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Ulrich H. J. Körtner: Theologische Exegese (Leseprobe)

Systematische Theologie und Bibelexegese gehen heute oftmals getrennte Wege. Einer der Gründe ist die Rehabilitierung des Historismus. In Teilen heutiger Systematischer Theologie spielen religionsphilosophische Reflexionen eine größere Rolle als die Texte der Bibel. Die Studien des vorliegenden Bandes begreifen Bibelexegese als theologisches Unterfangen, das historische und systematische Fragestellungen vereint, und Systematische Theologie als konsequenter Exegese. So vielstimmig, spannungsreich und bisweilen widersprüchlich die in den biblischen Schriften zu vernehmenden Stimmen auch klingen mögen, weisen sie doch über sich hinaus auf einen Konvergenzpunkt, der mit dem Wort „Gott“ benannt wird. Systematische Schriftauslegung versucht diesem Richtungspfeil der biblischen Texte zu folgen.

Systematische Theologie und Bibelexegese gehen heute oftmals getrennte Wege. Einer der Gründe ist die Rehabilitierung des Historismus. In Teilen heutiger Systematischer Theologie spielen religionsphilosophische Reflexionen eine größere Rolle als die Texte der Bibel. Die Studien des vorliegenden Bandes begreifen Bibelexegese als theologisches Unterfangen, das historische und systematische Fragestellungen vereint, und Systematische Theologie als konsequenter Exegese. So vielstimmig, spannungsreich und bisweilen widersprüchlich die in den biblischen Schriften zu vernehmenden Stimmen auch klingen mögen, weisen sie doch über sich hinaus auf einen Konvergenzpunkt, der mit dem Wort „Gott“ benannt wird. Systematische Schriftauslegung versucht diesem Richtungspfeil der biblischen Texte zu folgen.

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1 Sein und Sprache 57<br />

Menschen immer schon gesprochen wird. Doch abgesehen davon, dass<br />

es auch zu regelrechten sprachlichen Neuschöpfungen kommt, wird<br />

auch die vorhandene Sprache dadurch neu, dass sie in einen neuen<br />

Bezugsrahmen und damit in einen neuen Lebenszusammenhang ge -<br />

stellt wird. Das gilt auch für die Begriffe Liebe und Gerechtigkeit. Nicht<br />

nur haben diese eine mehrfache Bedeutung. Man denke an die Unterscheidung<br />

zwischen iustitia distributiva, iustitia commutativa und iustitia<br />

legalis sowie an neuere Bestimmungen wie Teilhabegerechtigkeit<br />

oder Befähigungsgerechtigkeit. Oder man denke an die Unterscheidung<br />

zwischen Eros, Philia und Agape. Entscheidend ist, dass all diese möglichen<br />

Begriffsbedeutungen in der Kommunikation des biblischen<br />

Evangeliums nochmals in ein anderes Koordinatensystem versetzt werden.<br />

Jüngel und Gerhard Ebeling haben den christlichen Glauben als<br />

Erfahrung mit der Erfahrung charakterisiert. 6 Sie stellt sich auch im<br />

Umgang mit der Sprache ein bzw. ist es überhaupt die Transformation<br />

der Sprache, welche solche Erfahrung mit der Erfahrung ermöglicht.<br />

Die Begriffe der christlichen Verkündigung und ebenso die Be -<br />

griffssprache der Theologie stehen nicht völlig unverbunden neben der<br />

Sprache der Philosophie oder auch des Rechts. Wenn Luther aber für<br />

Theologie und Verkündigung „nova vocabula“ fordert, meint er gewissermaßen<br />

eine Taufe philosophischer, ontologischer bzw. metaphysischer<br />

Termini. „Omnia vocabula fiant nova, quae transferuntur a philosophia<br />

in theologiam; sic homo, voluntas, ratio, opera, vestis.“ 7 Oder: „Si<br />

tamen vultis uti vocabulis istis, prius quaeso illa bene purgate, füret sie<br />

mal zum Bade.“ 8 Es werden also nicht nur die Begriffe transformiert,<br />

sondern es ändert das Denken insgesamt seine Richtung. Dieser Vorgang<br />

ist zu verstehen nicht etwa als sacrificium intellectus, wohl aber als<br />

Metanoia auf dem Gebiet des Denkens, d. h. als Vollzug des Rechtfertigungsglaubens<br />

im Medium des Denkens. Dabei geht Luthers Kritik an<br />

6 Vgl. Eberhard Jüngel, Gott als Geheimnis der Welt. Zur Begründung der Theologie<br />

des Gekreuzigten im Streit zwischen Theismus und Atheismus, Tübingen<br />

6 1992, 225; Ders., Metaphorische Wahrheit, in: Paul Ricœur/Eberhard Jüngel,<br />

Metapher. Zur Hermeneutik religiöser Sprache. Mit einer Einführung von Pierre<br />

Gisel, München 1974, 71–122, hier 122; Gerhard Ebeling, Die Klage über das<br />

Erfahrungsdefizit in der Theologie als Frage nach ihrer Sache, in: Ders., Wort und<br />

Glaube III, Tübingen 1975, 3–28, hier 22.<br />

7 WA 39 I,231,18 ff.<br />

8 WA 39 I,229,16 ff.

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