NR. 1 22. Dezember 2005 16. JAHRGANG - Stadtverwaltung Tanna
NR. 1 22. Dezember 2005 16. JAHRGANG - Stadtverwaltung Tanna
NR. 1 22. Dezember 2005 16. JAHRGANG - Stadtverwaltung Tanna
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
56<br />
Nur ein belangloses Schüleraufsätzchen?<br />
Als ich neulich beim Durchblättern eines<br />
Jahrganges der Heimatzeitschrift<br />
„Oberland“ aus den 20er Jahren auf<br />
diesen lustigen Beitrag eines Drittklässlers stieß,<br />
erregte dessen Name meine Aufmerksamkeit<br />
zunächst noch gar nicht. Beim Nachdenken darüber,<br />
wie alt der damalige „Schriftsteller“ heute<br />
wohl sein würde, fiel es mir aber dann plötzlich<br />
wie Schuppen von den Augen – ich hatte mit ihm<br />
ja erst vor kurzem zumindest indirekt Kontakt<br />
aufgenommen und von ihm für mich wertvolle<br />
Informationen erhalten, und diese Bekanntschaft<br />
hatte folgenden Anlass: Mir war aus dem<br />
Nachlass meiner verstorbenen Tante Agnes Spörl,<br />
geborene Petzold, wieder einmal ein Foto ihres<br />
Schul- und Konfirmandenjahrgangs (1916/1917<br />
geborene <strong>Tanna</strong>er) in die Hände geraten. Da ich<br />
gern die Namen aller abgebildeten Schüler erfahren<br />
wollte, wandte ich mich an den meiner<br />
Ansicht nach letzten noch lebenden Schulkameraden<br />
dieses Jahrgangs – den jetzt in Greiz-<br />
Moschwitz beheimateten Helmuth Müller. Den<br />
Kontakt zu ihm stellte dankenswerterweise sein<br />
Neffe Eckehard Lonitz, der Sohn seiner in diesem<br />
Jahr verstorbenen Schwester Johanna her, und<br />
ich erhielt von dem nunmehr im neunzigsten Lebensjahr<br />
stehenden, geistig und körperlich noch<br />
erstaunlich frischen Zeitzeugen erfreulich genaue<br />
Auskunft über jeden seiner Mitschüler. Das<br />
bemerkenswerte Bild möchte ich gern einmal in<br />
einer unserer nächsten Ausgaben vorstellen, es sei<br />
hier nur darauf hingewiesen, dass es älteren <strong>Tanna</strong>ern<br />
bestens bekannte Einwohner(innen) zeigt<br />
wie z. B. Else Kreuchauf, verehelichte Dörfel (die<br />
verdienstvolle Sportlerin), Kurt Rösch (den unermüdlichen<br />
Motor des Spielmannszuges der Feuerwehr),<br />
die Zwillingsschwestern Johanna<br />
Schmidt, verheiratete Müller und später Eckner<br />
und Charlotte Schmidt, verehelicht mit dem legendären<br />
Torwart Otto Schröter, Hubert Müller<br />
(den im Krieg schwerverwundeten späteren Dozenten<br />
an der Forstschule Schwarzburg), Paul<br />
Hirschberg (den begeisterten Kaninchenzüchter),<br />
Bringfriede Kätzel, verheiratete Brendel (die<br />
langjährige Schulköchin), Lene Mietsch, verheiratete<br />
Kummer (die treue Begleiterin des „Nachkriegs-Turnvaters“<br />
Erich Kummer), Ilse Burkhard,<br />
verehelichte Spörl (die fleißige Vertreterin<br />
der Tänner Textilarbeiterinnen) sowie Paul<br />
Hamm (genannt „Franzos“, 1942 tödlich verwundet<br />
bei Smolensk) und Heinrich Geier (dem<br />
posthum das Ritterkreuz verliehen wurde). Was<br />
Helmuth Müller noch über seine Klassenkameraden<br />
zu berichten weiß, ergäbe ein ergreifendes<br />
Zeitgemälde des 20. Jahrhunderts, denn sie alle<br />
sind Kriegskinder im doppelten Sinne: geboren<br />
mitten im ersten Weltkrieg, aufgewachsen in den<br />
Jahren der wirtschaftlichen Depression und zu<br />
Opfern der zweiten globalen Katastrophe geworden,<br />
viele von ihnen als Gefallene, Versehrte,<br />
Kriegsgefangene oder als Kriegerwitwen.<br />
Für Helmuth Müllers Verwurzelung in <strong>Tanna</strong><br />
habe ich übrigens bei der Vorbereitung dieses<br />
Anzeigers ein weiteres bemerkenswertes Dokument<br />
entdeckt – in einer Ausgabe von 1915, ein<br />
reichliches Jahr vor seiner Geburt, ist die Verlo-<br />
bungsanzeige seiner Eltern Minna Eichelkraut<br />
und des damaligen Frontsoldaten Kurt Müller,<br />
der wohl gerade auf Urlaub in seiner Heimatstadt<br />
Gefell weilte, zu lesen (siehe unsere Seite „<strong>Tanna</strong><br />
vor 90 Jahren“). Am 18. November 1916 begann<br />
dann ein langer, wechselvoller Lebensweg, der in<br />
diesem Rahmen nur in groben Zügen skizziert<br />
werden kann. Nach der Schulzeit in <strong>Tanna</strong> und<br />
trotz mancher Mangelerscheinungen weitgehend<br />
unbeschwerten Kindheit erlernte Helmuth Müller<br />
in Greiz das Bäckerhandwerk, arbeitete nach der<br />
Lehre 2 Jahre lang als Geselle in Greiz-<br />
Moschwitz, wurde im Herbst 1937 zum Arbeitsdienst<br />
verpflichtet und im April 1938 zur Reichsmarine<br />
eingezogen. Es war ihm vergönnt, den<br />
Krieg glücklich zu überstehen, obwohl er in unterschiedlichen<br />
Dienststellungen – so z. B. als<br />
Signalgefreiter auf dem Panzerkreuzer „Admiral<br />
Scheer“ – vielen gefahrvollen Situationen ausge-