vorliegenden Bandes begreifen Bibelexegese als theologisches Unterfangen, das historische und systematische Fragestellungen vereint, und Systematische Theologie als konsequenter Exegese. So vielstimmig, spannungsreich und bisweilen widersprüchlich die in den biblischen Schriften zu vernehmenden Stimmen auch klingen mögen, weisen sie doch über sich hinaus auf einen Konvergenzpunkt, der mit dem Wort „Gott“ benannt wird. Systematische Schriftauslegung versucht diesem Richtungspfeil der biblischen Texte zu folgen.

Systematische Theologie und Bibelexegese gehen heute oftmals getrennte Wege. Einer der Gründe ist die Rehabilitierung des Historismus. In Teilen heutiger Systematischer Theologie spielen religionsphilosophische Reflexionen eine größere Rolle als die Texte der Bibel. Die Studien des vorliegenden Bandes begreifen Bibelexegese als theologisches Unterfangen, das historische und systematische Fragestellungen vereint, und Systematische Theologie als konsequenter Exegese. So vielstimmig, spannungsreich und bisweilen widersprüchlich die in den biblischen Schriften zu vernehmenden Stimmen auch klingen mögen, weisen sie doch über sich hinaus auf einen Konvergenzpunkt, der mit dem Wort „Gott“ benannt wird. Systematische Schriftauslegung versucht diesem Richtungspfeil der biblischen Texte zu folgen.

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VII Die Liebe ist erfinderisch<br />

nannt. Auch das Neue Testament ist an seinen Rändern offen, wie ein<br />

Blick auf die Bibel der Äthiopisch-Orthodoxen Tewahedo-Kirche mit<br />

ihren 81 Büchern zeigt.<br />

Während das Trienter Konzil den Kanon der Vulgata lehramtlich<br />

als authentische Heilige Schrift fixiert 4 und auch reformierte Bekenntnisschriften<br />

genaue Kanonlisten aufgestellt haben, 5 ist im Luthertum<br />

der genaue Umfang der Bibel nie verbindlich festgelegt worden. „,Die<br />

Schrift‘ sind für die lutherische Tradition irgendwie die Lutherbibel<br />

bzw. die Ausgaben des hebräischen Alten und des griechischen Neuen<br />

Testaments, ohne daß dieses ,irgendwie‘ näher definiert ist (was spätere<br />

lutherische Dogmatiker durchaus versuchen).“ 6 Gemäß der lutherischen<br />

Konkordienformel „bleibt allein die Heilige Schrift der einig Richter,<br />

Regel und Richtschnur, nach welcher als dem einigen Probierstein<br />

sollen und müssen alle Lehren erkannt und geurteilt werden, ob sie gut<br />

oder bös, recht oder unrecht sein“ 7 , wobei die Schrift als norma normans<br />

von den Bekenntnisschrift als norma normata unterschieden wird. Beim<br />

Wort genommen lässt sich allerdings schwerlich behaupten, dass die<br />

Bibel in Fragen der Ethik die alleinige norma normans ist. 8 Kein Text der<br />

Bibel, mag es sich sogar um den Dekalog oder die Bergpredigt handeln,<br />

darf unmittelbar mit dem aktuellen, d. h. im Hier und Jetzt verbindlichen<br />

Willen Gottes identifiziert werden.<br />

Das Problem der Verbindlichkeit und also der Autorität biblischer<br />

Texte für die Grundlegung theologischer Ethik und ihre Urteilsbildung<br />

in Einzelfragen materialer Ethik verschärft sich noch im Blick auf die<br />

Stellung des Alten Testaments im Christentum. Ist schon historisch wie<br />

gegenwärtig zu bezweifeln, dass das reformatorische sola scriptura mit<br />

einem tota scriptura gleichzusetzen ist, gilt dies noch weniger für das<br />

Alte Testament, dessen Autorität für den christlichen Glauben daran zu<br />

bemessen ist, inwieweit und in welcher Weise es in den Schriften des<br />

4 Vgl. DH 1504.<br />

5 BSRK 155,10 ff. (Züricher Bekenntnis 1545); 222,5–24 (Confessio Gallicana 1559); 233 f.<br />

(Confessio Belgica 1561); 500 f. (Waldenser-Bekenntnis 1655); 507,10–30 (39 Anglikanische<br />

Artikel 1562); 526,18 ff. (Irische Religionsartikel 1615); 543 f. (Westminster-<br />

Confession 1647); 872,1–13 (Bekenntnis der Calvinistischen Methodisten 1823).<br />

6 Dieter Lührmann, Auslegung des Neuen Testaments, Zürich 1984, 12.<br />

7 FC Epit. 7 (BSLK 769,22–27).<br />

8 Vgl. auch Martin Honecker, Sola scriptura im Bereich sozialethischer Unterscheidungen,<br />

in: Ders., Wege evangelischer Ethik. Positionen und Kontexte (SThE<br />

96), Freiburg i. Ue./Freiburg i. Br. 2002, 103–113.

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