Mitteilungsblatt Thüringer Pfarrverein Jahresheft 2022
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Der Nachtrag zu den Friedhöfen
Zur damals diskutierten Frage, ob die
Friedhöfe – zur Vermeidung der Ansteckung
– nicht besser außerhalb der
Stadt angelegt werden sollten, betont
Luther, dass er dazu keine eigene Meinung
habe: 7
„Aufs erste lass ich das die Doktoren der
Arznei urteilen und alle, die des besser
erfahren sind, ob es gefährlich sei, dass
man mitten in der Stadt Kirchhöfe hat.
Denn ich weiß und verstehe mich nicht
darauf, ob aus den Gräbern Dunst und
Dampf gehe, der die Luft verrücke. Wo
dem aber so wäre, hat man aus obgesagter
Warnung Ursachen genug, dass
man den Kirchhof außerhalb der Stadt
habe. Denn wie wir gehört haben, sind
wir allesamt schuldig, dem Gift zu wehren,
womit man vermag. Denn Gott hat
uns befohlen, unseren Leib so zu pflegen,
daß wir ihn schonen und erhalten,
wenn er uns nicht eine Not zuschickt.
Andererseits hat uns Gott befohlen, den
Leib auch getrost dran zu wagen und
aufs Spiel zu setzen, wenn es die Not
erfordert. So sollen wir auf beides, seinen
Willen zum Leben und zum Sterben,
vorbereitet sein. Denn „niemand lebt
sich selber, niemand stirbt sich selbst“,
wie St. Paulus Römer 14, 7 sagt.“
(Es folgen noch einige Ausführungen
zum Thema Begräbnis.)
7 Dieser Nachtrag findet sich nicht in Ahland-
Ausgabe (vgl. Anm.1) er wird zitiert nach der
Ausgabe der Internetplattform „Glaubenstimme“:
Https://www.glaubensstimme.de/doku.
php?id=autoren:l:luther:o:ob_man_vor_
dem_sterben_fliehen_moege,
(zuletzt 30.9.2021)
Das Thema der Pest und auch die Frage
der Flucht hat Luther – in persönlicher
Betroffenheit – über viele Jahre
beschäftigt. Das wird an seinen Briefen
deutlich.
So schreibt er schon am 26.10.1516 an
den Erfurter Reformator und Freund Johannes
Lang (um 1487-1548): 8
„Ich werde morgen [die Vorlesung über]
den Brief an die Galater beginnen,
obwohl ich zweifle, die Pest werde die
Fortsetzung des Begonnenen erlauben.
Die Pest bei uns rafft höchstens (doch
noch nicht an jedem Tage) drei oder
zwei hinweg. Aber der Schmied, unser
Nachbar gegenüber, hat heute einen
Sohn begraben, der gestern noch gesund
war; der andere liegt angesteckt darnieder.
Was soll ich sagen? Sie ist da und
beginnt gar rauh und plötzlich, besonders
bei jüngeren Leuten. Und Du rätst
mir, und mit Dir Magister Bartholomäus,
zur Flucht! Wohin soll ich fliehen? Ich
hoffe, daß die Welt nicht zusammenstürzen
wird, wenn Bruder Martin stürzt. Die
Brüder freilich werde ich bei Ausweitung
der Pest in alle Lande zerstreuen. Ich bin
hierher gesetzt; aus Gehorsam steht es
mir nicht frei zu fliehen, bis der Gehorsam,
der da geboten hat, erneut gebietet.
Nicht, daß ich den Tod nicht fürchte
(denn ich bin nicht der Apostel Paulus,
sondern nur jemand, der Vorlesungen
über den Apostel Paulus hält). Aber ich
hoffe, der Herr wird mich aus meiner
Furcht herausreißen.“
Die meisten von Luthers Briefen zum
Thema Pest stammen aus dem Jahr
8 Martin Luther Gesammelte Werke (wie Anm.1)
Seite 7077.
Mitteilungen aus dem Thüringer Pfarrverein Nr. 01-2022 19