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Mitteilungsblatt Thüringer Pfarrverein Jahresheft 2022

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einzigartig und unbefragt war; als die

Aufgaben des Pfarrers klar definiert

waren und die Kirchenleitungen autoritär.

Autoritäre Zeiten sind formal klare

Zeiten, wenn auch nicht Zeiten der Freiheit

und der Wahrheit. Noch vor 60, 70

Jahren lebten Pfarrer in einer definierten,

festen und sich nur wenig verändernden

Welten. Man fuhr immer nach

genauen Fahrplänen und exakten Landkarten

in diesen kirchlichen Landschaften.

Diese Zeiten sind vorbei, Gott sei

Dank! Wir wollen sie nicht zurück. Die

alten Landkarten und Fahrpläne taugen

wenig für eine Zeit des raschen Wechsels

und der dauernden Umbrüche. Wir

sind dauernd mit Fragen konfrontiert,

die man früher kaum kannte: Wer bin

ich als Pfarrer oder Pfarrerin in meiner

Gemeinde? Was ist in ihr wichtig? Was

ist meine Theologie? Die neuen Fragen

kann man sich nicht allein beantworten.

Man kann nicht bei sich selber Zuflucht

nehmen, denn die Wahrheit gibt es nur

im Dialog und im Zusammenhang mit

anderen. Es gibt sie nur für heute, wie

es das Manna in der Wüste nur für einen

Tag gegeben hat. Morgen ist die heute

gefundene Lösung vielleicht schon wieder

schief. Darum plädiere ich dafür, die

Orte nicht zu vernachlässigen, an denen

wir miteinander aushandeln, was richtig

und wichtig ist. Ich denke an einen so

bescheidenen Ort wie den Pfarrkonvent,

gegen die oft ein solcher Missmut

herrscht. Natürlich sind sie nicht

gerade Höhen der Erleuchtung, auch

ihnen gegenüber muss man seinen

Humor haben. Aber es können Stellen

sein, an denen man mit Geschwistern

zusammen einen halben Schritt weiter

kommt in der Wahrheit für heute; einen

halben Schritt weiter in der Vergewisserung

der Wege, die zu gehen sind. Weiter

kommen wir nur, wo wir zusammen

gehen. Wir sind bedürftige Wesen. Das

ist die Gnadenstruktur unserer Existenz

und keineswegs unser Mangel. In den

wichtigsten Angelegenheiten unserer

Existenz kommen wir nicht mit uns allein

aus. Wir können nicht allein klug

sein, wir können die Wahrheit nicht

allein finden, wir können uns nicht allein

korrigieren und unserer Blindheit

entkommen. Wir sind nicht autark, wir

sind angewiesen. Es ist eine unserer

Schönheiten, dass wir uns verdanken;

verdanken der Gnade Gottes und der

Gnade unserer Geschwister. Mir ist es

zu anstrengend autark zu sein und mit

der eigenen Kärglichkeit auskommen zu

müssen. Das heißt ja Kirche sein, dass

man nicht einsamer Meister seines Lebens

sein muss. Es könnte sein, dass der

Gedanke der Kirche bei uns Protestanten

unterbelichtet ist. Verbündet euch!

hat jener Stefan Hessel gerufen. Nur so

seid ihr stark und entkommt der Trostlosigkeit.

Allein bist du klein.

Wir sind Bettelleute, die weitersagen,

wo es Brot gibt.

In dem Brief des Propheten Jeremia lese

ich: „Suchet der Stadt Bestes, dahin ich

euch habe wegführen lassen, und betet

für sie zum Herrn. Denn wenn es ihr

wohl geht, so geht es auch euch wohl.“

Wenn ich etwas von unserem Gott

verstanden habe; wenn ich etwas von

Christus verstehe, Gottes aufgedecktem

Gesicht, dann die Tatsache, dass er

sich selbst nicht Hauptthema und Ziel

war; dass es ihm nicht um seine eigene

Geltung ging. „Er nahm Knechtsgestalt

an“ und diente nicht sich selbst. Das ist

Mitteilungen aus dem Thüringer Pfarrverein Nr. 01-2022 35

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