Mitteilungsblatt Thüringer Pfarrverein Jahresheft 2022
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Kirche und der Christen. Zur pastoralen
Existenz gehört der Stolz: Wir haben etwas
zu sagen, an etwas zu erinnern und
etwas einzuklagen, was in der Gesellschaft
so oft vergessen wird.
Demut ist das zweite, was ich uns wünsche.
Wir sind nicht die einzigen in unserer
Gesellschaft, die von Gott erzählen
und ihn verehren. Unsere Häuser
sind nicht die einzigen, in denen man
etwas vom Charme des Betens weiß.
Wir sind nicht die einzigen, die für den
Frieden eintreten und auf dem Recht
der Armen bestehen. Wir sind nicht
die einzigen, die große Erzählungen
der Rettung des Lebens weitersagen.
Mit anderen Menschen und Gruppen
leben, heißt sich von der eigenen Dominanz
verabschieden. Wir haben uns
lange für die Wichtigsten gehalten.
Wir sind es nicht. Wir sind Mitspieler
im großen Spiel der Humanität, nicht
Schiedsrichter und nicht Linienrichter.
Wir sind wichtig, und wir sind nicht alles.
Gott ist alles, und das genügt. Der Neid
und das scheele Auge auf die anderen
und ihre Begabungen kostet uns so viel
Kraft, die wir für Besseres brauchen. In
Konkurrenzen denken die, die von sich
selbst nicht überzeugt sind. Unsere Frage
kann nicht sein: Von wem grenzen
wir uns ab und bestätigen uns selbst mit
dem Mittel der Abgrenzung? Die Frage
ist vielmehr, mit wem zusammen spielen
wir das große Spiel der Humanität
und der Verehrung Gottes? Christus ist
der große Meister der Grenzüberschreitungen.
Er hat die Grenzen von Sünder
und Gerechten hinter sich gelassen, die
Abgrenzungen zwischen Frauen und
Männern; zwischen Angesehenen und
Verachteten; und schließlich sein größtes
Abenteuer: die Überwindung der
Grenze zwischen Gott und Mensch. Das
ist Freiheit, die er uns vermacht hat und
zu der er auffordert. Wie lächerlich, wie
erbärmlich, wie kleinkariert erscheint
die behauptete und verteidigte Grenze
zwischen Katholiken und Protestanten.
Es ist höchste Zeit, die Grenzwächter
abzusetzen. Wo wir auf die wirklichen
Fragen dieser Welt stoßen, da sterben
die kleinen Fragen ab. Sie werden nicht
gelöst, sie trocknen einfach aus.
Mein größter Wunsch für Sie, dass Sie
Ihre eigene Arbeit schätzen. Wir kennen
den Größenwahnsinn, der darin
besteht, sich selbst für bestens und für
unentbehrlich zu halten. Es gibt einen
anderen Größenwahn, in dem man sich
sagt: Ich sollte eigentlich der Beste sein,
aber ich bin es nicht. Meine Arbeit ist
zu gering, ich erreiche zu wenige Leute,
meine Predigten werden nicht gehört
und beachtet, die Gottesdienste sind
leer. Was soll diese meine Arbeit überhaupt?
Ich kann mir kaum einen wichtigeren
und schöneren Beruf vorstellen
als den Ihren mit seiner staubigen
Kärrnerarbeit. Sie arbeiten mit ihrem
Konfirmandenunterricht, am Krankenbett,
auf der Kanzel, mit Jugendlichen
an den inneren Bildern von Menschen.
Sie trösten ihre Seele und sorgen für ihr
Gewissen.
Ich möchte ein großes Wort sagen: Sie
arbeiten am Heil der Welt. Meistens
säen Sie nur und erleben die Früchte
Ihrer Saaten selten. So liegt die Sünde
der Mutlosigkeit nahe. Man verliert
die Hoffnung und die Kraft, wenn man
nur darauf starrt, was nicht ist und was
mangelt.
Mitteilungen aus dem Thüringer Pfarrverein Nr. 01-2022 39