immobilia 2023/04 - SVIT
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
BAU & HAUS<br />
BETONBAU<br />
DER WEISSE TURM<br />
VON MULEGNS<br />
Seit einiger Zeit wird an den Möglichkeiten<br />
von 3D-gedruckten Bauten<br />
geforscht. Nun ist es den ETH-<br />
Forschungsgruppen Digital Building<br />
Technologies DBT und Physical<br />
Chemistry of Building Materials mit<br />
einen 29 Meter hohen 3D-Print-Turm<br />
gelungen, die neue Technologie<br />
auch für Laien erfahrbar zu machen.<br />
TEXT—OLIVIA ZBINDEN*<br />
Der Weisse Turm<br />
wird zu einem markanten<br />
Bau am<br />
Julierpass. Er soll<br />
optisch an die Bündner<br />
Zucker bäcker-<br />
Tradition erinnern.<br />
BILDER: MEYERHANS/<br />
DILLENBURGER<br />
Herausragend soll der Turm nicht nur künstlerisch, sondern auch bautechnisch<br />
sein: Er wird eine der höchsten jemals 3D-gedruckten, von Robotern<br />
gebauten Strukturen sein.<br />
TURM STEHT AUF FAST<br />
100 SÄULEN<br />
9 Meter Höhe ist weltrekordverdächtig.<br />
Und es ist die logische Konsequenz der langjährigen<br />
Vorreiterolle in digitaler Bautechnologie.<br />
Die ETH Zürich hat mit der Gruppe<br />
DBT in den Bündner Bergen nun ein<br />
ganz besonderes Projekt vor Ausführung:<br />
der Weisse Turm von Mulegns. Das klingt<br />
märchenhaft. Und wenn man sich mit dem<br />
Projekt näher befasst, ist es das auch. Das<br />
Beton extrusions verfahren ermöglicht eine<br />
neuartige Formensprache. Die Möglichkeiten<br />
von sehr filigranen Gestaltungsmöglichkeiten<br />
sind im Turm meisterhaft<br />
umgesetzt und zeigen eindrücklich, wie<br />
visionäre Bautechnolo gien bereits heute<br />
schon realisiert werden können.<br />
Mulegns ist ein stilles, aber charakterstarkes<br />
Dorf an der Julierstrecke zwischen<br />
Savognin und St. Moritz. Von den meisten<br />
Besuchern von Graubünden wird Mulegns<br />
auf dem Weg ins Engadin links liegen<br />
gelassen. Mit dem Weissen Turm wird<br />
sich das ändern. Nicht nur per Form und<br />
architektoni scher Ausstrahlung, sondern<br />
auch durch das kulturelle Angebot. Hier<br />
soll es Raum für Kunstausstellungen und<br />
-installation geben. Im obersten Stockwerk<br />
befindet sich sogar ein Konzertsaal mit 45<br />
Sitzplätzen für ein Kulturerlebnis der ganz<br />
besonderen Art. Der Bau besteht aus fast<br />
100 Säulen, die gleichzeitig die Geschossebenen<br />
stützen und durch ihre filigrane Ornamentierung<br />
als Fassade funktionieren.<br />
Besonders ist auch, dass sich der Turm nach<br />
oben verbreitert statt verjüngt. Zusammen<br />
mit den Fensteröffnungen entsteht damit<br />
eine Art Leuchtturm für das Dorf.<br />
DRUCKEN WILL GELERNT SEIN<br />
Der Druck eines ganzen Baus ist nicht<br />
mit dem Druck eines Kinderspielzeugs vergleichbar.<br />
Material und Architektur müssen<br />
neu gelernt, ausgelotet, erfahren werden.<br />
Dazu gehört auch die Entwicklung der<br />
Bausoftware, die komplexe Pläne und Berechnungen<br />
in das neue Bauverfahren umsetzen<br />
kann. Ganz grob funktioniert das so:<br />
Der Roboter trägt Schicht um Schicht 5 mm<br />
dünne Lagen aus Weichbeton auf. Der 3D-<br />
Beton muss genug flüssig gemischt sein,<br />
damit er durch die Extrusionsdüse fliessen<br />
kann, ohne diese zu verstopfen. Danach<br />
muss er re lativ schnell Festigkeit erlangen,<br />
damit die Schicht beim Auftragen in ihrer<br />
Form stabil bleibt. Die Schicht muss zudem<br />
DIE EINSPARUNGEN<br />
AN SCHALUNGSMA-<br />
TERIAL UND BETON<br />
SIND DERART VOR-<br />
TEILHAFT, DASS 3D-<br />
PRINTING EINE ZU-<br />
KUNFTSTRÄCHTIGE<br />
MÖGLICHKEIT IST,<br />
UM NACHHALTIGER<br />
BAUEN ZU KÖNNEN.<br />
bereit sein, die nächste Lage tragen zu können.<br />
Dabei darf sie nicht zu trocken werden,<br />
sonst kann sich die nachfolgende Schicht<br />
nicht mit ihr verbinden und würde lose darüber<br />
liegen.<br />
36<br />
IMMOBILIA / April <strong>2023</strong>