31.03.2023 Aufrufe

Christoph Tödter: Hoffnung auf Vollendung (Leseprobe)

Über Jahrhunderte hinweg gehörte die Seele im christlichen Europa untrennbar zum Selbstbild des Menschen. Heute ist sie wenigstens für eine wissenschaftliche Beschreibung des Menschseins kaum mehr relevant. An ihre Stelle treten Bewusstsein und Selbst, Geist und Denken, Identität und Person oder Erleben und Existenz. Aber die religiöse Innerlichkeit des Psalters zeigt, dass eine solche konzeptionelle Beschreibung dennoch den Seelenbegriff aufnehmen kann, auch wenn er kein quellensprachliches Korrelat hat. Wovon die Psalmen handeln und was sich im Seelebegriff abbildet, ist weder der Grund für Leben noch für Unsterblichkeit, sondern eine ehrfürchtige Betrachtung der zwischen Schuld und Widerfahrnis erlebten Gegenwart des individuellen Daseins vor Gott in seiner Hoffnung auf Vollendung.

Über Jahrhunderte hinweg gehörte die Seele im christlichen Europa untrennbar zum Selbstbild des Menschen. Heute ist sie wenigstens für eine wissenschaftliche Beschreibung des Menschseins kaum mehr relevant. An ihre Stelle treten Bewusstsein und Selbst, Geist und Denken, Identität und Person oder Erleben und Existenz. Aber die religiöse Innerlichkeit des Psalters zeigt, dass eine solche konzeptionelle Beschreibung dennoch den Seelenbegriff aufnehmen kann, auch wenn er kein quellensprachliches Korrelat hat. Wovon die Psalmen handeln und was sich im Seelebegriff abbildet, ist weder der Grund für Leben noch für Unsterblichkeit, sondern eine ehrfürchtige Betrachtung der zwischen Schuld und Widerfahrnis erlebten Gegenwart des individuellen Daseins vor Gott in seiner Hoffnung auf Vollendung.

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

5.2 Motiv- und traditionsgeschichtliche Untersuchungen 107<br />

hif. (vgl. Ps 116,13; 1 Kön 18,24). 49 Die <strong>auf</strong>gerufenen Momente der זכר bzw. ‏(ב)שם<br />

Libation und Namensanrufung sind sowohl ein fester Bestandteil des Jhwh-Kultes<br />

als auch von Fremdgötterverehrung, gegen welche sich der Vers wohl kontextuell<br />

wendet und damit die Hinwendung zu Jhwh (V.2) und den Seinen (V.3) flankiert.<br />

Sie sind jedoch zugleich ebenso durch altorientalische Paralleltexte als Form der<br />

Ahnenverehrung in der Umwelt Israels belegt (vgl. V.10). 50<br />

In den folgenden V.5---6 sticht besonders die dichte Verwendung einer verschiedentlich<br />

<strong>auf</strong> das Land bezogenen Metaphorik hervor. Damit kommt ein Topos<br />

in den Fokus, der zu den zentralen Motiven alttestamentlicher Theologie gehört.<br />

In besonders ausgeprägter Verwendung findet sich das Motiv in Psalm 37, der die<br />

mit ihm verbundenen Aspekte der Lebensqualität im Land (V.11), der Gottesbeziehung<br />

(V.4), von Vertrauen und Schutz (V.40) und der dauerhaften Gültigkeit<br />

נחלה und חלק der Verheißung miteinander verbindet. 51 Mit den vier Ausdrücken<br />

sowie חבל und גורל findet sich das Landmotiv in Psalm 16 als Metapher für Jhwh,<br />

dessen Handeln und die Beziehung zu ihm. Dabei kann der mit חלק verbundene<br />

Rekurs <strong>auf</strong> die geprägte Wendung יהוה חלקי (vgl. Ps 73,26; 142,6; Klgl 3,24) im<br />

vorliegenden Zusammenhang nicht <strong>auf</strong> die »Levitenprärogative« (Num 18,20;<br />

Dtn 10,9) beschränkt werden. Auf diese Weise blieben sowohl der Eigensinn von<br />

de- als auch Belege wie Jer 10,16 und Dtn 32,9 unberücksichtigt, in ‏,ג ו ר ל und חבל<br />

nen חלק und נחל ה ebenso wie in Ps 16,5 f. eine personal- und relational-durative<br />

Bedeutung zukommt. 52 .Der Aspekt der Beständigkeit wird in der Metapher des<br />

be- weiter תמך für das individuelle Lebensschicksal im Zusammenhang mit גורל<br />

י ר ה oder נ פ ל , ע ל ה tont, während die Verbindung des Substantivs mit Verben wie<br />

sonst mehr ein dynamisches Moment herausstellt. 53 Es vermag womöglich <strong>auf</strong> ein<br />

in späteren Texten belegtes eschatologisches Verständnis zu verweisen, wofür im<br />

Kontext des Psalms jedoch dessen Lebens- und Todesverständnis eingehender zu<br />

betrachten ist. 54<br />

Die V.5---6 dominierende Landthematik wird im Motiv des Bechers ‏(כוס)‏ <strong>auf</strong>gebrochen,<br />

dessen Verständnis nicht allein aus den genannten Versen heraus erfolgen<br />

kann, sondern des weiteren inter- wie intratextuellen Kontextes bedarf. 55<br />

49<br />

Vgl. Liess, Weg, 151.<br />

50<br />

Vgl. a.a.O. 153 f.; Schaper, Elements, 164 f.<br />

51<br />

Vgl. Liess, Weg, 164---166 mit Lohfink, Art. jāraš, 959.<br />

52<br />

Vgl. Liess, Weg, 169---171; in Konzentration <strong>auf</strong> die Levitenprärogative dagegen etwa<br />

Kraus, Psalmen, 265 f.<br />

53<br />

Vgl. Liess, Weg, 186.<br />

54<br />

In späteren Schriften wird das »Los« zu einem bevorzugt eschatologisch gewandten<br />

Ausdruck: »Von besonderer Wichtigkeit ist dann, daß mit dem Durchdringen der Auferstehungshoffnung<br />

und κλῆρος auch <strong>auf</strong> das dem Menschen nach dem Tode gegebene ›Teil‹<br />

angewandt wird«. --- Foerster / Herrmann, Art. κλῆρος, 760. Diese Deutung findet sich<br />

deutlich belegt in der klassisch rabbinischen Exegese zu Ps 16,5.<br />

55<br />

Eine Deutung als »Losbecher«, wie sie Zenger mit Verweis <strong>auf</strong> Josua 18 vorschlägt,<br />

vermag nicht zu überzeugen, vgl. Liess, Weg, 190; Zenger Psalmen I NEB, 111 f. Ebenso<br />

לרָ‏ וֹגּ

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!