Mitteilungsblatt Thüringer Pfarrverein Jahresheft 2022
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aber sind wir vom Schmerz und der
Freiheit entbunden, den Glauben vom
fremden Ufer an unser eigenes zu bringen.
So muss jede Zeit neu lernen, den
Namen Gottes neu zu entziffern und zu
entziffern, wer Christus ist. Unsere Zeit
muss es auf dramatische Weise. Neue
Last und neue Schönheit!
Neu müssen wir nicht nur unsere Glaubensinhalte
komponieren. Wir lernen
auch neu, wie wir unsere Gottesdienste
zu gestalten haben. Auch da viele Abschiede,
viele Versuche, viele Irrtümer
und Experimente; viel Streit und viele
Auseinandersetzung. Auch da neue Last
und neue Schönheit.
Wer sind wir als Pfarrer und Pfarrerinnen
in einer säkularen Welt? Wir sind
Menschen, die Größeres sagen, als ihr
Herz verantworten kann. Wer das Evangelium
verkündet, vertritt nicht nur sich
selbst und die Reichweite seines eigenen
Glaubens und Verstehens. Er vertritt
eine Sache, die älter ist als er selbst
und die grösser ist als das eigene Herz.
Wenn wir predigen, lehren, taufen, den
Segen im Gottesdienst sprechen, gehen
wir immer in Schuhen, die uns zu
groß sind. Wenn ich nur einen Gottesdienst
besuche und weiter keine Funktion
habe, habe ich es mit dem Glauben
relativ leicht. Ich bette mich in die großen
alten Versprechen der Psalmen, der
Lieder und des Evangeliums. Es singen,
beten und hören so viele mit mir; es haben
die Psalmen vor mir so viele meiner
Toten gesungen und gebetet. Die Stimmen
der Lebenden und der Toten sind
Zeugen der Wahrheit der alten Versprechen.
Man muss nicht so fürchterlich
authentisch sein, wenn man glaubt. Die
Kirche ist auch eine Glaubensverleihanstalt,
man schmuggelt sich dort in den
Glauben der lebenden und toten Geschwister
ein.
Viel schwieriger finde ich es, auf der
Kanzel zu stehen und den Glauben zu
predigen. Die Predigenden sind kleine
Leute, die in zu großen Schuhen gehen.
Sie haben ihren kleinen Glauben und
gelegentlich auch ihre großen Zweifel
und sollen von der Ganzheit des Lebens
erzählen. Die Gefahr dieses Berufes ist,
dass man gar nicht mehr merkt, dass
man nicht glaubt oder dass der eigene
Glaube karg ist. Das dauernde Reden
der hehren Worte hat diese geläufig
gemacht. Es könnte eine Redewelt entstehen,
in der die Worte ihre Gültigkeit
haben, weil sie dauernd gesprochen
werden, weniger darin, dass sie geglaubt
werden. Es besteht die Gefahr,
dass man eher an die Worte glaubt als
an Gott. Auch das ist ja eine Form des
Unglaubens. Die Wirklichkeit hat es gelegentlich
schwer, erkennbar zu werden
unter dem Horizont der immer schon
beredeten Welt und der verbrauchten
Geheimnisse. Ich gestehe: Je älter ich
werde und je mehr ich rede, umso mehr
erschrecke ich vor dem was ich sagen
muss. Eine gute theologische Sprache
ist eine schwere Sprache, die uns nicht
leicht von den Lippen geht.
Wer sind wir als Lehrer und Lehrerinnen
in unserem Verhältnis zu unseren
eigenen Texten? Wir sind Boten einer
fremden Nachricht. Das Bild verstehe
ich zunächst als eine Entlastung: wir
sind Boten. Wir sind nicht die Garanten
der Kraft und der Schönheit dieser Texte.
Ich bin ein Mensch, der eine schö-
Mitteilungen aus dem Thüringer Pfarrverein Nr. 01-2022 31