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RA 01/2023 - Entscheidung des Monats

In diesem Fall treffen die Gefährdungshaftung des Tierhalters mit der Gefährdungshaftung des Kraftfahrzeughalters aufeinander.

In diesem Fall treffen die Gefährdungshaftung des Tierhalters mit der Gefährdungshaftung des Kraftfahrzeughalters aufeinander.

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<strong>RA</strong> <strong>01</strong>/<strong>2023</strong><br />

Zivilrecht<br />

9<br />

ZIVILRECHT<br />

Problem: Abwägung von Tiergefahr und Betriebsgefahr<br />

Einordnung: Deliktsrecht<br />

OLG Celle, Urteil vom 05.10.2022<br />

14 U 19/22<br />

EINLEITUNG<br />

In diesem Fall treffen die Gefährdungshaftung <strong>des</strong> Tierhalters mit der Gefährdungshaftung<br />

<strong>des</strong> Kraftfahrzeughalters aufeinander.<br />

SACHVERHALT<br />

K ist die gesetzliche Krankenversicherung <strong>des</strong> Zeugen B., der am 28.04.2<strong>01</strong>7<br />

durch einen Hundebiss seines eigenen Rauhaardackels verletzt wurde. Unmittelbar<br />

vor dem Biss wurde der Hund durch ein von B1 gesteuertes Fahrzeug<br />

überfahren, <strong>des</strong>sen Halter der B1 ist, und das bei der B2 versichert ist. Der Zeuge<br />

B. ist Jagdpächter. Er und B1 kennen sich schon seit Jahren und sind freundschaftlich<br />

verbunden. Beide teilen ein Interesse für die Jagd. B1 ist gelegentlich<br />

Jagdgast <strong>des</strong> B und half in der Vergangenheit bei gemeinschaftlichen Unternehmungen,<br />

wie bspw. dem Anlegen eines Pirschpfa<strong>des</strong> oder dem Bau von<br />

Jagdeinrichtungen. Am 28.04.2<strong>01</strong>7 brachte B1 auf Bitten <strong>des</strong> B Materialien für<br />

einen Hochsitz, den B an einem vorher gemeinsam besprochenen Ort im Wald<br />

bauen wollte. B1 befuhr den Waldweg zu diesem Zweck mit seinem geländegängigen<br />

Pick Up. B befand sich mit seinem Rauhaardackel schon vor Ort, den er<br />

an einer langen Leine mit sich führte. Nachdem die Beteiligten mit den Arbeiten<br />

begonnen hatten, wollte der B1 sein Fahrzeug umsetzen. Beim Anfahren<br />

übersah er den Hund, der von dem rechten Vorderrad <strong>des</strong> Pick Up überfahren<br />

wurde. Als B unmittelbar nach dem Unfall seinen wie leblos daliegenden Hund<br />

aufhob, biss dieser dem B plötzlich tief in das linke Handgelenk. Die tiefe Bissverletzung<br />

entzündete sich im Verlauf der Abheilung und musste operiert<br />

werden. B war bis zum 17.09.2<strong>01</strong>7 arbeitsunfähig, es entstanden Heilbehandlungskosten<br />

in Höhe von 10.000 €. Zwischen dem <strong>01</strong>.05.2<strong>01</strong>7 und dem 09.06.2<strong>01</strong>7<br />

erhielt B 2.000 € Entgeltfortzahlung. K übernahm dies Kosten und verlangt<br />

von B1 und B2 gesamtschuldnerisch Regress. Zu Recht, wenn davon auszugehen<br />

ist, dass weder B noch B1 die verkehrsübliche Sorgfalt missachtet haben?<br />

LÖSUNG<br />

LEITSATZ<br />

1. Es ist der Betriebsgefahr eines<br />

Fahrzeugs zuzurechnen, wenn ein<br />

von einem Fahrzeug überrollter,<br />

aber dennoch überlebender Hund<br />

in engem zeitlich-örtlichem Zusammenhang<br />

danach seinen Halter<br />

beißt.<br />

2. Im Rahmen einer langjährigen<br />

Jagdfreundschaft stellt der<br />

alleinige Transport von Baumaterialien<br />

für einen Hochsitzbau<br />

keine arbeitnermerähnliche<br />

Tätigkeit dar, die eine Haftungsprivilegierung<br />

i.S.d. §§ 104 ff. SGB<br />

VII begründet.<br />

3. Zur Abwägung der Betriebsgefahr<br />

eines Kfz einerseits und der<br />

Tiergefahr eines Hun<strong>des</strong> andererseits<br />

(hier mit 75:25 zu Lasten der<br />

Betriebsgefahr <strong>des</strong> Kfz bemessen).<br />

Nach den tatrichterlichen Feststellungen<br />

konnte kein Beweis für eine<br />

Missachtung der verkehrsüblichen<br />

Sorgfalt durch B oder B1 erbracht<br />

werden, sodass es in der Abwägung<br />

am Ende nur um die Gefährdungshaftung<br />

geht. Auch <strong>des</strong>halb ist<br />

dieser Fall so interessant.<br />

A. Anspruch der K gegen B1 gem. §§ 116 I SGB-X, 7 I StVG<br />

K könnte gegen B1 aus übergegangenem Recht einen Anspruch auf Zahlung<br />

von 12.000 € gem. §§ 116 I SGB X, 7 I StVG haben.<br />

I. Forderungsübergang gem. § 116 I SGB X<br />

Dies setzt gem. § 116 I SGB X voraus, dass K als gesetzliche Krankenversicherung<br />

gegenüber dem Versicherten eine Versicherungsleistung erbracht hat. Hier<br />

hat K die Heilbehandlungskosten bezahlt sowie die Entgeltfortzahlung<br />

geleistet, sodass die Voraussetzungen <strong>des</strong> gesetzlichen Forderungsübergangs<br />

gem. § 116 I SGB-X erfüllt sind.<br />

II. Anspruch aus § 7 I StVG<br />

Fraglich ist, ob ein Schadensersatzanspruch <strong>des</strong> B gegen B1 aus § 7 I StVG auf<br />

K übergegangen ist.<br />

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10 Zivilrecht <strong>RA</strong> <strong>01</strong>/<strong>2023</strong><br />

1. Rechtsgutsverletzung<br />

Hierzu müsste ein solcher Anspruch zunächst entstanden sein, was zunächst<br />

eine Rechtsgutsverletzung bei B voraussetzt. Aufgrund <strong>des</strong> Hundebisses liegt<br />

eine Körperverletzung, aufgrund der dadurch ausgelösten Entzündung eine<br />

Gesundheitsbeschädigung vor.<br />

2. Haltereigenschaft <strong>des</strong> B1<br />

B1 ist auch Halter <strong>des</strong> Kraftfahrzeuges.<br />

3. Haftungsbegründende Kausalität<br />

Fraglich ist aber, ob die sich Körperverletzung „bei Betrieb“ <strong>des</strong> Kraftfahrzeugs<br />

ereignet hat. Dies setzt voraus, dass sich die Betriebsgefahr <strong>des</strong> Kfz im Kausalverlauf<br />

in örtlicher, zeitlicher und sachlicher Hinsicht realisiert hat.<br />

Die Rechtsprechung hat das<br />

Merkmal „bei Betrieb“ immer großzügiger<br />

ausgelegt. Prägend für die<br />

Interpretation <strong>des</strong> haftungsrechtlichen<br />

Zusammenhangs mit den<br />

Betriebseinrichtungen <strong>des</strong> Kfz sind<br />

zum einen das Urteil das Urteil <strong>des</strong><br />

BGH vom 21.<strong>01</strong>.2<strong>01</strong>4, VI ZR 253/13,<br />

zum anderen das Urteil <strong>des</strong> BGH<br />

vom 26.03.2<strong>01</strong>9, VI ZR 236/18 =<br />

<strong>RA</strong> 07/2<strong>01</strong>9, 337 ff (dringender<br />

Examenstipp).<br />

Eigenständiger Gefahrenkreis<br />

Im Urteil vom 26.02.2<strong>01</strong>3,VI ZR 116/12<br />

rechnete der BGH den Sturz eines<br />

Geschädigten auf vereister Fläche<br />

nach einem Auffahrunfall der<br />

Betriebsgefahr <strong>des</strong> auffahrenden<br />

Fahrzeugs zu.<br />

Das Überfahren war Auslöser <strong>des</strong><br />

Bisses.<br />

Unter einer Legalzession versteht<br />

man den gesetzlichen Übergang<br />

einer Forderung. Hier ist die Wirkung<br />

<strong>des</strong> § 116 I SGB X gemeint. Andere<br />

gebräuchliche Bezeichnungen hierfür<br />

sind cessio legis oder Abtretung kraft<br />

Gesetzes. Gem. §§ 412, 404 BGB darf<br />

der Schuldner dem neuen Gläubiger<br />

alle Einwendungen entgegenhalten,<br />

die gegen den alten Gläubiger<br />

begründet waren.<br />

[22] Gem. § 7 Abs. 1 StVG muss der Schaden bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges<br />

entstanden sein. Dies ist der Fall, wenn sich in ihm die von dem<br />

Kraftfahrzeug ausgehenden Gefahren ausgewirkt haben, d.h. wenn bei<br />

der insoweit gebotenen wertenden Betrachtung das Schadensgeschehen<br />

durch das Kraftfahrzeug (mit)geprägt worden ist. Für die Zurechnung der<br />

Betriebsgefahr kommt es damit maßgeblich darauf an, dass der Unfall<br />

in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem<br />

bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung<br />

<strong>des</strong> Kraftfahrzeuges steht (...). Dies ist der Fall, solange die einmal<br />

geschaffene Gefahrenlage fort- und nachwirkt (...).<br />

[23] An diesem Zusammenhang fehlt es, wenn die Schädigung nicht mehr<br />

eine spezifische Auswirkung derjenigen Gefahren ist, für die die Haftungsvorschrift<br />

den Verkehr schadlos halten will (...). Dies gilt insbesondere für<br />

Schäden, in denen sich ein gegenüber der Betriebsgefahr eigenständiger<br />

Gefahrenkreis verwirklicht hat (...). Dies ist vorliegend nicht der Fall.<br />

[25] Der Unfall steht in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang<br />

mit dem Betrieb <strong>des</strong> Fahrzeugs. Der Biss erfolgte noch vor<br />

Ort, nachdem der Hund gerade überrollt worden war, unmittelbar nach<br />

dem Hochheben <strong>des</strong> Hun<strong>des</strong> durch den Zeugen B.<br />

[26] Der Biss <strong>des</strong> gerade überfahrenen Dackels stellt auch keinen eigenen<br />

Gefahrenkreis dar, den sich die Klägerin zurechnen lassen muss. Der<br />

Hund hat - bei lebensnaher Betrachtung - zugebissen, weil er schockbedingt<br />

in dieser Ausnahmesituation nicht zwischen feindlicher und<br />

freundlicher Berührung unterscheiden konnte. Der Zeuge B. wurde<br />

auch erst durch das Überfahren <strong>des</strong> Tieres - bereits aus tierschutzrechtlichen<br />

Erwägungen - veranlasst, nach diesem zu sehen und es zu bergen (...).<br />

[29] Das Überfahren war auch die Ursache <strong>des</strong> Bisses. (...) Denn der<br />

Hund hat sein eigenes Herrchen nicht anlasslos in die Hand gebissen,<br />

sondern aufgrund der zuvor erlebten Situation, die durch das Beklagtenfahrzeug<br />

hervorgerufen worden war (s.o.).<br />

[30] Einer Haftung aus Betriebsgefahr steht nicht entgegen, dass sich der<br />

Unfall auf einem Waldweg ereignet hat, der ohne Erlaubnis nicht befahren<br />

werden durfte (...).<br />

Folglich hat sich die Betriebsgefahr im Kausalverlauf realisiert.<br />

4. Ersatzfähiger, kausaler Schaden<br />

Gem. § 11 S. 1 StVG ist ein Schaden in Höhe von 12.000 € entstanden, der von<br />

K nach dem Begleichen der Krankenhausrechnung und der Entgeltfortzahlung<br />

im Wege der Legalzession als normativer Schaden geltend gemacht wird.<br />

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<strong>RA</strong> <strong>01</strong>/<strong>2023</strong><br />

Zivilrecht<br />

11<br />

5. Kein Ausschluss <strong>des</strong> Anspruchs<br />

Fraglich ist, ob der Anspruch aufgrund einer Einwendung <strong>des</strong> B1 gegenüber<br />

B ausgeschlossen ist, welche gem. §§ 412, 404 BGB gegenüber der neuen<br />

Gläubigerin K Wirkung entfaltet.<br />

a) Ausschluss gem. §§ 412, 404 BGB, 17 III StVG<br />

Die Haftung wäre gem. § 17 III StVG ausgeschlossen, wenn sich der Unfall<br />

durch ein unabwendbares Ereignis ereignet hätte. Dies ist ein Ereignis, das<br />

selbst ein Idealfahrer bei Anwendung äußerster Sorgfalt mit erträglichen<br />

und wirtschaftlich zumutbaren Mitteln nicht hätte vermeiden können<br />

[32] Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Ein Idealfahrer hätte sich<br />

vor dem Anfahren versichert, dass der Hund hinreichend Abstand zum<br />

anfahrenden Fahrzeug hält bzw. sich nicht beim Anfahren unmittelbar vor<br />

dem Pkw in Fahrtrichtung befindet.<br />

b) Ausschluss gem. §§ 412, 404 BGB, 105 II SGB VII<br />

Fraglich ist, ob der Anspruch <strong>des</strong> B gegen B1 gem. § 105 II SGB VII ausgeschlossen<br />

ist.<br />

[45] Gem. § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Personen, die durch eine betriebliche<br />

Tätigkeit einen Versicherungsfall von Versicherten <strong>des</strong>selben Betriebs<br />

verursachen, diesen sowie deren Angehörigen und Hinterbliebenen nach<br />

anderen gesetzlichen Vorschriften zum Ersatz <strong>des</strong> Personenschadens nur<br />

verpflichtet, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder auf einem<br />

nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 versicherten Weg herbeigeführt haben. Gem.<br />

§ 105 Abs. 2 Satz 1 SGB VII gilt Absatz 1 entsprechend, wenn nicht versicherte<br />

Unternehmer geschädigt worden sind, was erst Recht auch für<br />

versicherte Unternehmer gilt (...).<br />

[47] Als betriebliche Tätigkeit <strong>des</strong> Schädigers ist grundsätzlich jede gegen<br />

Arbeitsunfall versicherte Tätigkeit zu qualifizieren. (...)<br />

[48] Ein betriebliches Tätigwerden Beschäftigter nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB<br />

VII scheidet bereits wegen einer fehlenden Anstellung <strong>des</strong> Beklagten zu<br />

1 beim Zeugen B. aus.<br />

Auf die Erwähnung und Prüfung <strong>des</strong><br />

evident nicht einschlägigen Ausschlusses<br />

wegen höherer Gewalt<br />

gem. § 7 II StVG wird aus Platzgründen<br />

verzichtet. Die Einwendungen<br />

aus. Einwendungen, die den<br />

Anspruch vollständig ausschließen,<br />

werden vorangestellt.<br />

An einen Idealfahrer werden über<br />

die verkehrsübliche Sorgfalt hinausgehende<br />

Anforderungen gestellt.<br />

Wie im Leitsatz ersichtlich ist, liegt<br />

hier erkennbar ein Schwerpunkt der<br />

<strong>Entscheidung</strong>. Sehr sorgfältig hat<br />

das OLG § 2 SGB VII ausgelegt.<br />

§ 105 II SGB VII gilt erst Recht für versicherte<br />

Unternehmer.<br />

Voraussetzungen <strong>des</strong> § 2 I Nr. 1 SGB<br />

VII liegen nicht vor, weil B1 nicht bei<br />

B beschäftigt ist.<br />

Fraglich ist aber, ob B1 wie ein Beschäftigter <strong>des</strong> B gem. § 2 II 1 SGB VII<br />

betrieblich tätig geworden ist.<br />

[50] § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB VII erfasst tatbestandlich Tätigkeiten, die ihrer Art<br />

nach zwar nicht sämtliche Merkmale der Ausübung einer Beschäftigung<br />

iS von § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII aufweisen, in ihrer Grundstruktur aber<br />

einer solchen ähneln. Es muss ebenfalls eine ernstliche, einem fremden<br />

Unternehmen dienende, dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen <strong>des</strong><br />

Unternehmers entsprechende Tätigkeit von wirtschaftlichem Wert verrichtet<br />

werden, die ihrer Art nach sonst von Personen verrichtet werden<br />

könnte und regelmäßig verrichtet wird, die in einem fremden Unternehmen<br />

dafür eingestellt sind (...).<br />

[51] Die Voraussetzungen einer arbeitnehmerähnlichen Tätigkeit sind<br />

insoweit: (1) Die Tätigkeit hat wirtschaftlichen Wert und dient einem Unternehmen,<br />

in dem der Handelnde nicht bereits als Beschäftigter nach Abs. 1<br />

Nr. 1 versichert ist (sog. nutznießen<strong>des</strong> oder unterstütztes Unternehmen);<br />

(2) die Tätigkeit entspricht dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen <strong>des</strong><br />

Unternehmers; (3) die Tätigkeit kann ihrer Art nach von Arbeitnehmern<br />

Voraussetzungen <strong>des</strong> § 2 II 1 SGB VII<br />

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12 Zivilrecht <strong>RA</strong> <strong>01</strong>/<strong>2023</strong><br />

verrichtet werden; (4) die Tätigkeit wird konkret unter arbeitnehmerähnlichen<br />

Umständen vorgenommen. Zur Beurteilung dieser Voraussetzungen<br />

kommt es nicht auf die unmittelbar zum Unfall führende<br />

Tätigkeit, sondern auf das Gesamtbild der tatsächlichen oder beabsichtigten<br />

Tätigkeit an (...).<br />

Hier ist fraglich, ob die Voraussetzung Nr. 4 vorliegt.<br />

Hier liegt eine klassische Gefälligkeit,<br />

ein typischer Freundschaftsdienst<br />

vor, was nichts mit § 2 II 1 SGB VII zu<br />

tun hat.<br />

Wichtig: Die Hilfsdienste wurden auch<br />

nicht als Gegenleistung für die Einräumung<br />

der Möglichkeit zum Jagen<br />

erbracht.<br />

[53] Nicht jede einem Unternehmen dienende und dem mutmaßlichen<br />

Willen <strong>des</strong> Unternehmers entsprechende Tätigkeit ist nach § 2 Abs. 2 Satz 1<br />

SGB VII versichert. Es muss vielmehr eine Tätigkeit sein, die ihrer Art nach<br />

sonst von Personen verrichtet werden könnte, die zu dem Unternehmer in<br />

persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit stehen. Die Tätigkeit muss<br />

also unter solchen Umständen geleistet werden, dass sie einer Tätigkeit aufgrund<br />

eines Beschäftigungsverhältnisses im Sinne <strong>des</strong> § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB<br />

VII ähnlich ist. Entscheidend ist, ob nach dem Gesamtbild der Tätigkeit diese<br />

beschäftigtenähnlich ausgeübt wird. Dies ist bei Verrichtungen zu verneinen,<br />

die in Erfüllung gesellschaftlicher, nicht rechtlicher Verpflichtungen<br />

erbracht werden. Eine Tätigkeit als „Wie-Beschäftigter“ scheidet<br />

insoweit aus, wenn das Tätigwerden auf besonderen Verpflichtungen<br />

und Rechtsverhältnissen beruht, die ein Arbeitsverhältnis typischerweise<br />

ausschließen, wie mitgliedschaftliche, gesellschaftsrechtliche<br />

oder familiäre Bindungen (...).<br />

[54] Konkreter schließen Verrichtungen aufgrund freundschaftlicher oder<br />

nachbarschaftlicher Beziehungen eine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit<br />

eines Verletzten und damit den Versicherungsschutz über § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB<br />

VII dann aus, wenn es sich um einen aufgrund der konkreten sozialen Beziehungen<br />

geradezu selbstverständlichen Hilfsdienst handelt oder die zum<br />

Unfall führende Verrichtung als Erfüllung gesellschaftlicher (nicht rechtlicher)<br />

Verpflichtungen anzusehen ist, die bei besonders engen Beziehungen zwischen<br />

Freunden typisch, üblich und <strong>des</strong>halb zu erwarten sind (...).<br />

[58] Unter Beachtung dieser Grundsätze ist bei der zum Unfall führenden<br />

Tätigkeit <strong>des</strong> Beklagten zu 1 von einer nicht versicherten Gefälligkeitsleistung<br />

auszugehen, deren Handlungstendenz durch die Sonderbeziehung<br />

zwischen dem Zeugen B. und dem Beklagten zu 1 geprägt war.<br />

[67] Nach alldem ergibt sich aus den Feststellungen <strong>des</strong> Landgerichts kein<br />

Hinweis auf eine beschäftigungsähnliche Tätigkeit. Schließlich wurde die<br />

Erlaubnis zum Jagen auch von beiden Beteiligten nicht als Gegenleistung<br />

für den Materialtransport gesehen, was bei einer lebensnahen<br />

Gesamtbetrachtung der langjährigen Freundschaft der beiden Jäger<br />

auch eher fernliegend sein dürfte.<br />

Folglich ist der Anspruch nicht gem. § 105 II SGB VII ausgeschlossen<br />

Einwendungen, die den Anspruch<br />

nicht von vornherein vollständig ausschließen,<br />

sondern ihn je nach Einzelfall<br />

ganz oder teilweise mindern,<br />

sollten hinter den oben geprüften Ausschlussgründen<br />

untersucht werden.<br />

Weil der Hund weder ein Berufstier,<br />

noch ein Erwerbstier, noch ein<br />

Nutztier zu Unterhaltszwecken ist,<br />

kommt es auf § 833 S. 2 BGB nicht an.<br />

c) Minderung <strong>des</strong> Anspruchs wegen Anrechnung der Tiergefahr gem.<br />

§§ 412, 404 BGB, 17 I, II, IV, 18 III StVG<br />

B ist Halter <strong>des</strong> Hun<strong>des</strong> der ihn gebissen hat. Die Tiergefahr muss gem. § 833<br />

S. 1 BGB angerechnet werden.<br />

[35] Im Rahmen der nach §§ 17 Abs. 1, 2, 4; 18 Abs. 3 StVG vorzunehmenden<br />

Haftungsabwägung hängt die Verpflichtung zum Ersatz sowie der<br />

Umfang <strong>des</strong> zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon<br />

ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen<br />

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<strong>RA</strong> <strong>01</strong>/<strong>2023</strong><br />

Zivilrecht<br />

13<br />

Teil verursacht worden ist. Zunächst ist das Gewicht <strong>des</strong> jeweiligen Verursachungsbeitrages<br />

der Kfz-Halter bzw. -Führer zu bestimmen, wobei<br />

zum Nachteil der einen oder anderen Seite nur feststehende, d. h.<br />

unstreitige oder bewiesene Umstände berücksichtigt werden dürfen,<br />

die sich auch nachweislich auf den Unfall ausgewirkt haben.<br />

Vorliegend ist weder ein Verschulden <strong>des</strong> Halters B1 noch ein Verschulden <strong>des</strong><br />

B festgestellt worden. Folglich kommt es allein darauf an, inwieweit sich die<br />

jeweiligen tatbestandsspezifischen Gefahren, nämlich Betriebsgefahr einerseits<br />

und Tiergefahr andererseits, im Kausalverlauf realisiert haben.<br />

[69] Bei der Abwägung der beiderseitigen Gefährdungshaftungen ist<br />

zu berücksichtigen, dass der Beklagte zu 1 mit seinem Fahrzeug die<br />

erste Ursache für den Unfall gesetzt und die gesamte Situation geprägt<br />

hat, was zu einem deutlichen Haftungsübergewicht auf Beklagtenseite<br />

führt. Das Überfahren <strong>des</strong> Hun<strong>des</strong> hat unmittelbar <strong>des</strong>sen tierisches<br />

Verhalten beeinflusst. Das daraufhin erfolgte Beißen <strong>des</strong> Hun<strong>des</strong> stellt sich<br />

daher nur als Reaktion auf das vorherige Überfahren dar.<br />

[70] Die Tiergefahr hat sich ebenso verwirklicht. Ist - wie vorliegend - das<br />

Tier durch einen Unfall unmittelbar betroffen und sogar (zumin<strong>des</strong>t psychisch)<br />

verletzt worden, erhöht sich die einfache Tiergefahr. Ein verletztes<br />

Tier bringt durch seine erhöhte tierische Unberechenbarkeit ein größeres<br />

Gefahrenpotential mit sich als ein gesun<strong>des</strong> Tier, was sich vorliegend mit<br />

dem reflexhaften Biss in den Arm seines Halters auch ausgewirkt hat.<br />

Nach der Ansicht <strong>des</strong> Senats rechtfertigt diese erhöhte Tiergefahr eine<br />

klägerische Beteiligung an dem Schaden in Höhe von 25%.<br />

[72] Der Haftungsbeschränkung gem. § 840 Abs. 3 BGB, wonach die<br />

Tiergefahr gegenüber der Verschuldenshaftung aus § 823 BGB keine<br />

Anwendung findet, kommt ebenfalls keine Bedeutung zu. Der in § 840<br />

Abs. 3 BGB enthaltene Rechtsgedanke soll dann zum Tragen kommen,<br />

wenn auf Seiten <strong>des</strong> einen Schädigers nur ein Fall der Gefährdungshaftung,<br />

auf Seiten <strong>des</strong> Mitschädigers jedoch eine Haftung aus<br />

Verschulden vorliegt. In diesem Verhältnis soll letzterer allein für<br />

den Schaden aufkommen (...). Vorliegend haften beide Parteien aus<br />

Gefährdungshaftung.<br />

Also ist der Anspruch wegen Anrechnung der Tiergefahr in Höhe von 25 %<br />

zu kürzen. Daraus folgt, dass K aus dem übergegangen Anspruch einen<br />

Anspruch auf Zahlung von 75 % der 12.000 €, mithin auf Zahlung von<br />

9.000 € hat.<br />

Mangels eines festgestellten Verschuldens<br />

werden nur die beiderseitigen,<br />

verschuldensunabhängigen,<br />

Gefährdungshaftungen in die<br />

Abwägung einbezogen.<br />

Auslöser für den Kausalverlauf ist<br />

das Überfahren <strong>des</strong> Hun<strong>des</strong>, also die<br />

Realisierung der Betriebsgefahr.<br />

Auswirkungen der Tiergefahr<br />

Auf § 840 III BGB kommt es von vornherein<br />

nicht an, weil beide am Unfall<br />

beteiligte Parteien nur aus Gefährdungshaftung<br />

haften.<br />

B. Anspruch der K gegen B2 gem. §§ 116 I SGB-X, 7 I StVG, 115 I 1 Nr. 1 VVG<br />

B 2 haftet als gesetzliche Haftpflichtversicherung gem. §§ 1 PflichtVG, 113 VVG<br />

neben B1 gem. § 115 I 1 Nr. 1, S. 4 VVG. Gesamtschuldnerisch. Auch dieser<br />

Anspruch ist gem. § 116 I SGB X auf K übergegangen.<br />

C. Ergebnis<br />

K kann von B1 und B2 gesamtschuldnerisch die Zahlung von 9.000 € verlangen.<br />

FAZIT<br />

Bei der Anrechnung der Tiergefahr kommt es auch darauf an, ob die Realisierung<br />

der Tiergefahr die unmittelbare Folge einer realisierten Betriebsgefahr ist.<br />

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