DER BIEBRICHER, Nr. 374, Januar 2023
Stadtteilmagazin für Wiesbaden-Biebrich
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Vor 100 Jahren starb der<br />
„Patriarch der Zementiner“<br />
„Patriarch der Zementiner“,<br />
so wurde Gustav Dyckerhoff<br />
einmal scherzhaft vom Maler<br />
Kaspar Kögler, seinem Freund<br />
und Kegelbruder, genannt. Der<br />
„Vater des größten Werks der<br />
deutschen Portlandzementindustrie“,<br />
dessen Todestag sich<br />
in diesem <strong>Januar</strong> zum 100.<br />
Mal jährt, konnte im Alter auf<br />
ein mächtiges Lebenswerk zurückblicken.<br />
In einem Bericht<br />
im „Wiesbadener Tagblatt“<br />
aus dem Jahre 1958 liest man<br />
von den bescheidenen Anfängen<br />
der Zementproduktion,<br />
gemeinsam mit seinem Vater<br />
und dem Geschäftspartner Carl<br />
Brentano in einer Hattenheimer<br />
Mühle. Die Anfänge waren von<br />
ständigem Scheitern geprägt.<br />
Die Dyckerhoff-Söhne Gustav<br />
und Rudolf sollten es dann aber<br />
schaffen, die Technik zu einer<br />
erfolgreichen Produktion von<br />
Weltruf weiterzuentwickeln.<br />
Gustav absolvierte zunächst<br />
eine kaufmännische Lehre in<br />
Bamberg, arbeitete dann in<br />
Marseille. Von besonderer<br />
Bedeutung wurde für seinen<br />
Werdegang ein Aufenthalt in<br />
England bei Schwann, Modera<br />
& Co in Manchester und<br />
im schottischen Glasgow. Die<br />
Produktionstechnik englischen<br />
Zements erkundete er dabei<br />
ausführlich und gab die Informationen<br />
an seinen Vater Wilhelm<br />
Gustav Dyckerhoff weiter.<br />
1864 wurden die Söhne Teilhaber<br />
der Portland-Zement-Fabrik<br />
Dyckerhoff & Söhne. Schon<br />
1869 schlägt man bei einer<br />
Ausschreibung in Holland alle<br />
Konkurrenzprodukte. Dyckerhoff<br />
forschte und verbesserte<br />
den Werkstoff. Man erwarb<br />
die „Flörsheimer Gruben“, in<br />
denen Ton für das Werk abgebaut<br />
wurde. Später entdeckte<br />
Dyckerhoff im Mühlbachtal<br />
zwischen Wiesbaden und Biebrich<br />
ein Kalkstein- und Mergelvorkommen<br />
und sicherte sich<br />
zu günstigen Bedingungen die<br />
Schürfrechte.<br />
Die Zahl der Arbeitnehmer und<br />
die Produktionszahlen schossen<br />
in die Höhe. Es gelang bald,<br />
die Qualität des deutschen Zements<br />
international zur Geltung<br />
zu bringen. 1895 exportierte<br />
Dyckerhoff ein Viertel seiner<br />
Produktion in die USA. Legendärer<br />
Einsatz für den Wiesbadener<br />
Werkstoff ist zum Beispiel<br />
der Sockel der Freiheitsstatue.<br />
Aber auch in der Heimat wurde<br />
Dyckerhoff-Zement bald<br />
viel verwendet. Unter anderem<br />
wurde beispielsweise in den<br />
1920er Jahren der einsturzgefährdete<br />
Mainzer Dom mit rund<br />
10.000 Kubikmetern Beton aus<br />
dem Zementprodukt „Dyckerhoff-Doppel“<br />
gerettet.<br />
Gustav Dyckerhoff war aber<br />
nicht nur ein erfolgreicher, sondern<br />
auch ein sehr sozial eingestellter<br />
Unternehmer. Bahnbrechend<br />
war die Firma in der<br />
Einführung sozialer Einrichtungen<br />
für ihre Mitarbeiter,<br />
die zu einem<br />
Großteil auch aus<br />
Biebrich stammten.<br />
Unmittelbar nach<br />
Unternehmensgründung<br />
wurde bereits<br />
eine eigene Arbeiterkrankenkasse<br />
errichtet.<br />
Anfang der<br />
1870er Jahre folgte<br />
eine Unterstützungskasse<br />
für Bedürftige.<br />
Durch eine Stiftung<br />
stellten die Brüder die<br />
Altersvorsorge langjähriger<br />
Mitarbeiter<br />
auf eine unabhängige<br />
Basis. Gustavs<br />
Ehefrau Luise, mit<br />
der er fünf Kinder hatte, weitete<br />
die soziale Fürsorge für die<br />
Angestellten und Arbeiter der<br />
Firma noch aus, indem sie unter<br />
Anleitung von Elise Kirchner die<br />
Haushaltungsschule Amöneburg<br />
für die Töchter der Werksangehörigen<br />
gründete. Für die<br />
Söhne entstand eine Knabenschule,<br />
in der die Jungen unter<br />
anderem im Schreinerhandwerk<br />
eingewiesen wurden; im sogenannten<br />
Bubengarten lernten<br />
sie Obstanbau und Gemüsezucht.<br />
Dyckerhoff war Ehrenbürger<br />
von Kastel, Biebrich und Flörsheim<br />
und erhielt später unter<br />
anderem den Titel eines Geheimen<br />
Kommerzienrats. Als um<br />
die Jahrhundertwende die beiden<br />
ältesten Söhne der Brüder<br />
Der Industrielle und soziale Unternehmer<br />
Gustav Wilhelm Bernhard Dyckerhoff.<br />
in die Firma eingetreten waren,<br />
zogen die Seniorchefs sich langsam<br />
zurück, endgültig dann<br />
nach der Umwandlung in eine<br />
GmbH 1911. Der bereits zitierte<br />
Artikel berichtet von vielen<br />
feucht-fröhlichen „Alte-Herren-<br />
Abenden“ im Kreise der anderen<br />
Biebricher Industriellen,<br />
unter anderem Heinrich Albert<br />
und Dr. Wilhelm Kalle, sowie<br />
Biebrichs Bürgermeister Rudolf<br />
Vogt. Auch der Maler Kaspar<br />
Kögler war dabei, es wurde oft<br />
und gerne dem Kegelspiel gefrönt.<br />
Am 12. <strong>Januar</strong> 1923 starb<br />
Gustav Dyckerhoff, „der bedeutende<br />
Industrielle, der große soziale<br />
Unternehmer“.<br />
(art)<br />
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